Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Damen und Her ren! Wir sind in der Tat der Meinung, dass der vorliegende Gesetzentwurf im Grundsatz ein sehr guter Gesetzentwurf ist.
Zum ersten Mal ist ein Gesamtkonzept auf den Weg gebracht worden. Es ist gelungen, eine sinnvolle Ausdifferenzierung der Pflegeberufe vorzunehmen. Es ist auch gelungen, heraus zuarbeiten, auf welcher Grundlage, auch auf Grundlage wel ches schulischen Abschlusses unterschiedliche Qualifikatio nen in diesem Bereich erworben werden können. Das ist ein positiver Aspekt und ein positiver Grundduktus, den wir sehr unterstützen.
Ich finde es allerdings sehr schade, dass das Gesetz deutlich zu kurz springt, wenn es darum geht, die Pflegeberufe insge samt aufzuwerten. Es geht doch darum – Herr Kollege Rom bach, Sie haben dies eben noch einmal deutlich formuliert –, dass wir dem Pflegenotstand, den wir aktuell haben, mit wirk samen Mitteln begegnen müssen. Das können wir doch nicht schaffen, indem wir jetzt nur diese ausdifferenzierten Berufs möglichkeiten weiter fortschreiben.
Wir müssen doch schauen, was die Gründe dafür sind, dass Pflegeberufe nicht besonders häufig wahrgenommen werden. Das hängt doch damit zusammen, dass sie in unserer Gesell schaft keine ausreichend hohe Wertschätzung genießen. Das heißt doch, dass wir insgesamt eine Aufwertung dieser Beru fe brauchen, die eine deutliche Wertsteigerung beinhaltet. Ei ne Wertsteigerung wird es nur geben, wenn die Berufsfelder und die Kompetenzen erweitert werden, wenn Pflege nicht nur ein Feld ausführender Tätigkeit ist, sondern auch ein selbst gestaltendes Feld, in dem auch Verantwortung übernommen werden kann. Das wäre eine tatsächliche Aufwertung.
In unseren europäischen Nachbarländern – ich spreche jetzt von den Niederlanden, aber auch von der Schweiz – passiert genau das. Da gibt es keinen Pflegenotstand. Da werden die Leute nicht nur besser bezahlt, sondern haben auch sehr viel mehr Tätigkeitsfelder, in denen sie eigenständig arbeiten kön nen. Da erfahren sie eine sehr viel höhere Wertschätzung. Der Gesetzentwurf wäre eine sehr gute Möglichkeit gewesen, die Pflegeberufe bei uns entsprechend aufzuwerten und damit auch dem Pflegenotstand entgegenzutreten. Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt ist: Wir brauchen in der Tat gerade in der Fläche Pflegekräfte, die auch dazu befähigt sind, selbststän dig Tätigkeiten auszuführen und als gleichberechtigter Teil ei nes Teams z. B. in der medizinischen Versorgung zu agieren.
In der letzten Woche fand eine große Pressekonferenz des Landkreistags statt. Dabei wurde deutlich gemacht, dass es ei nen Ärztenotstand gibt und dass es in der Zukunft schwierig sein wird, die ärztliche Versorgung in der Fläche sicherzustel len. Ein Ansatz ist sicherlich, dass man neue Versorgungs strukturen bei den Ärzten braucht. Aber wir brauchen auch neue Versorgungsstrukturen in einem Pflegemix und in einem medizinischen Mix, in dem auch Pflegekräfte deutlicher da für qualifiziert werden, auch eigenständige Berufstätigkeiten ausüben zu können. Da springt dieser Gesetzentwurf leider viel zu kurz.
Wir meinen auch: Sie betreiben eine falsche Weichenstellung, indem Sie den Arztassistenten installieren. Er arbeitet nur nach dem Delegationsprinzip und bekommt letztlich keine eigen ständige Berufsqualifikation.
Ich finde es schade, dass es nicht zu einer Anhörung gekom men ist. Es wäre sinnvoll gewesen, diesen Punkt noch einmal
deutlich unter die Lupe zu nehmen und zu prüfen, ob man nicht tatsächlich eine Veränderung im Sinne einer fortschritt lichen und zukunftweisenden Berufsqualifikation für Pflege berufe hätte erreichen können. In meinen Augen ist auch über haupt nicht verständlich, warum Sie die Stellungnahmen der entsprechenden Fachverbände, die sich sehr deutlich und sehr klar dazu positioniert haben und genau das kritisiert haben, nicht stärker berücksichtigt haben und bei diesem Ansatz ge blieben sind.
Ich habe auch nicht verstanden, warum es einen solch großen Zeitdruck gegeben hat und dies der einzige Grund dafür war, dass unser Antrag, den wir gemeinsam mit der SPD gestellt haben, im Sozialausschuss abgelehnt wurde.
Darum bitte ich jetzt, dem Entschließungsantrag, den wir heu te eingebracht haben, zuzustimmen. Denn er geht genau in die Richtung: Wir brauchen eine Höherbewertung und eine bes sere gesellschaftliche Anerkennung, und wir brauchen die Möglichkeit, dass sich Pflege weiterentwickelt, aber auch ei ne höhere Wertschätzung erreicht.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Selten ist ein Gesetzentwurf im Sozialbereich im Grundsatz so einmütig begrüßt worden wie der Entwurf, der heute zur Zweiten Beratung vorliegt. Die Grundproblematik ist von allen gleichermaßen beschrieben worden.
Herr Rombach hat auf die demografische Entwicklung ver wiesen. Obwohl nach wie vor die Mehrzahl der zu pflegen den Menschen zu Hause von Angehörigen – meist von Frau en – gepflegt werden, nimmt aufgrund der demografischen Entwicklung die Zahl derer, die professioneller Betreuung im Alter bedürfen, zu.
