Protocol of the Session on May 6, 2010

Noch eine Anmerkung zu dem, was der übernächste Redner vielleicht nachher ansprechen wird.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Prophetische Ver anlagung!)

Genau; wir kennen uns halt mittlerweile gut. – In unserer Koalitionsvereinbarung steht, dass das Zustimmungsquorum für Volksabstimmungen auf Landesebene von einem Drittel auf ein Viertel der Stimmberechtigten reduziert wird. Damit

soll künftig bei uns ein zur Volksabstimmung gestelltes Ge setz auf Landesebene beschlossen sein,

wenn es die Mehrheit der gültigen Stimmen findet und die se Mehrheit mindestens ein Viertel der Stimmberechtig ten ausmacht.

Das steht in der Koalitionsvereinbarung, an die wir uns hal ten werden, und Sie sind herzlich eingeladen, sich an der Um setzung zu beteiligen.

Meine Damen und Herren, die Europäische Bürgerinitiative wird voraussichtlich planmäßig Anfang nächsten Jahres in Kraft treten. Wir schauen dem positiv entgegen, werden das positiv begleiten. Schauen wir einmal, ob sich dieses neue In strument auch positiv entwickelt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Stehmer für die Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 31. März hat die Europäische Kommission eine Verordnung über die Eu ropäische Bürgerinitiative eingebracht. In den nächsten Mo naten entscheiden dann das Europäische Parlament und der Europäische Rat darüber. Fällt die Entscheidung positiv aus – wovon wir ausgehen –, könnten bereits 2011 die ersten Bür gerinitiativen gestartet werden.

Auch die SPD begrüßt dieses Instrument der direkten Demo kratie; aber wir wissen, dass es noch ein langer Weg ist, bis es dazu beiträgt, die Reserviertheit großer Teile der Bevölke rung gegenüber europäischer Gesetzgebung auszuräumen.

Mit dem Verordnungsentwurf sind die Rahmenbedingungen einer zukünftigen Europäischen Bürgerinitiative wahrschein lich sogar schon festgeschrieben. Bürgerinnen und Bürger aus mindestens einem Drittel der Mitgliedsstaaten müssen inner halb eines Jahres eine Million Unterschriften für eine solche Initiative zusammenbringen.

Diese Anforderungen sind hoch. Wir hätten uns vorstellen können, dass auch ein Viertel der Länder reicht und dass wir 18 Monate Zeit haben, damit die Hürden nicht so hoch sind. Vielleicht können diese Hürden im Europäischen Parlament und auch im Europäischen Rat noch gesenkt werden. Denn eines – Herr Blenke hat schon darauf hingewiesen – bleibt be stehen: Laut dem Vertrag von Lissabon führt eine Initiative lediglich dazu, dass die Kommission aufgefordert wird, ge eignete Vorschläge für einen europäischen Rechtsakt zu un terbreiten. Sie wird aber nicht dazu verpflichtet. Das Mono pol der europäischen Organe auf Gesetzesinitiative bleibt er halten.

Die Kommission muss das Anliegen der Bürgerinitiativen ernsthaft prüfen. Das wird klar, wenn man die Verordnung liest. Dort steht, innerhalb von vier Monaten müsse die Kom mission ihre Schlussfolgerungen treffen, also eine Studie in Auftrag geben oder andere Maßnahmen ergreifen. Die Ent scheidung ist öffentlich zu machen. Das ist natürlich wichtig.

Wie stark dieses Instrument der Bürgerinitiative tatsächlich ist, hängt davon ab, was die Europäische Kommission darauf hin macht. Es ist aber eine „Basisdemokratie light“, wie man so schön sagen könnte.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Live?)

Light, also leicht, Herr Kluck.

