(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Sie haben sich für „von oben nach unten“ eingesetzt!)
Das könnte man eigentlich von einer liberalen Fraktion erwar ten, statt andere, die sich dafür einsetzen, einfach unter Ideo logieverdacht zu setzen.
(Anhaltender Beifall bei den Grünen – Beifall bei Ab geordneten der SPD – Abg. Franz Untersteller GRÜ NE: Winfried, bist du heute Morgen in den Jungbrun nen gefallen?)
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her ren! Ich nehme an, dass unseren Schülern und Schülerinnen auf dem wohlverdienten Weg in die Ferien jetzt die Ohren ge klungen haben. Ich darf kurz in Erinnerung rufen: Es geht bei dieser Debatte eigentlich um die Schüler und Schülerinnen. Sie sind jetzt schon in den Ferien. Sie müssen sich das jetzt nicht live anhören und auf der Tribüne sitzen. Sie genießen am Ende eines Schuljahrs den Weg in die Ferien.
Viele nicht. Wir haben in Baden-Württemberg – es ist scha de, dass ich das jetzt schon wieder sagen muss – innerhalb Deutschlands die geringste Quote derjenigen, die ein Klassen ziel nicht erreichen. Aber das gehört ja zu den Leistungsda ten, wie wir hier so oft sagen.
Vielleicht, meine Damen und Herren, haben auch Sie ein In teresse daran, dass wir jetzt einmal auf den Boden der Sach diskussion zurückkommen. Sie haben sich gerade ganz inten siv und vehement gegen Ideologieverdacht gewehrt. Umso mehr Interesse an Sachargumenten unterstelle ich Ihnen.
Zunächst, verehrter Herr Abg. Zeller: Alles, was Sie vorhin vehement über die Auswirkungen von PISA als Watsche für das dreigliedrige Schulsystem vorgetragen haben, stimmt – für Hamburg.
(Heiterkeit bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Aber Hamburg ist doch nicht weiter als wir!)
Deswegen war es richtig, in Hamburg eine Reform anzusto ßen. Ich habe kürzlich bei einem Streitgespräch mit Christa Goetsch – einen Teil davon konnten Sie im „Focus“ lesen – ihr dazu gratuliert, dass sie eine Reform machen. Ob man es so machen musste, da will ich mich nicht einmischen. Chris ta Goetsch hat dann etwas gesagt, was ich schon sehr interes sant finde.
Sie hat gesagt: „Wissen Sie, vieles von dem, was wir anstre ben, haben Sie in Baden-Württemberg schon.“
Ich denke, mit dieser Aussage hat Christa Goetsch ganz deut lich gemacht, dass es ihr um Qualität geht. Aber sie hat auch anerkannt, dass Baden-Württemberg mit seinem Schulsystem und seinem Bildungssystem Qualität produziert.
Umso bedauerlicher – ich will dies vorneweg sagen – ist: Wenn man Hamburg betrachtet, dann regt sich zumindest bei mir nicht zuerst Schadenfreude. Ich als Bildungspolitikerin halte das Ergebnis einer Abstimmung unter Eltern, die in et wa pari ausgeht – mit leichten Vorteilen für die eine Seite –, nicht für den geeigneten Anlass, sich hier in Schadenfreude zu ergehen.
Ich denke, eines ist klar, auch was die von Ihnen häufig als Allheilmittel angesehene Kommunalisierung der Bildungspo litik betrifft – auch das ist eine Schlussfolgerung, die wir zie hen müssen –: Bei solchen Prozessen und Diskussionen blei ben vor Ort immer Verlierer zurück. Ob diese Verlierer nun 49 %, 40 % oder auch nur 36 % ausmachen – es gibt einfach Verlierer vor Ort. Deshalb, meine Damen und Herren, ist zu mindest für mich die Entscheidung in Hamburg durchaus nicht etwas, bei dem man sagen kann: „Toll, das ist richtig ausge gangen.“ Aus meiner Sicht ist es zwar richtig ausgegangen, aber es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, zu sagen: „Hier ist jetzt alles wieder gut.“ Deswegen ist Hamburg heute, denke ich, bildungspolitisch – ich will nicht gerade sagen: eine Wüste; das wäre falsch – unbefriedetes Terrain.
