Protocol of the Session on May 13, 2009

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Ja!)

Da erinnere ich an Ihr Plakat, mit dem Sie Stuttgart vollpflas tern: „SPD: Wir sind besser“.

(Heiterkeit)

Ich hatte gedacht, diese Debatte gehe heute eher ohne Überraschungen über die Bühne, weil jeder die bekannten Argu

mente vorträgt. Aber Herr Scheuermann hat mich überrascht, nämlich dadurch, dass er diese Debatte über die Realisierung von Stuttgart 21 dazu genutzt hat, noch einmal die Forderung nach einem neuen Landtag zu erheben. Ich hätte da eine Alternative anzubieten, Herr Scheuermann: Wir könnten ja die Seitenflügel des Bahnhofsgebäudes, die wir stehen lassen wollen, für einen neuen Landtag nutzen.

Kommen wir zur Sache zurück: Die Regierung stellt dem Parlament die Finanzierungsvereinbarung nach ihrer Unterzeichnung zur Kenntnisnahme vor. Was für ein demokratischer Akt! Ich glaubte einmal, gute Demokraten wollen entscheiden, bevor etwas unterschrieben wird. Jetzt haben Sie – alle, die für Stuttgart 21 sind – gemerkt, dass es ein bisschen popelig gewesen wäre, wenn man diese Verträge nur zur Kenntnis genommen hätte. Deswegen haben Sie jetzt noch einmal diesen Entschließungsantrag eingebracht. Okay, sei’s drum. Noch ein letztes Mal stolzes Schulterklopfen. Sie tun zwar so, als ob heute der letzte Akt Ihres Tunnelprojekts wäre, wissen es aber besser, und wir auch. Sie werden noch öfter, als Ihnen lieb ist, hier im Hohen Haus über Stuttgart 21 – Entschuldigung, über das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm – nachdenken müssen. Beim nächsten Mal, wenn wir über Stuttgart 21 reden, werden sich – da bin ich mir ganz sicher – die heute so stolzen Väter und Mütter schon vom Acker zu stehlen versuchen, wenn die ers ten technischen und finanziellen Schwierigkeiten auftauchen.

Bis September 2009 ist noch lange Zeit. In § 2 Abs. 2 steht:

Für den Fall, dass nach Abschluss der Entwurfspla- nung … eine Erhöhung der … Gesamtkosten zu erwarten ist …

Dann kommt die Ausstiegsklausel. Bis Dezember 2009 sind nicht nur die Kommunalwahlen gelaufen, vor denen offensichtlich manche so viel Sorgen haben. Im Herbst ist Bundestagswahl, und Ihr Stuttgart 21 steht in harter Konkurrenz mit anderen Bundesprojekten. Auch da sage ich: Eine gesonderte Finanzvereinbarung mit dem Bund steht noch aus. Dies steht sinngemäß in § 6 Abs. 1 Buchst. d. Sie merken: Es lohnt sich, einen genaueren Blick in die Finanzierungsverträge zu werfen.

In § 8 – Kostenänderungen des Projektes – ist im ersten Absatz geregelt, was passiert, wenn Geld übrig bleibt. Rührend! Die Absätze danach sind allerdings viel länger. Sie betreffen die Kostensteigerungen.

Verräterisch ist auch § 2 – Vorbemerkung – Abs. 2:

Die Vertragsparteien stellen fest, dass die Wirtschaftlichkeit des Projekts … belegt wurde.

Aber gesehen hat diese Berechnung noch niemand. Die Gefahr, widerlegt zu werden, ist Ihnen wohl zu groß.

Stuttgart 21 ist konzeptionell zu alt. Die Eisenbahntechnik hat sich in 15 Jahren längst weiterentwickelt. Stuttgart 21 ist zu teuer. Alle Umweltverbände und alle Bahnfans sowie Bahnanhänger, wie VCD, Pro Bahn etc., sind gegen Stuttgart 21, weil sie wissen, welche Nachteile Stuttgart 21 für den Landes- und den Regionalverkehr haben wird.

(Beifall bei den Grünen)

Da können Sie noch so lang beschwören: Es soll so sein. Die Zahlen und Fakten sprechen dagegen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Sie haben gar keine Zahlen!)

