Protocol of the Session on July 21, 2011

Der Landesrechnungshof hat Ihnen eine eindeutige Empfeh lung gegeben. Ich zitiere eine Aussage von Vizepräsident Kunz vom 11. Juli:

Überraschend schnell ist die Chance zur Konsolidierung des Haushalts wiedergekommen. Diese Chance muss auch genutzt werden. Sonst bleibt nachhaltige Finanzpolitik Wunschdenken.

Winfried Kretschmann hat am 5. Mai 2010 in der Aktuellen Debatte zur Auswirkung der Griechenlandkrise auf BadenWürttemberg wörtlich ausgeführt – ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten –:

Aber machen wir uns nichts vor: Der griechische Virus hat längst auch Baden-Württemberg befallen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig! – Zuruf des Ministerpräsidenten Winfried Kretsch mann)

In der Tat, Herr Ministerpräsident: Mit Ihrem Nachtrag unter mauern Sie, dass der griechische Virus zwar nicht früher Ba den-Württemberg, aber in der Tat die heutige Landesregie rung befallen hat.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich sage Ihnen ganz offen: Besinnen Sie sich! Philosophische Gedanken reichen nicht aus, um ein Land zu regieren. Kon krete Umsetzung ist gefragt, und zwar hier und heute.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Herr Ministerpräsident, ich erinnere mich auch daran, dass Sie mit dem damaligen Ministerpräsidenten Oettinger Mitglied in der Föderalismuskommission waren.

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Die Föderalismuskommission hat damals die Einführung ei ner Schuldenbremse beschlossen, und dies wurde im Grund gesetz auch umgesetzt. Sie scheinen sich aber nicht mehr an das Datum zu erinnern. Die grundgesetzliche Schuldenbrem se gilt nämlich seit dem 1. Januar 2011.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: So ist es!)

Seit dem 1. Januar 2011 ist es den Ländern zunächst einmal grundsätzlich untersagt, überhaupt neue Schulden aufzuneh men.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Genau!)

Sie haben das damals begrüßt. Wir haben diese grundgesetz liche Vorschrift für die Übergangszeit bis zum Jahr 2020 in die Landeshaushaltsordnung aufgenommen – mit Ihrer Zu stimmung. Sie wollten damals sogar noch ein Verfassungs recht daraus machen – nicht ein einfaches Gesetz, sondern Verfassungsrecht – und dieser Bestimmung Verfassungsrang einräumen.

In dieser Landeshaushaltsordnung, die bis zum heutigen Tag, also auch am 21. Juli 2011, Gültigkeit hat, steht, dass Neuver schuldung verboten ist, wenn die Staatseinnahmen nicht ge genüber dem Vorjahr um mehr als 1 % sinken.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Genau!)

Das ist die klare LHO-Vorgabe.

(Abg. Winfried Mack CDU: So ist es!)

Herr Ministerpräsident, Sie halten dies sehenden Auges nicht ein.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Sie halten nicht nur dem Grunde nach die Vorgabe nicht ein, dass Konsolidierung geboten ist, gerade auch im Lichte der Eurokrise, die die Menschen beschäftigt, wenn es um die Fra ge der Härte der Währung geht. Vielmehr halten Sie auch die gesetzlichen Vorgaben nicht ein, die Sie selbst mit beschlos sen und initiiert haben. Wo bleibt Ihre Glaubwürdigkeit und die Ihrer Regierung?

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Am Ende liefern Sie ein Kontrastprogramm. Die neue, grünrote Regierung schlägt im Entwurf des Nachtragshaushalts vor, die Nettokreditaufnahme lediglich um 250 Millionen € abzusenken, aber dafür 560 Millionen € neue Schulden zu ma chen. Bezeichnenderweise ist die Nettoneuverschuldung im Vierten Nachtrag genauso hoch wie die Zuführung zu einer ominösen Rücklage für Sanierungsmaßnahmen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Die ist nicht ominös, sondern real!)

Lieber Kollege Schmiedel, die Sozialdemokraten waren ein mal selbstbewusst, und zwar sowohl als Abgeordnete als auch als Fraktion. Ich appelliere an Sie, darüber nachzudenken: Wo bleibt Ihr Selbstbewusstsein, wenn Sie 560 Millionen € pau schal der Regierung zur Verfügung stellen, ohne die Maßnah men klar zu benennen?

