Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Be gründung der Anträge unter den Buchstaben a und d sowie für die Begründung unter den Buchstaben b und c jeweils fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.
Wem darf ich für die Fraktion GRÜNE das Wort erteilen? – Frau Abg. Lösch, bitte schön, Sie haben das Wort.
Liebe Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Antrag zum Sprach förderkonzept ist nun schon über ein Jahr alt. Seitdem hat sich einiges verändert. Dies kann man in dem Änderungsantrag der FDP/DVP und der CDU nachlesen. Viele der von uns als kritisch erachteten Punkte sind in die neuen Förderrichtlini en, die im Mai 2010 in Kraft getreten sind, eingeflossen, wie beispielsweise die Größe der Fördergruppe, die sich auf min destens zwei bis maximal zehn Kinder bemisst. Ab Septem ber 2010 übernimmt das Land nun auch die Finanzierung der frühkindlichen Sprachförderung für Kindergartenkinder, die bei der Einschulungsuntersuchung noch Sprachprobleme auf weisen.
Wir begrüßen den Einstieg des Landes in eine regelhafte För derung. Aber wir kritisieren, dass die Mittel für Sprachförde rung nach wie vor an die gesundheitsamtliche Untersuchung im Rahmen der Einschulungsuntersuchung gekoppelt sind und zweckgebunden nur bei einem sogenannten intensiven Sprach förderbedarf für die Förderung in Fördergruppen ausbezahlt werden. Dies widerspricht der Zielsetzung des Orientierungs plans, in dem Sprachbildung und Sprachförderung zentrale Themen der pädagogischen Arbeit sind.
Wir wollten ein ganzheitliches Konzept, in dem Sprachförde rung nicht als besonderes Trainingsprogramm durchgeführt
wird, sondern in den Alltag der pädagogischen Arbeit der Kin dertageseinrichtungen eingebettet ist. Dabei versteht sich Sprachförderung als Angebot für alle Kinder und nicht primär als Förderung der deutschen Sprachkompetenz für mehrspra chig aufwachsende Kinder. Hierdurch würde auch der wissen schaftlichen Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass Zweisprachigkeit grundsätzlich kein Nachteil, sondern eine wertvolle Ressource ist.
Sprachförderung muss so früh wie möglich beginnen, mit dem ersten Tag, an dem ein Kind den Kindergarten betritt, und nicht erst nach der Einschulungsuntersuchung im letzten Kin dergartenjahr.
Unserer Meinung nach kann das Land sein Handeln nicht da rauf reduzieren, zu sagen: „Wir fördern nur Kinder mit soge nannten Sprachproblemen durch intensive Sprachförderung in extra Gruppen; alles andere ist Sache der Kommunen.“ Auch Aufgaben im Hinblick auf Spracherwerb und Sprach verzögerungen gehören zur Sprachförderung. Sprachförde rung darf nicht als isoliertes Sprachtraining verstanden wer den, sondern muss als gezielte Erweiterung der Sprachkom petenz durch in den Alltag integrierte, sprachanregende An gebote
keine sprachanregenden Angebote für Sie, liebe Kollegen, im Plenum, sondern in den Kindertageseinrichtungen – und als die Würdigung der eigenen Kultur aufgefasst werden.
Die Entwicklung der Persönlichkeit gestaltet sich über die Muttersprache. Bei aller Wichtigkeit der deutschen Sprache als Kommunikationsmittel gilt es, die Muttersprache zu ach ten und die Kultur des jeweiligen Kindes zu schätzen, gerade bei Kindern mit Migrationshintergrund.
Dabei spielt die Einbeziehung des Elternhauses eine zentrale Rolle. Das hat auch die Evaluation der „Sag’ mal was“Sprachkurse der Landesstiftung erwiesen. Ich erinnere daran, dass die Auswertung gezeigt hat, dass die Sprachkompetenz der Kinder, die an den Sprachkursen teilgenommen haben, ge nauso gut oder schlecht war wie die der Kinder, die keine Sprachkurse besucht haben, wenn die Eltern – die Mutter, der Vater – nicht in die Sprachförderung einbezogen wurden. Dies muss also eine Grundvoraussetzung sein. Die Zusammenar beit mit den Eltern unter Anerkennung und Einbeziehung der Familiensprachen und -kulturen ist von zentraler Bedeutung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch mit den neuen Förder richtlinien bleiben wir bei unserer grundlegenden Kritik. Wir sagen:
Erstens: Wir wollen eine alltagsintegrierte Sprachförderung im Rahmen des Orientierungsplans mit kleineren Kindergar tengruppen und besserem Personalschlüssel.