Ich lese sie Ihnen gern vor: Laut Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21 sollen die zwischen 2014 und 2018 erwarteten Bundesmittel für den Nahverkehr in das Projekt Stuttgart 21 fließen.

Sie wollen Stuttgart 21 bauen und schaffen es nicht einmal, dass die Bahn zusätzliche Züge verkehren lässt, obwohl nachweislich viele Züge im ganzen Land total überfüllt sind. Die Abhängigkeit von der Bahn AG wird durch Stuttgart 21 für die nächsten 20 Jahre zementiert, zum Schaden der Bahnfahrer. Der Juniorpartner der Landesregierung in spe – so hat man heute zumindest den Medien entnehmen dürfen – schafft es gar, die Abhängigkeit des Landes zur Bahn AG, die sich durch Stuttgart 21 ergibt, positiv zu interpretieren, und fordert eine gestaffelte Ausschreibung des neuen Verkehrsvertrags. Dabei geht es wegen Stuttgart 21 gar nicht anders. Die Bahn kennt ihr Druckmittel und wird es zum Schaden der Bahnfahrer und Steuerzahler weidlich ausnutzen.

Stuttgart 21 ist zu unsicher. Die Eingriffe mit 66 km Tunnel sind und bleiben eine Gefahr, auch für das Mineralwasser, nicht nur für die Fahrgäste. In Köln hat man gesehen, wohin es führen kann, wenn der Kostendruck und der Druck des Wassers das Wissen von Ingenieuren überdeckt. Das wird hier nicht anders sein. Auf Kosten der Sicherheit wird gespart. Den ersten Beweis dafür haben wir schon: Statt der vorgeschriebenen 500 m Abstand von Sicherheitsstollen sollen bei Stuttgart 21 nun 800 m ausreichen. Was für ein Jahrhundertprojekt!

Sie sagten, Stuttgart 21 sei ein grünes Projekt. So versuchen Sie und so versucht unser Oberbürgermeister, das gute Image der Grünen zu nutzen.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Ich bin bei den letzten Sätzen. – Stuttgart 21 ist und bleibt ein tiefschwarzes Projekt, 66 km im Tunnel; es wird nie grün werden. Da kann das Baufeld B als ökologische Oase ausgebaut werden, während der Rest der Stadt in Beton ertrinkt.

Warum die Roten so leidenschaftlich mitmachen, muss mit ihrer Vergangenheit als Bergbaupartei zu tun haben.

(Heiterkeit und Beifall bei den Grünen – Abg. Wolf- gang Drexler SPD: Guter Spruch! Aber das gilt für Nordrhein-Westfalen, nicht für uns! – Glocke der Prä- sidentin)

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Ende. Sie haben Ihre Redezeit bereits weit überschritten.

Die Bürger in Stuttgart und in der Region werden den 7. Juni als Chance nutzen, um ein Zeichen gegen Stuttgart 21 zu setzen. Politiker kennen keinen

Schmerz, sagt man manchmal. Aber Wahlergebnisse haben bisher noch immer Wirkung gezeigt.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Bachmann für die Fraktion der FDP/DVP.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Bitte keine Gedichte! – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Nicht schon wieder, oder? – Heiterkeit)

Sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Unterzeichnung der Finanzierungsvereinbarung wurde in den ehrwürdigen Hallen der Villa Reitzenstein ein Stück Bahngeschichte geschrieben. Diesen historischen Moment, diesen mutigen Schritt in die Zukunft verdanken wir in erster Linie der Hartnäckigkeit und dem Verhandlungsgeschick des Ministerpräsidenten und des zuständigen Fachministers. Im Namen der FDP/DVP-Fraktion möchte ich ihnen hierfür ganz herzlich danken.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Später werden wir Sie wieder an diese Jubelarien erin- nern!)

Dieser Dank gilt selbstverständlich auch den Mitarbeitern des Innenministeriums dafür, dass mit dieser Finanzierungsvereinbarung wohl eines der solidesten Vertragswerke seiner Art geschaffen wurde; Kollege Scheuermann hat bereits darauf hingewiesen.