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Doch! Sanierungsmaßnahmen!)

Es entspricht dem Haushaltsrecht des Landes, dass immer dann, wenn investiert wird, größere Beträge nicht einfach in einem Pauschaltitel abgefeiert werden. Vielmehr muss über größere Beträge – auch hierüber – eine Abstimmung im Land tag erfolgen.

(Zuruf: So ist es!)

So ist es. – Wo bleibt hierbei aber Ihr Selbstbewusstsein?

(Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Meine Damen und Herren, die Maß-, Hemmungs-, aber auch Orientierungslosigkeit der neuen Landesregierung

(Lachen bei den Grünen und der SPD)

zeigt sich aber auch bei den neuen Stellen, die im Haushalt ausgebracht sind. Es handelt sich um 180 neue Stellen. Wir haben darüber debattiert. Das bedeutet eine strukturelle Mehr belastung für den Landeshaushalt von 100 Millionen € bis zum Inkrafttreten der Schuldenbremse im Jahr 2019. Dies als Demokratiekosten zu verkaufen ist doch ein Hohn für den Wähler, wenn man weiß, dass die Mehrzahl der Stellen gera de nicht für neue politische Schwerpunkte benötigt werden, sondern irgendwo versickern, um alte Parteisoldaten und Ge nossen zu bedienen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf: So ist es! – Zuruf von der SPD: Alte?)

An dieser Stelle möchte ich noch einmal die gestrige Regie rungsbefragung aufgreifen, die sehr erhellend war. Im Ver kehrsministerium werden 59 neue Stellen geschaffen. Gera de einmal neun Stellen davon sind für ein Programm gedacht, das Sie als neuen politischen Schwerpunkt vorstellen, näm lich für die nachhaltige Mobilität. Der Rest versickert irgend wo in der allgemeinen Verwaltung, nur weil Ihre Regierung – Ihr Haus und die anderen Ministerien – nicht bereit war, pro portional zum Anteil der Beamten, die beim neuen Verkehrs ministerium beschäftigt sind, Beamtenstellen aus der allge meinen Verwaltung zur Verfügung zu stellen.

(Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Die neun Stellen akzeptieren wir. Wir akzeptieren die Inhal te, mit denen die Beamten betraut werden. Dass Sie neue Stel len dafür brauchen, ist verständlich. Die 50 anderen hingegen sind nicht akzeptabel.

(Zuruf: So ist es!)

Im neuen Integrationsministerium sieht es ähnlich aus. Hier wollen Sie 45 neue Stellen schaffen. In Niedersachsen kommt man bei einem deutlich breiteren Aufgabenspektrum mit ge rade einmal der Hälfte der Stellen aus.

Schauen wir uns einmal die Wertigkeit der Stellen im Integ rationsministerium an. Das beginnt mit einer B-9-Stelle. Dann folgen drei – drei! – Abteilungsleiter im Dienstrang eines Mi nisterialdirigenten, die also nach B 6 besoldet werden. Insge samt sind es 45 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Selbstbe dienungsladen!)

Meine Damen und Herren, das ist ein Selbstbedienungsladen, wie ihn dieses Land bisher noch nie gekannt hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Finanz- und Wirtschaftsministerium behält trotz der Zu sammenlegung zweier Ministerien zwei B-9-Stellen.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Ja!)

Es behält aber nicht nur diese B-9-Stellen, sondern es kom men zusätzliche Stellen hinzu. Wo bleiben aber die Synergie effekte gerade in der allgemeinen Verwaltung? Wenn Sie Stel len abgegeben hätten – was Sie hätten tun müssen, weil Sie Kompetenzen verloren haben –, wäre das nachvollziehbar ge wesen. Sie haben aber Kompetenzen abgegeben, haben keine Stellen eingespart und wollen sogar zusätzliche Stellen aus weisen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das hat mit einer seriösen Finanz- und Stellenpolitik nichts zu tun. Sie erhöhen nämlich den Personalbestand der Ministerialverwaltung um insgesamt 6 %.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Negativbei spiel!)

Meine Damen und Herren, Grün-Rot hat ohne Not die Null verschuldung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. So haben Sie es jedenfalls vor. Erst hieß es 2019, jetzt heißt es 2020.