Protocol of the Session on March 10, 2010

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD hat sich eines wichtigen Themas angenommen – das muss ich wirklich zugeben –, aber dennoch rate ich uns zu etwas mehr Gelassenheit, Herr Bayer.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Das alles waren Wahr- heiten!)

Ich denke, wir sollten uns doch einmal in Erinnerung rufen: Die Demokratie ist zuerst einmal eine Staatsform, unabhängig davon, wie sich die Gesellschaft darin organisiert. Natürlich ist beides einem gewissen Wandel unterworfen. Aber wenn man die Tragfähigkeit der Demokratie an der Wahlbeteiligung messen wollte, müsste man sagen, dass die Demokratie in Deutschland in den Anfängen der Bundesrepublik und zu Zeiten, bevor Willy Brandt zur Demokratisierung der Gesellschaft aufgerufen hat, stärker verankert war, als das heute der Fall ist. Ich denke, das kann nicht in Ihrem Sinn sein.

Es ist doch ganz unbestritten: Wir haben heute mehr gesellschaftliche Teilhabe als früher. Wir haben mehr Mitbestimmung in den Schulen und Betrieben. Wir haben gesellschaftliche Hierarchien abgeschafft. Unsere Jugend wächst in Familien auf, die viel stärker partnerschaftlich und kaum noch patriarchalisch gestaltet sind.

Wir können also, so meine ich, davon ausgehen, dass wir heute ein viel stärkeres demokratisches Bewusstsein in den Köpfen der Menschen und im Alltag der Menschen verankert haben, als dies zu Beginn und in den frühen Jahren der Bundesrepublik der Fall war.

Der Anspruch auf Mitsprache, auf Beteiligung, die Kritikfähigkeit ist allgemein verbreitet. Diesen Anspruch lassen sich die Bürgerinnen und Bürger auch nicht mehr nehmen. Insofern steht die Demokratie ganz stabil da. Ich sehe für diese Staatsform überhaupt keine Gefahr.

Ich sehe die Demokratie auch – vielleicht im Gegensatz zur SPD – bei uns in der Bildung gut verankert, in Ausbildung und Weiterbildung. Sie können das der umfangreichen Antwort der Landesregierung entnehmen. Schon im Orientierungsplan finden Sie Elemente politischer Bildung.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie um Ruhe bitten.

Sie ist quer durch alle Bildungspläne verankert. Es gibt spezielle Angebote für Migrantinnen und Migranten sowie für alle Altersgruppen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Deutschland einen umfassenden Begriff von Bildung. Wir verstehen Bildung ganzheitlich. Dazu gehört selbstverständlich auch die politische Bildung. Wir wollen selbstbestimmte, lebenstüchtige und soziale Mitglieder der Gesellschaft erziehen. Bildung ist für uns nicht nur das, was auf dem Arbeitsmarkt verwertbar ist. Das zeigt sich auch daran, dass in unserem beruflichen Schulwesen neben der beruflichen Qualifikation immer auch die Allgemeinbildung mit unterrichtet wird.

Insofern kann ich der Begründung Ihrer Großen Anfrage, in der von „schleichender Ökonomisierung von Bildungsprozessen“ gesprochen wird, überhaupt nicht folgen.

(Abg. Walter Heiler SPD: So schwer ist es aber nicht!)

Ich empfinde das regelrecht als eine Unterstellung. Oder meinen Sie mit „Ökonomisierung von Bildungsprozessen“ vielleicht, dass man für einen Volkshochschulkurs, für die Jugendmusikschule oder für eine Theaterkarte Geld bezahlen muss? Demnach müsste in Bundesländern, in denen die Gebühren niedriger sind, das politische Bewusstsein stärker ausgeprägt sein. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Abgesehen davon, dass die Menschen am Samstagabend viel Geld für Kino, fürs Parken, für die Cola und das Popcorn ausgegeben. Es hat also nicht unmittelbar mit Geld zu tun.

