Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Dezember des vergangenen Jahres hat die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Staatsministerin Böhmer, den Siebten Bericht zur Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland veröffentlicht. Da hat man wieder gesehen, dass das Thema Integration jetzt eigentlich überall richtig Konjunktur hat. Die Sache läuft jetzt auf Hochtouren, was jeden Integrationsbeauftragten freut.
Guten Morgen, liebe Frau Vogt! Das läuft natürlich nicht erst seit dem letzten Jahr, sondern in Baden-Württemberg seit 1996. Interessanterweise lief es vorher, als Sie noch mitregiert haben, nicht. Deswegen wäre ich an Ihrer Stelle ein bisschen vorsichtig.
Wir haben in dieser Landesregierung schon vor über zehn Jahren die Integration zum Thema gemacht, und in dieser Zeit ist natürlich auch viel passiert. Aber ich habe manchmal den Eindruck: Für Sie passiert erst dann etwas, wenn man einen nationalen Plan hat.
(Abg. Reinhold Gall SPD: Planlos! Stimmt schon! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Aber nicht im Bereich der Bildung! – Abg. Katrin Altpeter SPD: Ohne Plan!)
Seit zehn Jahren passiert im Land viel, und dazu braucht es nicht an jeder Stelle einen Plan der Regierung. Das sage ich ganz bewusst noch einmal. Aber das ist Ihre Vorstellung. Da geht es erst los. Wenn die Regierung alle mit einem Plan beglückt, dann, meinen Sie, gehe die Arbeit los.
Wenn man nun über den Bericht der Beauftragten spricht, dann stellt man fest, dass es natürlich viele positive Aspekte gibt, und zwar bundesweit und im Land. Auch wenn ich im Land um mich schaue, fällt als Erstes auf, dass es ein friedliches Zusammenleben mit vielen Menschen anderer Herkunft gibt, mit vielen Menschen mit Migrationshintergrund. Wir haben gerade in Baden-Württemberg einen besonders hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund, und wir haben gerade in Baden-Württemberg besonders friedliche Verhältnisse. Das muss man auch einmal dazusagen.
Wir haben viele Beispiele für gelungene Integration, viele Beispiele für sehr erfolgreiche Migranten, wir haben Existenzgründungen. Das sind, wie gesagt, viele positive Aspekte.
Aber ich sage genauso klar: Der Bericht und gerade das, was wir in letzter Zeit an Erkenntnissen dazugewinnen mussten, machen eines ganz klar: Wir müssen den Bildungszugang von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund überall, auch in Baden-Württemberg, deutlich verbessern.
Die PISA-Studie 2006 hat auch deutlich gemacht, dass in Deutschland – auch in Baden-Württemberg, wenn auch in geringerem Maß; dazu komme ich gleich noch; da haben Sie die Verhältnisse ein bisschen verdreht – die schulischen Leistungen und die Bildungserfolge von Kindern mit Migrationshintergrund deutlich hinter denen von einheimischen Kindern und Jugendlichen zurückbleiben. Es trifft auch zu, dass sich das nicht verbessert hat, sondern sich erstaunlicherweise in letzter Zeit sogar eher noch verschlechtert hat. Ich persönlich sage ganz offen: Ich bin wie viele andere auch davon ausgegangen, dass Integration eine Sache sein müsste, die von Generation zu Generation aus sich heraus eher besser wird, eher in Gang kommt. Aber das war ein Irrtum. Das mussten wir im Grunde genommen alle erkennen, und zwar quer durch alle politischen Lager hindurch.
Zu diesem nationalen Integrationsplan gab es einen Länderbeitrag. Das Interessante daran ist, dass dieser Länderbeitrag
zum Plan ein gemeinsamer Beitrag aller Länder ist. Da sind also praktisch alle Farben zwischen Flensburg und Konstanz beteiligt. Das ist auch einmal bemerkenswert. Es gibt also über die Grenzen hinweg bestimmte Erkenntnisse. Man sieht einen bestimmten Handlungsbedarf, und wir werden uns dieser Sache in den kommenden Jahren mit besonderer Aufmerksamkeit widmen.
Wir haben auch gute Chancen, den Zustand zu verändern. Dieser sieht im Moment allerdings so aus, dass es in den einzelnen Klassen Leistungsunterschiede zwischen Kindern mit Migrationshintergrund und Kindern ohne Migrationshintergrund gibt, die teilweise anderthalb Jahren entsprechen. So weit liegt das im Moment zum Teil auseinander.
Meine Damen und Herren, ich setze mich seit Jahren für eine verstärkte und gezielte Förderung der deutschen Sprache ein. Das ist bekannt. Ich – und nicht nur ich – halte die Sprache für einen Schlüssel zur Integration. Das ist nicht der einzige Schlüssel, aber das Thema, das im Moment im Vordergrund steht.
