Protocol of the Session on October 7, 2009

Ihre „Betrachtung der Wirklichkeit“ beginnt schon beim Ignorieren von gesetzlichen Rahmenbedingungen.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Da muss man kein Finanzexperte sein, sondern nur einmal im Landtagshandbuch nachlesen. In Teil II der Landeshaushaltsordnung heißt es in § 31 Abs. 1:

Das Finanzministerium stellt … eine fünfjährige Finanzplanung auf.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Haben wir doch!)

Und die Landeshaushaltsordnung verlangt die Vorlage der fünfjährigen Finanzplanung auch bei Nachtragshaushalten. Wenn Sie genau nachlesen, sehen Sie, dass in Teil II der Landeshaushaltsordnung in § 33 Folgendes steht:

Auf Nachträge zum Haushaltsgesetz … sind die Teile I und II entsprechend anzuwenden.

Das heißt also, dass auch bei Nachträgen eine mittelfristige Finanzplanung entsprechend § 31 in Teil II verlangt wird.

Damit ist klar: Die Landesregierung verstößt gegen ihre eigene Landeshaushaltsordnung, weil sie eine mittelfristige Finanzplanung einfach nicht vorlegt. Das ist zunächst einmal das Wegschauen Nummer 1, das Haften am Illusionären.

Wir hatten schon im Sommer, nach Eingang der Steuerschätzung vom Mai, verlangt, dass eine überarbeitete mittelfristige Finanzplanung vorgelegt wird. Sie als Landesregierung und als Regierungsfraktionen haben uns das verweigert. Sie woll ten nicht über die Realitäten sprechen.

Dann gibt es noch ein Wegschauen Nummer 2. Der Kollege Herrmann hat es hier nochmals wiederholt: Man will bis zum Dezember warten – Kollege Rust hat das, natürlich zu Recht, kritisiert –; man will die November-Steuerschätzung abwarten. Wenn man das Thema jedoch genau betrachtet, weiß man, dass dieses Wegschauen, dieses Verschieben natürlich gar keinen Sinn macht.

(Zuruf des Abg. Ingo Rust SPD)

Erstens: Die November-Steuerschätzung bezieht sich im Gegensatz zur Mai-Steuerschätzung immer auf das laufende Jahr und das Folgejahr. Aus der Mai-Steuerschätzung wissen wir aber schon, welche Ausfälle wir bis zum Jahr 2012 haben werden: Das sind 6 Milliarden €, Herr Minister Stächele. Das ist die Realität. Warum sollten wir dann bis November warten? Die Schätzung wird uns für 2010 mit Sicherheit keine schönen Veränderungen bringen.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Da müsste aus Mi- nus schon Plus werden! – Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Dann muss man auch noch die Grundlage für die Schätzungen anschauen. Die Steuerschätzung vom Mai hatte für die Jahre 2010 ff. noch Wachstumsraten von 3 % zugrunde gelegt.

(Lachen der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Die für 2010 zu erwartenden Einbrüche sind noch überhaupt nicht eingearbeitet. Insofern zeigt sich auch hier nur die Haltung: wegschauen, illusionär bleiben. Denn die Zahlen werden im November mit Sicherheit eher noch schlechter, als sie es bis jetzt schon sind.

Zum Wegschauen Nummer 3: Im politischen Raum und auch heute Vormittag hören wir immer wieder das Stichwort Steuersenkung. Ich weiß nicht, Kollege Kluck, was in den Programmen steht;

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Nachle- sen!)

ich meine, Sie haben den Wählerinnen und Wählern ca. 50 Milliarden € Entlastung versprochen.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das kann man nachlesen! Das braucht man nicht zu schätzen, das kann man nachlesen!)

