Protocol of the Session on October 11, 2006

Ich muss aber auch sagen, dass vor dem Hintergrund der Verlängerung der Lebensarbeitszeit, vor dem Hintergrund, dass wir ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren beschlossen haben – es wird in den Jahren 2012 bis 2029 stufenweise bis auf 67 angehoben –, natürlich ein ganz großer Schwerpunkt gerade darauf liegen muss, ältere Arbeitnehmer fit zu halten, weiterzubilden und zu begleiten. Dieser Verantwortung kommen wir nach.

Nun zum Thema „Bürgerschaftliches Engagement“. Auch dazu hat Herr Kollege Noll schon vieles gesagt. Ich muss sagen, es ist immer wieder abenteuerlich, wie es gelingt, ein Land wie Baden-Württemberg, das bezüglich des ehrenamtlichen Engagements und der Förderung im Konzert der deutschen Bundesländer wirklich an der Spitze steht, in diesem Punkt schlechtzureden.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Wer macht das? – Abg. Reinhold Gall SPD: Wen meinen Sie damit? – Abg. Marianne Wonnay SPD: Das macht niemand! – Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Wir haben eine Engagementquote von 42 % und sind damit bundesweit Spitzenreiter.

Zu Ihrer Aussage, es gebe kein Konzept und keine Bündelungsfunktion,

(Abg. Norbert Zeller SPD: Das gibt es schon, aber nicht auf Landesebene! Das ist ein Unterschied!)

möchte ich sagen: Wir haben ein Landeskuratorium Bürgerarbeit, in dem alle Beteiligten vertreten sind und das gerade diese Bündelungsfunktion hat. Wir haben 1 700 Mentorinnen und Mentoren, und wir haben Kontakte zu allen Verbänden, mit denen wir auch Veranstaltungen durchführen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das reicht aber nicht!)

Ich habe mit dem Landesseniorenrat, dem Landesfrauenrat, dem Landesjugendrat und dem Landesfamilienrat Kontakt aufgenommen. Wir haben ein ausgebautes Netzwerk, ein Netzwerk der Netzwerke. Die Akteure sind Landesnetzwerk, Städtenetzwerke und Gemeindenetzwerke. Wir haben kommunale Anlaufstellen. Wir haben eine Landesstabsstelle und den Herrn Staatssekretär Wacker, bei dem sich dies alles bündelt. Ich glaube, ein breiteres und besser vernetztes Angebot, als es das Land Baden-Württemberg hat, müssen Sie bundesweit erst einmal finden.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Oje!)

Uns war wichtig – ich habe die Akteure, die Aktiven, genannt –, dass hier – auch das möchte ich noch einmal erwähnen – beispielsweise im Bereich des Versicherungsschutzes, Haftpflicht- und Unfallversicherungsschutz, durch das Land die letzten Lücken geschlossen wurden.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Ach ja?)

Frau Mielich – ich glaube, Sie haben es gesagt –: Es ist richtig, dass das Ehrenamt in ganz hohem Maße von einer Anerkennungskultur, einer Würdigungskultur und einer guten Öffentlichkeitsarbeit lebt. Da läuft zurzeit – das kann jeder täglich im Radio hören – unser Wettbewerb „ECHT GUT! Ehrenamt in Baden-Württemberg“. Zudem haben wir über die Landesstiftung ein Qualifizierungsprogramm für ehrenamtlich Tätige. Ich denke, dass wir uns hier nicht zu verstecken brauchen.

Ich will zum Thema „Wohnen im Alter“ wenig sagen, aber vielleicht doch einen Punkt ansprechen. An den bestehenden Wohnraum anzuknüpfen ist ebenfalls eine Forderung des demografischen Wandels. Anzustreben ist, dass wir keinen zusätzlichen Flächenverbrauch haben, dass wir letztlich auch nicht in die Nachverdichtung gehen. Vielmehr sollten wir versuchen, durch Ertüchtigung und Umwidmung des bestehenden Wohnraums zum Ausbau zu kommen – Stichwort Anreizförderung auch für barrierefreies Wohnen. Barrierefreies Wohnen ist übrigens nicht nur etwas für die ältere Bevölkerung, sondern auch für junge Familien, denn das,

(Staatsrätin Dr. Claudia Hübner)

was rollstuhlgeeignet ist, ist möglicherweise auch für Kinder geeignet.

Was Pflege und Unterbringung angeht, so legen 90 % der älteren Menschen Wert darauf, in der eigenen Wohnung zu leben. Dafür brauchen wir ein differenziertes Angebot. Wir haben eine Wohnberatung durch das Sozialministerium, eine Schulung für ehrenamtliche Wohnberater.

Zum Thema Pflege wurde auch schon viel gesagt. Hier geht der Trend dahin, dass wir dem Motto folgen: „Möglichst lange zu Hause“. Wir steuern einen Pflegemix an. Wir haben auch hier im ehrenamtlichen Bereich fantastische Beispiele: Seniorengenossenschaften und Seniorennetzwerke etwa in Riedlingen oder in Steinen. Das Sozialministerium begleitet diese Modelle durch eine wissenschaftliche Studie, sodass ich davon ausgehe, dass wir diese Modelle auch landesweit multiplizieren können.

Die Bundesratsinitiative, um die Fördermittel für das Ehrenamt in der Pflege auf 40 Millionen € anzuheben, wurde bereits angesprochen. Dorfhilfe, Familienpflege – ich möchte hier nur Stichworte nennen.

