Protocol of the Session on April 22, 2009

Der erste Punkt ist die Partnerschaft in Europa für unser Land. Die Donau ist eine, ist unsere Chance. Die Reise des Europaausschusses im vergangenen Jahr nach Bulgarien und Kroatien war eindrücklich. Wenn der Rhein die Gründungsachse der EU war, dann ist die Donau jetzt der Strom der Chancen unseres Kontinents, insbesondere für uns in Baden-Württemberg. Wir würdigen die Arbeit des Donaubüros ausdrücklich. Das Büro hat es verdient, dass seine Mitfinanzierung von Mitteln der Landesstiftung auf ordentliche Haushaltsmittel umgestellt wird. Entlang der Donau spielt sich Verbindendes ab. Für unser Land ist das die Chance, seine Stärken auszuspielen, nicht bloß das Land der Exporte zu sein, sondern ein Land des Wissenstransfers und des kulturellen Austauschs, nicht nur dort, aber auch dort, wo wir Geschäfte machen.

Zweitens: Bei den Fördermitteln gilt: Innovation vor Kohäsion. Das ist auch eine lange Linie. Mit der Lissabon-Strategie, unseren Kontinent zum führenden Kontinent des Wissens in der Welt zu machen, hat sich die EU darauf verständigt, auf Wissen und Innovation als die Zukunftschance des Kontinents in der Globalisierung zu setzen. Baden-Württemberg kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Jetzt kündigt sich in Brüssel ein neuer Ausschlag des Pendels an: ein Grünbuch zur Kohäsion. Der Hintergrund ist klar: Wer auf Innovation setzt, wird eher Ressourcen bündeln, muss Mittel konzentrieren. Da gibt es, vor allem bei den neuen Beitrittsländern, Befürchtungen.

Klar muss aber sein: Unser Land hat ein herausragendes Interesse, dass die EU ihre Lissabon-Strategie nicht nur fortsetzt, sondern endlich verstärkt. Wir sind in diesem Zusammenhang weiter besorgt, mit welcher Transparenz wir unsere Fördermittel verwenden. Wir meinen auch, dass das Wirtschaftsministerium gegenüber dem Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum einen weiteren Zuwachs an Aktivität bei Fördermitteln haben muss.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Beate Fauser FDP/ DVP)

Wir brauchen auch mehr Transparenz darüber, wo wir Fördermittel möglicherweise nicht abgerufen haben. Darüber werden auch noch Debatten zu führen sein.

Meine Damen und Herren, dieses Land muss ein klares Bekenntnis dazu leisten, dass es das Land der Innovationen in Europa sein will. Ich glaube, dass die Förderanstrengungen des Landes in Brüssel nicht stark genug unterstützt werden können.

Die dritte lange Linie ist das Thema „Subsidiarität und Solidarität“. Kollege Müller hat es angesprochen, und zwar nicht zum ersten Mal. Klar ist: Dieses Land hat eigenständige Rechte und Pflichten, und diese wollen wir im Grundsatz und im Zeichen der Subsidiarität nutzen und aufrechterhalten.

Europa soll sich nicht überall einmischen. Das ist klar. Das ist ein wohlfeiles, ein selbstverständliches Argument. Wir kön

nen uns aber, wenn wir außerhalb des Parlamentssaals sind, in Europa nicht auf Dauer mit einer reinen Abwehrhaltung positionieren und profilieren oder diese provozieren. Das geht nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Thomas Blenke CDU: Das macht auch niemand!)

Richtig verstandene Subsidiarität heißt auch, dass wir das, was wir gut selbst können, etwa z. B. unsere kommunale Selbstverwaltung, durchaus auch anderen anbieten – ohne es ihnen aufzudrängen – und sagen: Hier ist etwas, was wir können und wovon ihr vielleicht auch ein Stück lernen könnt. Richtig verstandene Subsidiarität heißt auch, dass wir von anderswo besser Entwickeltem – ich denke dabei etwa an Regeln gegen Diskriminierung – gern lernen und nicht sagen: Geht uns nichts an, ist hier nicht erfunden. Dafür die Mechanismen der europäischen Politik zu nutzen ist etwas, was uns gut anstehen würde und was nicht mit dem Hinweis auf die Subsidiarität erledigt ist. Wir brauchen eine Balance von Subsidiarität und Einmischung sowie auch Solidarität in Europa. Darauf kommt es an.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte, ohne zur Europawahl Stellung genommen zu haben, im Schlusssatz nur eines sagen, was dann doch ein Stück Europawahl ist: Unserem Land tut es gut, wenn wir sagen: Baden-Württemberg in Europa, stark und sozial.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Abg. Walter das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In Amerika kann man Reisen unter dem Motto „Europe in ten days“ buchen. Im Landtag heißt es: Europa in fünf Minuten.

