Protocol of the Session on October 11, 2006

In der Allgemeinen Aussprache erteile ich Herrn Abg. Zeller von der SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ein Kind aus einer Facharbeiterfamilie hat im Vergleich zu dem Kind eines Akademikerpaares nur ein Viertel der Chancen, aufs Gymnasium zu kommen. Die Ursachen dafür mögen vielschichtig sein; der Befund ist beschämend. Bildungschancen sind Lebenschancen. Sie dürfen nicht von der Herkunft abhängen. Darum werde ich immer auf der Seite derer sein, die leidenschaftlich eintreten für eine Gesellschaft, die offen und durchlässig ist und dem Ziel gerecht wird: Bildung für alle.

Dieses Zitat stammt aus der Rede des Bundespräsidenten am 21. September 2006 in Berlin. Genau dieses ist auch die Begründung dafür, dass wir für den deutlichen Ausbau von Ganztagsschulen sind. Sie sind gesellschaftspolitisch, familienpolitisch und bildungspolitisch dringend notwendig. Die SPD hat sich deswegen schon seit vielen Jahren für echte Ganztagsschulen eingesetzt. Mit echten Ganztagsschulen meine ich: Wir sind vor allem für die gebundene Form der Ganztagsschule.

Lange Zeit haben sich CDU und FDP/DVP dagegen gewehrt, und durch das IZBB-Programm des Bundes, das eine Art von Nachhilfeprogramm für die Landesregierung war,

wurden sie alle überrollt. Die Kommunen, die Schulträger erkannten die Vorteile der Ganztagsschule, Vorteile, die auch andere wie Handwerk, Industrie, Eltern und Pädagogen schon längst erkannt haben. Ganztagsschulen bieten bessere Lernbedingungen, bessere Lernmöglichkeiten, sie bieten neue Lernerfahrungen und sind ein Vorteil für alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen.

Inzwischen kann niemand mehr diese Tatsachen leugnen. Deswegen haben Sie – Gott sei Dank – diesen Schwenk vollzogen. Es gibt seit über 20 Jahren Ganztagsschulen in Baden-Württemberg. Es gibt sehr erfolgreiche Schulversuche. Ich war beispielsweise am letzten Freitag in Bodnegg am Bildungszentrum. Ich kann Ihnen sagen – Kollege Locherer kann es bestätigen, wenn ich das so nebenbei sagen darf, Herr Locherer –, dass hier Schülerinnen und Schüler, Lehrer, Eltern, Gemeinderat, Bürgermeister, also alle, von den Chancen, die Ganztagsschulen bieten, begeistert und angetan sind.

Inzwischen gibt es nach Ihren eigenen Darstellungen, Herr Minister, über 500 solcher Ganztagsschulen, und Sie wollen die Zahl dieser Schulen bis zum Jahr 2015 auf eine Quote von 40 % ausbauen. Ich diskutiere nicht über den Weg dorthin. Sie wissen, dass wir da andere Vorstellungen haben, und Sie wissen vor allem, dass die große Zahl der offenen Ganztagsschulen nicht unserer Vorstellung entspricht. Wir wollen die gebundene Form.

Eines ist aber klar: Inzwischen gehören die Ganztagsschulen ganz normal zu unserer Schullandschaft. Das ist richtig und gut so. Aber rechtlich gesehen muss sich jede Schule, die Ganztagsschule werden will, als Schulversuch anmelden, und nach § 22 des Schulgesetzes muss diese Schule dann genehmigt werden. Das heißt, es gibt keinen Normalfall für die Ganztagsschule, obwohl das inzwischen eine normale Schulform ist.

Auch angesichts dieser Größenordnung kann man nicht mehr von Schulversuchen reden. Deswegen haben wir gesagt: Wir brauchen Rechtssicherheit, um für diejenigen, die an einer solchen Schulform beteiligt sind, Klarheit zu haben, was sie erwartet. Insbesondere der Städtetag und der Gemeindetag haben uns zugestimmt und drängen ebenfalls auf diese Rechtssicherheit, damit die Unsicherheit für alle Beteiligten aufhört.

Anlässlich der Beratung unseres Gesetzentwurfs im Schulausschuss hat der Vertreter des Städtetags die entscheidende Frage gestellt, die Sie alle – Herr Schebesta, Herr Minister – nicht beantworten konnten und die da heißt: Was spricht gegen eine gesetzliche Lösung, nachdem die Landespolitik den Ausbau von Ganztagsschulen doch erklärtermaßen vorantreiben will und die weitere Marschrichtung geklärt ist? Was spricht dagegen? Das konnten Sie in der Sitzung nicht erklären, und das können Sie bis heute nicht erklären.

Für den investiven Bereich ist es klar. Da haben wir klare Regelungen, ausgelöst vor allem durch das IZBB. BadenWürttemberg hat immerhin 528 Millionen € erhalten, deren Zahlung die damalige rot-grüne Bundesregierung initiiert hat. Wir alle profitieren davon. Als zweiten Punkt gibt es

jetzt das Landesprogramm, das ein Kompromiss ist; ich will das jetzt gar nicht weiter vertiefen. Diese Investitionen sind aber klar.

