Protocol of the Session on December 3, 2008

Berichterstatterin: Abg. Ursula Lazarus

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abg. Krueger das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen von der SPD, es tut mir ja leid, aber auch bei der Zweiten Beratung muss ich feststellen: Der Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, ist in Wirklichkeit ein Kostenverlagerungsgesetz und taugt für rein gar nichts.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Andrea, bleib hart!)

Es ist kein wirksames Gesetz, um einkommensschwachen Familien zu helfen. Der Kollege Hoffmann hat es ja in den Beratungen im Schulausschuss schon mehr als deutlich gemacht: In Baden-Württemberg hängt der Besuch eines Kindergartens in keinem einzigen Fall, bei keiner einzigen Familie, vom Einkommen ab. Bei uns muss kein Kind auf den Kindergartenbesuch verzichten. Vielleicht haben Sie inzwischen ja auch seinen Ratschlag angenommen und einmal im SGB VIII die §§ 90 ff. nachgelesen. Herr Mentrup weiß natürlich, dass das dort drinsteht. Er hat es bei der ersten Lesung ja selbst zitiert.

Der Gesetzentwurf ist aber auch deshalb nicht geeignet, weil es dabei nicht um ein Gesetz geht, das – so, wie Sie es behaupten – die Voraussetzungen dafür schaffen könnte, dass alle Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen. Dieses Ziel –

ich habe das auch schon bei der ersten Lesung so angedeutet – wäre nur mit der Einführung einer Kindergartenpflicht zu erreichen. Meine Damen und Herren, dazu will ich Ihnen sagen: Die CDU hat dies bereits im November 2007 auf ihrem Landesparteitag diskutiert und dabei ein verpflichtendes Kindergartenjahr zur Vorbereitung auf die Schule als Chance für den Einstieg in die Beitragsfreiheit des ganzen Kindergartens verbunden mit dem Pflichtbesuch dieser Bildungseinrichtung gesehen. Wir behalten diesen Parteitagsbeschluss natürlich für die nächste Legislaturperiode

(Abg. Claus Schmiedel SPD: In Erinnerung!)

auch im Blick.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist doch lächer- lich!)

Ein solcher Schritt will natürlich schon sorgsam überlegt und wohl abgewogen werden. Denn immerhin würde der Staat an dieser Stelle in verbriefte Elternrechte eingreifen. Möglicherweise wäre erst eine Änderung der Landesverfassung notwendig – eine Bestimmung analog zu Artikel 14 der Landesverfassung, der die Schulpflicht regelt –, die dann eine verfassungsrechtliche Ermächtigung für eine gesetzliche Kindergartenpflicht bieten würde und die dann wiederum Grundlage für eine Regelung der Kostenverteilung zwischen Land und Kommunen sein könnte. Darüber und über die Konsequenzen einer Kindergartenpflicht nachzudenken war Ihnen offenbar etwas zu mühsam. Das kann man verstehen, das ist nicht ganz einfach.

Unabhängig von solchen Überlegungen sollte man den ersten Schritt immer vor dem zweiten Schritt tun. Insoweit will ich mich auch ausdrücklich für den Debattenbeitrag der Kollegin Lösch aus der ersten Lesung bedanken.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Ui! – Abg. Dieter Hil- lebrand und Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Hoi, hoi!)

Ja, was wahr ist, muss wahr bleiben. – Sie hat darauf hingewiesen:

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Als Großstädterin! Als Stuttgarterin!)

Verantwortliche Politik – das ist CDU-Politik – muss Prioritäten setzen. Denn weit vor der Diskussion um Beitragsfreiheit oder Kindergartenpflicht geht es um die Qualität des Kindergartens als Bildungseinrichtung. Da waren wir uns auch sehr einig.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Da sind wir uns im- mer noch einig!)

So ist es. – Deshalb steht für uns die frühkindliche Förderung im Kindergarten, die jedes Kind bestmöglich fördert und auf den Schulanfang vorbereitet, im Mittelpunkt.

(Zuruf des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Wir wollen, dass auch Kinder aus sozial schwachen und bildungsfernen Elternhäusern gute Startchancen für ihr Leben und ihre Bildungskarrieren haben. Deshalb führen wir den

Orientierungsplan für den Kindergarten ab 2009/2010 für alle Kinder verpflichtend ein. Deshalb verfolgen wir neue Ansätze wie die Bildungshäuser. Deshalb wird ab dem Jahr 2013 mit dem flächendeckenden Programm „Schulreifes Kind“ jedes Kind im Land optimal für den Einstieg in die Grundschule vorbereitet. Deshalb gibt es auch die neue Einschulungsuntersuchung mit der Sprachstandsdiagnose und die flächendeckende Sprachförderung. Fazit: Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf nach wie vor ab.

(Beifall bei der CDU – Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Das ist aber gut!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Mentrup das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wohl selten hat ein Gesetzentwurf der SPD von allen anderen Richtungen so viel Zustimmung erfahren. Mit Tränen in den Augen und mitleidig wird zwar dargestellt,

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Oh!)

dass das Ganze gar nicht sinnvoll sei. Dann wird aber angekündigt, dass das dann für die nächste Legislaturperiode auf der Agenda stehe.

(Abg. Andrea Krueger CDU: Im Blick behalten!)

Von anderen Seiten wurde ebenso deutlich gesagt: Jawohl, das ist eine richtige Maßnahme, um die wir nicht herumkommen! Der Zeitpunkt sei aber der falsche. Ich fordere Sie gerade im Moment und in der aktuellen Situation auf – wir haben weinende Bankdirektoren,

(Heiterkeit der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

wir haben weinende Autobauer, wir haben weinende Milliardäre und Pharmafirmenbesitzer –: Lassen Sie uns doch hier antizyklisch nicht weinen, sondern sagen: Wir bringen den Mut auf und gehen dieses Thema schon jetzt an.