Zweitens: Um Sprachschwierigkeiten festzustellen, brauchen wir keine Überprüfung des Sprachstands im Rahmen der Ein schulungsuntersuchung. Die Mittel für das Screeningverfah ren HASE können Sie sich also sparen. Wir wollen stattdes sen eine Sprachstandserhebung durch die Erzieherinnen, durch Beobachtungsbogen im Rahmen des Orientierungsplans
ab dem ersten Kindergartenjahr. Das ist ohnehin ein fester Be standteil des Orientierungsplans. Wenn weiter gehende Sprachstörungen festgestellt werden, ist selbstverständlich das Arbeiten in interdisziplinären Teams mit den Fachdiensten von Logopäden und Heilpädagogen erforderlich.
Letztlich brauchen wir für eine gute Sprachförderung besse re Rahmenbedingungen in Kindertageseinrichtungen. Da ver weise ich auf die Debatte, die wir vorhin im Rahmen der Ers ten Beratung des Gesetzes zur Änderung des Kindertagesbe treuungsgesetzes geführt haben.
Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen zur Einschulungs untersuchung machen. Im Laufe des Jahres 2008 wurde die Einschulungsuntersuchung eingeführt. Ziel ist das rechtzeiti ge Erkennen des individuellen Förderbedarfs von allen Kin dern, auch derjenigen, die keinen Kindergarten besuchen.
Die ursprüngliche Idee der Einschulungsuntersuchung – die Überprüfung des Kindeswohls – spielt nur noch eine unterge ordnete Rolle. Unsere Kritikpunkte haben wir in der Vergan genheit schon mehrfach benannt. So standen für die Überlap pungszeit der alten Schuleingangsuntersuchung, also für die Schulanfänger 2009/2010 und die Schulanfänger 2010/2011 – also für Kinder, die dann noch ein Jahr lang den Kindergar ten besuchten – keine Übergangsregelungen oder personellen Ressourcen zur Verfügung. So sind viele Kindergartenkinder auch aus den Sprachförderprogrammen der Landesstiftung he rausgefallen.
Inhaltlich kritisieren wir nach wie vor, dass bisher nicht ge klärt ist, wer für Maßnahmen nach Feststellung eines indivi duellen Förderbedarfs, und zwar auch unabhängig von der Sprachförderung – z. B. im Bereich der Motorik –, aufkommt. Deshalb sage ich: Es ist nicht zufriedenstellend, den Förder bedarf festzustellen, ohne Ressourcen für die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen zur Verfügung zu stellen.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Die Landesregierung hat unter Gün ther Oettinger versprochen, dass allen Kindern, die eine Sprachförderung in den Kindertagesstätten brauchen, eine sol che auch zukommen wird. Nach einiger Kritik und einigem Hin und Her ist man den Weg ein Stück weit in die richtige Richtung gegangen. Man hat das Ganze systematisiert, indem das Thema Sprachstandserhebung an die vorgezogene Ein schulungsuntersuchung geknüpft wurde. Damit stellt man zu mindest in der Theorie sicher, dass bei jedem Kind der Sprach stand mindestens einmal erhoben wird.
Man hat jetzt durch die Übernahme der Kosten in den Haus haltsplan und die Herausnahme aus der Stiftung auch der Kri tik Rechnung getragen, die wir schon lange vorbringen. So kann man nicht auf der einen Seite sagen: „Wir machen eine Sprachförderung für alle und für alle Zeiten, solange sie nö
tig ist“, während man auf der anderen Seite das Ganze aus Stiftungsmitteln finanziert und die erforderlichen Mittel Jahr für Jahr im Grunde immer wieder neu freigesetzt werden müs sen. Insofern sind wir ein Stück weitergekommen.
