Protocol of the Session on October 11, 2006

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter für die Fraktion GRÜNE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kollege Bayer hat selbstverständlich völlig recht, wenn er sagt, die Lehrerbedarfsplanung dürfe sich nicht nur auf irgendwelche Zahlen und Prognosen stützen. Es ist unter anderem eben auch dringend erforderlich, dass Veränderungen in der Schullandschaft mit bedacht werden. Als Beispiel möchte ich hier nur die demografische Entwicklung und die Frage der Schulstandorte nennen. Auch die Frage neuer Schulformen beispielsweise muss bei Lehrerbedarfsplanungen berücksichtigt werden.

Ich möchte hier aber noch ein paar weitere Aspekte anführen, die bei einer Lehrerbedarfsplanung natürlich auch dringend berücksichtigt werden müssen. Wir haben einige Problemlagen, die noch nicht angesprochen wurden und die bei der Lehrerbedarfsplanung auch berücksichtigt werden müssen.

Erstens haben wir ein riesiges Problem, was den strukturellen Lehrermangel an den beruflichen Schulen anbelangt. Dieser strukturelle Lehrermangel wird sich noch verschärfen; das sieht man, wenn man sich die Zahlen anschaut, die Sie

jetzt geliefert haben. Beispielsweise haben sich im Erstsemester an allen Hochschulen insgesamt nur sieben Studierende für das Lehramtsstudium im Fach Elektrotechnik eingeschrieben. Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass die Problemlage des Fachlehrermangels, des strukturellen Lehrermangels an den beruflichen Schulen dringend einer Lösung bedarf. Das Gleiche betrifft übrigens auch die Sonderschulen; denn auch an den Sonderschulen haben wir einen strukturellen Lehrermangel von rund 7 %. Das heißt, 7 % des in den Plänen vorgesehenen Unterrichts wird überhaupt nicht erteilt. Bei den beruflichen Schulen liegt dieser strukturelle Lehrermangel derzeit bei rund 5 %.

Da sind einfach neue Modelle und neue Lösungsansätze notwendig, wobei für die beruflichen Schulen der Ansatz, dass in Kombination mit den Fachhochschulen und den pädagogischen Hochschulen auch das Berufsschullehrerstudium absolviert werden kann, sicher ein innovativer Ansatz ist, der allein aber nicht genügen wird, um diesen strukturellen Lehrermangel zu beseitigen.

Das zweite Problem ist der generelle Fachlehrermangel an den Schulen. Bei den Gymnasien wird er immer schneller genannt, wenn Physik-, Mathematik- oder auch Lateinlehrer fehlen, aber es gibt einen wesentlich höheren Lehrermangel gerade auch an den Hauptschulen. Das heißt, das im Rahmen der Bedarfsplanung bestehende Problem, wie es speziell für die Hauptschule angesichts des extremen Lehrer- und Fachlehrermangels weitergeht, werden wir nur gelöst bekommen, wenn wir auch die Lehrerausbildung verändern und endlich ein Sekundarstufenlehramt einführen, sodass sich Lehrkräfte am Ende dieses Studiengangs entscheiden können, für welche Schwerpunkte der Schullandschaft sie eingesetzt werden wollen. Hier sind also auch Reformen in der Lehrerausbildung notwendig, um den Lehrerbedarf zukünftig decken zu können.

(Beifall bei den Grünen)

Weiterhin haben wir gerade für die frühe Bildung von Kindern auch insofern ein riesiges Problem, als an der Grundschule und der Hauptschule eine Feminisierung in unglaublichem Ausmaß stattfindet. Bereits heute sind 75 % der Lehrkräfte dort Frauen, und diese Quote wird – das wird deutlich, wenn wir die Einschreibezahlen an den Hochschulen betrachten – dort sogar noch dramatisch zunehmen. Wir brauchen im längerfristigen Bedarf aber auch Männer,

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Jawohl!)

gerade an den Schulen, die von Kindern mit Migrationshintergrund besucht werden. Dort brauchen wir mehr Männer, und wir brauchen auch männliche Lehrkräfte mit Migrationshintergrund als Vorbilder und Ansprechpartner. Auch das ist eine riesige Herausforderung für die Lehrerbedarfsplanung.

