Protocol of the Session on December 18, 2007

Denn, Herr Kollege Schüle, einen Atheisten kann und darf man nicht zu Ehrfurcht vor Gott erziehen. Das verstößt gegen das Überwältigungsverbot. Selbst wenn man dies wollte, wäre es gar nicht möglich. Dann gilt immer noch der Grundsatz „ultra posse nemo obligatur“ – man kann niemanden zu etwas verpflichten, was er nicht kann. Das gilt sowohl für die Lehrenden als auch für die Lernenden in einer Schule. Darum geht es.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Schaden tut es auch nicht!)

Ich glaube, dass man mit solchen religiösen Normen in einer Verfassung der Gesellschaft und auch den Frommen in dieser Gesellschaft keinen wirklichen Dienst erweist. Natürlich sind viele unserer Verfassungsnormen christlich imprägniert. Das ist gut so.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Schönes Wort! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Geprägt! – Ge- genruf des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Lass ihm doch dieses schöne Wort!)

Die Normen sind christlich imprägniert.

Ich mache es Ihnen aber noch einmal an einem Beispiel deutlich. Im wichtigsten Artikel unserer Verfassung, Artikel 1, steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Nun ist offenkundig, dass das Wort „unantastbar“ ein profaner Begriff für „heilig“ ist.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Unveräußerlich!)

Das Heilige ist das, was wir traditionell nicht anfassen. Also hat unsere Verfassung

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sie ist heilig!)

einen Wert, der durchaus auf tiefen christlichen Wurzeln, aber natürlich auch auf anderen Wurzeln, etwa der Aufklärung, fußt. Aber die Verfassung hat sie in ein säkulares Gewand gekleidet. Nur dann, wenn wir Verfassungsnormen, auch solche, die tief christlich geprägt sind, in einer säkularen Form in die Verfassung bringen, haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass jeder, auch der Nicht- oder der Andersgläubige, sich auf diese Verfassung stellen kann. Ich finde, es ist Grundbedingung einer jeden Verfassung, dass sie so formuliert ist, dass sich jeder Demokrat darauf stellen kann, ohne mit seinen eigenen Weltanschauungen in Konflikt zu geraten.

Wenn wir die Verfassung so formulieren, dann tun wir uns allen etwas Gutes,

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Was würden Sie ändern?)

auch den christlichen Kirchen. Denn es ist nun wirklich so, dass uns der moderne Verfassungsstaat umfangreiche Freiheiten garantiert. Diese Freiheiten sind allerdings nur Voraussetzungen eines freiheitlichen Gemeinwesens. Eine Civitas, eine Civil Society, eine Bürgergesellschaft gibt es nur mit Menschen, die diesen Freiheitsraum durch ihr Engagement ausfüllen. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften legen die Fundamente des Transzendenten, des ganz anderen und des Unbedingten. Sie wecken also, wie die Philosophin Jeanne Hersch sehr schön gesagt hat, den „Sinn für den Sinn“, den jedes konstruktive Engagement in einer Gesellschaft überhaupt zur Voraussetzung hat.

Dafür ist die Trennung von Staat und Kirche die Voraussetzung. Das Paradoxon der kooperativen Form dieser Trennung, wie wir sie in Deutschland haben, ist ein Glücksfall. Es ist ein Glücksfall, weil Politik und Religionsgemeinschaften im öffentlichen Dialog bleiben. Das heißt, sie können gegebenenfalls auch hart miteinander streiten, ohne sich dadurch zu beschädigen. Die Konflikte um den Schutz der Sonn- und Feiertage machen dieses Spannungsverhältnis deutlich.

Weil Menschen sich an Weihnachten traditionell gern beschenken, kann man in der Advents- und Weihnachtszeit gute Geschäfte machen. Die Christen feiern an Weihnachten Gottes große Güte und Liebe: Er ist Mensch geworden wie wir. Darin gründet unser Beschenken an diesem Fest.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Heiligabend ist aber nur am 24.!)

Von diesem Sinn zehren die Weihnachtsgeschäfte. Leider haben sie sich zu einem Weihnachtsrummel entwickelt, der diesen Sinn nun aufzuzehren droht. Wenn politische Mehrheiten – wie die in Berlin – auch die Adventssonntage dem Konsum ausliefern, dann wird die Kommerzialisierung das Weihnachtsfest vollends zerstören.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Kretschmann, kommen Sie doch trotz der großen Liebe bitte zum Ende.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Ich komme gleich zum Ende. Ich bin gleich fertig.

