Protocol of the Session on July 9, 2009

Ihre Aussage war auch: Was ein 20-Jähriger bei Erstellung einer Patientenverfügung entscheiden würde, kann sich ändern. Das ist unbenommen. Aber bleiben wir doch einmal realistisch. Wann entscheiden sich Menschen dafür, eine Patientenverfügung zu errichten? Justizminister Goll hat diesen Zeitpunkt noch nicht erreicht. Er hat vorhin gesagt, er habe noch keine gemacht.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Aber bald! – Heiter- keit – Abg. Reinhold Gall SPD: Dann wird es aber Zeit!)

Ich denke daher, dass der Appell des Kollegen Noll auch da auf Gehör treffen wird.

Aber bei einem Testament, Herr Kollege Lasotta, ist es doch genau das Gleiche. Bei einem Testament geht es um den Willen über den Tod hinaus. Das Testament bleibt – wenn ich mich nicht zwischendurch entscheide, es zu ändern – in Kraft, ob ich es mit 18 oder mit 80 errichte. Deshalb sollten wir da keinen künstlichen Unterschied herbeireden, und wir sollten diese Phase, in der der Mensch nicht mehr für sich selbst entscheidet, nicht dazu nutzen, ihn zum Objekt zu degradieren. Denn das machen wir in der Praxis. Wir sollten vielmehr daran denken, dass der Mensch, der Einzelne im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts das Subjekt sein muss, der allein Entscheidende.

Was Sie vorhin zu den Problemen vorgetragen haben, ist alles richtig. Wir sollten aber eines betonen: Nach dieser sechsjährigen Debatte, die geführt wurde, wäre es bei Weitem schlechter, kein Gesetz zu haben, als eine Entscheidung für eine gesetzliche Grundlage zu treffen.

(Beifall bei der SPD, den Grünen und der FDP/ DVP)

Gestatten Sie mir noch eine abschließende Bemerkung. Es ist richtig, dass Bundestagsabgeordnete aus allen Fraktionen schließlich zu dieser Zweidrittelmehrheit beigetragen haben. Ich habe es sehr bedauert, nachdem insbesondere der ZöllerVorschlag von vielen Abgeordneten der CDU und der CSU unterstützt worden war, dass in der letzten Abstimmung lediglich ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion dem Gesetzentwurf schließlich zugestimmt hat. Ich hoffe dennoch, dass wir am kommenden Freitag – da liegt die Sache zur Entscheidung im Bundesrat – eine breite Mehrheit für das Gesetz haben.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Das ist nicht zu- stimmungspflichtig!)

Es ist nicht zustimmungspflichtig. – Ich hoffe, dass wir den Menschen mit diesem Gesetz, das der Bundestag am 18. Ju

ni beschlossen hat, eine Perspektive geben, dass wir die Menschen nicht allein lassen, und zwar sowohl die Patienten als auch deren Angehörige, als auch die Betreuer und Ärzte. Deswegen ist das eine wichtige Entscheidung gewesen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Mielich.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren! Sie haben gerade sehr eindrückliche Beispiele genannt, Herr Lasotta. Das Beispiel mit dem 20-jährigen Mann, der eine Patientenverfügung gemacht hat für den Fall, dass er bei einem Autounfall oder einem Motorradunfall irreparable Schäden erlangt, ist treffend und richtig. Es zeigt die Gratwanderung, die mit einer Patientenverfügung erreicht wird. Sollte dieser Mann eine Patientenverfügung gemacht haben, wäre es natürlich auch denkbar, dass er, wenn er – meinetwegen mit 30 oder 40 Jahren – einen Unfall hat, Angehörige hat, die z. B. sagen: „Es gibt zwar die Patientenverfügung, aber ich würde jetzt sagen, er lebt eigentlich ganz anders, und er hat eigentlich eine ganz andere Perspektive.“

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Deswegen ist kei- ne Rechtssicherheit da! Deswegen gehen die Pro- bleme erst los! – Gegenruf der Abg. Ursula Hauß- mann SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

Das ist das eine. Dennoch sage ich – das ist wirklich die schwierige Situation für Ärztinnen und Ärzte –: Es ist auch das Recht eines Menschen, zu sagen: „Ich will nicht leben, wenn ich irreversible Schäden habe. Dann will ich nicht mehr leben.“ Diese Möglichkeit muss auch gegeben sein.

