Protocol of the Session on April 23, 2009

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter für die Fraktion GRÜNE.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Da hört jetzt niemand mehr zu! – Gegenruf des Abg. Peter Hofelich SPD: Entmutige sie nicht gleich!)

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Heberer hat mir heute ein wunderbares Stichwort für den Einstieg in meine Rede gegeben, indem sie zum Thema Lehrerausbildung gesagt hat: Wir brauchen eine kulturelle Wende in der Bildungspolitik.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Wow!)

Viele Studien belegen, dass eine aktive Beschäftigung mit Musik die emotionale und soziale Entwicklung von Kindern und ihre motorischen, kognitiven und kreativen Fähigkeiten fördert. Eine gute musikalische Bildung und ein aktives Musizieren ermöglichen auch die kulturelle Teilhabe bereits in Kindheit und Jugend, aber auch später im Leben, und sie ermöglichen den Menschen eine sinnvolle und gute Freizeitbeschäftigung.

Der Kriminologe Professor Pfeiffer hat noch einen Aspekt in die Debatte um die kulturelle Bildung gebracht, indem er gesagt hat: „Musik ist eine Schutzimpfung gegen Medienverwahrlosung.“

Deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir attraktive Angebote als Alternative zum Computer und zu Killerspielen für unsere Kinder und Jugendlichen.

Das Erlernen eines Musikinstruments ist nicht Teil des Bildungsauftrags der allgemeinbildenden Schulen. Hier geht es nur um eine grundlegende Bildung für Kinder und Jugendliche.

Mit dem Ihnen heute vorliegenden Antrag sowie mit der geänderten Fassung unseres Antrags, die auf Ihren Tischen liegen, wollen wir einen Paradigmenwechsel erreichen. Jedem Kind soll in der Grundschule der qualifizierte Zugang zum Erlernen eines Instruments ermöglicht werden. Die Betonung liegt auf „jedem Kind“. Ich weiß, dass auch Sie von den Regierungsfraktionen und von der SPD – ich bin gespannt, wie sich die SPD heute bei diesem Antrag verhalten wird – der musikalischen Bildung einen hohen Stellenwert einräumen. Aber für uns geht es ganz explizit darum: Jedem Kind soll dieser Zugang ermöglicht werden.

Denn wir haben beim Erwerb der kulturellen Bildung und vor allem beim Erwerb der musikalischen Bildung eine soziale Schere, die immer weiter auseinandergeht. Wir wissen – ich weiß das aus meinem eigenen Familien- und Bekanntenkreis –: Bildungsorientierte Eltern gehen mit ihrem Kind heutzutage schon ab dessen ersten Lebensjahren in die musikalische

Früherziehung der Musikschulen. Während der Kindergartenzeit beginnt das Erlernen eines Instruments – oft spielerisch – mit vier, fünf oder sechs Jahren. Aber Kinder aus bildungsfernen Schichten haben keine entsprechenden Möglichkeiten. Das betrifft vor allem Migrantenkinder und Kinder aus sozio ökonomisch benachteiligten Familien. Diese Kinder haben in der Regel keinen Zugang zum Erlernen eines Instruments, sofern sie nicht in einer Gemeinde wohnen, wo man über den Musikverein zumindest ein gewisses Angebot vorfindet.

In Bezug auf das generelle Problem des Auseinandergehens der sozialen Schere im Bildungssystem lässt sich feststellen: Ein Hauptschulkind hat zwar die Möglichkeit, über die Anschlussfähigkeit noch einen höherwertigen Abschluss zu erreichen. Aber wer nicht früh genug musikalisch gefördert wird, bleibt oft zurück und hat im späteren Leben keine Chance mehr, dazu einen Zugang zu finden.

So argumentiert vor allem auch der Landesverband der Musikschulen. Deshalb haben die Musikschulen im Land, Herr Staatssekretär Wacker, seit vielen Jahren Initiativen ergriffen, um über Kooperationen Instrumentalklassen an den allgemeinbildenden Schulen einzurichten. In der Stellungnahme zu unserem Antrag wird auch darauf abgehoben, dass es in Baden-Württemberg schon sehr viele solche Kooperationen in der Grundschule und in den weiterführenden Schulen gibt.

