Ich denke, die Überraschung hält sich in Grenzen, Frau Haußmann. Wir können dem schon deswegen nicht nachkommen, weil unser Koalitionspartner FDP/DVP Mindestlohnregelungen kategorisch ablehnt.
Lieber Kollege Schmid, auch unabhängig von der Aufnahme der Briefdienstleistungen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz möchte ich ganz grundsätzlich betonen, dass die gesamte Landesregierung gegen die Einführung eines flächende ckenden gesetzlichen Mindestlohns ist.
(Abg. Ute Vogt SPD: Peinlich! – Abg. Ursula Hauß- mann SPD: Da sind wir aber gespannt! – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Aber ohne Teesiebbrille, bitte!)
Enthaltung, lieber Kollege Schmid, ist mit Blick auf die Vereinbarung der Koalitionspartner in Berlin und auf unsere grundsätzlichen Bedenken in Bezug auf einen flächende ckenden gesetzlichen Mindestlohn durchaus sachgerecht.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, aber auch ich will deutlich machen, dass unser Haus, das Arbeits- und Sozialminis terium, und die Frau Arbeitsministerin und ich persönlich die Entwicklungen sehr skeptisch betrachten. Ich möchte nicht auf sämtliche Gründe hierfür eingehen, sondern werde mich auf einen wichtigen Grund beschränken. Angesichts der regionalen und branchenspezifischen Unterschiede ist es nicht möglich, einen Mindestlohn in der richtigen Höhe festzusetzen:
(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Karl Zim- mermann CDU – Abg. Ursula Haußmann SPD: Wa- rum nicht? Erklären Sie uns das bitte!)
einen Mindestlohn, Frau Haußmann, der keine Arbeitsplätze vernichtet und der gleichzeitig ein befriedigendes, auskömmliches Einkommen sichert. Es liegt auf der Hand: Ein zu hoher Mindestlohn steht der Erschließung neuer Beschäftigungsfelder im Niedriglohnbereich – das habe ich hier schon einmal gesagt – entgegen.
Er kann sogar Arbeitsplätze vernichten. Es ist doch eine ganz einfache Rechnung: Kein Unternehmen wird einen Arbeitnehmer zusätzlich einstellen oder wird einen Arbeitnehmer behalten, der mehr Kosten verursacht, als er an Wertschöpfung erzielt.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir müssen die Tatsache akzeptieren, dass viele Langzeitarbeitslose oft nur über zu
nächst geringer entlohnte Tätigkeiten den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt finden. Zu hohe Mindestlöhne beschleunigen dagegen den Wegfall vieler Arbeitsplätze und konterkarieren die Erschließung neuer Beschäftigungsfelder im Niedriglohnsektor, die wir dringend brauchen. Insoweit verkennen die Befürworter eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns – –
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Dann zahlen wir lie- ber noch etwas auf diese Niedriglöhne drauf! Das be- zahlen alle Steuerzahler und Steuerzahlerinnen! – Ge- genruf des Abg. Karl Zimmermann CDU: Dann fi- nanzieren wir aber nur einen Teil! Bei Ihrem Vor- schlag finanzieren wir es ganz! – Gegenruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das hat Herr Beck als Mindestlohn propagiert!)
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Sie geben keine Ant- wort! Ein Herumgeeiere ohne Ende! – Weitere Zu- rufe – Glocke des Präsidenten)
Danke, Herr Präsident. – Liebe Frau Haußmann, Sie verkennen ganz offensichtlich die Auswirkungen eines flächendeckenden Mindestlohns angesichts der kritischen Lage, die für viele Menschen auf dem Arbeitsmarkt herrscht. Sie unterliegen offensichtlich auch der Illusion, grundlegende ökonomische Wirkungsketten ignorieren zu können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, nach monatelangen Diskussionen über die Einführung allgemeiner gesetzlicher Mindestlöhne hat sich der Berliner Koalitionsausschuss von Union und SPD Mitte Juni auf einen Kompromiss zu diesem Thema verständigt. Dieser Kompromiss sieht vor, dass Branchen mit einer Tarifbindung von mindestens 50 % künftig die Möglichkeit erhalten, auf Antrag in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen zu werden.
