Protocol of the Session on July 23, 2008

(Unterbrechung der Sitzung: 10:12 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 10:21 Uhr)

Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.

Zunächst darf ich noch Frau Umweltministerin Tanja Gönner sehr herzlich zum heutigen Geburtstag gratulieren. Im Namen des ganzen Hauses alles Gute!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Die stationäre Mikrofonanlage funktioniert im Moment wieder. Für den Fall, dass sie noch einmal ausfallen sollte, haben wir zusätzlich eine andere Anlage montiert, sodass wir über diese Anlage die Sitzung fortsetzen könnten. Ich möchte auch allen Unkenrufen widersprechen: Das ist keinesfalls jetzt bewusst gemacht, damit wir dem Landtagsneubau etwas näherkommen.

(Heiterkeit – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Aber es wäre nicht verkehrt!)

Herr Ministerpräsident, ich darf Ihnen wieder das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir bieten der jungen Generation eine Investition in den wichtigsten Bereich überhaupt: in die Bildung und damit in die Zukunft der jungen Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger. Indem wir weder diese Offensive noch andere Maßnahmen durch neue Schulden und damit neue und mehr Zinsen finanzieren, belasten wir diese Zukunft nicht.

Haushaltskonsolidierung und Bildung sind kein Widerspruch, sondern die tragenden Säulen für die Chancen unserer Kinder und Enkel. Wir wahren die Balance zwischen sparen und richtig investieren.

Anhand von sieben Schwerpunkten zeige ich Ihnen auf, welche Maßnahmen wir ergreifen, was unsere Bildungsoffensive beinhalten soll.

Erstens: Ausbau der Angebote für Kinder unter drei Jahren, für die frühkindliche Bildung. Generell will ich sagen: Zwischen Betreuung und Erziehung und Bildung zu trennen wäre falsch. In jedem Lebensalter – bei Kleinstkindern, Kleinkindern, Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden – werden Bildung sowie Erziehung und Betreuung Faktoren einer ganzheitlichen Dienstleistung sein. Für uns beginnt Bildung mit dem ersten Lebensjahr.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Der Ausbau der Angebote für Kinder unter drei Jahren ist essenziell für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Ermöglichung der Wahlfreiheit für Väter und Mütter bei der Kinderbetreuung.

Während wir noch vor fünf Jahren nur für etwa vier von hundert Kleinstkindern einen Betreuungsplatz in Baden-Würt temberg hatten, haben wir heute für zwölf von hundert Kindern einen Betreuungsplatz. Wir rücken nach vorn, haben andere Flächenländer längst überholt und streben einen Versorgungsgrad von 34 oder 35 % entsprechend dem Bedarf und der Nachfrage in Baden-Württemberg an.

Das heißt, dass im Land mindestens 60 000 neue Betreuungsplätze geschaffen werden. Wir werden dann 90 000 Betreuungsplätze haben. Damit sind wir ab dem ersten Lebensjahr eines Kindes kinderfreundlich.

Ich danke den Kommunen, den Kirchen und den freien Trägern, dass dies gemeinsam mit uns und mit Unterstützung des Bundes finanziell geleistet werden kann.

Zur Finanzierung der erforderlichen Baumaßnahmen reichen wir die Mittel des Bundes in Höhe von 50 Millionen € jährlich an die Einrichtungsträger weiter. Die dafür notwendige Vorschrift haben wir im März erlassen.

Entsprechend unserer Vereinbarung vom Dezember letzten Jahres mit den Kommunen werden wir die Betriebskostenförderung massiv ausbauen. Die Fördermittel des Landes werden bereits im nächsten Jahr deutlich auf 50 Millionen € angehoben und bis zum Jahr 2014 auf einen jährlichen Betrag von 165 Millionen € Landesmittel anwachsen. 100 Millionen € des Bundes kommen ergänzend hinzu.