(Beifall der Abg. Thomas Oelmayer und Brigitte Lösch GRÜNE)

Das zeigt, dass wir offensichtlich immer nur hervorheben, wie wichtig Europa ist, aber dann, wenn es zu einer Debatte über einen Bericht kommt – für den ich mich bei Ihnen, Herr Minister, und allen Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken möchte –, der sehr viele Seiten umfasst, für die Aussprache über diesen Bericht nur fünf Minuten Redezeit haben.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: 15!)

Nein. Es sind noch andere Themen unter diesem Tagesordnungspunkt aufgerufen, zu denen gesprochen werden muss.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das betrifft alles Eu ropa! – Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Es geht jetzt um diesen Bericht. Es geht darum, welche Vision für Europa wir entwickeln wollen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: In dieser Zeit hätte man einiges über Europa sagen können!)

Meine Damen und Herren, bei einer Umfrage vor wenigen Wochen ist ermittelt worden, dass nur 38 % der Menschen in Europa an der Europawahl teilnehmen wollen. Das zeigt: Europa ist in den Herzen und Köpfen der Menschen noch nicht angekommen. Dabei haben die Beschlüsse der EU – darauf wurde schon mehrfach hingewiesen – bis hin zu den Kommunen immensen Einfluss auf unser Zusammenleben.

(Abg. Alfred Winkler SPD: 42 % bei Kommunal- wahlen, das haben wir auch schon immer gehabt!)

Nehmen Sie als aktuelles Beispiel die Daseinsvorsorge, die Feinstaubrichtlinie oder auch den Lärmschutz. Dabei sehe ich die Feinstaubrichtlinie als Beispiel, wie man gute Dinge, die aus Brüssel kommen, so lange verwässert, bis sie bei den Menschen nur noch Aggressionen erzeugen oder von ihnen als etwas hingenommen werden, was letztendlich gar nichts bewirkt. Dann heißt es wieder: „Schaut einmal, was aus Brüssel kommt!“ So darf man mit guten Vorschriften wie der Feinstaubrichtlinie wirklich nicht umgehen.

(Beifall bei den Grünen)

Ein weiteres Problem – sicherlich das größte, das wir derzeit in Europa haben – ist: Der Vertrag von Lissabon ist noch immer nicht unterzeichnet. Dieser Vertrag ist eine wichtige Grundlage, damit es in Europa wieder vorangehen kann, damit es wieder einen Aufbruch geben kann.

(Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Wenn der Vertrag von Lissabon nicht umgesetzt wird, wird Europa in eine massive Krise stürzen.

Ein anderes Problem, weswegen Europa nicht vorankommt, ist, dass es kein Gesicht hat. Das ist aber für die Menschen wichtig. Die EU-Kommissare kennt niemand, die Ratspräsidenten wechseln ständig, und der Kommissionspräsident, der eigentlich die Aufgabe hätte, Europa als Vision darzustellen, wird letztendlich auch nur als jemand wahrgenommen, der sich nur im Klein-Klein verfängt und in den Mühen des Alltags untergeht.

Deswegen, meine Damen und Herren, muss man sich nicht wundern, dass Europa oft nur als bürokratisches Monster und nicht als eine Vision wahrgenommen wird. Die positiven Aspekte wie Friedenssicherung, Wegfall der Grenzkontrollen und eine gemeinsame Währung werden mittlerweile als etwas Selbstverständliches erachtet. Es stellt sich niemand mehr die Frage: Was können wir tun, um diesen Prozess noch weiter zu beschleunigen?

