Protocol of the Session on November 5, 2008

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Abg. Sckerl das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dass der Gesetzentwurf der Landesregierung relativ unspektakulär ist, zeigt sich an der Tatsache, dass wir über Stimmzettel als Schwerpunkt diskutieren.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Ich will deswegen vorweg sagen: Der Gesetzentwurf ist ein Gesetzentwurf aus der kommunalen Praxis. Er geht im Wesentlichen auf Vorschläge aus der Anhörung der kommunalen Landesverbände zurück. Das respektieren wir. Die kommunale Praxis auf der Grundlage der Erfahrungen von Kommunalverwaltung ist an diesem Punkt eigentlich unwiderlegbar und unschlagbar. Deswegen haben wir keine Probleme, Herr Innenminister, diesem Gesetzentwurf wie auch schon im Innenausschuss zuzustimmen.

Dennoch gibt es natürlich einige Punkte, über die man in die Zukunft gerichtet diskutieren kann. Ich will das ganz kurz ansprechen. Ein Punkt, der noch nicht erwähnt wurde, der für uns jedoch die wichtigste Neuerung in diesem Gesetz darstellt, ist die Änderung bei der Briefwahl. Wir glauben, dass das veränderte Verhalten der Wählerinnen und Wähler es erfordert, eine niedrigschwellige Briefwahlmöglichkeit zu schaffen, und wir begrüßen außerordentlich, dass mit diesem Gesetzentwurf eine Angleichung an das Parlamentsrecht und an veränderte Lebens- und Wahlgewohnheiten der Bevölkerung stattfindet.

Das ist auch dringend notwendig, wenn wir auf den Wahltermin im Juni des Jahres 2009 schauen. Machen wir uns nichts vor: Alle Parteien und Wählervereinigungen, die dann Wahlkampf für Europa oder für die Kommune machen werden, haben sich dem Problem der Pfingstferien zu stellen. Dabei wird der Briefwahl sicherlich von signifikant größeren Teilen der Bevölkerung der Vorzug gegeben werden als bei anderen Wahlen, weil zu diesem Zeitpunkt sicherlich viele Bürgerinnen und Bürger mit schulpflichtigen Kindern im Urlaub sind und erst am Wahlsonntag zurückkommen. Deswegen ist

es unbedingt notwendig und richtig, dass die Briefwahl nicht weiterhin mit hohen bürokratischen Hürden verbunden ist, sondern auf einfache Anforderung hin möglich ist. Das begrüßen wir, wie gesagt, außerordentlich. Uns wäre es am liebsten, die Briefwahl wäre alternativ obligatorisch möglich. Wir wissen aber und respektieren dies, dass es hierfür zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder im rechtlichen noch im technisch-organisatorischen Bereich eine saubere und einwandfreie Lösung gibt.

Den anderen Änderungsvorschlägen bezüglich der Stimmzettelumschläge etc. stimmen wir zu.

Was Sie, Herr Kollege Heiler, über den Einheitsstimmzettel sagen, geht schon in die richtige Richtung. Es gibt allerdings noch ein paar Probleme. Wir sollten aber weiterhin „hir nen“,

(Abg. Walter Heiler SPD: Wir haben ja schon „ge- hirnt“! Jetzt müssen andere „hirnen“! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Wenn andere anfangen, sind wir da- mit schon fertig!)

um spätestens bei der nächsten Kommunalwahl dem Einheitsstimmzettel ein großes Stück näher zu kommen.

Zum Schluss ganz kurz noch zu weiteren Änderungsvorschlägen der kommunalen Landesverbände. Hierzu ist das Wesentliche bereits gesagt. Ich widerspreche Ihnen an einem Punkt, Herr Kollege Heiler, und bitte hierfür um Verständnis: Sofortvollzug bei der Legitimation von Bürgermeisterwahlen. Für uns ist es enorm wichtig, dass die Bürgermeisterwahl eine Volkswahl ist.

(Abg. Walter Heiler SPD: Ja!)

Nur wenn diese Volkswahl rechtsgültig ist, kann nach unserer Auffassung der Bürgermeister im Gemeinderat auch Stimmrecht haben. Bis dahin ist er Amtsverweser; er ist voll geschäftsfähig, aber auf das Stimmrecht im Gemeinderat muss er verzichten, weil die entscheidende Legitimation, nämlich die Rechtsgültigkeit, tatsächlich fehlt.

