Protocol of the Session on June 28, 2006

Sie haben noch einmal auf die mittelfristige Finanzplanung verwiesen. Herr Ministerpräsident, das hätten Sie besser unterlassen. Das, was Sie in der mittelfristigen Finanzplanung dargelegt haben, ist nichts anderes als ein billiger Trick. Da sollten Sie, Herr Finanzminister, zuhören. Sie sind ja schließlich dafür verantwortlich.

In der mittelfristigen Finanzplanung wird die Nettoneuverschuldung bis 2011 heruntergeführt – mit einem ganz einfa

chen Trick: Es wird mit einer Deckungslücke gegengerechnet. In dem Maße, in dem die Neuverschuldung heruntergeht, steigt die Deckungslücke.

(Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Das ist doch reine Rhetorik. Aber dazu, wie Sie die Deckungslücke schließen, haben Sie wieder kein Wort gesagt.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Der Hinweis auf den Einsatz der 600 Millionen €, die Sie aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer erwarten, war alles, was kam, Herr Ministerpräsident. Es kamen noch nicht einmal 100 000 € hinzu, als Sie bei Ihrem Konter sagten: Damit decken wir jetzt die Haushaltslücken.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Wir haben heute noch keine Haushalts- beratungen!)

Das, was schließlich folgte – die ganzen Bögen, die zu allen Bereichen der Politik geschlagen wurden –, macht ohne Anbindung an die Haushaltspolitik überhaupt keinen Sinn. Deswegen behaupte ich, dass Sie bei Ihrem Konter weit am Tor vorbeigeschossen haben. Wir haben überhaupt keine Ansage bekommen, in welche Richtung das Ganze gehen soll – keine einzige Ansage, auch nicht bei Ihrer Erwiderung.

Jetzt greife ich noch einmal das Thema „Messe und Flughäfen“ auf. Das ist genau der Punkt. Die Frage bei der Messe und den Flughäfen ist doch: Gehören die entsprechenden Maßnahmen zu den Kernaufgaben des Landes Baden-Württemberg,

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: So ist es!)

oder gibt es höhere Prioritäten gegenüber diesen Maßnahmen?

(Zuruf des Abg. Stefan Mappus CDU)

Auch eine zweite Start- und Landebahn macht – das wissen wir heute – ökonomisch überhaupt keinen Sinn, es sei denn, man will noch einmal 30 % mehr Billigflieger auf den Landesflughafen bringen. Das ist überhaupt der einzige Hintergrund für die zweite Start- und Landebahn.

(Zuruf von den Grünen: Sehr richtig!)

Bei Söllingen haben wir genau dasselbe. Sind diese Maßnahmen also Kernaufgaben des Staates, oder haben wir nicht wichtigere Aufgaben wie zum Beispiel die Sanierung der Hochschulbauten, die ein Rückstandsvolumen von über 2 Milliarden € aufweist? Dabei haben Sie sich bei Ihrer Regierungserklärung völlig vergriffen, als Sie gesagt haben: Hochbaumittel in den Straßenbau, wenn dies Not tut. Der Vorschlag, sozusagen vom Hochschulbau in den Landesstraßenbau zu gehen, ist ja nun völlig abwegig.

(Beifall bei den Grünen)

Bei den Messen gilt genau dasselbe. Auf den ersten Blick war es zunächst einmal sehr überzeugend, was Sie zur Konkurrenzsituation im Messebereich gesagt haben. Genau die von Ihnen gemachte Aussage ist die Begründung für Sub

ventionswettläufe: Weil es andere Länder wie Hessen und Bayern machen – Hessen steht bei der Neuverschuldung ja noch viel schlechter da als Baden-Württemberg –, müssen wir es auch machen. Das ist genau die Logik von Subventionswettläufen, die Sie hier wieder heruntergebetet haben – und nichts anderes.

(Beifall bei den Grünen)

Wenn Sie in diesen Subventionswettläufen drin bleiben, dann – so behaupte ich – erreichen wir die Nettonullverschuldung am Sankt-Nimmerleins-Tag. Das ist genau der Punkt, um den es hier geht, und das ist genau die Provokation meines Vorschlags, dass wir uns aus solchen Unternehmungen zurückziehen müssen, die in einem harten internationalen Konkurrenzwettbewerb stehen, weil sie nur dazu führen, dass wir uns Wettbewerbsvorteile mithilfe staatlicher Steuermittel verschaffen wollen. Das geben unsere Haushalte schlicht und einfach nicht her. Das überfordert uns, und dann haben wir kein Geld mehr für die Erfüllung der zentralen Aufgaben.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das überfordert die Steuerbürger!)

Wenn Ihnen, Herr Ministerpräsident, zum Projekt Stuttgart 21 und der Neubaustrecke, das wiederum vor enormen Kostenexplosionen steht, nichts anderes einfällt als die Streckenführung einer Ost-West-Magistrale, dann haben Sie ganz schlechte Karten. Denn für eine Ost-West-Magistrale von Paris nach Budapest müssen wir keinen Bahnhof tiefer legen.

(Beifall bei den Grünen – Zurufe der Abg. Heide- rose Berroth FDP/DVP und Stefan Mappus CDU)

Dafür gibt es überhaupt keine Gelder von der EU. Daher gibt es auch keinen Grund für dieses Projekt. Sie haben jetzt schon bei der Planung für das frei werdende Gelände höchste Schwierigkeiten. Deswegen geistert auch immer wieder die makabre Idee herum, auf die Flächen von Stuttgart 21 ein Regierungsviertel zu bauen. Sie sehen also: Es klemmt überall.

