Wir müssen jetzt den Lissabon-Vertrag mit Leben erfüllen. Die Rechte, die den Mitgliedsstaaten dort zukommen, müssen auch wahrgenommen werden. Dabei darf in den Mitgliedsstaaten aber nicht so etwas aufkommen wie die Angst vor der eigenen Courage.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einige zentrale Verbesserungen des Verfassungsreformvertrags benennen.
Es gibt nun eine klare Kompetenzabgrenzung. Erstmals gibt es zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedsstaa ten, der Systematik unseres Grundgesetzes folgend, ausschließ liche, konkurrierende und ergänzende Kompetenzrechte der
Union. Die Europäische Union darf nicht alles an sich ziehen. Es gibt kein Selbstbefassungsrecht, keine sogenannte „Kompetenz-Kompetenz“, sondern es ist ausdrücklich festgeschrieben, dass in Zukunft das Prinzip der „begrenzten Einzelermächtigung“ gilt.
Europa ist damit kein Superstaat, kein Moloch, von dem manche Kritiker sprechen, sondern bleibt ein Staatenverbund, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Maastricht-Urteil treffend benannt hat: Ein Staatenverbund ist mehr als ein Staatenbund, aber weniger als ein Bundesstaat.
Das ist auch folgerichtig, denn die europäische Geschichte lief anders als etwa die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Sprachen, Kultur, Geschichte, Vielfalt – das prägt den europäischen Kontinent in einer ganz anderen Weise als die Vereinigten Staaten. Deshalb ist das Prinzip „Einig in Vielfalt“ das richtige Gestaltungs- und Bauprinzip für unsere Europäische Union.
Gleichwohl gilt es festzuhalten: Die Entwicklung in Europa in den vergangenen 50 Jahren ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Ausgehend vom Leid des 20. Jahrhunderts, von den Katastrophen der Kriege, der europäischen Spaltung hat sich Europa zum Erfolgsmodell schlechthin entwickelt. Die Entwicklung nach der Erweiterung in Südeuropa – denken Sie an Spanien, Portugal und Griechenland –, die Entwicklung in Irland und jetzt in Osteuropa gibt uns recht: Alle Erweiterungen waren eine Erfolgsgeschichte. Auch der Euro gehört zu dieser Erfolgsgeschichte. In immer weiteren Runden wird er sich über kurz oder lang auf den Rest Europas erstrecken. Auch das zeigt die Attraktivität unseres europäischen Zusammenlebens als Modell.
Eine zweite Bemerkung, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Menschen werden Europa auf Dauer nur befürworten, wenn die im Reformvertrag explizit enthaltene Anerkennung der nationalen Identität, das heißt u. a. die regionale und kommunale Selbstverwaltung, die Staatsprinzipien, der Staatsaufbau, die Organisation im Inneren unserer Staaten und auch die Daseinsvorsorge mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, gelebt wird.
Selbstbescheidung tut not. Kluge Köpfe in der Kommission und im Europäischen Parlament haben das längst erkannt. Sie nehmen sich eher zurück. Denken Sie an die aktuelle Diskussion über den Bürokratieabbau in Europa. Diese Diskussion wäre noch vor einigen Jahren so nicht möglich gewesen. Europäer in Brüssel und Europäer in den Ländern und Regionen müssen erkennen, dass es ein Irrweg wäre, in Europa alles zu vereinheitlichen. Dem werden wir auch in Zukunft entgegenwirken.
Eine dritte Bemerkung, die vorhin schon kurz angesprochen war: Das Subsidiaritätsfrühwarnsystem macht erstmals in der EU-Geschichte die nationalen Parlamente, auch unseren Bundesrat, zu europäischen Mitspielern. Sie können Bedenken äußern. Wenn eine Mehrheit der Parlamente Bedenken äußert, ist ein Vorschlag vom Tisch gewischt. Das Klagerecht bei Subsidiaritätsverstößen ist wichtig, ebenso das Recht des Ausschusses der Regionen auf eine solche Klage.
Freilich muss die Zusammenarbeit der nationalen Parlamente jetzt intensiver und effizienter werden. Ich erwähne in diesem Zusammenhang die COSAC und das Informationssystem IPEX, wo der Meinungsaustausch zwischen den Parlamenten verbessert werden kann. Wer effizient kontrollieren, prüfen und zusammenarbeiten will, muss hier neue Formen der Zusammenarbeit entwickeln.
Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch offen sagen: Eine offene Flanke Europas bleibt die bislang fast ausschließlich auf Wettbewerbsrecht und die Ausweitung binnenmarktrechtlicher Regelungen beruhende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Es wird in der Praxis wesentlich davon abhängen, ob die Schärfung und Präzisierung unserer europäischen Rechtsordnung durch diesen Reformvertrag auch dauerhaft zu einer vorsichtigen Anpassung, also einem Rechtswandel hin zu einer stärkeren Zulassung der Differenzierung von Lebensverhältnissen, führt. Deshalb wird der Europäische Gerichtshof nach meiner Auffassung in den kommenden Jahren stärker in den Fokus der Beobachtung und auch der Berichterstattung gelangen.