Jetzt nehmen Sie bitte ein Zweites noch hinzu – das hat mich wirklich nachdenklich gestimmt –, und zwar eine Äußerung von Christa Goetsch in der Woche nach dem Volksentscheid in Hamburg. Dabei habe ich jetzt den Verdacht, dass doch so etwas wie Ideologie hineinkommt; ich bin mir da nicht so si cher. Diese Äußerung hat mir in der Seele wehgetan. Sie lau tete sinngemäß: „Da jetzt die Verlängerung der Primarschule nicht kommt, wird die Reform billiger; denn jetzt müssen wir den Klassenteiler nicht senken.“ Meine Damen und Herren, für mich als Bildungspolitikerin ist das unverständlich. Was hat denn die Klassengröße, die Verkleinerung der Investition in Bildung mit der Durchsetzung eines bildungspolitischen Konzepts zu tun?
Wenn wir von Ideologie sprechen können, dann doch an die sem Punkt: Warum nimmt Hamburg jetzt nicht trotzdem die 17 Millionen € in die Hand und verkleinert die Klassen im Sinne der Schüler und Schülerinnen? Werden dort Schüler in Geiselhaft genommen für pädagogische Konzepte? Das kann doch nicht sein, meine Damen und Herren.
Dass kleinere Klassen ein Schlüssel für die von Ihnen immer wieder zu Recht geforderte Individualisierung und Binnendif
ferenzierung sind und der stärkeren Förderung dienen, wird doch – so denke ich zumindest – niemand ernsthaft bestrei ten. Warum macht Hamburg das jetzt nicht? Sie hatten das Geld dafür doch schon zur Verfügung gestellt. Aber weil die Eltern mehrheitlich gesagt haben: „Wir wollen das System nicht so, wie ihr es jetzt ändern wollt“, gibt es jetzt keine klei neren Klassen. Meine Damen und Herren, so kann es nicht gehen.
Ebendas meinte Christa Goetsch auch, als sie zu mir sagte, wir hätten schon vieles von dem, was wünschenswert ist. Ja, wir haben in Baden-Württemberg in der Grundschule ab dem nächsten Schuljahr eine durchschnittliche Klassengröße von ca. 18 bis 19 Schülern. Hamburg lag in der letzten Statistik bei einer Klassengröße von durchschnittlich 23,9 Schülern. Sie mussten eine Reform machen. Aber die Pläne können doch jetzt nicht eingestampft werden, nur weil die Reform nicht so verläuft, wie es sich einige wenige vorgestellt hatten.
Meine Damen und Herren, das war das eine, was mich in Re aktion auf Hamburg wirklich nachdenklich gemacht hat.
Der zweite Punkt – auch das hat nichts mit Schadenfreude zu tun – war eine Äußerung von Nils Schmid, die ich der „Stutt garter Zeitung“ vom 20. Juli entnommen habe. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ich habe es dort so gelesen. Herr Schmid sagt dort allen Ernstes – ich zitiere –:
Die SPD will die zehnjährige Gemeinschaftsschule schrittweise umsetzen. Ein Schritt dazu kann auch die sechsjährige Grundschule sein.
wer sagt: „Wenn die zehnjährige Gemeinschaftsschule heute nicht geht, dann mache ich erst einmal die sechsjährige Grund schule und die zehnjährige Gemeinschaftsschule dann in drei Jahren“, der hat keine Ahnung davon, was Struktureingriffe im Bildungswesen bedeuten.