Des Weiteren soll für andere Branchen, in denen kein Tarifvertrag besteht oder nur für eine Minderheit der Arbeitnehmer Tarifverträge gelten, ein Tarifausschuss prüfen, ob in einer Branche Mindestarbeitsbedingungen festgesetzt werden müssen. Dieser Ausschuss legt dann gegebenenfalls einen Mindestlohn fest. Trotz dieses Kompromisses, bei dem sich Union und SPD ein großes Stück aufeinander zubewegt haben, blieb der Mindestlohn auf der politischen Agenda.
Nach Umfragen – wir verkennen das durchaus nicht, lieber Kollege Hausmann – sollen ja fast 80 % der Bundesbürger für einen gesetzlichen Mindestlohn sein.
Ich glaube, Frau Haußmann, das gleiche Ergebnis könnte man erzielen, wenn man fragen würde, ob die Einkommensteuer halbiert werden sollte.
(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Hei- derose Berroth FDP/DVP: Da kriegt man 100 % Zu- stimmung!)
Ganz offenbar hält die SPD das Thema Mindestlohn für ein geeignetes Mittel – das ist bei anderen Beiträgen hier angeklungen –, um ihr soziales Image wieder aufzupolieren und ihre derzeit schlechten Umfragewerte aufzubessern. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das ist keine verantwortungsvolle Beschäftigungspolitik. Das ist Populismus pur.
Die von CDU und FDP/DVP geführte Landesregierung lässt sich in ihrer Politik nicht von Populismus leiten.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Ansicht, dass es kein Populismus ist, wenn Menschen Angst haben, dass sie keinen auskömmlichen Stundenlohn, kein auskömmliches Einkommen haben? Wird da kein ernsthaftes Interesse vertreten?
(Abg. Karl Zimmermann CDU: Also wenn Sie mei- nen, mit einem Stundenlohn von 9 € habe man ein Auskommen, dann täuschen Sie sich!)
Jetzt suggerieren Sie schon wieder etwas, lieber Kollege. Wir haben selbstverständlich ein großes Interesse daran – das sage ich für die CDU und für die gesamte, von CDU und FDP/DVP geführte Landesregierung –, dass alle Menschen ein auskömmliches Einkommen haben.
Aber Sie können dies nicht in allen Branchen über den Mindestlohn erreichen. Das ist der springende Punkt. Aus diesem Grund sind wir gegen einen gesetzlich verordneten flächendeckenden Mindestlohn.
(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Darauf warten wir schon die ganze Zeit, dass Sie etwas zum Postmindestlohn sagen! Keine Lehrbuchabhandlungen, jetzt brauchen wir Aussagen zur Sache!)
Lieber Kollege Schmid, Sie müssen es halt abwarten. Ich darf das doch ein Stück weit auch organisch – –
(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Der Kollege Hausmann hat in fünf Minuten gesagt, was Sache ist! – Gegen- ruf des Abg. Karl Zimmermann CDU: Das war nicht zutreffend! Das war eine Falschaussage! – Zurufe der Abg. Veronika Netzhammer CDU und Dr. Hans-Ul- rich Rülke FDP/DVP)
Wenn Sie plakativ die Dinge abgehakt haben wollen, dann kann man das natürlich kurz und schmerzlos machen. Ich gehe aber davon aus, dass dieses Hohe Haus ein elementares Interesse daran hat, die Dinge grundlegend und gründlich miteinander zu erörtern. Das müsste eigentlich auch in Ihrem Sinn sein.
(Beifall der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch und Man- fred Groh CDU – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU – Abg. Ute Vogt SPD: Wenn es der Sache hilft!)