Ebenso trägt es natürlich zum schlechten Image der EU bei, wenn Europa, wie jetzt bei der UN-Menschenrechtskonferenz in Genf, keine einheitliche Meinung vertritt. Wenn die EU in vielen Fragen mit so vielen Zungen spricht, wie sie Mitgliedsländer hat, kann Europa nicht attraktiv werden. So kann man die Menschen nicht für Europa gewinnen.

Ebenso negativ ist es, wenn man, wie die Frau Kanzlerin, einerseits auf den verschiedenen Klimagipfeln als „Klimaheilige“ auftritt, aber dann, wenn es zum Schwur kommt, wenn es darauf ankommt, die Erkenntnisse in aktive Politik umzusetzen, als „Scheinheilige“ durch Brüssel wandert. Dann entsteht doch bei den Menschen letztendlich der Eindruck: Aus

Brüssel kommt wieder etwas, was die Arbeitsplätze gefährdet, was unsere Autoindustrie gefährdet. Dann fällt das Innovative im Klimaschutz – wenn wir mit Amerika mithalten wollen, haben wir gar keine andere Chance, als innovativ zu sein – wieder hinten herunter.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Die CDU blickt über den Tellerrand hinaus!)

So wird Europa bei den Wählerinnen und Wählern nicht beliebter, meine Damen und Herren.

Herr Kollege Müller, wir sind uns einig – auch der Kollege Hofelich hat darauf hingewiesen –: Subsidiarität ist ein wichtiges Thema, insbesondere auch für Baden-Württemberg. Aber nicht jedes Grünbuch, nicht jedes Weißbuch, das aus Brüssel kommt, sollte als Drohung und als Gefahr für die Subsidiarität aufgefasst werden. Sie erwecken damit immer den Eindruck, aus Brüssel komme etwas, was man abwehren muss, da komme wieder etwas Schlimmes auf uns zu.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Hexe!)

Auch das wird Europa den Menschen nicht näherbringen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Sehr gut!)

Ebenso, meine Damen und Herren, ist es eine große Gefahr für Europa, wenn Pseudodemokraten wie Silvio Berlusconi in Europa ein wichtiges Wort mitreden. Es ist etwas anderes, wenn jemand aus einem neuen Mitgliedsland wie Tschechien solche Reden hält, als wenn dies der Ministerpräsident eines Gründungslands der EU tut. Erinnern Sie sich noch, welchen Aufstand es – meiner Ansicht nach zu Recht – in der EU gegen Haider gegeben hat? Aber verglichen mit der Machtfülle eines Berlusconi, hinter dem in vielen Fragen genau dasselbe Gedankengut steht, war Haider wirklich ein kleiner Bursche.

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Deswegen sind wir Demokraten alle aufgefordert, eine Stimme für die Demokratie und eine Stimme für Europa zu erheben, auch gegenüber einem Gründungsmitglied der EU.

Meine Damen und Herren, Europa war einst eine Vision: ein friedvolles Zusammenleben auf einem Kontinent, der sich jahrhundertelang in Kriegen zerstritten hatte. Es sollte ein Sieg sein für die Demokratie und gegen Diktatur und Despoten. Wir haben ein gemeinsames kulturelles Erbe. Auch dieses Thema, meine Damen und Herren, sollten wir wieder mehr in den Mittelpunkt unserer europapolitischen Diskussionen stellen. Denn jenseits aller ökonomischen Vorteile, die hier auch schon genannt wurden, hat Europa nicht nur einen Wert, sondern auch Werte zu verteidigen. Diese Botschaften, meine Damen und Herren, müssen wieder die Leitbilder für unsere europäischen Debatten werden. Dann erreichen wir auch wieder mehr Menschen damit, als wenn wir nur über Bodenschutzrichtlinien und andere Dinge reden.

Ich glaube, wenn uns das gelingt, Kollege Müller, dann werden die Menschen noch in vielen Jahren

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

die Europahymne spielen und singen, in Zeiten, in denen sich schon längst niemand mehr an die Bodenschutzrichtlinie und andere Kleinigkeiten erinnern wird.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Man muss sich auch um solche Kleinigkeiten kümmern!)