Wenn wir also irgendwann politisches Handeln gänzlich der Forderung nach Zweckmäßigkeit, Nützlichkeit und Effizienz unterordnen, dann wird der Pragmatismus selbst zur Ideologie. Wo alles verzweckt wird, verschwindet der Mensch und seine Würde als letzter Zweck der Politik. Verbrauchende Embryonenforschung ist dafür nur ein markantes Beispiel.

(Zurufe der Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP und Volker Schebesta CDU)

Der Anspruch von Politik und Religion, Kirchen und Parteien ist der Dienst am Menschen.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Ja, richtig!)

Ihn leistet der Staat, indem er Freiheit und Frieden garantiert, und leisten die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, indem sie uns den Sinn vermitteln können, der diese Freiheit ausfüllen und damit lebendig machen kann. Dafür wünsche ich unseren Kirchen alles Gute.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich Herrn Abg. Kleinmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In diesem Staatskirchenvertrag geht es im Grunde um zwei wesentliche Dinge. Das eine sind die Staatsleistungen, und das andere sind die Ersatzleistungen für den Religionsunterricht.

Die Diskussion darüber, ob man die Staatsleistungen ablösen könnte oder nicht, ist eine Geisterdiskussion, insbesondere wenn man sie geschichtlich betrachtet. Im Jahr 1806 wurde der sogenannte Allgemeine Kirchenkasten in der Württembergischen Landeskirche konfisziert, weil wir die linksrheinischen Gebiete verloren hatten und dafür durch Gebiete im hohenlohischen Bereich entschädigt wurden. Der damals frisch gekürte König wollte diese Gebiete schnell zusammenschmelzen. Deshalb wollte er kein Kirchengut mehr nur für Altwürttemberg und keines für Neuwürttemberg. Also gab es ein gemeinsames, indem er das altwürttembergische Kirchengut konfiszierte und sagte: Aber ich verpflichte mich, alles, was bisher aus diesem Kirchenkasten gezahlt worden ist, auch weiterhin zu bezahlen.

Das lief genau bis 1819. Dann wollte man das Ganze nämlich wieder auseinandernehmen. Man hat dafür eine Kommission eingesetzt. Diese ist durch die Revolution von 1918 überrollt worden. In diesen 99 Jahren hat sie es nicht geschafft, wieder herauszulösen, was eigentlich Kirchengut und was Staatsgut ist. Wenn die das in 99 Jahren nicht geschafft haben, meinen wir als Landtag von Baden-Württemberg, wir schaffen das in wenigen Jahren?

(Zuruf des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

Da kann ich nur sagen: Viel Freude! Wenn Sie mich als Vorsitzenden einsetzen, werde ich wahrscheinlich 85 Jahre alt dabei, bevor wir damit fertig sind. Eine Ablösung der Staatsleis tungen können wir also vergessen.

(Abg. Jörg Döpper CDU: Das ist nicht mehr so lan- ge!)

Für Staatsleistungen gibt es bei uns eine sogenannte Eckmannregelung. Sie bedeutet: Wenn sich die vom Staat bezahlten Beamtengehälter beispielsweise um 2 % erhöhen, dann müssen die Kirchen zusagen, auch die entsprechenden Pfarrbesoldungen um 2 % zu erhöhen. Dann greift die Eckmannregelung. Das heißt: A 14, Anfangsgehalt, Endgehalt, verheiratet, zwei Kinder, das Ganze geteilt durch zwei, und dann hat sich das. Das wird dann pauschal erhöht. Während man früher spitzabrechnen musste – jede Briefmarke, jede Portoerhöhung und dergleichen mehr –, macht man das nun pauschal.

Diese Eckmannregelung ist aber lediglich in einem Briefwechsel festgehalten und nicht gesetzlich festgeschrieben. Sie steht als Fußnote im Staatshaushaltsplan drin, und zwar in jedem Staatshaushaltsplan, den wir verabschieden. Diese Sache wollte man nun einmal geregelt haben und hat deshalb jetzt festgeschrieben, wie das für das Jahr 2007 aussieht, die Erhöhung für 2008, die Erhöhung für 2009 und die Erhöhung für 2010. Dann muss man wieder neu verhandeln.

Außerdem gab es bei den Staatsleistungen in der Tat einmal eine Kürzung. Da haben Sie recht, Herr Rust. Es war eine Kürzung um 5 Millionen € für alle zusammen, für beide Landeskirchen und für beide Diözesen.

(Abg. Ingo Rust SPD: Rechtswidrig!)

Das ist die Frage. Da würde ich Ihnen widersprechen. – Aber es gab – das war ja noch viel schlimmer – in früherer Zeit auch einmal eine sogenannte Deckelung. Weil die Eckmannregelung nicht per Gesetz geregelt war, gab es die Möglichkeit der Deckelung. Genau dem widersprechen wir jetzt, indem wir diesen Staatskirchenvertrag verabschieden.