Was allerdings unklar ist und wo es immer Fragezeichen und Unsicherheiten gibt, ist die Frage des pädagogischen Personals. Wir wollen, meine Damen und Herren, auch in dieser Hinsicht endlich einmal Klarheit haben und die Kommunen und Schulen nicht im Unsicheren lassen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben zwar 1 840 Stellen zugesagt, aber wir sind ja nicht sicher, ob die kommen. Ich erinnere nur an Ihre Aussage, Herr Minister, 521 Stellen sollten in den nächsten beiden Jahren nicht mehr besetzt werden. Es gibt also einfach ein Risiko für die Schulträger. Bei der Förderung des Betreuungsbereichs ist eine Kürzung um 5 % vorgesehen. Wer muss dafür aufkommen? Bei den offenen Ganztagsschulen, die Sie favorisieren, sind es vor allem die Eltern und die Kommunen, die dafür aufkommen müssen. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren. Wir sehen es als eine Landesaufgabe an, das pädagogische Personal an den Schulen zu garantieren. Das darf kein Spielball irgendwelcher Machenschaften sein.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Jetzt haben Sie eingewendet, es stehe ja ohnehin alles unter dem Haushaltsvorbehalt. Das war Ihre Begründung, warum Sie unserem Antrag nicht zustimmen. Aber, meine Damen und Herren, Herr Kollege Röhm, es steht alles unter dem Haushaltsvorbehalt.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Ach nee!)

Wie wollen Sie denn garantieren – jetzt nehme ich einmal das Sonderschulwesen oder die Gymnasien –, dass die Schulen auch die erforderlichen Lehrkräfte bekommen? Den Organisationserlass erstellen Sie nach genau diesen Kriterien, wie viele Stellen Sie zu verteilen haben. Das kann wohl keine Begründung dafür sein, dass hier der Haushaltsvorbehalt herhalten muss. Das ist meines Erachtens eine Ausrede, und im Grunde genommen hat Ihnen ja auch der Vertreter des Städtetags deutlich den Spiegel vorgehalten. Er sprach sogar von einer babylonischen Regelungsvielfalt und hat zu Recht beklagt, wie das Wirrwarr in der Frage Ganztagsschule für die Beteiligten aussieht.

Deshalb ist es wichtig, dass wir hier Rechtssicherheit bekommen, Klarheit bekommen. 10 von 13 Flächenländern haben solche Regelungen – klare Regelungen –, und deswegen haben wir diesen Gesetzentwurf eingebracht.

Der Städtetag hat bei der schriftlichen und der mündlichen Anhörung zu unserem Gesetzentwurf einige Änderungsvorschläge vorgebracht. Denen wollen wir uns nicht verschließen, weil wir diese Regelungen für sinnvoll halten. Deswegen liegt Ihnen auch ein Änderungsantrag vor. Ich bitte Sie, auch diesem Änderungsantrag zuzustimmen, denn die Verantwortung, die Zuständigkeit, das Weisungsrecht und die Gestaltungsmöglichkeit liegen bei der Schule und dem Schulleiter. Die „investiven Sachen“ und die Zeit vor und nach diesen verbindlichen Schulstunden sind Angelegenheit der Kommunen.

Jetzt wird immer mit dem Geld argumentiert. Hierzu möchte ich Ihnen gerne aus der bereits zitierten Rede noch kurz einen abschließenden Passus vortragen. Horst Köhler, unser Bundespräsident, sagte in dieser Rede:

Ich weiß um die schwierige Kassenlage der Länder, und ich kenne die Nöte der Haushaltspolitiker. Aber ohne ausreichende und effektive Bildungsausgaben wird der Weg zu gesunden Staatsfinanzen noch schwieriger. Deshalb müssen wir den Mut und die politische Kraft haben, anderes zugunsten der Bildung zurückzustellen. Sie ist die wichtigste Investition, die unsere Gesellschaft und jeder Einzelne tätigen kann. Wer an der Bildung spart, spart an der falschen Stelle.

Und er zitiert in diesem Zusammenhang noch John F. Kennedy:

„Es gibt nur eine Sache auf der Welt, die teurer ist als Bildung – keine Bildung.“

In diesem Sinne bitte ich Sie um Unterstützung für unseren Gesetzentwurf, weil er genau das zum Ausdruck bringt, weil er für mehr Bildung, für Bildungsgerechtigkeit, für Bildungschancen, für Bildung für alle eintritt und damit ein Beitrag zu einer besseren Bildungspolitik im Land ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Frau Kollegin Rastätter von der Fraktion GRÜNE hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Erst einmal aus- schnaufen!)

Ich werde doch ausgerechnet bei diesem Tagesordnungspunkt, bei unserem eigenen Gesetzentwurf zur Ganztagsschule, nicht fehlen. Ich bin also rechtzeitig eingetroffen und kann jetzt unverzüglich beginnen.