Ich gehe auch davon aus, dass die stationäre Pflege durch die Strukturen, die geschaffen worden sind, langfristig tragbar ist. Man wird bis 2010 beobachten müssen, wie das läuft. Ich denke, dass wir hier auch Vertrauen haben müssen in die Träger und in die Struktur, die bereits vorhanden ist.

Ein wesentliches Thema, das sich auch aus der demografischen Entwicklung ergibt, ist, dass wir aufgrund der Zunahme der Zahl der Hochbetagten, der Hochaltrigen mit einer Zunahme der Zahl von Demenzkranken zu rechnen haben. Wir haben in Baden-Württemberg neun Zentren für Psychiatrie mit Institutsambulanzen. Wir haben insoweit auch die gerontopsychiatrischen Kompetenzen abgedeckt. Ich war vor zwei Wochen beim Bundeskongress der Gerontologen in Freiburg und habe mit Freude vernommen, dass die Ausgestaltung, die Konzeption dieser neun Zentren in BadenWürttemberg bundesweit als vorbildlich gilt.

Abschließend: Wie kommen wir unserer Verantwortung nach? Nochmals: Ich denke, dass wir das gemeinsam tun sollten angesichts der Wertigkeit und der Bedeutung des demografischen Wandels für uns alle. Er hat nämlich für jeden von uns persönliche Bedeutung – weit über das hinaus, was wir bislang in die Gesellschaft hineingetragen haben.

Ich denke, es ist unsere Aufgabe als Politiker, die Rahmenbedingungen für die Bewältigung des demografischen Wandels nicht in Agonie zu beobachten, sondern aktiv zu gestalten. Ich möchte trotz des Verlaufs dieser Plenardebatte alle, die guten Willens sind, einladen, uns auf diesem Weg zu begleiten und konstruktiv mitzuarbeiten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort hat jetzt Frau Abg. Altpeter von der SPD-Fraktion für das Schlusswort.

Herr Präsident, meine lieben Kollegen, liebe Kolleginnen! Wir durften jetzt hier einige Ausführungen mit vielen Leitworten hören. Wir haben sehr viel gehört über Ehrlichkeit, über Zuständigkeiten, die es im Bereich des demografischen Wandels gibt,

(Abg. Reinhold Gall SPD: Aber das wussten wir vorher schon!)

von der Zuständigkeit, die die Kommunen haben, bis hin zu der Zuständigkeit, die der Bund hat, was das Leistungsrecht betrifft.

(Zuruf von der CDU: Das ist die wichtigste!)

Wir haben gehört, dass es ein Leitbild „Lebenslanges Lernen“ gibt. Wir müssen uns doch dann schon fragen: Was hat denn das alles mit der landespolitischen Realität zu tun?

(Beifall bei der SPD und der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE – Zuruf von der CDU: Die landespoliti- sche Realität ist die Summe!)

Wenn ich vom Leitbild „Lebenslanges Lernen“ höre und gleichzeitig in diesem Sommer mit den Weiterbildungsträgern vor Ort Diskussionen hatte, weil sie nicht mehr wissen, wie sie mit einer Haushaltssperre mitten im Jahr umgehen sollen und wie sie ihr Angebot aufrechterhalten sollen, dann muss ich mich fragen: Was bringt ein solcher Begriff, wenn die Realität eine ganz andere ist?

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Wenn ich höre, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen steigt – das ist richtig –, auch und vor allem die Anzahl derer, die an Demenz erkrankt sind, wenn ich weiß, dass es einen landespolitischen Auftrag gibt, der sich aus § 16 des Landespflegegesetzes ergibt, nämlich die Sorge für das Vor- und Umfeld der Pflege, wenn ich auch weiß, dass es einen Mehrheitsbeschluss der Enquetekommission gibt, hier entsprechend tätig zu werden, neue Strukturen aufzubauen,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Und nicht alte zu erhalten, oder?)

damit die Menschen in Zukunft länger zu Hause bleiben können, auch wenn sie pflegebedürftig sind, und wenn ich dann höre, dass hier anscheinend alles in Ordnung ist und nichts getan werden muss,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das sagt doch niemand!)

dann muss ich mich schon fragen, wie Sie eigentlich Ihrer landespolitischen Verantwortung gerecht werden.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Ein letztes Wort noch zu angeblichen Fortschritten im Bereich der stationären Pflege. Aus unserer Sicht machen Sie einen Rückschritt, indem Sie die Pflegeheimförderung zum Jahr 2010 ganz abschaffen wollen, auch und vor allem – das finde ich ganz interessant – gegen die Stimmen der kommunalen Landesverbände

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das stimmt doch gar nicht! – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD: Doch, das stimmt!)

doch, das stimmt, Herr Noll –, der Liga der freien Wohlfahrtspflege, des Landesseniorenrats und des Kommunalverbands für Jugend und Soziales.

Ich darf abschließend aus deren Resolution zitieren:

Ohne Förderung ist davon auszugehen, dass anstelle kleinerer, überschaubarer Pflegeeinrichtungen deutlich größere Einrichtungen

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Die alten Mär- chen brauchen Sie uns nicht zu erzählen!)

mit überörtlichem Einzugsbereich dort entstehen werden, wo günstige Rahmenbedingungen vorhanden sind.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

Ich möchte Sie bitten, sich Ihrer Verantwortung in diesem Bereich des demografischen Wandels bewusst zu werden und statt großer Sprechblasen tatsächlich Taten folgen zu lassen. Dann sind wir gerne bereit, auch mitzuwirken.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Ute Vogt SPD: Sehr gut!)

Damit ist die Große Anfrage erledigt und Tagesordnungspunkt 5 abgeschlossen.