Ich möchte jetzt drei Beispiele nennen, die zeigen, worin die Probleme bestehen.

Es gibt Kommunen, die mit ihrer Musikschule eine Vorreiterrolle übernommen haben. Ich möchte hier lobend unseren Kollegen Walter Heiler, Bürgermeister von Waghäusel, erwähnen, der mit der dortigen Musikschule und mit der Schillerschule, einer Grund- und Hauptschule, ein wunderbares Projekt initiiert hat. Dort werden in der Grundschule eine Streicherklasse und in der Hauptschule eine Bläserklasse angeboten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord- neten der FDP/DVP und des Abg. Jörg Döpper CDU – Abg. Jörg Döpper CDU zu Abg. Walter Heiler SPD: Aufstehen!)

In der Grundschule ist das Angebot der Streicherklasse freiwillig und gebührenpflichtig. Wenn Sie in diese Klasse hineinkommen, dann sehen Sie, dass es in der Regel Kinder von bildungsorientierten Eltern sind, die daran teilnehmen. Wenn Sie in die verpflichtende, gebührenfreie Bläserklasse der Hauptschule gehen, dann sehen Sie dort türkische Buben, die ein Blasinstrument erlernen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Was haben Sie dage- gen einzuwenden?)

Das zeigt uns, dass wir solche Angebote brauchen, die kostenfrei sind und die vor allem als Bestandteil des Bildungsangebots für alle gelten. Das sage ich auch im Zusammenhang mit dem Instrumentalunterricht in der Grundschule.

Ich möchte das zweite Beispiel nennen. Die Stadt Mannheim hat mit der Musikschule unter dem Motto „Senem“ – ein türkisches Mädchen – „lernt Violine “ ein Best-Praktice-Projekt in die Wege geleitet. Dabei wird gesagt: Für die meisten Kin

der in der Neckarstadt West gilt ein MP3-Player oder ein iPod – so etwas habe ich gar nicht – als Musikinstrument. Für diese Kinder gibt es in der Regel als „Karrieremöglichkeit“ nur: Hauptschule, falsche Freunde, Schulabbruch, Endlosschleife, oder Hauptschulabschluss und trotzdem kein Ausbildungsplatz. Jetzt ist hier die Vorgehensweise: „Mit Musik gegen die soziale Endlosschleife.“

Das heißt, wir müssen gerade für diese Kinder den Zugang zu einem musikalisch qualifizierten Angebot schaffen. Das stärkt Kinder, das fördert ihre Bildungschancen. Deshalb brauchen wir, Herr Staatssekretär Wacker, den Zugang für jedes Kind und nicht nur für einen Teil der Kinder, nämlich die Kinder, deren Eltern die Gebühren bezahlen können.

(Unruhe)

Das dritte Beispiel ist der Ostalbkreis. Die Musikschulen des Ostalbkreises haben ein Projekt gestartet. Sie wollen ermöglichen, dass bis in zehn Jahren jedes Kind ein Instrument lernt.

Was aber sagen der Landesverband der Musikschulen und die Musikschulen? Das steht im neuen Bericht des Landesverbands der Musikschulen 2008.

(Die Rednerin hält den Bericht in die Höhe.)

Auf mehreren Seiten ist es erwähnt. Gleich zu Beginn, in den einleitenden Ausführungen steht:

Zum anderen wird es unumgänglich sein, dass das Land sich an den Kosten der Musikschulen für Kooperationen und Bildungsangebote im Betreuungsbereich nicht nur beteiligt, sondern einen Großteil davon übernimmt.

Herr Staatssekretär Wacker, die Musikschulen, die mit einem Landeszuschuss von nur 10 % sowieso schon unterfinanziert sind, deren von den Eltern zu zahlenden Gebühren im außerschulischen Bereich für einen chancengerechten Zugang schon zu hoch sind, fordern also massiv, dass das Land, wenn die Musikschulen diese Kooperationsmodelle flächendeckend ausbauen wollten, in die Finanzierung einsteigt.