Lieber Kollege Wölfle, schade, dass Sie nur als Zaungast teilgenommen haben. Aber auch dafür wollen wir Ihnen danken, denn wir haben diesem Gastspiel ein gutes Stück bundesweiter medialer Aufmerksamkeit zu verdanken. Das ist ein prima Standortmarketing, zeigt es Baden-Württemberg doch als ein Land, in dem die übergroße Mehrheit der Politik, bestehend aus CDU, SPD und uns, ein solches Zukunftsprojekt auch gegen Widerstände durchzusetzen bereit ist. Das ist ein Signal an Investoren; das ist gut für die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE)

Lieber Kollege Wölfle, da ich die Ehre und das Vergnügen habe, nach Ihnen sprechen zu dürfen, will ich gern auf die Argumente der Grünen eingehen, auch wenn es langsam echte Oldies werden. Oder sollte ich bei den Grünen lieber „echte Evergreens“ sagen?

(Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Werner Wölfle GRÜNE: An die erinnert man sich!)

Evergreen 1: die vermeintlich günstigere Alternative K 21. Zum einen haben Ihnen Bahn und SSB längst vorgerechnet, dass Ihr Projekt teurer würde. Das leuchtet ja auch ein. Denn bei K 21 müssten 16 Gleise nebst komplizierter Kreuzungsbauwerke in einem antiken Hauptbahnhof neu gebaut werden, und bei S 21 sind es halt nur acht. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Stimmt! Das eine findet überirdisch, das andere unterirdisch statt!)

Denn bei K 21 würde die Finanzierung – hören Sie einmal zu; dann lernen Sie etwas, Herr Kretschmann – um bis zu 2,3564 Milliarden € einbrechen. Oder glauben Sie, die Bahn würde 1,3 Milliarden € Eigenmittel, die sie aus den Grundstücksverkäufen zieht, ohne Grundstücksverkäufe investieren können? Glauben Sie, dass die Mittel zur Verbesserung des Nah- und Regionalverkehrs fließen würden, wenn es keine Verbesserung gäbe, weil alles beim Alten bliebe? Glauben Sie, der Flughafen würde ohne einen brauchbar angebundenen Flughafenbahnhof 219,8 Millionen € zahlen? Glauben Sie, der Kollege Bopp würde im Verband Region Stuttgart 100 Millionen € für die Sanierung eines Verkehrsdenkmals aus der Gründerzeit locker machen?

(Abg. Thomas Bopp CDU: Macht er nicht!)

Und glauben Sie, das Land würde Ihr Nostalgieprojekt mit 370,2 Millionen € unterstützen? Wenn Sie das glauben, können Sie zur Finanzierung auch den Weihnachtsmann herbeizitieren.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Das war jetzt aber mehr Volksverdummung, als dass ich schlauer würde! – Gegenruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP)

Evergreen 2: Der Regionalverkehr leide. Sie als Stuttgarter, lieber Kollege Wölfle, können sich natürlich gar nicht vorstellen, dass nicht alle Menschen in Stuttgart aussteigen wollen. Aber glauben Sie mir: Es gibt tatsächlich Menschen, die im Regionalverkehr nur von Pforzheim nach Ulm, von Heilbronn nach Reutlingen oder von Schwäbisch Gmünd nach Horb wollen. So schön unser Stuttgart ist: Die fahren lieber mit zwei Minuten Aufenthalt in einem durchgehenden Zug durch Stuttgart hindurch, als eine Viertelstunde lang die extrem hässlichen Innenfassaden der Bahnhofsseitenflügel ansehen zu müssen.

(Zuruf des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Evergreen 3: Sie sagen immer wieder, woanders fehle das Geld, andere Projekte würden blockiert. Auch hier werden wir Ihnen Projekt für Projekt nachweisen, dass diese Behauptung Unsinn ist. Mit der Rheintalstrecke fangen wir an.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Deshalb, lieber Kollege Wölfle: Geben Sie sich doch einfach einen Ruck! Kommen Sie als Grüner in den Kreis der Unterstützer! Sie hätten die besten Gründe. Stuttgart 21 sichert die Einbindung unseres Landes in das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz und nützt damit der Wirtschaft. Stuttgart 21 senkt den Flächenverbrauch und hilft damit dem Klimaschutz; es nützt der Umwelt. Stuttgart 21 gibt den Menschen neue Räume, ihre Lust auf Stadt auszuleben; es ist menschlich. Und Stuttgart 21 schafft Arbeitsplätze, also ist es sozial.