Eine optimale Sprachförderung in Baden-Württemberg muss auf zwei Säulen stehen. Das ist zum einen die integrative Sprachförderung im Rahmen des Orientierungsplans, die mit Eintritt in die Kindertagesstätte vom ersten Tag an integrativ erfolgen muss. Sie ist aber heute nicht der zentrale Bestand teil unserer Diskussion.
Zum anderen – ich bitte aus SPD-Sicht, dies nicht gegenein ander auszuspielen – wird es immer Kinder geben, die noch eine zusätzliche individuelle Förderung brauchen, weil sie ent weder eine besonders ausgeprägte Sprachproblematik haben oder weil es aus anderen Gründen nicht als ausreichend er achtet werden kann, dass sie integrativ in die Sprachförderung einbezogen werden.
Solange der Orientierungsplan noch mit nur 0,3 zusätzlichen Personalstellen zu den bestehenden 1,5 Stellen umgesetzt wer den soll, was nach internationalen Standards und auch nach den Erfahrungen der Erzieherinnen und Erzieher als nicht aus reichend empfunden wird, ist die individuelle Sprachförde rung als zusätzliches Instrument noch wichtiger. Denn viel leicht können wir dadurch noch ein Stück weit das ausglei chen, was durch die noch nicht flächendeckende Umsetzung des Orientierungsplans an notwendigen Rahmenbedingungen fehlt.
Nach einer gewissen Erprobungsphase ist es jetzt an der Zeit, darüber zu diskutieren, wozu die Verknüpfung der Sprachför derung an die vorgezogene Einschulungsuntersuchung führt und ob damit das Versprechen der Landesregierung erfüllt wird, dass dann allen Kindern eine solche Sprachförderung zukommt.
Es gibt eine Umfrage der Caritas für Baden. Es gibt aber auch die Antwort der Landesregierung auf die zu unserem Antrag gestellten Fragen. Man muss feststellen: Die Zahl der geför derten Kinder ist von etwa 11 000 auf 8 000 zurückgegangen. Das kann nicht daher kommen, dass die anderen plötzlich al le sprachfähig wären, sondern das hat etwas damit zu tun, dass es im Gegensatz zu Ihren Annahmen nicht gelungen ist, alle Kinder rechtzeitig zu testen und dann den Sprachfördermaß nahmen zuzuführen.
Die Caritas-Umfrage zeigt sehr genau, was das bedeutet. An vielen Stellen wurde die ESU nicht zum geeigneten Zeitpunkt oder überhaupt nicht durchgeführt. Dies hat etwas mit dem doppelten Jahrgang zu tun. Aber auch das war vorherzusehen. Die davon betroffenen Kinder kamen dann nicht in die Sprach förderung.
Ein zweites Handicap war, dass es für die Einrichtung einer Sprachfördergruppe mindestens fünf Kinder bedurfte. Es gibt jedoch kleinere Einrichtungen, vor allem auf dem Land, die nur aus einer Gruppe bestehen. Dort ist man nicht auf fünf Kinder, sondern vielleicht nur auf zwei oder drei Kinder mit Förderbedarf gekommen. Auch das hat dazu geführt, dass Kin dern trotz nachgewiesenen Bedarfs keine Sprachförderung er teilt worden ist.
Zudem gab es Anträge, die so falsch gestellt worden waren, dass sie nicht genehmigt werden konnten. Auch das führte da zu, dass Kinder – wenngleich nicht viele – nicht in die Sprach förderung kamen. Ergebnisse der Caritas-Umfrage und deren Hochrechnung auf alle Kinder haben gezeigt, dass nur etwa jedes zweite Kind, das eigentlich einen Sprachförderbedarf hat, auch in eine Sprachförderung gekommen ist.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat an zwei oder drei Stellen etwas nachgesteuert. Sie haben dargestellt – Frau Lösch hat das schon gesagt –, dass es jetzt möglich ist, Kleingruppen mit nur zwei Kindern zu bilden. Damit wurde zugestanden, dass es andernfalls zu Schwierigkeiten käme. Eine weitere Verbesserung ist, dass es jetzt auch möglich ist, falls die ESU nicht durchgeführt werden kann, die Ergebnis se und die Beobachtungen der Kindertagesstätte selbst zu ak zeptieren und für diese Kinder dennoch eine entsprechende Sprachförderung zu beantragen.