(Abg. Andreas Hoffmann CDU: Das ist jetzt nicht besser!)

Das ist wirklich eine Gratwanderung. In diesen Situationen dann zu entscheiden ist für Ärztinnen und Ärzte ganz besonders schwierig. Es ist eine hoch moralische und eine hoch ethische Frage, der wir uns immer wieder stellen müssen.

Ich habe schon in meinem ersten Redebeitrag deutlich gesagt, dass wir uns auch der Debatte über „Würdiges und unwürdiges Leben“ stellen müssen. Es darf auf gar keinen Fall ein Einfallstor dafür sein, dass wir diese Debatte in dieser Richtung führen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU)

Genau das ist die Gratwanderung. Wir können eine Parallele zur Pränataldiagnostik ziehen, zur Problematik, dass die Untersuchung möglicherweise dazu führt, dass z. B. Eltern von Kindern, bei denen in der Schwangerschaft Schäden oder Behinderungen festgestellt werden, dazu gedrängt werden, diese Kinder nicht zu bekommen. Genau das – das ist klar – ist natürlich auch hier die Gefahr, dass die Debatte so läuft, dass eine Kategorisierung von Leben stattfindet. Das darf nicht passieren.

Deshalb habe ich einen großen Teil meines ersten Redebeitrags dazu verwandt, zu sagen: Wir brauchen die alternativen Möglichkeiten, um den einzelnen Menschen auch diese Wahlmöglichkeiten zu lassen. Das ist das eine.

Das andere sind Fälle, die wir auch bedenken müssen und wegen denen ich Patientenverfügungen unter dem Strich für einen großen Fortschritt halte: Es gibt auch Menschen, die nicht lebensbedrohlich krank sind oder nicht unweigerlich sterben werden. Ich denke z. B. an Menschen mit Demenz, die eine Lungenentzündung bekommen oder nicht mehr essen wollen. Wenn die eine Patientenverfügung haben, gibt es für den Arzt auch die Möglichkeit, zu entscheiden, jemanden z. B. nicht mehr künstlich zu ernähren. Das kann dann durchaus auch eine Unterstützung sein und dazu führen, dass ein Mensch, der eigentlich sterben will, auch wirklich sterben kann.

Daher glaube ich, dass die Patientenverfügung unter dem Strich insgesamt ein Fortschritt ist. Sie muss gut begleitet werden.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)

Dazu muss eine gute Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)

Es muss eine gute Beratungsstruktur geschaffen werden. Dann wird es insgesamt ein Fortschritt sein.

Schönen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Herr Justizminister Dr. Goll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich jetzt zum zweiten Mal etwas dazu sage, dann aus dem Grund, dass ich glaube, dass es uns wirklich darum gehen sollte, aus diesem Beschluss und aus dieser Situation – nach vorn gesprochen – das Beste zu machen. Sterben ist nicht normierbar. Das würde, glaube ich, jeder sofort unterschreiben. Das würde auch ich, keine Frage. Aber umgekehrt z. B. jetzt zu sagen, dass mit diesem Entwurf praktisch nichts erreicht sei und die Unsicherheit fortbestehe, ist – das muss man deutlich sagen – ganz einfach falsch. Ich kann nicht in der ganzen Summe sagen, was der Entwurf an Klarheit bringt. Ich kann das auch nur an einem Beispiel festmachen, nämlich an dem, das Sie vorhin genannt haben.