(Abg. Walter Heiler SPD: Aber wir haben gesagt: bei offensichtlich unbegründeten Einsprüchen!)

Über die offensichtliche Unbegründetheit eines Einspruchs entscheidet nicht der Gemeinderat, sondern die Aufsichtsbehörde.

(Abg. Werner Raab CDU: Das ist Praxis! 99 %!)

Das entzieht sich unserer Zuständigkeit.

Zur Doppelkandidatur bei Kreistagswahlen ist das Wesentliche gesagt. Wir Grünen haben das nicht nötig, auch wenn 13 % vielleicht nicht viel sind. Aber wir sind eine Partei, die großen Wert auf Minderheitenschutz und die Förderung von Minderheiten legt, auch wenn wir uns die Minderheiten nicht immer aussuchen können, beispielsweise, wenn sie aus der rechten oder auch aus der sogenannten bibeltreuen Ecke oder woher auch immer kommen.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Aber das hat einen gewissen Charme, um auch Minderheiten in der kommunalpolitischen Landschaft eine Kandidatur zu

ermöglichen. Wir schauen uns das noch einmal an, werten das gründlich und ernsthaft aus und entscheiden dann endgültig.

Wir hoffen, Herr Innenminister – dies zum Schluss –, dass es keine zu langen Interimsregentschaften von Gemeinderäten aufgrund von Einsprüchen geben wird, sondern dass das Prozedere so, wie Sie es geschildert haben, relativ problemlos auch dann vonstatten geht, wenn es zu einer kurzfristigen Interimszeit durch Einsprüche gegen die Kommunalwahl kommen sollte. Ansonsten würden wir für die nächste Wahl Änderungsbedarf sehen.

So weit von uns. Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen)

Für die FDP/DVPFraktion erteile ich Herrn Abg. Kluck das Wort.

(Abg. Walter Heiler SPD zu Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Da können Sie ruhig ein bisschen freundlicher dreinschauen! – Gegenruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das kommt gleich! – Abg. Ute Vogt SPD: Reden Sie allein? Oder kommen wieder zwei oder drei von Ihnen dran?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das meiste ist ja schon gesagt worden. Ich will es wiederholen: Es ist richtig, dass man jetzt einen Wahlschein beantragen kann, ohne die Hinderungsgründe genau angeben zu müssen. Denn das verführt die Leute häufig zum Lügen; sie müssen dann immer irgendwelche Gründe erfinden. Wir halten es gerade bei diesen Wahlterminen für richtig, dass man die Briefwahl zulässt und dass diese Briefwahl möglich ist, ohne dass der Wähler irgendetwas erfinden muss.

Ich will einige Sätze zu den Vorschlägen der kommunalen Landesverbände sagen: Was die Doppelkandidatur zum Kreistag betrifft, so halten wir an unserer Auffassung fest. Bevor es diese gab, waren die Großen bevorzugt; jetzt können die Kleinen ein bisschen aufrücken.

(Abg. Ute Vogt SPD: Wenn sie genug Kandidaten ha- ben!)

Die Tatsache, dass jetzt vielleicht die Linkspartei bei der nächs ten Wahl davon profitieren könnte, ist uns ziemlich wurscht. Denn wir können das Wahlrecht nicht nach Opportunitätsgründen jeweils ändern. Herr Kollege Herrmann, wenn wir uns einmal darüber verständigen, dass wir ein richtiges Auszählverfahren, wie wir es schon bei Bund und Land haben, auch bei der Kommunalwahl einführen,

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth und Dietmar Bachmann FDP/DVP)

dann können wir auf diese Doppelkandidatur auch verzichten. Dazu war die CDU leider nicht bereit. Deswegen halten wir daran fest, dass das so bleibt.

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth und Dietmar Bachmann FDP/DVP)

Bürgermeisterneuwahl: Den Vorschlag, dass keine reinen Neuwahlbewerbungen möglich sein sollen – diese Anregung kam

von den kommunalen Landesverbänden; ich glaube, es war der Städtetag –, halten wir nicht für richtig. Das soll so bleiben, wie es ist. Das ist ein hohes Gut und eine langjährige Tradition in Baden-Württemberg. Auch zur Neuwahl müssen neue Kandidaturen möglich sein.