Ich nenne auch gern noch höhere Zahlen, wenn Sie mir die korrekten Werte nennen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Nach oben keine Grenze! – Vereinzelt Heiterkeit)

Für Baden-Württemberg jedenfalls bedeutet das, was Sie in den Koalitionsverhandlungen versprechen, ein Minus von jährlich mindestens 2 Milliarden €. In den nächsten drei Jahren jedoch haben wir schon 6 Milliarden € zu wenig. Rechnet man noch einmal 6 Milliarden € hinzu, sind es 12 Milliarden €, die uns fehlen werden.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Wenn man Steuern senkt, nimmt man mehr Steuern ein! Frau Berroth hat es Ihnen doch erklärt! – Widerspruch bei den Grünen und der SPD)

Dass Sie meinen, das könne mit einem hierdurch induzierten Wirtschaftswachstum aufkommensneutral gestaltet werden, ist auch nichts anderes als ein Wegschauen; es ist das Festhalten am sogenannten Expertenprinzip – das sich jedoch nie bewahrheitet.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sie erhöhen die Saugleistung der Melkmaschine!)

An die Adresse von Herrn Kollegen Kluck und der FDP muss ich sagen: Dieses Sich-Gebärden als haushalts- und finanzpolitische Staatsfeinde Nummer 1 sind wir von Ihnen ja gewohnt.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Was soll denn das? – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Was war der Begriff noch einmal?)

Aber was uns sehr enttäuscht, ist, dass auch der Ministerpräsident dieses Landes keine deutlichen Worte spricht, wenn es darum geht, seinen durch ihn ins Grundgesetz aufgenommenen Schuldenstopp zu verteidigen.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Ich frage mich schon: Auf der einen Seite Schuldenstopp, Sparen, und auf der anderen Seite Steuern senken – wie soll das zusammengehen? Das geht nicht zusammen, vor allem dann nicht, wenn man nicht sagt, wo man sparen will.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Rot-Grün hat kräftig Schulden gemacht!)

Wir sagen deshalb: Hören Sie endlich auf mit diesem Wegschauen, mit dieser illusionären Finanzpolitik! Legen Sie eine Finanzpolitik vor, die nachhaltig ist. Legen Sie vernünftige strukturelle Einsparvorschläge vor.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das werden wir ma- chen!)

Sagen Sie endlich, wie es mit diesem Land weitergehen soll.

Ich sage Ihnen: Das, was wir bisher gehört haben – Einsparungen in Höhe von 500 Millionen € im nächsten Jahr und 700 Millionen € im übernächsten Jahr –, ist deutlich zu wenig.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sie wollen also mehr Schulden?)

Wenn wir eine nachhaltige Entwicklung brauchen, dann brauchen wir ein Einsparvolumen von mindestens 1 Milliarde €.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Machen Sie einmal einen konkreten Vorschlag!)

Ansonsten haben wir ab 2020 keine Handlungsfähigkeit mehr in unseren Haushalten. – Wir werden heute Nachmittag Vorschläge machen, Kollege Zimmermann. Sie haben aber selbst noch keine Vorschläge gemacht, und jetzt fordern wir Sie auf: Hören Sie auf, kurzsichtig zu sein!

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Legen Sie einen langen Pfad vor, der bis zum Jahr 2020 reicht. Machen Sie Aufgabenkritik, und stellen Sie einfach einmal alles infrage! Andernfalls kommen Sie nicht vorwärts.

Ich sage Ihnen: Eines werden die Bürger schnell merken: Steuerlügen haben kurze Beine. Wenn es ums Geld geht, merken es die Leute am schnellsten.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Für die FDP/DVP-Fraktion erteile ich Frau Abg. Berroth das Wort.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Ist die Fraktion so klein? Frau Berroth, ich sehe Sie heute schon zum vierten Mal!)

Ich bin fachlich einfach zuständig. Aber ich hoffe, es ist ein erfreulicher Anblick für Sie, Herr Kollege Zimmermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dieser Dritte Nachtrag zum Staatshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2009 umfasst ein kleines, aber doch notwendiges Maßnahmenpaket. Alle Fraktionen dieses Hauses haben es begrüßt, dass der Ministerrat im August dieses Jahres sein Sofortprogramm zur Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für qualifizierte Hochschulabsolventinnen und -absolventen der MINT-Fächer im Wissenschaftsbereich beschlossen hat. MINT – das nur zur Erläuterung – ist weder ein Kaugummigeschmack noch eine Farbe, sondern steht für die vier Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.