Ich knüpfe an das Beispiel des 20-Jährigen mit seiner Patientenverfügung an. Dazu wurde gesagt, das sei nicht unbedingt immer die Realität. Ich komme trotzdem gleich noch einmal auf diesen Fall zurück. In der Tat ist die Realität, dass die Menschen ein Papier haben, das sie alle zwei Jahre unterschreiben, weil ihnen das Problem bewusst ist, dass jemand sagen könnte, es sei nicht mehr authentisch. Darum unterschreiben sie es alle zwei Jahre. Das ist schon jetzt gängige Praxis. Aber es ist Tatsache, dass das Papier vielleicht nichts gilt, obwohl sie es alle zwei Jahre unterschreiben.

Es war bisher so, dass nach der BGH-Rechtsprechung, die der einzige Anhaltspunkt war, eine Patientenverfügung nur bei einem Leiden, das irreversibel zum Tod führt, auf sicherem

Grund war. Es ist eine einfache Tatsache, dass die Fälle, über die weltweit am meisten diskutiert wurde, solche Fälle waren, die gerade nicht irreversibel zum Tode führen, nämlich Wachkoma, Demenz und ähnliche Erscheinungsformen.

Deswegen ist es eine Tatsache – Gott sei Dank –, dass am Schluss in allen Entwürfen, die diskutiert wurden – es sind mittlerweile alle genannt, ob es die von Stünker und Kauch, Bosbach und Röspel oder Zöller und Faust waren –, auch nicht irreversibel zum Tode führende Leiden eingeschlossen waren. Die Reichweitenbegrenzung war bei allen Entwürfen wenn nicht aufgegeben, so doch stark relativiert. Ich habe es vorhin gesagt: Selbst der Bosbach-Entwurf hat für Wachkoma und Demenz die einfache Form der Patientenverfügung zugelassen. Er hat noch eine qualifizierte Form für andere Leiden. Darüber brauchen wir jetzt nicht zu reden. Aber das zeigt, wie nah die Entwürfe beieinander waren. In diesem Punkt ist Sicherheit geschaffen, und der ist der wichtigste.

Jetzt kommen wir noch einmal auf den Fall des 20-Jährigen zurück. Wenn der im Alter von 20 Jahren eine Patientenverfügung verfasst und hinterher nichts mehr ändert, dann kann natürlich Unklarheit entstehen. Das ist völlig klar. Was gilt jetzt eigentlich noch? Dann kann es auf den mutmaßlichen Willen ankommen.

Schauen wir uns einmal an, was der Entwurf da bietet. Dort sieht man den Fortschritt. Der mutmaßliche Wille kann eine Rolle spielen, wenn z. B. ein Betreuer, Bevollmächtigter, Angehöriger darlegt, dass der Betroffene aufgrund bestimmter Anzeichen – Briefe, Äußerungen usw. – bestimmte Behandlungen nicht wollte oder beispielsweise der Wille des 20-Jährigen noch gilt. Wenn aber der Arzt Zweifel am mutmaßlichen Willen hat, dann braucht er das nicht zu beachten. Dann geht es in letzter Instanz zum Vormundschaftsgericht.

Das bedeutet doch Klarheit. Man hat einen Ablauf und kommt am Schluss zu einer Entscheidung, und es stehen nicht alle am Bett und wissen jahrelang nicht, was zu tun ist.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD)

Deswegen sollten wir trotz bestimmter Unterschiede in Details aus diesem Gesetz gemeinsam das Beste machen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Debatte unter Tagesordnungspunkt 1 ist damit erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion GRÜNE

und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – „G 8 plus“-Schulversuch am Augus te-Pattberg-Gymnasium Mosbach genehmigen – Drucksache 14/4384

b) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des

Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Gymnasium der zwei Geschwindigkeiten – Brückenjahr als „Bypass“ nach der neunten Klasse des G 8 – Drucksache 14/4391

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung zu a und b je fünf Minuten und für die Aussprache über beide Anträge fünf Minuten je Fraktion.

Zur Begründung des Antrags Drucksache 14/4384 erteile ich Herrn Abg. Schmiedel das Wort.