Bei der Betriebskostenförderung wird der Grundsatz „Das Geld folgt den Kindern“ gelten. Das heißt, die Gelder müssen

in den Einrichtungen ankommen, in denen die Kinder betreut werden. Die Finanzierung von Betreuungseinrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet wird entsprechend verbessert und angepasst. Die nähere Ausgestaltung der Betriebskostenförderung werden wir mit unseren Partnern, den Kommunen, Kirchen und freien Trägern, abstimmen. Dann legen wir dem Landtag noch in diesem Jahr einen Vorschlag für die notwendigen Reformen der Gesetze vor.

Der Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren führt zu einem Mehrbedarf an Fachkräften, deren Ausbildung wir sicherstellen werden. Für zusätzlich 7 300 Erzieherinnen und Erzieher sowie Kinderpflegerinnen und -pfleger werden wir nicht nur an den öffentlichen Ausbildungseinrichtungen – Berufskollegs, Fachschulen, Berufsfachschulen – neue Lehrerstellen schaffen, sondern wir werden auch die notwendigen Privatschulzuschüsse geben, damit Einrichtun gen in privater Trägerschaft und der Kirchen für uns Partner bei der Ausbildung von Erziehern und Pflegern sind.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Zweitens: Der Kindergarten ist auf dem Weg zur Kinderschule. Die Stärkung der frühkindlichen Bildung und Erziehung ist für mich der Schlüssel überhaupt: erstens für mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung von Bildungschancen, zweitens für eine stärkere Entkopplung von sozialer Herkunft und der Leis tung in der Schule und drittens damit auch Garant dafür, dass keine Begabung ungenutzt bleibt. Gerade in der frühkindlichen Bildung und beim Übergang in die Grundschule stehen wir vor Aufgaben, die das Land und die Kommunen gemeinsam mit den Kirchen und den freien Trägern schultern müssen und die uns gemeinsam in den nächsten Jahren fordern werden. Ich sehe in dieser Aufgabe den wichtigsten Bereich überhaupt, wenn es um Kinder und spätere junge Erwachsene geht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Elemente der frühkindlichen Bildung und Erziehung sind ers tens der Orientierungsplan. Er bietet Impulse zur pädagogischen Begleitung der kindlichen Entwicklung im Alter zwischen drei und sechs Jahren. Er knüpft an die Bildungsprozesse vor der Kindergartenzeit an. Er gibt Einblicke und Ausblicke auf die Entwicklung der Bildungsbiografie des Kindes nach der Kindergartenzeit, und er wird ab dem nächsten Jahr eine verbindliche Grundlage für die Bildungsarbeit in den Kindergärten sein.

Zweites Element ist das Projekt „Schulreifes Kind“. Es ermöglicht eine weitere Förderung von Kindern bei Lerndefiziten und bei Entwicklungsdefiziten ein Jahr vor der Einschulung. Es wird in gemeinsamer Verantwortung und Begleitung von Erzieherinnen und Grundschullehrkräften durchgeführt. Kindergarten, Kinderschule und die Grundschule werden so personell und strukturell verzahnt. Derzeit beteiligen sich an dem Projekt „Schulreifes Kind“ 245 Standorte, 857 Einrichtungen, davon knapp 600 Kindergärten und 265 Schulen in Baden-Württemberg.

Das dritte Element ist das Bildungshaus für Drei- bis Zehnjährige. Mit dem Bildungshaus gehen wir noch einen Schritt weiter und erproben an derzeit 23 Standorten im Land Konzeptionen des gemeinsamen Lernens von Kindergarten- und

Grundschulkindern. Zehn weitere Standorte kommen im nächs ten Schuljahr hinzu.