Lassen Sie mich schließlich stichwortartig einige große Fortschritte des Lissabon-Vertrags benennen: Die doppelte Mehrheit, die die größeren Staaten in eine stärkere Rolle bringt, ist ein solcher Fortschritt. Die Straffung der Kommission – es war ja nicht möglich, auf Dauer eine Kommission mit 27, bald 30 Kommissaren zu haben – auf jetzt 18 Kommissare ist ein Fortschritt. Dies gilt ebenso für die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen und die Einführung eines zwar nicht so genannten, aber faktisch als solcher operierenden Außenministers für Europa, damit man endlich einen einheitlichen Ansprechpartner für die Außenbeziehungen hat. Schließlich zählt – materiell – dazu die notwendige Erweiterung um Kompetenzen für Klima und Energie. Das alles war im Reformvertrag richtig und wichtig. Zentrale deutsche Anliegen sind damit erfüllt.
Es wird sich zeigen, ob sich der EU-Ratspräsident, der für zweieinhalb Jahre gewählt wird, im Dreieck mit Kommis sionspräsident und Präsident des Europäischen Parlaments bewähren wird. Man sollte ihm jedenfalls einen Vorschuss für seine neue Arbeit mit auf den Weg geben und hoffen, dass für die erstmalige Besetzung eine herausragende Persönlichkeit gefunden wird.
Was ein großer Fehler bleibt, meine sehr verehrten Damen und Herren: Der EU-Reformvertrag von Lissabon wird keinen Verfassungsvertrag aus einem Guss ergeben. Er wird nicht lesbarer. Es bleibt ein schwer erschließbares Dokument. Europa bleibt verfassungsrechtlich ein Buch mit sieben Siegeln. Das war den Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden geschuldet. Mehr war nicht erreichbar. Hoffen wir, dass sich aus diesem Reformvertrag in einigen Jahren dann doch noch auf Dauer eine lesbare europäische Verfassung entwickelt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies war meine letzte Rede vor dem Hohen Haus. Ich danke Ihnen für die gute Zusammenarbeit mit mir in den vergangenen zwölf Jahren, in denen ich als Staatssekretär, als Minister und als Abgeordneter in verschiedenen Ressorts und auf verschiedenen Themenfeldern tätig war. Ich danke insbesondere auch für die gute eu
Herr Abg. Dr. Palmer, ich kann sicherlich für alle Fraktionen hier im Haus sprechen, wenn ich Ihnen den Dank für Ihre geleistete Arbeit für das Land Baden-Württemberg ausspreche. Ich wünsche Ihnen für Ihre zukünftige Arbeit alles Gute!
Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! „Der Vertrag von Lissabon in seiner Bedeutung für das Land Baden-Württemberg“ steht als Überschrift über unserer Debatte. Ungeschrieben sollte als Überschrift über dieser Debatte auch stehen: „Der Vertrag von Lissabon in seiner Bedeutung für Europa“. Denn für unser Land Baden-Württemberg kann und darf beides kein Widerspruch sein, meine Damen und Herren.
Bald naht ja wieder die Urlaubszeit. Wer in Lissabon beim Denkmal der Seefahrer am Hafen sitzt und auf das Meer hinausschaut, wird sich schon Gedanken über die Zukunft des Kontinents Europa machen. Denn es zeichnet sich z. B. ab: In Asien wachsen Bevölkerung und Wirtschaft, die Amerikaner werden sich unter neuer Präsidentschaft wieder berappeln, und Afrika wird eine ständige Herausforderung für Europa bleiben. Deswegen ist die Mission Europas insgesamt und seine Zukunft auch unser Anliegen in Baden-Württemberg. Das ist an dieser Stelle anzusprechen.
Deswegen ist auch klar, meine Damen und Herren: Die äußere Stärke Europas, die wir alle wollen, hat auch etwas mit seiner inneren Verfasstheit zu tun. Beides ist in einem gewissen Zusammenhang zu sehen, und dieser Zusammenhang darf bei der gerade geführten Debatte nicht aus dem Blick geraten.
Deswegen gilt: Wenn wir Eigenständigkeit und Vielfalt absichern – davon ist heute zu Recht die Rede –, muss auch klar sein, dass wir Einheit in der Vielfalt anstreben müssen. Wir dürfen Europa nicht aus dem Blick verlieren.