Deswegen, Frau Mielich, ist alles wichtig, was wir tun kön nen, um die Attraktivität dieser Berufe für junge Menschen zu steigern, aber auch um die Zugangsmöglichkeiten zu verbes sern.
Genau in dem Bereich, in dem das Land regelungsberechtigt ist, nämlich qualifikatorisch quasi unterhalb der klassischen Pflegefachkraftausbildung, schaffen wir jetzt
im Gefolge von Modellversuchen mit Servicehelfern, mit All tagshelfern erstmalig eine qualifizierte Erstausbildung auch für junge Menschen, die eben nicht den Realschulabschluss erreicht haben. Das heißt, wir verbreitern das Reservoir von jungen Menschen, aus dem wir schöpfen können. Diese bekommen aufgrund der Durchlässigkeit des Systems auch dann, wenn sie in der ersten Ausbildung die erforderliche Qua lifikation nicht erreicht haben, berufsbegleitend in den Pfle geberufen tatsächlich eine Chance und eine Perspektive.
Daher begrüßen wir es sehr, dass wir jetzt relativ rasch – denn die Modelle laufen schon lange – diese Qualifikation zur Pfle gehilfe mit einjähriger Ausbildung und zum Pflegeassistenten mit zweijähriger Ausbildung in Gang setzen, wobei der Zu gang selbst ohne Hauptschulabschluss möglich sein wird.
Ich sage auch dazu: Das ist ein interessantes Modell auch für Umsteigerinnen und Umsteiger. Es ist häufig ein Thema, dass wir vielfach versuchen, Menschen mit dem zigsten Compu terfortbildungskurs fürs Büro zu qualifizieren. Diese könnten vielleicht, wenn sie eine einfache Zugangsmöglichkeit zu ei ner qualifizierten Tätigkeit im Pflegebereich hätten, auch für solche Berufe gewonnen und begeistert werden. Das ist der eine, sehr positive Aspekt.
Der zweite Teil betrifft das, was oberhalb der klassischen Pfle gefachkraftausbildung passiert. Das ist das, was hier von der Opposition kritisiert worden ist.
Nun muss man natürlich eines sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der SPD: Sie haben ihren Ent schließungsantrag 1 : 1 aus der Stellungnahme des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe entwickelt.
Ich schätze diesen Berufsverband auch. Man kann das wört lich übernehmen. Nur müssen Sie jetzt eines zur Kenntnis nehmen: Dass die Vertreter des Berufsverbands nicht diffe renzieren zwischen Bundesregelung und Landesregelung, se he ich denen nach, weil es denen zunächst einmal egal ist, wer es regelt. Aber Sie wissen doch ganz genau, dass diese Aus-, Fort- und Weiterbildung zur Pflegekraft nicht das Land regeln kann, sondern dass das der Bund machen muss.
Da muss jetzt schon die Frage erlaubt sein: Wer war denn in den letzten zehn Jahren im Gesundheitsministerium in Berlin und hätte all das, was hier mit der Akademisierung der Pfle geberufe gefordert wird, machen können?
(Abg. Katrin Altpeter SPD: Haben Sie das schon mit Herrn Rösler besprochen? – Abg. Ursula Haußmann SPD: Das steht im Gegensatz zu Herrn Rösler! Das muss man auch sagen!)
Weil der Bund bisher nicht in der Lage war, genau das zu ma chen, was Nachbarländer machen, was Frau Mielich einfor dert, nämlich eine Akademisierung in bestimmten Bereichen, lassen wir jetzt im Land Baden-Württemberg modellhaft Stu diengänge zu. Ich gebe zu, dass das ein bisschen schwierig ist, wenn man noch nicht einmal den Namen benennen kann. Man weiß laut Gesetzentwurf also nicht: Wie darf sich die weitergebildete Fachkraft eigentlich nennen?
Bitte zuhören! – Wir nehmen jetzt die Krücke, machen ein mal Modelle, um Menschen auszubilden, die dann Arztassis tent genannt werden, die wir aber eigentlich so nicht nennen wollen.
Wir wollen nicht – deswegen lehne ich auch den Entschlie ßungsantrag ab; das sage ich hier klipp und klar –, dass wir sozusagen „Ärztinnen und Ärzte light“ produzieren, die wir dann in der Fläche zur Bevölkerung schicken.
(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE – Abg. Rein hold Gall SPD: Im Bildungsbereich macht ihr doch exakt dasselbe! Da gibt es doch auch Hilfslehrer! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Da hast du dich aber vergaloppiert!)
Das ist das typische Modell „Schwester Agnes“ in der DDR, wo man in der Fläche keine Ärzte mehr hatte und dann bes ser qualifizierte Pflegefachkräfte herumgeschickt hat. Das wollen wir nicht.
Deswegen stehen wir klipp und klar dazu – wie es jetzt auch in diesem Gesetzentwurf steht –, dass diese universitär wei tergebildeten Pflegefachkräfte im Moment jedenfalls aus schließlich delegationsfähige Leistungen erbringen dürfen. Wir wollen, dass der Arzt, die Ärztin
die Verantwortung für die medizinische Behandlung in der Hand behält. Das widerspricht diametral dem, was in Ihrem Entschließungsantrag steht. Daher werden wir diesen Ent schließungsantrag ablehnen.
Im Übrigen finde ich es schon ungewöhnlich, wenn Sie im Entschließungsantrag etwas fordern, was noch nie Aufgabe des Gesetzgebers war, nämlich Vergütungsstrukturen für be stimmte Berufsbilder festzulegen.