Das eigentliche Problem liegt doch in dem, was Sie, Herr Bayer, immer wieder als die informelle Bildung ansprechen. Das ist nämlich die Bildung, die man ganz allein für sich zu Hause auf dem Sofa mit einem Buch oder am Esstisch im Gespräch mit Freunden und Familie leisten muss. Es ist die Bildung, die aus der eigenen Motivation heraus geleistet wird.

In unserer heutigen Gesellschaft stehen Politik und politische Bildung in großer Konkurrenz mit vielfältigen anderen Angeboten. Sport, Musik oder Schauspieler sind manchmal sehr viel interessanter als die Fragen, mit was sich der Bundespräsident befasst oder wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet.

Hier sind all diejenigen, die sich mit politischer Bildung befassen, aufgerufen, ihr Angebot noch attraktiver zu gestalten.

Das geschieht auch auf internetgestützten Plattformen mit E-Learning-Kursen der Landeszentrale für politische Bildung, aber auch mit dem angesprochenen Schülerwettbewerb, der stets mehrere Tausend junge Menschen erreicht. Ich finde, auf die Landeszentrale für politische Bildung können wir stolz sein. Sie arbeitet kreativ und effizient. Immerhin ist es jetzt gelungen, ihr im Haushaltsplan jährlich 300 000 € mehr an Sachmitteln zur Verfügung zu stellen. Ich hoffe, dass das nicht das letzte Wort war.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Was mir Sorgen bereitet, ist, dass sich die Anforderungen der Menschen an die Demokratie so stark verändert haben. Die Menschen sind möglicherweise noch mit der Demokratie zufrieden, aber nicht mehr mit ihren Leistungen. Was definieren sie als Leistungen in der Demokratie? Sie definieren sie oft in Bezug auf ihre eigenen individuellen Ansprüche: Ein Gesetzgebungsprozess muss so ausgehen, dass er ihnen persönlich passt. Gehen die Entscheidungen anders aus, ist man enttäuscht und wendet sich von der Politik insgesamt ab. Darin sehe ich wirklich ein großes Problem.

Ich bin davon überzeugt, dass das Image der Politik in erster Linie von uns, von den Politikerinnen und Politikern, geprägt wird. Insofern müssen wir alle vor unserer eigenen Haustür kehren. In zweiter Linie kommt, glaube ich, Politikvermittlern und damit den Journalisten eine große Bedeutung zu. Ich denke, hier könnten wir, gerade auch bei den lokalen Journalisten, noch einiges an Sensibilisierung leisten.

Zum Schluss: Ich glaube, wir müssen den Menschen klarmachen, dass die Politik nicht für alles zuständig ist, dass nicht jeder individuelle Wunsch erfüllt werden kann. Wir brauchen wieder mehr Selbstverantwortung. Auch dabei sehe ich uns gut aufgestellt, wenn ich das ehrenamtliche Engagement in unserem Land betrachte. Da bringen sich viele Bürgerinnen und Bürger, gerade auch auf lokaler und kommunaler Ebene, ein. Vielleicht ist der eine oder andere in der Institutionenkunde nicht so sattelfest, aber ich bin davon überzeugt, dass die Demokratie in den Herzen der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land ganz fest verankert ist. Das ist sicher. Insofern brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter für die Fraktion GRÜNE.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einer stabilen Demokratie, und ich glaube, wir können uns wirklich glücklich preisen, dass unsere Demokratie in ihrer Substanz nicht gefährdet ist. Wir erleben aber dennoch seit Jahren ein sinkendes Interesse der Menschen an der Politik. Wir erleben, dass die Wahlbeteiligung deutlich abnimmt und dass Gruppierungen in der Gesellschaft von der Politik enttäuscht sind und ihre Enttäuschung auch durch vielfältige Protestformen zum Ausdruck bringen.

Viele jüngere Menschen haben das Gefühl, dass ihre Interessen von der Politik nicht mehr wahrgenommen werden und dass sie, wenn sie wählen gehen würden, auch keinen Einfluss auf Entscheidungen nehmen könnten.