Wichtig ist auch, dass sich Baden-Württemberg konkrete Projekte vornimmt, bei denen es sich in Europa einbringen kann. Ich nenne als ein Projekt einmal die Energie. Wir als BadenWürttemberger haben ein hohes Interesse daran, dass wir bei den erneuerbaren Energien vorankommen. Da muss man über den Tellerrand hinausschauen und fragen: Wo kann sich unsere Industrie einbringen? Bei der Großen Wasserkraft, die in Skandinavien Chancen bietet, oder bei der Sonnenkraft, die in den Mittelmeeranrainerländern großes Potenzial besitzt. Hier ist Baden-Württemberg gefordert. Ich weiß z. B., dass es an der Universität Karlsruhe schon vor vielen Jahren die Idee
gab: Wie kann man die Sonnenkraft aus dem Mittelmeerraum nach Zentraleuropa, nach Baden-Württemberg bringen? Das sind Projekte, bei denen Baden-Württemberg mit seinem Maschinenbau, mit seiner Elektrotechnik gefordert ist, etwas vo ranzubringen. Hier haben wir uns einzubringen, meine Damen und Herren.
(Abg. Werner Raab CDU: Aber Vertrauen kommt nicht aus der Steckdose! – Zuruf des Abg. Karl Zim- mermann CDU)
Wir kommen zum Bereich der Industrie. Neue Wachstumsfelder sind für Europa wichtig. Nehmen wir die neue Satellitentechnik, bei der wir nicht allein von Amerika abhängig sein wollen. Deswegen ist klar, dass wir, was das Galileo-Signal angeht – es wird schneller kommen, als uns heute vielleicht bewusst ist –, etwas tun müssen. Baden-Württemberg braucht ein Testlabor auf dem Boden, damit unsere industriellen Anwender schon einmal testen und proben können, wie man mit dem Galileo-Signal umgeht. Das ist eine Herausforderung, die das Land Baden-Württemberg meistern muss. Hier brauchen wir eine Zusammenarbeit und die Konzentration der Kräfte in der Landesregierung, meine Damen und Herren.
Auch für die kulturelle Identität Europas ist es wichtig, dass wir Flagge zeigen. Die Universalität der Menschenrechte gilt. Das sollte unser Kontinent immer und in der gesamten Welt vertreten, ob in Tibet oder anderswo.
Meine Damen und Herren, das Vertragswerk als solches bringt für das Land und die Kommunen einiges; davon war die Rede. Was jetzt vorgelegt wurde, hat natürlich nicht mehr die Symbolik, die wir gern gehabt hätten. Es ist keine klassische Verfassung mehr; aber wir können damit arbeiten.
Es ist richtig, Herr Palmer, dem früheren Ministerpräsidenten Teufel ein Dankeschön für die geleistete Vorarbeit zu sagen. Er hat grundlegende Arbeiten erbracht. Auch die sozialdemokratische Fraktion stellt fest, dass es uns allen genutzt hat, wenn wir den Grundsatz eines dezentralen und auf seinen Regionen fußenden Europas verfolgen, und das wollen wir erreichen.
Deswegen war es wichtig, Kompetenzabgrenzungen zwischen der europäischen Ebene, der Bundesebene und der Länder ebene schärfer zu ziehen. Klar war auch, dass Regelungsbe
Umgekehrt gilt aber auch, dass die Mitwirkungsrechte der Länderparlamente, also gegenüber dem Bund, und damit indirekt auch der Länder über den Bundesrat, gestärkt werden müssen. Es geht nicht mehr allein darum, dass wir nur bei rechtsverbindlichen Akten der Europäischen Union dabei sind. Wir sollten auch schon bei den Vorbereitungen einbezogen sein, z. B. bei Weißbüchern, Grünbüchern etc. Hier sollten wir ein Mitwirkungsrecht haben. Das steht in dem Vertragswerk.
Dabei gilt auch, dass wir uns einbringen müssen. Dann kann man nicht die Arme verschränken und sagen: „Damit will ich nichts zu tun haben; das gefällt mir nicht.“ Daraus erwächst für uns als Europäer auch ein Auftrag. Wir können Ansätze nicht einfach ablehnen, sondern müssen uns in die europäische Debatte einbringen. Bringt man sich nicht ein, dann fährt der Zug ohne einen weiter. So viel steht fest. So groß sind wir auch nicht, dass wir das aufhalten könnten, meine Damen und Herren.
Zu den Stichworten Subsidiaritätsrüge und Frühwarnsystem: Es ist wichtig und gut, dass dies eingeführt wurde. Die Frist von acht Wochen, die wir haben, um zu reagieren, ist eine knappe Frist, insbesondere in den Ferienwochen. Hier wird man praktikable Regelungen finden müssen.
Dennoch ist klar: Das allein wird es nicht sein. Erstens gilt: Subsidiaritätsrügen sind kein grundsätzliches Mittel, um irgendwo Nein zu sagen, sondern müssen effektiv an Stellen eingesetzt werden, die die Interessen eines Landes berühren.