Protocol of the Session on July 29, 2010

CDU und FDP/DVP beantragen außerdem gemeinsam, die Funktion des Kulturbeauftragten an Schulen durch Lehrerin nen und Lehrer wahrnehmen zu lassen. Gerade vor dem Hin tergrund der Ausweitung von Ganztagsangeboten und ver stärkter Kooperationen von Schulen mit außerschulischen Kultureinrichtungen halten wir es für angebracht, dass Kunst schaffende auf einen klar definierten Ansprechpartner zuge hen können.

Ferner ist es CDU und FDP/DVP ein Anliegen, von der Lan desregierung prüfen zu lassen, ob eine zeitlich befristete, pau schale Projektförderung, im Speziellen auch zur Existenzgrün dungsförderung im Bereich Kreativwirtschaft als wertvoller Impulsgeber für Innovationen, ermöglicht werden kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir von der CDU wollen keine Staatskunst, sondern eine freie Entfaltung der künstlerischen Kräfte, gerade in einer Zeit, in der die Kreati vität und der Ideenreichtum in allen Lebensbereichen gefragt sind und die Kunst wertvolle Impulse für die Herausforderung in Gegenwart und Zukunft geben kann. Dafür bieten wir den Rahmen, Arbeitsbedingungen für Kunstschaffende, um die uns die allermeisten außerhalb unseres Landes beneiden.

Wie ihre Vorgängerin ist „Kultur 2020“ ein Kompendium der Kunst in Baden-Württemberg, eine Zustandsbeschreibung mit einer detaillierten Erhebung des Istzustands und zugleich ein Füllhorn an Anregungen für die weitere Entwicklung von Kunst und Kultur in Baden-Württemberg.

Wenn wir alle es mit den Inhalten von „Kultur 2020“ ernst meinen – davon gehe ich bei meiner Fraktion zu 100 % aus –, dann werden wir oder kommende Generationen in zehn oder mehr Jahren – ebenso wie heute mit Blick auf die erste Lan deskunstkonzeption – feststellen können, dass die in „Kultur 2020“ formulierten Ziele und die damit verbundenen Meilen steine auf dem kunstpolitischen Weg in die Zukunft ambitio niert gewesen sind, aber auch mit Konsequenz und Beharr lichkeit, mit Aufgeschlossenheit und Dialogbereitschaft, mit Geist und Esprit erreicht worden sind.

Ich danke allen Beteiligten, insbesondere dem Kunststaatsse kretär, dem Staatssekretär im Kultusministerium und stellver tretend für alle Ministerialbeamten Herrn Ministerialdirigent Koch, Herrn Radolko und Frau Schäffner. Der letzte Dank gilt

auch den vielen Hundert Kunstschaffenden, die an der neuen Kunstkonzeption mitgearbeitet haben.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut! Note „Eins“!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abg. Heberer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wenn wir eine Konzeption für die künstlerische Entwick lung und Entfaltung im deutschen Südwesten vorlegen, so unterbreiten wir damit zugleich auch eine Konzeption da für, wie die geistigen und kulturellen Grundlagen, die tragfähigen Werte unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung, unserer politischen und wirtschaftlichen Frei heit auf Dauer gefestigt und bewahrt werden können und sollen. Dies und vor allem dies ist der wichtigste und vor nehmste Anlass und Grund, warum ich heute mit dieser neuen Kunstkonzeption vor Sie hintrete.

So, meine Damen und Herren, sprach Ministerpräsident Lo thar Späth am 13. Dezember 1989 in seiner Regierungserklä rung zur Kunstkonzeption vor dem Landtag von Baden-Würt temberg.

Diese elementare Bedeutung, diesen Wert misst der aktuelle Ministerpräsident der Kultur offensichtlich nicht bei, sonst wäre er zumindest anwesend.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Genau so ist es!)