Wir stehen somit vor zwei großen Herausforderungen. Wir müssen zum einen dafür Sorge tragen, dass unsere Politik – wir als Politiker stehen hier in der Pflicht – glaubwürdig ist, und wir müssen Politik überzeugend und so vermitteln, dass die Menschen sie verstehen. Als Parteien mit unterschiedlichen Zielsetzungen müssen wir eine faire und konstruktive Auseinandersetzung über unsere Ziele führen.

Aber wir brauchen auch – das ist die zweite Herausforderung – eine Ausweitung der politischen Bildung. Die Politik ist komplexer und schwieriger geworden. Wir müssen die politische Bildung intensivieren.

Besonders wichtig ist dabei die politische Bildung für die Kinder und Jugendlichen. Wir wissen seit Langem, dass die politische Sozialisation von Kindern sehr früh beginnt, nämlich bereits im Kindergartenalter. Wir brauchen also Angebote an Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten vom Kindesalter an. Das betrifft den Kindergarten, das betrifft die Schule, das betrifft die außerschulische Jugendarbeit. Die allerwichtigste Maßnahme dabei ist allerdings, dass Beteiligungsrechte so ausgestaltet werden, dass auch echte Beteiligungsformen vorhanden sind und Kinder und Jugendliche erleben, dass ihre Meinungen, ihre Vorschläge und ihre Beteiligung wirklich ernst genommen werden.

Vor Kurzem hat sich der Landesschülerbeirat darüber beklagt, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler an den Schulen die neuen Beteiligungsrechte, die durchaus im Bildungsplan enthalten sind, gewährt bekommen, z. B. bei der Erstellung der Schulcurricula, in Konferenzen oder bei der Evaluation des Unterrichts. Ich unterstütze deshalb auch die Ziele des Landesschülerbeirats, dass alle neuen SMV-Mitglieder eine Infomappe mit Best-Practice-Beispielen, wie Beteiligung an Schulen praktiziert wird, aber auch mit Informationen, wie sie ihre Rechte einfordern können, bekommen.

Wir brauchen für Kinder und Jugendliche mehr wohnortnahe Kinder- und Jugendstadtteilkonferenzen. Vor allem muss aber endlich auch die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen erreicht werden, die aus sozial benachteiligten Familien kommen, die einen Migrationshintergrund haben und die keinen Zugang über ihre Eltern oder über Verbände zu politischer Bildung bekommen.

Wir brauchen eine Stärkung der institutionell verankerten Jugendbildung, z. B. mit Blick auf die Gemeinderäte in BadenWürttemberg. Wir unterstützen vor allem die Forderung des Landesjugendrings, dass die Jugendgemeinderäte auch Rede- und Antragsrecht bei regulären Sitzungen des Gemeinderats bekommen und dass die Gemeindeordnung entsprechend geändert wird.

(Beifall bei den Grünen)

Wir wollen erreichen, dass die Forderungen der Jugendlichen – der Landesjugendring fordert beispielsweise eine Absenkung des Wahlalters auf 14 Jahre – aufgegriffen werden. Ich kann mir hier als Kompromiss vorstellen, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken. Wir haben Jugendliche, die sich sehr früh hervorragend in die Jugendorganisationen der Parteien einbringen. Diese Jugendlichen sollten sich mit ihrer Stimme aktiv an den Wahlen beteiligen können.

(Beifall bei den Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Herzstück der politischen Bildung in unserem Land ist die Landeszentrale für politische Bildung. Sie leistet eine hervorragende Arbeit, ist innovativ. Leider wurde dort in den letzten zehn Jahren ein enormes, drakonisches Einsparpotenzial gesehen. Sie kann diese Einsparungen nicht mehr im bisherigen Umfang leisten. Wir haben in den Haushaltsberatungen einen Antrag auf Mittelerhöhung eingebracht, der leider abgelehnt wurde. Deshalb fordern wir Sie auf, zumindest auf die Vorgabe der noch ausstehenden Personaleinsparung zu verzichten und der Landeszentrale auch die zusätzlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie für ihre Sacharbeit braucht.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Heute Morgen hat Ministerpräsident Mappus ganz stark betont,

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Starke Rede, gell?)