(Beifall der Abg. Christine Rudolf SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb müssen wir hier etwas tun. Ich habe heute mit meiner Fraktion einen geänderten Antrag eingebracht,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Oho!)

und zwar deshalb, damit Ihnen die Zustimmung zu unserem Begehren erleichtert wird. Der ursprüngliche Antrag sieht bereits ein genaues Konzept vor, das der Umsetzung des Konzepts des Landes Nordrhein-Westfalen entspricht. In der heutigen Beschlussvorlage dagegen steht lediglich, dass ein Konzept entwickelt werden soll, das jedem Kind in der Grundschule den Zugang zu einem Musikinstrument ermöglichen soll, und dass eine Landesarbeitsgruppe mit allen Beteiligten eingerichtet werden soll, die dieses Konzept erarbeitet und die Umsetzungsschritte in Baden-Württemberg – es wird nur schrittweise gehen – vornimmt.

(Beifall des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Der zweite Punkt unseres Antrags ist, dass wir auch in den weiterführenden Schulen einen Ausbau der Instrumentalklassen brauchen und dass insbesondere an den Hauptschulen – künftig Werkrealschulen – dann auch ein kostenfreier Zugang für diese Schülerinnen und Schüler mithilfe von Landeszuschüssen gewährleistet wird. Ich sage das auch deshalb, weil in Waghäusel-Kirrlach der vorbildliche Bürgermeister und sein vorbildlicher Musikschulleiter Steffan gesagt haben:

(Beifall des Abg. Gustav-Adolf Haas SPD)

Wir können von den Hauptschülern keine Gebühren verlangen, weil sonst nicht alle Eltern ihre Kinder in dieser Klasse lassen. Deshalb brauchen wir gerade in diesem Bereich einen kostenfreien Zugang.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Wenn jetzt darüber geklagt wird, Herr Staatssekretär Wacker, dass wir zu wenige musikalische Hochbegabungen im Land hätten, dann muss ich sagen, dass aus der Förderung der Breite die Spitze kommt.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Oh!)

Das ist nicht nur im Sport so. Jetzt steht in einem ersten Schritt für Sie ein Elitegymnasium für Hochbegabte an, das sehr viel Geld kosten wird. Ich empfehle Ihnen: Verbessern Sie die Breitenförderung bei den Kindern, dann betreiben Sie gleichzeitig die beste Spitzenförderung. Dann bekommen Sie genau diese Spitzenmusiker, die wir alle in Baden-Württemberg haben wollen. Ich fordere Sie hiermit zum Handeln auf.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! „Mehr Musik in Kindergarten und Grundschule“ – unter diesem Titel haben wir einen Berichtsantrag auf den Weg gebracht. Wir freuen uns, dass wir diesen heute vorstellen und darüber diskutieren können.

Meine Ausführungen möchte ich mit dem Bericht über einen Schweizer Modellversuch beginnen. Dort hat man in einer Grundschule den Unterricht in Mathematik und Deutsch um 20 % gekürzt, aber dafür fünf Wochenstunden Musik eingeführt.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Das beantragen Sie jetzt? – Gegenruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP: Sie berichtet!)

Nein, natürlich nicht. Ich berichte zunächst einmal.

Sie können sich vorstellen, dass die Schweizer Eltern am Anfang sehr kritisch waren. Wie soll das mit weniger Mathe und Deutsch und dafür mehr Musik gehen? Aber als sie nach einem Jahr gefragt wurden, ob man das wieder verändern solle, haben alle Eltern gesagt: Nein, wir wollen das beibehalten. Die Kinder sind nicht dümmer geworden. Sie gehen viel

motivierter in die Schule. Sie erwerben soziale Kompetenzen, und sie kommen fröhlich singend nach Hause. Das wünschen wir uns eigentlich für alle Kinder.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Sie können gut rechnen! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Sie können Mathe und Deutsch besser als die Schüler in der Parallelklasse!)

Wir wissen aus der Forschung, dass das Gehirn auf Vernetzung angewiesen ist. Wissen wird nicht nur an einer bestimmten Stelle, sondern in verschiedenen Gehirnregionen abgelegt. Dabei ist ganz wichtig, in welcher emotionalen Verfassung dieses Wissen erworben wird, ob sich die Kinder wohlfühlen oder ob sie angstbesetzt lernen müssen. Musik – auch das wissen wir aus der Gehirnforschung – ist der stärks te neurale Reiz, der überhaupt möglich ist. In der Regel ist dieser Reiz positiv besetzt.