Gar nichts halten wir von dem Vorschlag der Jungen Union, schon beim ersten Urnengang auf die absolute Mehrheit der Stimmen zu verzichten. Das rüttelt nach liberaler Auffassung fast wie das Mehrheitswahlrecht an den Grundfesten unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung. Ich würde doch einmal darum bitten, dass Frau Bube sich diese Buben von der Jungen Union einmal vorknöpft, um denen das klarzumachen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP – Unruhe)

Was die Regelung betrifft, dass eine zum Bürgermeister gewählte und aufgrund einer Wahlanfechtung vom Gemeinderat vorerst als Amtsverweser eingesetzte Person so lange kein Stimmrecht hat, bis über den Einspruch entschieden ist, teile ich die Auffassung des Kollegen Sckerl. Das ist richtig so, denn der Unterschied ist: Das Stimmrecht hat mit der Volkswahl zu tun. Als Amtsverweser wird diese Person aber vom Gemeinderat eingesetzt. Der Gemeinderat muss ihn nicht einsetzen; er kann ihn einsetzen. Deswegen muss er halt so lange, bis entschieden ist, ohne Stimmrecht auskommen. Das ist doch nicht so schlimm.

(Abg. Walter Heiler SPD: Nein? Das ist überhaupt nicht schlimm, wenn der Bürgermeister nicht abstim- men darf?)

In anderen Bundesländern hat der Bürgermeister überhaupt kein Stimmrecht. Das macht also nichts aus. Er soll das jetzt einmal so lange ertragen.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Was ist denn das für eine Auffassung? Die haben eine völlig andere Kommu- nalverfassung!)

Herr Kollege Gall, noch einmal: Der Gemeinderat ist frei in seiner Entscheidung, einen gewählten, aber noch Einsprüche abwarten müssenden Bürgermeister zum Amtsverweser zu bestellen. Das heißt, dieser wird nicht durch die Volkswahl Amtsverweser, sondern er wird nur durch den Beschluss des Gemeinderats, durch die Wahl des Gemeinderats zum Amtsverweser. Also steht ihm kein Stimmrecht zu, weil das Stimmrecht nur durch die Volkswahl begründet ist. Daran wollen wir festhalten.

Wir können uns noch weitere Änderungen im Kommunalwahlrecht vorstellen. Das mit dem Stimmzettel wollen wir nun nicht aufgreifen. Lassen wir das jetzt einmal so; denn wenn wir jetzt eine Änderung einführen und wieder alles anders machen, dann haben wir noch mehr ungültige Stimmen in Mannheim. Bei uns in Reutlingen hält sich das in Grenzen. Man muss da auch ein bisschen Aufklärung betreiben, wie man das zu machen hat. Dann funktioniert das.

Aber wir könnten uns weitere Änderungen vorstellen, beispielsweise die Direktwahl der Landräte

(Lebhafter Beifall bei der SPD – Pfiffe und Zurufe von der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Wann ma- chen wir das? Gemeinsam mit dem Gesetzentwurf! – Unruhe)

oder den Wegfall der Altersgrenze für Bürgermeister und Oberbürgermeister. Aber das alles kann man jetzt nicht bis zur nächsten Kommunalwahl machen, weil die Zeit dazu nicht reicht, meine Damen und Herren. Das ist jetzt nicht zu schaffen. Das alles muss ja rechtzeitig in Kraft treten, damit Kreise und Kommunen sich darauf einstellen können.

Durch die jetzt hier zu beschließenden Änderungen – das wird ja jetzt glücklicherweise ohne Gegenstimmen durchgehen – wird die Ermittlung der Ergebnisse einfacher. Wir haben Erleichterungen bei der Briefwahl, und das wird vielleicht auch zu einer Erhöhung der Wahlbeteiligung führen. Das halten wir für sehr wichtig und für richtig. Denn für uns ist die Gemeinde die Grundlage des demokratischen Aufbaus in unserem Staat. Deswegen wäre es gut, wenn dort mehr Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen würden.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Innenminister Rech das Wort.