Im Vorwort zu dieser Kunstkonzeption wird Kultur als integ raler Lebensbestandteil und als eine soziale Notwendigkeit unseres Zusammenlebens definiert, die im Zuge von gesell schaftlichem Wandel und technischem Fortschritt einem stän digen Veränderungsprozess unterworfen ist. In der Tat: Nach 20 Jahren machen eine veränderte Gesellschaft mit einem ver änderten Wertekonsens, ein verändertes Freizeitverhalten der Menschen, eine gänzlich neue mediale Welt, inzwischen völ lig neue Kunstformen, eine in diesem Zeitraum entstandene spürbar andere soziale und wirtschaftliche Situation, verän derte Bildungsgrundlagen und ein anderer Umgang mit dem Faktor Zeit eine Neuorientierung und Neuausrichtung der kul turellen Zielsetzungen in unserem Land notwendig.

Dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedarf es noch mehr Mut, als ihn dieser Entwurf bisher zeigt. Denn ihrem eigenen Anspruch nach sind Kultur- und Medienpolitik Ausdruck und Ergebnis einer kontinuierlichen kritischen Diskussion in Par lament und Gesellschaft über unser kulturelles Selbstverständ nis, über legislative Maßnahmen zum Schutz und zur Förde rung der Künste und über die Voraussetzungen einer freien und pluralistischen Kulturlandschaft.

Was also sind nun die neuen Aspekte für eine Fortschreibung der Kunstkonzeption? Ein Zukunftsentwurf? Eine politische Willenserklärung?

Mit der Kunstkonzeption von Hannes Rettich betrat das Land Baden-Württemberg Neuland in Sachen Kulturpolitik. Zum

ersten Mal wagte es ein deutsches Bundesland, Kultur poli tisch zu thematisieren. Schwerpunkt bildete damals neben ei ner Bestandsaufnahme der Ausbau der kulturellen Infrastruk tur. Zahlreiche Gründungen von Kulturinstitutionen folgten.

Nach dem Einzelwerk Rettichs liegt nun, 20 Jahre später – Herr Palm hat es angesprochen –, ein Gemeinschaftswerk, der Entwurf „Kultur 2020“, vor uns, der in einem offenen Dialog zwischen Ministerien, einem – übrigens eigens eingerichte ten – Kunstbeirat, den Kulturinstitutionen, den Kulturschaf fenden und den Vertreterinnen und Vertretern der Landtags fraktionen entstanden ist. Einzig die Kommunen und der Städ tetag als wichtige Partner für das Land und als kommunale Träger der Kultur fehlten in dieser Runde. Das ist bedauer lich.

Dennoch signalisierte diese Kooperation, dass auf einer ge meinsamen Ebene ein Zusammenwirken von Politik, Verwal tung und Machern durchaus möglich ist. Deshalb auch ein Kompliment und ein Dank an alle Akteure, dass dies so kon struktiv gelungen ist.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen sowie der Abg. Christoph Palm und Paul Locherer CDU)

Diese Zusammenarbeit macht nämlich Hoffnung darauf, dass ein intensiver und konstruktiver Dialog auch in die Zukunft wirkt, neue Vernetzungen ermöglicht und auch schwierige Haushaltslagen auf dieser Basis meistert. Man muss diese Zu sammenarbeit nur mit Mut ausbauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, „Kultur 2020“ beschreibt – neben einer aktuellen Bestands aufnahme unseres an hochrangigen Einrichtungen reichen Landes und der breiten Vielfalt an kulturellen Initiativen – auch neue Aufgabenfelder. So weisen z. B. auch die Empfeh lungen des Kunstbeirats, der sich aus Vertreterinnen und Ver tretern nahezu aller Kunstsparten zusammensetzte, zukunft weisende kulturpolitische Zielsetzungen auf, die auch in die ser Konzeption als wichtige Schwerpunktthemen berücksich tigt sind, wie beispielsweise die kulturelle Bildung – sie wur de schon angesprochen – und die Interkultur, also die Verbes serung der Partizipation von Migrantinnen und Migranten am kulturellen Leben in Baden-Württemberg. Zu verstärken wä ren aus unserer Sicht der Bereich „Kultur und demografischer Wandel“, aber auch die Kreativwirtschaft, Bereiche, die deut lich den gesellschaftlichen und technisch-wirtschaftlichen Wandel signalisieren und neu gestaltet werden müssen.