Aber Sie einfach haben nicht den Mut, diese Vorplanung infrage zu stellen und die Ost-West-Magistrale gerade unter diesen knappen Bedingungen durchzusetzen mit einem Kopfbahnhof, dessen Sanierung nur ein Drittel dieser Kosten ausmachen würde. Dazu sind Sie nicht imstande.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Ein grüner Traum, was Sie da verbreiten!)

Deswegen werden Sie entweder am Schluss verlieren – und damit verliert die ganze Streckenführung, auch die Neubaustrecke Stuttgart–Ulm, für die wir ja bekanntlich sind –, oder Sie setzen sich gegen alle ökonomische Vernunft durch, und wir haben ein neues Subventionsgrab im Haushalt. Das ist der Punkt, um den es geht.

(Beifall bei den Grünen)

Jetzt ist eines interessant – da haben wir Sie ja immerhin aus der Reserve bekommen –: Dort, wo wir dringend Geld brauchen und frisches Geld hineinbringen müssen – nämlich in unsere Hochschulen wegen des enormen Anstiegs

der Studienbewerber –, eröffnen Sie uns jetzt auf einmal ein Modell, das Sie zusammen mit der Industrie machen wollen. Fifty-fifty, okay, das hören wir jetzt. Aber woher kommen die 150 Millionen €, die wir dann als Land erbringen müssen? Wieder Fehlanzeige, nichts gesagt. Das kann man natürlich auch nicht, wenn man von den großen Subventionsschienen nicht herunterwill. Wir haben also eine Nullansage, wo die Hälfte, die das Land erbringen muss, herkommen soll. Wo stehen die 150 Millionen €? Sie stehen weder im Koalitionsvertrag noch in Ihrer Regierungserklärung. Wieder eine Fehlanzeige, woher in einem wichtigen Bereich das Geld kommen soll.

Dazu muss ich schon noch eine Bemerkung machen. Wenn Sie den Aufwuchs der Studienplätze an den Hochschulen ausschließlich mit der Wirtschaft verhandeln, dann werden wir bestenfalls Ingenieur- und Technikerstudienplätze bekommen. Davor kann ich Sie nur warnen. Im Koalitionsvertrag und in Ihrer Regierungserklärung findet sich kein einziges Wort zu den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Wenn wir die Förderstrukturen anschauen, sehen wir ohnehin: Die größte Säule ist die der so genannten Lebenswissenschaften mit Biotechnologie und Ähnlichem, die zweite, schon wesentlich kleinere Säule ist die der Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften, und die Säule der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften wird immer kleiner. Wir graben am Fundament unserer Gesellschaft, wenn wir glauben, wir könnten zugunsten der rein technischen und ökonomischen Wissenschaften die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften immer mehr vernachlässigen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP)

Eines der ganz großen und bisher ungelösten Probleme sowie eine Herkulesaufgabe, die wir vor uns haben, betrifft die Integration von Migranten. Man sieht dabei genau: Wenn wir es nicht schaffen, auch die Gesellschafts- und Geisteswissenschaften, die sich mit den Fragen beschäftigen, wie wir friedlich und integriert in einer Welt zusammenleben, zu stärken, dann werden schwerwiegende Ereignisse, wie wir sie mit dem Terroranschlag am 11. September 2001 hatten, alle wirtschaftliche Wohlfahrt auf einen Schlag untergraben. So schnell geht das. Wir sehen heute noch, welche dramatischen Auswirkungen diese Terroranschläge auf die Wirtschaft der USA und auch auf ihren ganzen Wissenschaftsbereich hatten. Viele Wissenschaftler meiden die USA wegen der Maßnahmen, die Präsident Bush ergriffen hat, und wollen sich dem nicht mehr unterwerfen.

Ich kann nur dringend davor warnen, Fragen der Hochschulfinanzierung ausschließlich mit der Wirtschaft zu besprechen. Da sind alle gesellschaftlichen Gruppen gefragt. Genauso, wie wir die wichtigen Bereiche der Lebenswissenschaften und der Ingenieurwissenschaften stärken müssen, müssen wir auch alle anderen geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Bereiche, aber auch die musischen Bereiche, Herr Staatssekretär Birk, stärken. Denn nirgendwo sind wir als Hochschulstandort so attraktiv wie zum Beispiel an unseren Musikhochschulen.

(Beifall bei den Grünen)

Noch ein letztes Wort zu den Lehrern als Beamte.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Das haben wir jetzt schon gehabt!)

Wenn Ihnen zum Beamtenstatus der Lehrer nichts anderes einfällt als die panische Angst, dass die streiken könnten,

(Heiterkeit bei den Grünen)

dann geht es uns wirklich glänzend.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das ist Le- bensrealität, was da passiert!)

Das muss man sich jetzt wirklich einmal vorstellen. Bei Ärzten geht es um Leben und Tod, um schwere Krankheiten,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Die machen aber Notdienste!)

und die dürfen streiken. Aber die Lehrer, bei denen es um gar keine Not, sondern um Noten geht, dürfen das nicht. Die Ärzte dürfen streiken, und die Lehrer dürfen das nicht. Wer soll denn das verstehen?

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Sie als Haushaltspolitiker! Da geht es um Erpressung!)

Da lachen Sie doch selbst, oder?

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Heiterkeit des Ministerpräsidenten Günther Oettinger)

Wir lassen also einerseits zu, dass an Krankenhäusern gestreikt wird, wo es für die Menschen wirklich um viel geht, und dann sagen wir mit dieser Argumentation: „Oh, wie fürchterlich, wenn die Lehrer streiken. Das können wir unseren Bildungseinrichtungen nicht zumuten. Deswegen können wir das nicht machen.“

(Abg. Gundolf Fleischer CDU: Natürlich! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Wen, Herr Ministerpräsident, wollen Sie davon überzeugen? Da es so ein schwaches Argument ist, hoffen wir alle, dass das auch bald fällt.