dass an der Bildung und an Kindern nicht gespart werden dürfe. Wenn an der Bildung nicht gespart werden darf, dann gilt das auch für die politische Bildung in unserem Land. Sie ist für uns, für unsere Demokratie und insbesondere für die Teilhabe aller Menschen an der politischen Bildung unverzichtbar. Deshalb fordern wir Sie auf, auch an der politischen Bildung nicht zu sparen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Chef für die Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine gesunde Pflanze, fest im Boden verwurzelt, gut mit Nährstoffen versorgt, wächst und gedeiht prächtig. Genauso verhält es sich mit der Demokratie, die sich durch das Mitwirken der Bürgerinnen und Bürger entfaltet, sich tief verwurzelt und gedeiht. Allerdings muss der Boden hierfür natürlich gut bereitet werden.

Erfreulich sind Studienergebnisse, wonach die Demokratie nach wie vor eine hohe Akzeptanz insbesondere auch bei jungen Menschen findet. Die viel zitierte Politikverdrossenheit zeigt sich allerdings in einer deutlichen Abnahme der Zufriedenheit mit den Leistungen der Demokratie in den vergange nen Jahren. Die Warnsignale dürfen nicht ignoriert werden. Abnehmende Wahlbeteiligung und vor allem – was noch schlimmer ist – Protestwahlverhalten sind Ausdruck dieser Entwicklung, die wir alle im Auge behalten müssen.

Demokratie zu lernen ist ein wichtiger Ansatz; denn Politikverdrossenheit gedeiht auf dem Boden der Ahnungslosigkeit und der Unkenntnis über politische Zusammenhänge. Die Zufriedenheit mit der Demokratie und die grundsätzliche Zustimmung zur Demokratie werden nicht zuletzt deshalb mit einem niedrigeren formalen Bildungsabschluss geringer.

Das Erlernen demokratischer Spielregeln beginnt in den Kindergärten und Schulen. Für viele Kinder ist der Kindergarten der erste Schritt aus der Familie hinaus in einen öffentlichen Ort, an dem sie lernen, mit Menschen anderer Herkunft, Religion und kultureller Zugehörigkeit umzugehen. Die Kinder lernen Konflikte zu bearbeiten, mit anderen zu kooperieren und vor allem die anderen Kinder zu achten und zu respektie

ren. Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit der Kinder zu entwickeln sind zwei wichtige Ziele der Demokratieerziehung in den Kindergärten und die Grundlage für die Fortführung in der schulischen Bildung.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Karl-Wil- helm Röhm CDU)

Im Fach Gemeinschaftskunde wird den Schülerinnen und Schülern das Fachwissen über politische, historische sowie wirtschaftliche und soziale Strukturen unseres Gemeinwesens vermittelt. Die Lehrpläne sind an allen Schulen entsprechend ausgestattet. Die politische Bildung in der Schule fördert bei den jungen Menschen die Fähigkeit, sich in der modernen Gesellschaft, in Wirtschaft und Politik angemessen zu orientieren, auf einer demokratischen Grundlage politische Fragen und Probleme kompetent zu beurteilen und sich in öffentlichen Angelegenheiten zu engagieren und erfolgreich zu partizipieren.

Die frühe Beteiligung der Schülerinnen und Schüler durch Mitsprache und Mitgestaltung in der Schülermitverantwortung und durch die Teilnahme an Schulprojekten ist, denke ich, ein sehr gutes Beispiel in Sachen Übung in Demokratie. Wer schon einmal als Schülersprecher oder Schülersprecherin in einer kontrovers diskutierten Angelegenheit einen Konsens hat herbeiführen müssen, hat bereits eine wichtige Erfahrung im demokratischen Interessenausgleich gemacht. Wer schon einmal im Rahmen eines Schulprojekts eine Gedenkstätte für politisch verfolgte Menschen besucht und diese Thematik auch bearbeitet hat, setzt sich mit der Geschichte des eigenen Landes und den demokratischen Grundwerten anders auseinander als beim Lesen eines der zahlreichen Bücher darüber.