Kultur ist Voraussetzung für Lernen und Bildung. Lernen und Bildung sind Voraussetzung für Kultur. Kulturvermittlung ist Wertevermittlung. Ich sage dies ausdrücklich, weil ich damit auch eine Antwort auf den Wortbeitrag von Frau Vossschulte in der gestrigen Bildungsdebatte geben will. In diesem Sinn ist übrigens auch der betreffende Entschließungsantrag zu ver stehen, den SPD und Grüne zur heutigen Beratung vorgelegt haben. Ich sage dies auch vor dem Hintergrund der Streichung beispielsweise von Musik- und Kunstunterricht an unseren Schulen. Hierbei stehen die Zahlen des Musikrats im Raum, nach denen 80 % des Musikunterrichts an deutschen Grund schulen ausfallen oder fachfremd unterrichtet werden. Hier besteht in allen Schularten Handlungsbedarf.

Uns ist eine sinnvolle Vernetzung der Bereiche Bildung und Kultur auf politischer und institutioneller Ebene wichtig, et wa über die Beschäftigung eines Kunstbegleiters oder -koor dinators an der Schule – das wurde schon von Herrn Palm an gesprochen –, um eine Stärkung der musischen Fächer, näm lich darstellendes Spiel, Musik und Kunst, zu erreichen. Die angesprochene Vernetzung ist aber auch wichtig, um eine ge zielte Ausbildung der Lehrer sowie der Künstler und der Mit arbeiter an Institutionen zu erreichen, die in die Programme zur kulturellen Bildung eingebunden sind. Denn wie sollen Kunst, Musik, Theater, Tanz und Literatur auf hohem Niveau an Kinder vermittelt werden, wenn die Lehrer und Lehrerin nen in diesen Fächern quasi nur noch nebenher ausgebildet werden?

Auch die Frage der Zuständigkeiten muss auf den Prüfstand gestellt werden. Denn es sind gleich mehrere Ministerien und noch die vier Regierungspräsidien, die in den Bereichen Bil dung, Kultur, Interkultur und Soziales auf unterschiedlicher und eben nicht auf gleicher Ebene agieren.

Ergänzende Anträge, die in großem Konsens und größtenteils fraktionsübergreifend gestellt werden, werden die notwendi gen Handlungsfelder besonders aufzeigen.

Eine weitere große Herausforderung sind die unterschiedli chen Kulturen, aus welchen sich unsere heutige Gesellschaft zusammensetzt. Die immer wichtiger werdende interkulturel le Arbeit muss auf einem Austausch beruhen, bei dem unsere Kulturinstitutionen einerseits Besucher aus anderen Kultur kreisen zu erreichen versuchen, sich andererseits aber auch selbst anderen Formen und Inhalten öffnen.

Bei der Teilhabe wird meist nur die Rezipientenseite, also das Publikum – die Besucher –, betrachtet. Kulturelle Beteili gungsprojekte mit Migrantinnen und Migranten stehen zu we nig im Blickpunkt. Hierbei wird die gemeinschaftsbildende Kraft der Kunst, die in hohem Maß zum Integrationsprozess beitragen kann, noch immer weit unterschätzt.

Ein wichtiger, aber zu wenig berücksichtigter Themenkom plex ist „Kultur und demografischer Wandel“. Vor dem Hin tergrund einer im Durchschnitt zunehmend älter werdenden Gesellschaft sind inhaltliche, ästhetische und infrastrukturel le Konsequenzen einzuplanen. Der dritte Lebensabschnitt der Menschen, die Zeit nach dem Berufsleben, ist längst kein be schauliches Rentnerdasein mehr, sondern voller Aktivitäten mit Sport und Kultur.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Herr Noll hat recht. – Hier liegen Chancen und Aufgaben für unsere Kultureinrichtungen, auch in der Betrachtung des Aspekts des lebenslangen Lernens und der Partizipation an künstlerischen Prozessen. In beiden Bereichen spielt übrigens die Laienkultur, deren Grenzen zum Profibereich immer flie ßender geworden sind, zunehmend eine Rolle.