(Heiterkeit – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Jetzt freuen wir uns! – Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei der Debatte um die Ganztagsschule fangen wir ja nun wahrlich nicht bei Adam und Eva an. Das Thema begleitet uns schon seit vielen Jahren. Die Einrichtung von Ganztagsschulen ist in Baden-Württemberg bereits seit über 20 Jahren ein Thema. Die Ganztagsschule in Baden-Württemberg ist der längste Schulversuch, den wir in der baden-württembergischen Schulgeschichte jemals hatten. Fast 25 Jahre wird die Ganztagsschule in Baden-Württemberg als Schulversuch nach § 22 des Schulgesetzes gefahren.

(Zuruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

Angesichts der Tatsache, dass keine Evaluation mehr notwendig ist, dass es keine wissenschaftliche Begleitung gibt, dass wir bereits 600 Ganztagsschulen in Baden-Württem

berg haben, und angesichts der Tatsache, dass ein Ausbau von weiteren 1 000 Ganztagsschulen beabsichtigt ist, kann man doch wahrlich nicht mehr von einem Schulversuch sprechen, sondern hier müssen endlich Tatsachen geschaffen werden. Wir brauchen endlich die gesetzliche Verankerung der Ganztagsschule in Baden-Württemberg.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das sieht seit langer Zeit auch der Städtetag so. Der Vertreter des Städtetags, Herr Brugger, hat im Schulausschuss auch sehr eindrucksvoll noch einmal dargestellt, warum insbesondere die Kommunen in unserem Land die gesetzliche Verankerung brauchen. Sie brauchen sie für eine Planungssicherheit, damit die Verunsicherung im Land beendet wird. Sie brauchen sie für eine Rechtssicherheit, und sie brauchen sie vor allem auch, damit sich die Kommunen darauf verlassen können, dass das pädagogische Personal, das ihnen in Absichtserklärungen zugesagt wurde, auch tatsächlich zur Verfügung gestellt wird.

Bei den kommunalen Landesverbänden klingeln alle Alarmglocken, wie Herr Brugger im Schulausschuss gesagt hat; denn die Lehrerstellen, die jetzt durch den Rückgang der Schülerzahlen frei werden, sollten ja zu einem erheblichen Teil für den Ausbau der Ganztagsschule eingesetzt werden. Wenn 521 Lehrerstellen nicht besetzt werden, haben Sie Ihr erstes Wahlversprechen gebrochen. Diese sollten ja auch den Ganztagsschulen zur Verfügung gestellt werden.

Meine Damen und Herren, die Fraktion GRÜNE hat einen sehr pragmatischen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht. Wir regeln, dass die Schulen ein pädagogisches Konzept haben müssen. Wir regeln die Formen der Ganztagsschule. Nach unserem Gesetzentwurf soll es künftig zwei Formen von Ganztagsschulen geben.

Die offene Ganztagsschule soll eine Öffnungszeit von sieben Zeitstunden haben, und Ganztagsschulen mit erschwerter pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung sollen eine Öffnungszeit von acht Zeitstunden haben. Für diese Öffnungszeiten, die das Land festlegt, soll nach unserem Gesetzentwurf auch Schulgeldfreiheit bestehen.

Die kommunalen Landesverbände haben sich ausdrücklich bereit erklärt, über diese geregelten Öffnungszeiten hinweg zusätzlich Betreuungskräfte zur Verfügung zu stellen, für die sie dann auch die Finanzierung und die Verantwortung übernehmen. Ich halte es für einen sehr vernünftigen Kompromiss zwischen den Kommunen und dem Land, dass sich die Kommunen ergänzend beteiligen, dass aber das Land für die Kernzeit der Ganztagsschule, für einen verlässlich geöffneten Zeitraum mit einem integrierten pädagogischen Konzept die Verantwortung übernimmt. Das sind bei der offenen Ganztagsschule sieben Stunden – von 8 bis 15 Uhr. Ich halte es nicht für übertrieben, wenn da die kommunalen Landesverbände vom Land verlangen, seine Verantwortung zu übernehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Meine Damen und Herren, auch wir haben einen Änderungsantrag eingebracht. Die kommunalen Landesverbände

wollten, dass ihnen ein Initiativrecht, das ja ohnehin schon so im Schulgesetz enthalten ist, zugesprochen wird. Dem haben wir Rechnung getragen. Wir haben außerdem der Forderung Rechnung getragen, dass die Betreuung über die Mittagszeit auch Aufgabe der Schulen ist.

Wir legen Ihnen damit den Beweis vor, dass wir dazu bereit sind, überzeugende Änderungsvorschläge, die in einer Anhörung eingebracht werden, auch aufzunehmen. Damit sind wir beispielgebend für Sie: Kein gutes Gesetz verlässt den Landtag so, wie es eingebracht wurde. So ist es in anderen Bundesländern der Fall.

(Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Beteiligte und Betroffene wirken mit. Deshalb bitte ich Sie: Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf und unseren Änderungsvorschlägen, die von den kommunalen Landesverbänden kommen, zu!

Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.