Protocol of the Session on November 6, 2008

Damit ist Tagesordnungspunkt 2 erledigt.

(Unruhe)

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

a) Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion GRÜ

NE – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Württemberg – Drucksache 14/2743

b) Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der

SPD – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Württemberg – Drucksache 14/3179

c) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des

Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Individuelle Förderung im schulischen Bereich – Drucksache 14/2269

d) Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion GRÜ

NE und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Genehmigung von kommunalen Schulentwicklungskonzepten – Drucksache 14/2508

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Gesetzentwurfs unter Buchstabe a fünf Minuten, für die Begründung der Initiativen unter den Buchstaben b bis d fünf Minuten und für die Aussprache über alle Punkte fünf Minuten je Fraktion.

Ich darf für die Fraktion GRÜNE Frau Kollegin Rastätter das Wort erteilen.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grünen bringen heute diesen Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes in den Landtag ein, weil wir der festen Überzeugung sind, dass Qualitätsfragen in unserem Schulsystem und Strukturfragen nicht mehr länger voneinander getrennt werden können. In unserem Schulgesetzentwurf geht es nicht um die von Ihnen immer als Kampfbegriff gebrauchte Einführung einer Einheitsschule oder um eine Strukturveränderung im Schulsystem von oben, sondern es geht im Kern um eine strukturelle Öffnung des

Schulsystems von unten, damit schulische Qualität in BadenWürttemberg und bessere Leistungen aller Schüler und Schülerinnen erreicht werden können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen im Schulgesetz die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler als Grundprinzip festschreiben – anstelle der bisherigen Orientierung an drei Begabungstypen. Wissenschaftlich ist längst erwiesen, dass es keine drei Begabungstypen gibt; aus diesem überkommenen Begabungsbegriff werden aber die drei Schularten in Baden-Württemberg abgeleitet.

Weiterhin wollen wir im Schulgesetz als neuen Schultyp die Basisschule festschreiben. Die Basisschule ist eine neun- bis zehnjährige gemeinsame Schule für alle Schülerinnen und Schüler mit einer differenzierten und individuellen Förderung, orientiert an den Bildungsstandards des baden-württembergischen Bildungssystems.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Basisschule orientiert sich am finnischen Vorbild der Basisschule. Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass ausgerechnet heute eine finnische Delegation hier im Landtag auf der Zuhörertribüne anwesend ist. Ich selbst habe mit dem Schulausschuss finnische Schulen in Oulu besucht. Ich glaube, wir haben von dort sehr viel gelernt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Jede Schule in Baden-Württemberg soll sich zu einer Basisschule weiterentwickeln dürfen, also auch das Gymnasium. Auch dafür gibt es in Deutschland ein Vorbild: In Hessen, in Wiesbaden hat sich die Helene-Lange-Schule bereits 1988 von einem Gymnasium in eine Gesamtschule mit differenzierter Förderung im Binnensystem weiterentwickelt.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das ändern sie jetzt hoffentlich wieder! – Gegenruf der Abg. Christine Rudolf SPD: Oje, oje!)

Diese Schule hat bei PISA sehr gute Ergebnisse erreicht.

Zentral in unserem Schulgesetzentwurf ist allerdings auch, dass wir die kommunale Schulträgerschaft stärken wollen. Die Kommunen übernehmen immer mehr Verantwortung für ihre regionalen Bildungslandschaften. Die Kommunen sind immer mehr daran interessiert, attraktive Schulstandorte zu schaffen und gute Bildungsangebote für ihre Schülerinnen und Schüler zu bekommen. Es liegen ja bereits – so hat uns das Kultusministerium geantwortet – 60 Anträge bzw. Interessensbekundungen von Schulträgern vor, die in ihren Kreisen integrative Schulen einrichten wollen.

Die Bewegung kommt also von unten und ist keinesfalls, wie Sie uns das vorwerfen, von oben gesteuert. An der Basis entsteht der Druck, zu neuen, attraktiven Schulmodellen zu kommen und von einem frühen Sortieren der Schülerinnen und Schüler nach nur vier gemeinsamen Schuljahren wegzukommen.

(Beifall bei den Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen natürlich einen Innovationspool, damit ein Anreiz geschaffen wird, solche neuen, innovativen Schulen zu entwickeln.

Wir brauchen vor allem auch Fortbildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer zur individuellen Förderung. Bis heute gibt es trotz all Ihrer Fortbildungsoffensiven noch keine Fortbildungsoffensive für Lehrerinnen und Lehrer für die individuelle Förderung.

(Zuruf von der CDU)

Wenn das Prinzip der Schule „Individuelle Förderung“ heißt, dann brauchen die Lehrerinnen und Lehrer vor allem in diesem Bereich qualifizierte und vielfältige Fortbildungsangebote.

(Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Christine Ru- dolf und Norbert Zeller SPD)

Auch solche Fortbildungsangebote sowie den Innovationspool wollen wir im Schulgesetz festschreiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben doch seit vielen Jahren, dass alle Ihre Versuche, durch Stärkungsprogram me, durch Bildungsoffensiven oder durch Qualitätsoffensiven die wachsenden Probleme der Krise unseres Bildungssystems zu lösen, lediglich Strohfeuer auslösen. Damit wird angesichts des Drucks kurzfristig Dampf abgelassen, die Krise des Schulsystems aber nicht wirklich behoben.