(Beifall bei der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Die weinen lieber mit Merkel! – Abg. Dieter Klein- mann FDP/DVP: Eine neue Botschaft!)

Hören Sie doch auf, dieses wichtige Thema der frühkindlichen Förderung darin gipfeln zu lassen, dass wir hier die Dinge gegeneinander ausspielen. Jawohl, wir brauchen mehr Quantität und mehr Qualität! Jawohl, wir brauchen eine bessere Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher, und wir brauchen mehr und andere Erzieherinnen und Erzieher!

(Abg. Andrea Krueger CDU: Das machen wir ja auch!)

Jawohl, wir brauchen aber auch irgendwann eine Art Verpflichtung für den Kindergartenbesuch! Dann muss dieser auch beitragsfrei sein. Jetzt immer nur zu sagen: „Wir geben ab dem nächsten Jahr schon so viel Geld für mehr Qualität aus,“ – Frau Krueger, ich bin gespannt, wo wir das im Haushalt wiederfinden –

(Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

„wir machen schon so viel für die Erzieherinnen und Erzieher, aber jetzt reicht das Geld leider nicht mehr, um auch noch in die Beitragsfreiheit zu gehen“, empfinde ich als schade. Denn wir sollten die drei Themen, von denen wir sagen, sie seien uns alle wichtig, auch gleichzeitig angehen und hier eine klare Perspektive eröffnen.

(Beifall bei der SPD)

Worum geht es denn? Es kann doch nicht sein, dass wir nur sagen, der Kindergartenbesuch sei für die Bildungsbiografie der Kinder aus familienpolitischen, aus gesellschaftspolitischen Gründen sehr wichtig. Es gibt Städte in unserem Land, die den Kindergartenbesuch beitragsfrei gestellt haben. Es gibt Städte, die den Kindergartenbesuch für 500 € pro Jahr für zwei Kinder anbieten, und es gibt Städte, die das für 1 900 € für zwei Kinder der jeweils gleichen Familie machen. Das ist sozial ungerecht. Wenn wir sagen, dass wir hier eine landespolitische Verantwortung haben, weil wir auch einen gesellschaftspolitischen Auftrag haben und den Kindergarten als Bildungsort brauchen, müssen wir uns auch um diese sehr ungleichen Lebensbedingungen der Familien kümmern und hier eine Lösung finden.

(Beifall bei der SPD)

Es ist natürlich richtig, dass im dritten Kindergartenjahr schon fast 100 % der Kinder den Kindergarten besuchen.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Genau so ist es!)

Aber wir wollen das auch im zweiten Kindergartenjahr und im ersten Kindergartenjahr. Deswegen steigen wir nicht nur in die Diskussion ein: „Im dritten Kindergartenjahr muss etwas passieren.“

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das ist doch das fal sche Jahr!)

Wenn Sie den Gesetzentwurf richtig gelesen hätten, hätten Sie festgestellt: Wir steigen im dritten Kindergartenjahr ein. Fachlich hätte ich mir das erste vorstellen können, Frau Lösch; keine Frage. Aber es gibt ein paar Gründe dafür – diese darzustellen, reicht mir die Zeit nicht –, dass wir das jetzt so machen. Aber es ist eine ganz klare Perspektive da. Im Jahr 2011 haben wir dann alle beitragsfrei gestellt. Dann wird sich, was den Kindergartenbesuch betrifft, auch die Quote derer, die im ersten und im zweiten Kindergartenjahr den Kindergarten besuchen – im Moment bleiben viele noch zu Hause –, deutlich steigern. Davon bin ich überzeugt. Das ist etwas, was uns niemand hier als Zielvorgabe absprechen kann.

Es geht aber nicht nur um diesen sozialpolitischen Aspekt, sondern es geht vor allem auch um einen Bildungsaspekt. Wenn wir sagen: „Der Bildungsplan in der Kindertagesstätte muss jedes Kind erreichen, weil das ein Teil der Umsetzung des Bildungsauftrags des Landes ist“, dann muss man auch den Bildungsort Kindertagesstätte für jedes Kind gleichermaßen und ohne Eintrittsgeld öffnen, genauso wie man das bei den Schulen auch tut. Dann ist es die logische Konsequenz aus dieser Anerkennung, dass man auch den Kindergarten über kurz oder lang beitragsfrei stellt. Andere Länder, die auch dieselben Fragen nach der Verpflichtung usw. beantworten müssen und beantwortet haben, machen uns das vor.

Daher sind auch alle Bedenken von Ihnen, Frau Krueger, etwas, was wir diskutieren und fachlich lösen müssen, aber es sind keine Bedenken, die ernsthaft gegen die sofortige Einführung einer solchen Beitragsfreiheit sprechen können.

(Beifall bei der SPD)

Als Letztes: Ich habe heute in der Zeitung gelesen, meine Damen und Herren, dass die CDU über ein Konjunkturprogramm diskutiert. Da stehen auch schon Summen im Raum. Also gibt es offensichtlich doch Geld in unserem Landeshaushalt, das man dorthin steuern kann und steuern soll, um jetzt antizyklisch die Gesellschaft wieder etwas besser aufzustellen, wenn es um Binnennachfrage geht, wenn es um Familien geht, wenn es um die einheimische Wirtschaft und andere Punkte der Standortpolitik geht.

Da bietet sich doch auch eine Kindergartenbeitragsfreiheit als ein gutes finanzpolitisches Mittel an, um Familien zu entlas ten. Denn wir wissen aus sämtlichen Untersuchungen bei Familien, dass es direkt in den Konsum mündet, wenn dort zusätzliches Geld vorhanden ist.