Wir sind überzeugt, dass wir damit die gewünschten Effekte erreichen können, z. B. ein höheres Interesse und mehr Betei ligung an der EU-Politik – nicht bei Themen wie der Krüm mung der Banane oder der Gurke, aber vielleicht bei Themen wie einem einheitlichen Regelungssystem beim grenzüber schreitenden Klima- und Umweltschutz, beim grenzüber schreitenden Rechtsschutz oder auch bei solch praktischen Fragen wie dem grenzüberschreitenden Verbraucherschutz beim mobilen Telefonieren.

Wir begrüßen, dass die Mindestzahl der Unterzeichner für Deutschland gegenüber dem ursprünglichen Entwurf auf 72 000 gesenkt wurde. Dieses Quorum ist zwar noch immer hoch, aber machbar. Die Anforderungen müssen aber nicht in Stein gemeißelt werden. Wenn man erkennt, dass die Anfor derungen zu hoch sind, dann muss man bereit sein, diese ab zusenken.

Wir begrüßen auch ausdrücklich, dass ein Onlineverfahren für die Unterstützungsbekundungen eingerichtet werden soll, auch wenn wir in Deutschland noch wenig Erfahrungen da mit haben. Denn gerade bei onlinegestützten Unterschriften verfahren sind noch nicht alle Regelungen überschaubar und festgelegt. Es heißt: Die Mitgliedsstaaten müssen beim On lineunterschriftenverfahren bestätigen, dass die Daten echt, überprüfbar und sicher sind. Aber so einfach, wie es sich an hört, ist das natürlich nicht.

Bis die Kommission EU-weite Vorgaben verabschiedet hat, können die Mitgliedsstaaten die zum Teil vorhandenen natio nalen Vorgaben nutzen. Deshalb ist es wichtig, dass auch bei uns ein bürokratiearmes Verfahren entwickelt wird, mit dem der Zugang nicht verbaut wird.

Projektbezogenes Engagement – darum handelt es sich im Grunde genommen bei einer Bürgerinitiative – könnte vor al lem jüngere Erwachsene an langfristiges politisches Engage ment heranführen, z. B. über ein konkretes Thema, mit dem man sich für einen zunächst begrenzten Zeitraum intensiv und auf internationaler Ebene beschäftigt.

Die Europäische Bürgerinitiative kann aber auch ganz norma len Bürgern und politisch aktiven Menschen die Möglichkeit geben, sich direkt an der Politik für Europa zu beteiligen. Dies wird besonders in einer Zeit wichtig, in der offen darüber dis kutiert wird, Mitglieder aus der Europäischen Union auszu schließen.

Wir fordern die Landesregierung auf, sich für eine möglichst zügige Umsetzung und eine einfache Handhabung der Euro päischen Bürgerinitiative einzusetzen. Herr Blenke, sorgen Sie bei der Regierung dafür, dass die jetzt zu beschließenden Regelungen nicht hinter den Intentionen des Vertrags von Lis sabon zurückbleiben. Wir haben dafür gekämpft.

Außerdem sollten Sie gemeinsam mit uns alle Baden-Würt temberger daran erinnern und dazu animieren, das Instrument

der Europäischen Bürgerinitiative künftig auch zu nutzen. Denn wir wollen mehr Demokratie auf europäischer Ebene und nicht weniger.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Walter für die Fraktion GRÜNE.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Der übernächste Red ner! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Der vorletzte Redner!)

Frau Präsidentin, meine Da men und Herren! Wir müssen feststellen, dass die Wahlbetei ligung nicht nur in Deutschland, sondern in allen europäischen Staaten zurückgeht und dass in vielen Staaten darüber disku tiert wird, wie man die Bevölkerung wieder mehr an den Ent scheidungsprozessen partizipieren lassen kann, wie man die Menschen für die Idee der Demokratie einerseits und für die europäische Idee andererseits zurückgewinnen kann.

Dazu bietet jetzt dieser Vorschlag der EU-Kommission, den ke ich, eine gute Grundlage. Einerseits führt er dazu, dass sich die Menschen mit Themen beschäftigen, dass sie Entschei dungen hinterfragen, die getroffen werden, und dass sie das Gefühl haben, dass die jeweilige Entscheidung aus Brüssel bzw. aus Straßburg nicht einfach so kommt, sondern dass sie die Möglichkeit haben, sich dazu zu äußern.