(Beifall bei den Grünen)

Schließlich: Auf der anderen Seite fehlen Frauen in den Naturwissenschaften. Es ist versäumt worden, Frauen frühzeitig für die Naturwissenschaften zu interessieren und zu motivieren.

(Zuruf der Abg. Ursula Lazarus CDU)

Auch hier brauchen wir eine Bedarfsplanung, die vorsieht, dass auch die Naturwissenschaften als Lehramtsstudiengang für Frauen attraktiv werden, damit wir mehr Frauen in den Naturwissenschaften an die Schulen bekommen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Theresia Bauer GRÜNE: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, das sind Problemlagen, die auch etwas mit Bedarfsplanung an den Schulen zu tun haben. Um diese zu bewältigen, müssen alle Anstrengungen unternommen werden.

Selbstverständlich möchte ich auch das aufgreifen, was Kollege Bayer angesprochen hat: Wir haben Ihr Versprechen, dass in dieser Legislaturperiode keine einzige Lehrerstelle abgebaut wird. Nun 521 Lehrerstellen nicht zu besetzen und sich gleichzeitig aber zu loben, dass die ja nicht abgebaut werden, halte ich schon für eine verkehrte Welt. Wir brauchen diese Lehrerstellen in dieser Legislaturperiode dringend, wenn wir die Zusagen, die Sie bezüglich Ganztagsschulen, frühkindliche Bildung, Hochschulen, Evaluation usw. gemacht haben, einhalten wollen. Wir brauchen die Lehrerstellen. Auch das hat etwas mit vernünftiger Planung zu tun.

Ich komme zum Schluss. Wir stehen in der Lehrerbedarfsplanung nicht nur vor der Herausforderung, langfristig für eine Veränderung der Schullandschaft Lehrerinnen und Lehrer bedarfsorientiert mit neuer Ausbildung zu qualifizieren. Wir stehen auch vor der Herausforderung, dass wir das Lehramtsstudium und den Lehrerberuf insgesamt sehr viel attraktiver machen müssen. Dazu gehört auch, dass Lehrer endlich vom Beamtenstatus befreit werden müssen,

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Alfred Winkler SPD)

der zunehmend eine Bürde geworden ist und ein attraktives Lehramt und ein modernes Dienstrecht verhindert.

Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wir als Grüne werden unseren Beitrag dazu leisten, dass wir diese Herausforderungen gut bewältigen können.

Ich bedanke mich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Dr. Arnold von der FDP/DVP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren! Im Juni dieses Jahres hat die GEW Baden-Württemberg ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert. Das ging natürlich durch die Presse. In der „Schwäbischen Zeitung“ vom 27. Juni dieses Jahres war als Überschrift zu lesen:

Lehrer geben dem Land eine gute Note.

Ich zitiere aus der „Schwäbischen Zeitung“:

Zum 50-jährigen Bestehen zeigt sich die Gewerkschaft GEW höchst zufrieden; denn in den vergangenen zehn Jahren habe das Land mehr als 10 000 zusätzliche

Lehrerstellen eingerichtet. Das sei einmalig in Deutschland, hob Rainer Dahlem hervor.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Hört, hört! – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Recht hat der Mann! – Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Recht hat der Mann. – Politik, meine Damen und Herren, beginnt mit der Wahrnehmung der Realität. Auch Sie von der Opposition sollten diese Realität wahrnehmen. Mit 10 000 neuen Lehrerstellen in den vergangenen Jahren haben wir eine Lehrerversorgung, die in Deutschland wirklich einmalig ist. Hier hat die GEW recht. Das gestehen wir ihr in diesem Fall gern zu. Ich darf daran erinnern, dass als letzte Tranche dieser 10 000 neuen Lehrerstellen knapp 1 000 Lehrer jetzt zu Beginn des neuen Schuljahrs eingestellt worden sind.

