Protocol of the Session on December 4, 2008

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Abg. Walter das Wort.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Jetzt kommt der Kul- turexperte! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Jetzt zum Brauchtum! – Zuruf von den Grünen: Jetzt kommt Qualität in die Diskussion! – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP – Unruhe)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich nehme die Vorfreude bei der FDP/DVP ebenfalls mit Vorfreude zur Kenntnis.

Ich beginne mit einem Zitat:

Hat er

der Mensch –

sich erfasst und das Seine ohne … Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint … : Heimat.

Meine Damen und Herren, so hat Ernst Bloch Heimat definiert.

(Oh-Rufe – Beifall des Abg. Franz Untersteller GRÜ- NE – Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Sehr gut!)

Das zeigt, dass dieser Begriff, der in der Zeit des Nationalsozialismus wie viele andere Begriffe in Deutschland missbraucht wurde, mittlerweile in allen Gesellschaftsschichten wieder ernsthaft diskutiert werden kann und auch ernsthaft in den Mund genommen werden kann, ohne dass man gleich der Volkstümelei oder sonst etwas bezichtigt wird.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist gut so!)

Ja, das ist gut so. Die Frage ist nur, Herr Kollege Röhm:

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja! – Heiterkeit)

Gibt die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU irgendeine Antwort auf die drängenden Probleme unserer Gesellschaft, die sich im Zusammenhang mit der Definition von Heimat ergeben? Ich sage: Die Fragen, die die CDU gestellt hat, lassen hierauf erst gar keine Antwort zu. Wenn ich dann die Antwort der Landesregierung lese, muss ich fragen: Wo ist der Erkenntnisgewinn, oder war das nur eine Beschäftigungstherapie? Kollegin Vossschulte hat ja recht: Es war eine Fleißarbeit. Aber auch bei Fleißarbeiten muss man ab und zu die Sinnfrage stellen. Da bekommen wir dann so erwartbare Antworten wie:

Die Blasmusik gehört zu Baden-Württemberg und seinen Menschen.

Großartig!

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja, das stimmt doch!)

Im Landesverband der Fahnenschwinger gab es eine jährliche Steigerung …

Auch das bringt uns weiter.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Zustandsbeschrei- bung!)

Von „Sackpfeifen in Schwaben“ ist auch die Rede.

All das, meine Damen und Herren, gibt uns doch aber keine Antwort darauf, was Menschen in einer globalisierten Welt mit dem Begriff „Heimat“ anfangen sollen. Was bewegt die Menschen? Wie definieren sie ihre Heimat? Was verstehen sie unter Heimat?

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Der Begriff „Hei mat“ ist nicht globalisiert!)

Wie empfinden sie Heimat?

Vor Kurzem fand im Stuttgarter Literaturhaus – da gibt es gerade eine Veranstaltungsreihe zum Thema Heimat – eine sehr interessante Diskussion statt – zumindest laut Zeitungsbericht; ich hatte leider keine Zeit, hinzugehen – zwischen dem Tübinger Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger, der ja in Baden-Württemberg überragende Beiträge zu diesem Thema geleistet hat, und dem ehemaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel. Eine Aussage von Herrn Bausinger war – wir haben diese Woche gehört: fast 30 % der Menschen, die hier leben, haben einen Migrationshintergrund –: Heimat gibt es nicht mehr im Singular, sondern für viele Menschen nur noch im Plural. Auch das von der Kollegin Vossschulte genannte Beispiel der Heimatvertriebenen belegt das. Sie mussten sich ja hier eine neue Heimat aufbauen, eine neue Heimat finden. Auch sie haben mehr als eine Heimat. Deswegen muss man doch auch über das Thema anders sprechen, als nur zu sagen: Hier gibt es verschiedene Bräuche, die wir schon immer gehabt haben.

Auf die Migration wird zwar kurz eingegangen. Ich zitiere:

Respekt vor ausländischem Brauchtum ist ein notwendiger Schritt der Bevölkerungsmehrheit, um den Menschen mit Migrationshintergrund die Integration zu erleichtern.

Aber was geschieht dazu? Wie können wir diese Menschen tatsächlich mehr in die Vereine einbinden? Was tun wir, damit sie nicht eine eigene Gesellschaft nur mit ihren eigenen Vereinen bilden? Das sollen sie auch haben. Aber wie können wir sie in unsere traditionellen Vereine hineinbringen?

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Einbinden!)

Und einbinden. So kann man es natürlich auch sagen.

Frau Vossschulte hat zu Recht darauf hingewiesen: Da wir in einer globalisierten Welt leben, gibt es natürlich nicht nur Spätzle und Linsen, sondern es gibt auch McDonald’s.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das muss nicht sein!)

Das muss nicht sein, aber wir müssen uns damit auseinandersetzen. Mir persönlich ist das Erstere auch lieber.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Die Kartoffel haben wir vor 300 Jahren integriert!)

Es wird leider auch Madonna gehört. Daran kommen wir nicht vorbei.

(Abg. Christa Vossschulte CDU: Nicht nur, sondern auch! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Wieso „lei- der“?)

Ich höre lieber Musik, als dass ich irgendwelchen Leuten zuschaue, die sich während eines Konzerts achtmal umziehen. Das halte ich nicht für einen besonders gelungenen musikalischen Beitrag. Aber das ist ein anderes Thema.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Abg. Ka- trin Altpeter SPD: Manche finden das schön!)

Wir leben in einer amerikanisierten Gesellschaft. Darum kommen wir nicht herum. Auch diese Musik ist ein Stück Heimat für uns geworden. Das ist selbstverständlich. Schalten Sie das Radio ein. Das hat mit dem realen Leben oft mehr zu tun

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

als traditionelle Brauchtumspflege. Dem müssen wir uns einfach stellen, und darauf gibt die Landesregierung in ihrer Antwort leider überhaupt keine Antworten.

Ich möchte noch einen Punkt erwähnen. Es geht um Veränderung. Frau Vossschulte, Sie sind ja selbst Lehrerin. Ich plädiere jetzt nicht dafür, die Heimatkunde im alten Sinne wieder einzuführen. Aber wir haben jetzt einen Begriff wie MeNuK. Was sollen Kinder mit so einem Begriff anfangen? Das klingt ja schon wie „Hartz IV“.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Richtig! – Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Das sind doch keine Begriffe, mit denen Menschen irgendeine Verbindung herstellen können. Das ist ein inhaltsleeres Wort, und deswegen müssen wir schon in unseren Schulen damit anfangen – es gibt ja nicht nur den Erziehungsauftrag der Eltern –, den Kindern etwas zu vermitteln:

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Begriffe, mit denen tatsächlich so etwas wie ein Heimatgefühl entstehen kann.

(Beifall der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

„Heimat“ – da möchte ich ausnahmsweise einmal Erwin Teufel zitieren – „ist ein Ort, wo man keinen Pass braucht“. Ich finde, das ist eine sehr gute Beschreibung, weil es nicht nur darum geht, dass man den Pass, den man aus der Jacke herausholt, nicht braucht, sondern man ist dort orientiert, man fühlt sich zu Hause, man ist in der Umwelt, man ist einfach mit allem vertraut, und deswegen braucht man da keinen Pass.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Heimat ist da, wo man mit offenen Armen erwartet wird!)

Ich glaube, das ist eine wunderschöne Beschreibung dafür.

(Glocke des Präsidenten)