Einen anderen Schlüssel hat der Kollege Karl-Wolfgang Jägel vorhin sehr zu Recht angesprochen, und der heißt Arbeitsmarkt. Ein ganz wichtiger Schlüssel zur Integration ist der Arbeitsmarkt. Wer einen Arbeitsplatz hat, findet in der Regel in der Folge auch einen Platz in der Gesellschaft, ist anerkannt, respektiert und hat Kontakte. Bei denen, die es nicht haben, haben wir ein Problem. Beim Arbeitsmarkt ist übrigens zu Recht betont worden, dass wir bundesweit die Besten sind. Das verschafft uns natürlich auch relativ gute Integrationsbedingungen.
Dasselbe gilt für einen weiteren Schlüssel: Auch das ehrenamtliche Netz ist ein Schlüssel. Zum einen gehört dazu das Netz von Vereinen. Gerade auch die Sportvereine und Musikvereine, aber auch andere Vereine haben eine integrierende Funktion, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Aber auch wenn Menschen in schwierige Lebenslagen geraten, was gerade bei vielen Familien mit Migrationshintergrund einmal der Fall sein kann, finden sie in Baden-Württemberg ein Netz von ehrenamtlicher Hilfe vor. Auch das trägt erheblich zur Integration bei.
In den kommenden Jahren, meine Damen und Herren, wird sich das Thema „Sprache als Schlüssel zur Integration“ noch ganz anders in den Vordergrund schieben als bisher. Es ist erfreulich, dass diese Ansicht, wie wichtig es ist, Deutsch zu lernen, auch vom türkischen Ministerpräsidenten, Herrn Erdogan, vertreten wird. In seiner Kölner Rede, die gelegentlich zitiert wird, hat er erklärt, dass von den in Deutschland lebenden Menschen türkischer Abstammung die Landessprache, also Deutsch, gelernt werden muss, um sich beruflich und gesellschaftlich integrieren zu können. Ich begrüße übrigens auch den in dieser Rede enthaltenen Appell, mit dem er die türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aufgefordert hat, die Angebote und Möglichkeiten unseres Schul- und Ausbildungssystems intensiver zu nutzen. Auf der anderen Seite möchte ich aber auch deutlich sagen: Die von ihm vorgeschlagene vermehrte Gründung türkischer Schulen ist nach meiner Meinung nicht der richtige Weg, um die Integration von türkischstämmigen Menschen in Deutschland zu fördern.
Das heißt aber natürlich nicht, dass die Integrationspolitik in Deutschland die Assimilation der Zuwanderer bezweckt. Meine Damen und Herren, wir brauchen nicht Assimilation, aber wir wollen Integration.
Kein verantwortlicher Politiker in Deutschland würde von Menschen mit Migrationshintergrund verlangen, dass sie ihre Wurzeln kappen, dass sie ihre Herkunft und Kultur verleugnen. Aber wir wollen von ihnen schon verlangen, Verantwortung dafür zu übernehmen, dass Integration gelingt. Wir dürfen schon erwarten, dass sich auch die Menschen mit Migrationshintergrund aktiv in unsere Gesellschaft einbringen, dass sie unsere Rechts- und Werteordnung akzeptieren, dass sie Integrations- und Bildungsangebote nutzen und dass sie sich auch ein Stück weit um ihre Integration bemühen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger ist unsere Erwartungshaltung.
Wir tun auch unsererseits eine Menge für die Integration. Das Land Baden-Württemberg hat in der letzten Zeit für Integrationsmaßnahmen einschließlich der Bildungsmaßnahmen durchschnittlich 40 Millionen € pro Jahr ausgegeben. Erwähnen möchte ich von den Neuerungen, die auf dem Weg sind, den Orientierungsplan für die Kindertageseinrichtungen, der natürlich einen Schwerpunkt auf den Erwerb der deutschen Sprache setzen wird.
Ein wichtiger Bestandteil des Orientierungsplans sind auch Fortbildungsveranstaltungen für pädagogische Fachkräfte zum Thema Sprachförderung. Der Orientierungsplan wird 2009/2010 verbindlich.
Ich nenne auch die Maßnahmen zur Hausaufgaben-, Sprach- und Lernhilfe, die HSL-Maßnahmen. Diese haben sich sehr bewährt. Nur weil von Geld die Rede war: Allein die Ausgaben im Bereich der Hausaufgaben-, Sprach- und Lernhilfe sind von rund 3 Millionen € im Jahr 2005 auf 7 Millionen € in diesem Jahr angestiegen. Da wird auch immer mehr Geld hineingesteckt.
Ich nenne auch Maßnahmen wie die Förder- und Vorbereitungsklassen, das Konzept „Schulreifes Kind“, die ehrenamtlichen Integrationsbegleiter – gefördert durch die Landesstiftung – oder auch das Projekt „Sag’ mal was – Sprachförderung für Vorschulkinder“. Es passiert – wenn ich es einmal so ausdrücken darf – an jeder Ecke etwas, um zu einer verbesserten Integration zu kommen.