Auch zum Thema Kreativwirtschaft fehlen in dem vorliegen den Entwurf konkrete politische Weichenstellungen und Kon zepte. Mit der Kreativwirtschaft tut sich ein völlig neues Feld auf. Sie ist ein wichtiger Motor für wirtschaftliche Dynamik. Allein im Jahr 2008 erzielten die rund 240 000 Unternehmen

der Branche bei einem bundesweiten Umsatz von 132 Milli arden € eine Bruttowertschöpfung von 63 Milliarden €. Die se wirtschaftlichen Potenziale müssen in unserem Land weit besser erschlossen werden. Hier sind Strukturförderprogram me aufzulegen und Infrastrukturen für Unternehmensgrün dungen zu schaffen.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe aus dem großen Themenkanon eines umfassenden konzeptionellen Entwurfs die beiden uns allen sehr wichtigen und großen Schwerpunktthemen herausgegriffen, die auch der Kollege Palm angesprochen hat: kulturelle Bildung und Inter kultur. Ich habe aber auch auf zwei Bereiche hingewiesen, die trotz ihres Zukunftspotenzials wenig Berücksichtigung fan den: der demografische Wandel und die Kreativwirtschaft.

Positiv anmerken möchte ich etwas, was ganz unscheinbar in vier Zeilen innerhalb des Textes steht, aber dennoch eine sehr große Strahlkraft für Baden-Württemberg entwickeln kann und mich ganz besonders freut: die Unterstützung von Bewer bungen aus dem Land für den Wettbewerb um die Kultur hauptstadt Europas. Diese Unterstützung zeigt den Ehrgeiz ei nes stolzen kulturreichen Landes, sich dem europäischen Kul turwettbewerb zu stellen.

Ich möchte einen weiteren, gar nicht unscheinbaren Punkt er wähnen: Sämtliche Parlamentarierinnen aller Fraktionen die ses Hauses haben sich dafür eingesetzt, dass kulturschaffen de Frauen in der Landeskunstkonzeption berücksichtigt wer den. Denn in allen Kultursparten ist eine große Anzahl von Frauen vertreten, die auch auf diesem Feld vollständige Gleichberechtigung und Chancengleichheit erwarten dürfen – dies besonders mit Blick auf Leitungspositionen in den Kul turbetrieben –, aber auch Möglichkeiten zu ihrer Förderung in der Kultur. Dazu wollen wir ihnen verhelfen, und zwar mit den Männern.

(Glocke des Präsidenten)

Ich weiß. Ich komme gleich zum Ende.

(Heiterkeit)

Ihre Redezeit, Frau Kol legin, ist schon seit Langem abgelaufen.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Sie hat noch fünf Mi nuten!)

Jawohl. Ich habe noch eine Se quenz.

Ausbaufähig ist aus unserer Sicht der Bereich der Literatur, der trotz weitreichender Wirkung des Stuttgarter Literaturhau ses wie auch der in Freiburg entstandenen Initiativen, trotz ei nes hervorragenden Schriftstellerverbands – von ihm können sich andere Länder eine Scheibe abschneiden –, trotz exzel lenter Bibliotheken und einer Stuttgarter Akademie, in der man die Kunst des gesprochenen Wortes pflegt, in der Kon zeption eher zurückhaltend berücksichtigt wird.

Auch die zeitgenössische Musik sollte im Konzept noch mehr in den Vordergrund treten. Ohne sie läuft die Oper als Kunst

form, das Konzert Gefahr, auf die Werke des traditionellen Kernrepertoires reduziert zu werden.

Zukunftsfähige Ensembles – –

(Glocke des Präsidenten)