Wenn von Teilen der Politik ein längeres gemeinsames Lernen gefordert wird, dann sage ich Ihnen: Genau dies machen wir.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

In Baden-Württemberg werden die Kinder, auch wenn man die ideologisch begründbare Frage der Verlängerung der Grundschule einmal außen vor lässt,

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Was hat das mit Ideologie zu tun?)

durch das gemeinsame Lernen im Kindergarten, durch das gemeinsame längere Lernen in der Ganztagsgrundschule

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Das ist aber ein Taschen- spielertrick!)

mehr denn je aus allen sozialen Herkunftsfällen gemeinsam orientiert und gebildet. Gemeinsames Lernen ist in BadenWürttemberg – auch hier in der vierjährigen Grundschulzeit – längst die Praxis, und die wird ausgebaut.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Sprachförderung im Vorschulalter. Das Beherrschen der deutschen Sprache ist eine Grundvoraussetzung für Erfolg in der Schule und in der Arbeitswelt. Je früher und je besser sie beherrscht wird, umso wahrscheinlicher ist ein Erfolg in der Schule überhaupt.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Ja! Sehr gut!)

Sprachkenntnisse zu vermitteln ist ein zentrales Aufgabenfeld für die Kindergärten. Um die Sprachentwicklung optimal und individuell zu fördern, werden wir im Rahmen einer verpflichtenden Sprachstandsdiagnose etwa eineinhalb Jahre vor der Einschulung etwaige Sprachauffälligkeiten feststellen. Dann werden sich Sprachfördermaßnahmen anschließen. Dieses Angebot machen wir allen Kindern, allen Kindergärten und allen Eltern. Ich bin sicher, dass sich diese Investition allemal rentiert, weil dadurch manche Reparatur zehn Jahre später vermieden werden kann.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Programm der Landesstiftung, das seit sechs Jahren durch geführt wird, hat sich bewährt. Die Landesstiftung bietet eine intensive Sprachförderung für Kinder im Alter zwischen vier und sechs Jahren in Fördergruppen mit sechs bis acht Kindern, drei bis vier Förderstunden in der Woche, durchschnittlich 120 Förderstunden je Kind. Dieses Programm soll die Landesstiftung für alle Kindergärten im Land öffnen. Dafür wollen wir den finanziellen Deckel dieses Programms aufheben. Die Finanzierung der Sprachfördermaßnahmen in den Jahren 2008 und 2009 ist gesichert. Die Finanzierung ab 2010 wird geprüft.

Daneben wollen wir die ehrenamtlichen Maßnahmen der Haus aufgaben- und Lernhilfe fortführen. Das Sprachförderkonzept der Landesstiftung ist so angelegt, dass man einzelnen Kin

dertageseinrichtungen und dem Träger Spielraum zur Eigengestaltung lässt und bewusst auf bestehenden Entwicklungen aufbaut, damit eine Entscheidung vor Ort kindgerecht und fachgerecht getroffen werden kann.

Nach der Kinderkrippe und nach dem Kindergarten kommt die Grundschule. Zu diesem Thema fasse ich mich heute sehr kurz. Bei der Grundschule gilt für uns für jeden Standort: kurze Beine, kurze Wege. Ungeachtet der Zahl der Kinder wollen wir in den nächsten Jahren, dass Grundschulen erhalten werden, dass die Grundschule im Dorf bleibt, damit der ländliche Raum für junge Familien attraktiv bleibt und damit für die Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren der Schulweg meist zu Fuß, jedenfalls ohne große Entfernungen und Zeitdauer möglich ist. Die Grundschule bleibt weiterhin bei den Kindern. Kurze Beine, kurze Wege – das ist unser Konzept dafür.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Drittens geht es um die Stärkung und Weiterentwicklung der Hauptschulen. Ich bemerke vorweg: Baden-Württemberg hat mit seinem gegliederten Schulwesen gute Erfolge erzielt und wird auch künftig am gegliederten Schulwesen festhalten.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Erzwungenes gemeinsames Lernen in Einheitsschulen ist für uns kein Modell mit Zukunft. Deswegen erteilen wir der Einheitsschule eine klare Absage.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Übrigens: Dass Sie den alten Begriff „Gesamtschule“ nicht mehr aufnehmen, spricht ja Bände. Sie wollen den Menschen Sand in die Augen streuen.