Das sind zwei Verbesserungen, die dem Problem sicherlich ein wenig abhelfen. Trotzdem bleiben unsere Forderungen be stehen, die auch in unseren Anträgen zum Ausdruck kommen. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass bei vielen Kindern die Kopplung mit der ESU, also der Einschulungsuntersu chung, dazu führt, dass sie viel zu spät eine zusätzliche Sprachförderung erhalten. Deshalb appellieren wir weiterhin an Sie und stellen heute auch einen Antrag hierzu zur Abstim mung, auch die Sprachförderung individueller Art vom Zeit punkt der ESU zu entkoppeln. Wenn eine Einrichtung mittels entsprechender Beobachtungen oder Testverfahren nachwei sen kann, dass Sprachförderbedarf vorhanden ist, dann sollte es schon vorher möglich sein, diese individuelle Sprachför derung bezahlt zu bekommen.
Damit hängt zusammen, dass wir auch andere Verfahren zur Feststellung eines Sprachförderbedarfs anerkennen sollten. Natürlich müssen sie ein Stück weit nachvollziehbar und ge gebenenfalls auch wissenschaftlich belegt sein. Sie sollten aber anerkannt werden, um etwas früher und rechtzeitiger an Kinder heranzukommen, die eine Sprachförderung brauchen.
Wir sind ferner der Meinung, dass der Elternfragebogen zur Einschulungsuntersuchung in Abstimmung mit dem Daten schutzbeauftragten überarbeitet werden muss, da man kritisch hinterfragen muss, was und in welcher Form gefragt wird. Pa rallel dazu geht es darum, wie die Eltern bei der Einschulungs untersuchung und bei der anschließenden Auswertung der Er gebnisse mitgenommen werden können, damit die gesamte Untersuchung möglichst im Konsens stattfinden kann und am Ende für alle förderliche Ergebnisse bringt, statt möglicher weise zu einer Scheinkonfrontation zwischen dem zu führen, was bei der Einschulungsuntersuchung mit den Kindern ge macht wird, und dem, was die Kinder wahrnehmen.
Auch sind wir der Meinung, dass man die Mittel entsperren sollte, die im Rahmen der Bildungsoffensive zur Verfügung gestellt wurden, um den zusätzlichen Aufwand zur Durchfüh rung der Einschulungsuntersuchung in den Kindertagesstät ten auszugleichen. Diese Mittel sind nach wie vor gesperrt. Sie haben in Ihrer Antwort davon gesprochen, dass es Gesprä che mit den kommunalen Landesverbänden gibt. Ich bin ge spannt, welche Ergebnisse Sie uns heute mitteilen können.
Mit Blick auf den Haushalt möchte ich in der ersten Runde eines abschließend sagen: Die Mittel für die Sprachförderung
stehen im Haushalt. Aber sie stehen unter der Überschrift „Schulreifes Kind“. Dieses Programm finanziert sich zu 100 % aus nicht besetzten Lehrerstellen. Das heißt, dass jede zusätzliche Sprachförderung, die wir bezahlen müssen, zulas ten einer Lehrerstelle geht, die dann eventuell gesperrt wird. Auch das ist keine solide und seriöse Finanzierung der Sprach förderung im Rahmen eines Haushalts mit zusätzlichen Mit teln.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst: Die frühkindliche Bildung ist für uns als CDU-Fraktion ein wichtiges Handlungsfeld. Insofern bin ich geradezu dankbar, dass sowohl die Kollegin Lösch als auch der Kollege Dr. Mentrup das offenkundig zur Kenntnis genommen haben. Meinen herzlichen Dank dafür, dass Sie anerkennen, wie wir uns auf den Weg gemacht haben und dass wir die richtigen Maßnahmen dazu ergriffen haben. Trotzdem scheint mir, dass an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch ein kleines Missverständnis im Raum steht.
Baden-Württemberg ist das zweite Bundesland überhaupt, das eine verbindliche Sprachstandsdiagnose eingeführt hat.