Hinzu kommt noch – auch das betrachte ich als sehr positiv –, dass man die Möglichkeit hat – die Vorredner haben darauf hingewiesen –, über Staatsgrenzen hinweg zu agieren. Es muss sogar so sein, dass mehrere Staaten in die Initiative in volviert sind. Das heißt, nationalstaatliches Denken kann da mit – das ist für Europa sehr wichtig – überwunden werden.

Deswegen glaube ich, dass das ein sehr wichtiger Beitrag ist. Das beweist auch, Herr Kollege Blenke, dass all das, was wir in den vergangenen Jahren an Kritik am Lissabonner Vertrag gehört haben – dieser Vertrag sei demokratiefeindlich, er schränke die Rechte der Menschen ein; ich möchte nur dar auf hinweisen, dass wir von bestimmten politischen Kräften auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht hatten –, größtenteils völlig falsch ist. Tatsächlich bewirkt er das Ge genteil.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Wolfgang Steh mer SPD)

Einerseits stärkt er das Parlament in Straßburg. Die einzig le gitimierte demokratische Institution – im Gegensatz zur Kom mission – ist das Parlament; es wird von der europäischen Be völkerung gewählt. Für uns – und zwar quer durch alle Frak tionen – war es immer eine sehr wichtige Forderung, dieses Parlament zu stärken. Dies hat der Lissabon-Vertrag nun be wirkt. Jetzt kommt auch noch die Initiative hinzu, dass ein Volksbegehren auf europäischer Ebene starten kann.

Herr Kollege Blenke hat schon gemutmaßt, dass ich jetzt et was zur baden-württembergischen Handhabung sagen werde. Damit lag er gar nicht so falsch; wir kennen uns eben auch schon ein paar Jahre. Aber, Kollege Blenke, Sie müssen ein

räumen: Die Legislaturperiode dauert nicht mehr allzu lange, und die Koalitionsvereinbarung wurde bereits im Jahr 2006 geschlossen. Wenn es Ihnen und Ihrem Koalitionspartner ein besonderes Anliegen wäre – ich meine, in diesem Fall muss man besonders die CDU ansprechen –, hier tatsächlich den Gedanken der Bürgerbeteiligung zu stärken, und zwar da durch, dass das Quorum endlich abgesenkt wird, dann hätte das schon längst geschehen müssen.

(Beifall bei den Grünen)

Wir erwarten, Herr Kollege Blenke, dass bis Ende dieses Jah res ein Entwurf vorliegt.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Heute hat sich schon einmal jemand mit einer Frist vertan! – Heiterkeit des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Das stimmt. Aber das war in einem ganz anderen Zusam menhang. Das ist eine andere Thematik gewesen. Da war auch ich etwas überrascht, dass das so vorgetragen wurde. Aber das ist hier nicht das Thema.

Das Thema ist, Herr Kollege Blenke: Wenn hier die Redne rinnen und Redner der CDU stehen, singen sie immer das Ho helied, wo überall Baden-Württemberg spitze ist.

(Zuruf von der CDU: So sind wir halt!)

Allerdings kommt das immer seltener vor. Wir sind im Bun desländervergleich gar nicht gut, Herr Kollege, wenn es um die Durchführung von Volksbegehren geht. Da liegen wir auf dem 15. Platz von 16 Bundesländern.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Die Bürger sind zu frieden!)

Wäre das in einer Fußballliga, Herr Kollege,

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das ist wie nach dem Länderfinanzausgleich!)

würde das zum direkten Abstieg führen. Das heißt, wir haben hier einen enormen Nachholbedarf. Ich möchte Sie bitten, da tatsächlich aktiv zu werden.

(Zuruf: Seit wann steigt der 15. ab?)