Es ist eben nicht damit getan, dass wir die Entscheidung über Strukturfragen auf die kommunale Ebene delegieren. Denn, meine Damen und Herren, was würden Sie denn tun – diese Frage ist sehr ernsthaft an uns alle gestellt –, was würden wir denn tun, wenn Kommunen unterschiedliche Entscheidungen treffen würden, wenn Kommunen selbst in kleinsten Raum schaften unterschiedliche Entscheidungen treffen würden, wenn die Entscheidungen bei Bürgerbeteiligung 51 : 49 % ausgehen würden? Würden Sie sodann, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, ebenso schnell anbie ten, beides zu machen und eine Wahlmöglichkeit einzuräu men, wie Sie es bei der Länge der Gymnasialzeit im Moment
anbieten, und sich über Umfrageergebnisse freuen? Oder sind Sie dann Manns genug, zu sagen, dass es keine Wahlfreiheit gibt? Denn eine Gruppe der Eltern hat entschieden, und die anderen müssten es schlucken. Würden Sie das vor Ort durch fechten? Seien Sie mir nicht böse; ich habe daran große Zwei fel, wenn ich sehe, wie mannhaft Sie andere Dinge umsetzen.
Es gilt, eines ganz klar festzuhalten: In der Bildungspolitik muss man sich zu einer Landesverantwortung bekennen. Der Ansatz, das Hohelied der Kommunalisierung zu singen, wie es heute getan wird, und generös vor Ort entscheiden zu las sen und gnädig aus Stuttgart das Geld dazuzugeben, dieser Ansatz bedeutet das Aus für eine stringente, in sich logische Bildungspolitik in einem Bundesland. Diese werden Sie doch nicht ernsthaft zur Disposition stellen.
Meine Damen und Herren, dazu möchte ich Ihnen aus einem Gespräch, das ich neulich geführt habe, berichten. Das war für mich entlarvend. Mein Gesprächspartner, den ich sehr schätze – er ist nicht von unserer politischen Couleur, war aber ein hoch geschätzter Gesprächspartner –, meinte auf die Fra ge, wer dann, wenn die Kommunen entscheiden, für den Bil dungserfolg verantwortlich sei, wer also dafür verantwortlich sei, dass es vor Ort erfolgreich ist – jetzt können Sie dreimal raten, was er gesagt hat, wer verantwortlich ist –: Am Schluss ist – natürlich – das Land verantwortlich. Das ist diese Inkon sequenz, die wir in Baden-Württemberg nicht unterstützen werden.
Ja, das Land – wir – ist verantwortlich. Deswegen betreiben wir eine Landesbildungspolitik. Wir setzen eine erfolgreiche Bildungspolitik der letzten 50 Jahre fort. Wir setzen nicht, weil es vielleicht modisch sein mag – ich will gar nicht sagen, weil es vielleicht schick sein mag –, irgendwelche Innovationen um. Nein, meine Damen und Herren, Innovationen, die die Struktur betreffen, wären der Weg ins Abseits. Innovationen, die die Qualität betreffen, setzen wir täglich um, sozusagen am laufenden Band.
Herr Kretschmann, Sie haben das Hohelied der Waldorfschu len gesungen. PISA ist heute schon einmal erwähnt worden. Es ist seltsam, dass sich die Waldorfschulen – von ganz we nigen Ausnahmen abgesehen – konsequent weigern, an PISAStudien teilzunehmen.
Das ist interessant. Ich weiß nicht, warum. Ich nehme an, es gibt Gründe dafür. Aber wer eine so herausragende, pädago gisch wertvolle Arbeit leistet, was ich nicht bestreite, der mö ge sich doch bitte an den heute vorherrschenden Instrumen tarien des Nachweises von Qualität beteiligen.
(Abg. Karl Zimmermann CDU: So ist es! – Abg. Jür gen Walter GRÜNE: Ihr Vorgänger wollte auch ein mal aussteigen! Baden-Württemberg wäre fast aus gestiegen!)
Ich darf Sie deshalb bitten, die Waldorfschulen zu ermutigen, sich an PISA zu beteiligen und sich nicht freiwillig auf einen Exotenstatus zu begeben, den wir diesen Schulen gar nicht zu weisen würden.