Ich möchte das sogenannte Stärkungsprogramm für die Hauptschule aus dem letzten Jahr nennen. Es hat bei den Schülern die Abstimmung mit den Füßen nicht verhindert, aber einen Protest von hundert Schulleitern im Oberschwäbischen provoziert, was eine gewaltige Solidaritätswelle ausgelöst hat.

Ich erwähne ferner die Qualitätsoffensive Gymnasium des Ministerpräsidenten. Diese Qualitätsoffensive hat überhaupt nicht zu einer Entlastung an den Schulen geführt.

Schließlich nenne ich Ihre groß angelegte, mit einer halben Milliarde Euro ausgestattete Bildungsoffensive vom Sommer dieses Jahres. Auch diese Bildungsoffensive, die als Befreiungsschlag für alle Probleme des Bildungswesens angelegt war, auch diese großartige Bildungsoffensive, in der mit Sicherheit auch viele richtige Ansätze enthalten sind, die ich jetzt im Einzelnen gar nicht benennen möchte, hat keine durchschlagende Wirkung erzielt.

Ich möchte nur erwähnen, dass Kultusminister Rau, als er in der Pressekonferenz gefragt wurde, ob die Eltern denn jetzt zufrieden sein könnten, fast resignierend gesagt hat, jetzt müssten sie doch eigentlich zufrieden sein. Es klang so, als würde er schon selbst nicht mehr richtig an den Erfolg dieser groß angelegten Bildungsoffensive glauben.

(Beifall der Abg. Ilka Neuenhaus und Siegfried Leh- mann GRÜNE)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit steht doch fest – und es müsste doch auch Ihnen wirklich allmählich dämmern –: Ein ständiges Kurieren an den Symptomen der Krise eines nicht mehr zukunftstauglichen Schulsystems aus der Ständegesellschaft des 19. Jahrhunderts bringt uns nicht mehr weiter.

Zweifelsohne brauchen wir hohe Investitionen ins Bildungssystem, aber diese Bildungsinvestitionen, die Sie jetzt tätigen, werden die erwünschte Wirkung nicht erzielen, wenn Sie nicht auch an die Wurzeln der Probleme gehen. Die Ursache der Krise unseres Bildungssystems ist die frühe Sortierung der Schülerinnen und Schüler nach nur vier gemeinsamen Grundschuljahren nach sozialer Herkunft. Daraus entsteht der Druck, die Angst und der Stress für alle Beteiligten, und wenn es uns nicht gelingt, diesen Druck, diese Angst und diesen Stress aus dem System herauszubringen, werden auch große Investitionen nicht diese durchschlagende Wirkung haben, die sie bei einem sozial gerechten, integrativen und individuell fördern den Schulsystem haben könnten.

(Beifall bei den Grünen)

Nun sagen Sie, Herr Kultusminister Rau, wir aber setzten doch an der richtigen Stelle an, wir investierten in die frühe Bildung in den Kindergärten und in die Sprachförderung, wir ermöglichten längeres gemeinsames Lernen und verzahnten den Kindergarten mit der Grundschule. Ganz davon abgesehen, dass Sie nicht die notwendigen Mittel für die Sprachförderung einstellen – darüber hatten wir gestern eine Debatte –, haben wir doch schon dieses längere gemeinsame Lernen. Der Kindergarten ist eine Einrichtung für alle Kinder und funktioniert hervorragend, einschließlich der Integration behinderter Kinder. Die Grundschule ist eine Schule für alle Kinder und funktioniert hervorragend. IGLU hat uns wunderbare Ergebnisse beschert.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum soll, was im Kindergarten und in der Grundschule wunderbar funktioniert, nämlich die integrative differenzierte gemeinsame Förderung aller Kinder, bei den Zehnjährigen plötzlich nicht mehr funktionieren? Was da funktioniert, wird auch dann funktionieren, wenn wir in den weiterführenden Schulen die Kinder nicht mehr nach sozialer Herkunft trennen, sondern mit differenzierter Förderung länger miteinander und voneinander lernen lassen.

(Beifall bei den Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kultusminister Rau sagt auch: Das Problem wird doch in den beruflichen Schulen gelöst; mittlerweile haben wir 50 % der Schülerinnen und Schüler, die die Hochschulreife erwerben, und davon kommt die Hälfte der Schüler – entweder mit Abitur oder mit Fachhochschulreife – aus den beruflichen Schulen. Wenn das aber so ist, wenn diese Schüler sowieso in der Lage sind, diese Abschlüsse zu erreichen, wenn auch die erforderlichen Begabungen vorhanden sind, warum muss man diese Kinder dann vorher trennen? Dann spricht doch geradezu erst recht nichts mehr dafür, die Kinder nach sozialer Herkunft in unterschiedliche Bildungsgänge einzuteilen: die Migranten in eine Schublade, die Schüler aus dem aufsteigenden Bürgertum in eine Schublade

(Zuruf des Abg. Winfried Scheuermann CDU)

und die Schüler aus Akademikerelternhäusern ins Gymnasium. Wenn das also ohnehin dazu führt, dass sie die Hochschulreife erwerben können, ist diese Trennung widersinnig, und deshalb macht es Sinn, die Kinder länger gemeinsam lernen zu lassen.

(Beifall bei den Grünen)

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Ich komme zum Schluss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir glauben an die Lernfähigkeit aller Menschen,