Deswegen zeigt der Vergleich mit den anderen Bundesländern, wenn man ihn richtig anstellt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Da sollten wir uns nicht schlechter darstellen, als wir sind. Ich verstehe, wenn die Opposition etwas zum Kritisieren sucht. Aber es sollte dann halt im Grunde schon stimmen. Die PISA-Studie weist nicht nur eindeutig aus, dass die Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg deutschlandweit mit die besten Ergebnisse vorzeigen können. Die Studie weist sogar aus, dass in Baden-Württemberg Schüler mit Migrationshintergrund besser abschneiden als Schüler ohne Migrationshintergrund in Hamburg oder Bremen.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Werner Wölfle GRÜNE: Die sind ja auch weniger!)
Da steckt übrigens immer wieder ein ganz simpler Fehler drin – Verzeihung, ich muss das so deutlich sagen, Frau Vogt und Herr Wölfle. Der Fehler liegt in Folgendem: Sie zählen immer nur die Abiturienten,
und Sie schielen immer konsequent an der Tatsache vorbei, dass in keinem anderen Land so viele Menschen über den zweiten Bildungsweg zur Hochschule kommen wie in BadenWürttemberg.
Wenn Sie diesen Anteil hinzurechnen, liegen wir natürlich wieder vorne. Das wissen Sie auch, aber Sie lassen dies weg. Es gibt als Weg zur Hochschule nicht nur das Abitur, sondern es gibt auch andere Wege, und gerade diese Wege werden in Baden-Württemberg besonders genutzt.
Es gibt einen Bildungsmonitor, der sehr seriös angelegt ist. Das ist – viele von Ihnen werden ihn kennen – der Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Dieser geht sehr gründlich vor. Dieser Bildungsmonitor 2007 bemerkt zutreffend, dass Baden-Württemberg das Bundesland mit den meisten Stärken ist. Damit wir diese Stärken nutzen und weiter ausbauen können, ist es wichtig, dass die Sprachförderung so früh wie möglich beginnt. Migrantenkinder müssen schon im Vorschulalter einen intensiven Kontakt zur deutschen Sprache bekommen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir die obligatorische Sprachstandserhebung für alle Kinder im vierten Lebensjahr, also eineinhalb bis zwei Jahre vor der Einschulung, einführen. Meines Erachtens sind die Sprachstandserhebungen und damit die Feststellung, wo der Handlungsbedarf liegt, ein ganz wichtiger Schritt nach vorn.
Ich stelle hierzu übrigens zwei Dinge nüchtern fest: Wir liegen in diesem Bereich bundesweit knapp an zweiter Stelle. Zuvor hatte dies nur Nordrhein-Westfalen eingeführt; da war dieses Thema genauso aktuell und wurde von einer Regierung aufgegriffen, die in ihrer Zusammensetzung der baden-würt tembergischen Landesregierung entsprach. Das sage ich nur, weil es immer wieder heißt: „Ihr seid immer so spät dran.“ Die anderen können nur noch später dran sein als wir; wir sind auf jeden Fall bei den Schnellsten, weil wir die Bedeutung des Themas erkannt haben.
Etwas anderes ist es natürlich, wenn man, wie der Kollege Wölfle, gar nichts von der Sprachstandserhebung hält. Dann kann man das natürlich auch bleiben lassen.
Wir haben über die Stiftung eine Menge Erfahrung mit Sprachstandserhebungen. Die Stiftung praktiziert das seit Jahren und verwendet dabei eigentlich einen sehr guten Test. Deswegen würde ich diese Tests hier nicht ins Lächerliche ziehen. Zumindest würde ich eine Alternative dazu benennen, wie wir
an diese Familien, in denen es in sprachlicher Hinsicht klemmt und die keine ausreichenden Deutschkenntnisse haben, noch besser herankommen können. Denn an diese Familien müssen wir herankommen.
Dazu bedarf es auch neuer Wege. Im Moment steht die Idee im Raum, Studierende in Lehramtsstudiengängen bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Studiums in solche Familien zu schicken, damit sie bereits während ihrer Ausbildung Kontakt bekommen können. Das halte ich für eine sehr gute Idee. Sie können einen Schein, einen Leistungsnachweis erwerben, indem sie sich ein bisschen um eine Familie mit Migrationshintergrund im Hinblick auf die Bildung der Kinder kümmern. Hierbei sind wir in einem sehr guten Kontakt mit dem MWK und dem Kultusministerium, um dieser Idee zur Realisierung zu verhelfen. So mobilisiert man natürlich weitere Kräfte und weiteres Potenzial.
Eine ganz wichtige Rolle spielen bei diesem Thema natürlich die Familien, die Eltern. Wenn in den Familien gar nicht oder zumindest zu wenig Deutsch gesprochen wird, ist ein schulischer Misserfolg der Kinder schon fast vorprogrammiert. Der Bildungserfolg der Kinder kann ohne die aktive und bewusste Mitarbeit der Eltern kaum gelingen. Deswegen bemühen wir uns natürlich genauso, auf die Eltern zuzugehen, sie intensiver mit einzubeziehen und ihnen zu helfen.
(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das ist wichtig! Ohne die Eltern geht es nicht!)