Natürlich – das gebe ich gern zu –, habe auch ich geschluckt, als ich davon gehört habe, dass 521 Lehrerstellen in den nächsten zwei Jahren nicht wieder besetzt werden sollen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Was Sie ja verspro- chen hatten vor den Landtagswahlen! – Abg. The- resia Bauer GRÜNE: Und auch im Wahlkampf!)

Aber auch hier gilt: Politik beginnt mit der Wahrnehmung der Realität. Wir haben mittlerweile eine neue Ausgangslage. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

(Zuruf des Abg. Alfred Winkler SPD)

Sie alle kennen die Zahlen, meine Damen und Herren, die jetzt auf dem Tisch liegen. Nach den neuesten Prognosen des Statistischen Landesamts werden die Schülerzahlen erheblich rascher und stärker sinken, als wir das bisher angenommen hatten. Eine verantwortliche Bildungspolitik hat diese Entwicklung auch ins Auge zu fassen.

Hinzu kommt – wir von der FDP bekennen uns ausdrücklich dazu –: Die Nettoneuverschuldung, die heute schon verschiedentlich angesprochen wurde, muss zurückgeführt werden. Wir wollen und wir werden sie 2011 auf null reduzieren. Wir sind sehr froh, dass auch die Landesregierung und vor allem der Herr Ministerpräsident dieses Ziel mit allem Nachdruck verfolgt, dass es auch zur Chefsache gemacht worden ist.

Seit 20 Jahren, meine Damen und Herren, wird in BadenWürttemberg mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Mit dieser Politik muss endlich Schluss sein – gerade im Interesse unserer Kinder und Enkel.

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP – Abg. Norbert Zeller SPD: Seit wie vielen Jahren regieren Sie denn mit? Sie waren 16 Jahre lang an der Regierung! – Zuruf des Abg. Rainer Stickel- berger SPD)

Wir von der FDP/DVP fordern schon sehr lange die Konsolidierung des Landeshaushalts.

Auch hierzu liegen die Zahlen auf dem Tisch. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, müssen wir im nächsten Jahr

(Zurufe von der SPD – Gegenrufe von der FDP/ DVP – Unruhe)

rund 550 Millionen € und 2008 rund 650 Millionen € einsparen. Andernfalls erreichen wir dieses Ziel nicht.

Das bedeutet im Klartext: Jetzt müssen alle Ressorts ihren Beitrag leisten – auch das Bildungsressort. Das tut weh, unbestritten.

Aber auch hier noch einmal ein Blick auf die Zahlen: Wir haben in unserem Land mittlerweile 115 000 Lehrer an allgemeinbildenden und an beruflichen Schulen. Davon werden in den nächsten zwei Jahren voraussichtlich 521 Stellen nicht wieder besetzt. Das sind die Zahlenrelationen, meine Damen und Herren. Ich betone noch einmal: Sie werden nicht gestrichen, sondern nicht wieder besetzt.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Wo liegt der Unter- schied?)

Es ist richtig – Frau Rastätter, Sie haben das eben angesprochen –: Es gibt im Land Lehrermangel in einzelnen Fächern, in bestimmten Regionen und vor allem in der Berufsschule. Aber die Ursache hierfür sind doch nicht fehlende Stellen, sondern sind die fehlenden Bewerber. In der Tat haben wir hier eine große Aufgabe vor uns – erste Schritte sind unternommen –, um dieses Problem zu bewältigen. Ich denke, Minister Rau wird dazu noch einiges sagen wollen.

Deshalb: Die Nichtwiederbesetzung von 521 Stellen in den nächsten zwei Jahren tragen wir mit. Angesichts der Haushaltssituation, der Schülerzahlen und der außerordentlich guten Lehrerversorgung in den letzten Jahren ist diese Maßnahme in unseren Augen angemessen. Denn Politik, meine Damen und Herren – ich sage es noch einmal –, fängt mit der Wahrnehmung der Realität an.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)