Der zweite Punkt sind die Ersatzleistungen für den Religionsunterricht. Es ist relativ bescheiden, was dazu in dem Vertrag steht, nämlich schrittweise Erhöhung. Der Streit geht darum: Decken die Ersatzleistungen 38 % der Kosten, decken sie – vorhin haben wir es gehört – 45 %? In manchen kirchlichen Kreisen hörte man etwas von 28 %. Richtig ist, dass diese Leistungen zu erbringen sind, und es wäre sehr schön für die Kirche, wenn es dazu käme, dass man die Vornahme dieser Erhöhungsschritte nicht nach Dekaden, sondern vielleicht nach Jahren bemessen würde.

Meine Damen und Herren, was mir wichtig und was bisher nicht angesprochen worden ist, das ist der Konfirmandenunterricht. Wenn wir über Ganztagsschulen reden, müssen wir wissen, dass wir einen Nachmittag pro Woche für den Konfirmandenunterricht freihalten müssen. Im Vertrag steht nur, dass die Abhaltung des Konfirmandenunterrichts gewährleis tet sein muss. Ich gebe zu erinnern, dass in manchen Kirchengemeinden der Konfirmandenunterricht über zwei Jahre à 45 Minuten pro Woche geht statt über ein Jahr à eineinhalb Stunden. Auch das muss gewährleistet sein und gehört zur Lehre der Kirche.

Ich bedanke mich ausdrücklich, dass das Seelsorgegeheimnis besonders hervorgehoben worden ist, auch die besondere Seelsorge wie Polizeiseelsorge und dergleichen. Was fehlt, ist die Feuerwehrseelsorge, die aus meiner Sicht eine nicht unwichtige Sache ist. Die trägt jetzt der Feuerwehrseelsorger selbst vor.

Nun komme ich zu den Theologischen Fakultäten. Meine Damen und Herren, ich will den Rechnungshof nicht kritisieren. Der Rechnungshof hat auf etwas hingewiesen, was in der Tat eintreten kann und bei Küng im Jahre 1979 tatsächlich eingetreten ist. Das war eine große Debatte,

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Aber der hat uns doch berühmt gemacht und die ganze Universi- tät Tübingen!)

dass es bei einer katholischen Fakultät möglich ist, einen Professor abzuberufen bzw. ihm die Vocatio zu entziehen, und er die Fakultät verlassen muss. Aber was macht er dann? Bleibt er weiterhin Professor des Landes, da er ja Professor des Landes ist und nicht der katholischen Kirche? Mein Chef – Klaus Scholder – und Professor Quaritsch waren der Meinung, er bleibt Professor des Landes und braucht deshalb einen Lehrstuhl. Professor Heckel war der Meinung, er verliert auch den Lehrstuhl, wenn er die Vocatio verliert.

Meine Damen und Herren, dass das, was der katholischen Fakultät eingeräumt wurde, nun auch bei der evangelischen Kirche festgeschrieben wird, finde ich richtig. Ich gehe nicht davon aus, Herr Präsident Frank, dass Lehre und Bekenntnis aller Professorinnen und Professoren einer Evangelisch-Theologischen Fakultät gleichzeitig beanstandet werden und die einer katholischen auch, sodass der Staat dann zusätzlich 30 abberufene Professoren beschäftigen müsste und 30 neue Professoren an die Fakultäten berufen werden müssten. Von der Theorie her ist das zwar denkbar, aber in der Praxis wird dies wohl nicht der Fall sein.

Klar sein muss ohne Wenn und Aber – und hierzu muss das ganze Haus stehen –: Eine evangelische bzw. eine katholische Fakultät muss bekenntnisorientiert sein. Man kann nicht im Nebel irgendwelche Dinge installieren, wobei nachher für die eigentliche Lehre niemand zuständig ist. Denn dann sind es keine Theologischen Fakultäten mehr.

Meine Damen und Herren, es ist schon viel auf Werte verwiesen worden; das brauche ich nicht zu wiederholen. Es ist auch auf die wertvolle Arbeit der Kirchen im Bereich der Diakonie verwiesen worden. Da müsste manches, was die Kirchen bereits erfüllen, in der Tat vom Staat übernommen werden. Aber ich glaube, ohne mich groß zu wiederholen, ein Dank ist auch von unserer Seite angebracht. Wir schätzen diese Arbeit sehr. Wir wissen auch, wie wichtig es ist, dass gerade Senioren- und Pflegeheime wertorientiert geführt werden. In diesem Sinn ein Dankeschön.

Die FDP/DVP-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.