Protocol of the Session on October 10, 2007

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord- neten der FDP/DVP – Zuruf von der SPD: Sehr gut! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Bravo!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Lösch für die Fraktion GRÜNE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahrzehnten haben sich das Familienbild und auch die Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft stark verändert. Nur noch 5,7 % aller Paare wollen nach dem traditionellen Alleinernährermodell leben. Das hat selbst die Sozialministerin vorhin bestätigt.

Die EU-Kommission schlägt vor, dieses Leitbild durch ein neues zu ersetzen, nämlich durch das Adult-Worker-Modell. Demnach sollen alle Erwachsenen ungeachtet ihres Familienstatus in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.

Entgegen weit verbreiteter Mutmaßungen über einen „Gebärstreik“ der Frauen sind es zunehmend die Männer, die sich Lebensentwürfe nur noch ohne Kinder vorstellen können. Viele Väter fühlen sich der Aufgabe, über einen langen Zeitraum allein für das Familieneinkommen verantwortlich zu sein, zunehmend nicht mehr gewachsen, was angesichts der Arbeitsmarktlage, der ständig steigenden Ansprüche an die Flexibilität und der zunehmend unsteten Erwerbsbiografien auch sehr verständlich ist. Familienpolitische Konzepte, die auf klassischen Geschlechterrollen basieren, laufen in der heutigen Gesellschaft deshalb ins Leere. Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen bedeutet daher nicht nur das Recht von Frauen auf gerechte Teilhabe am Erwerbsleben, sondern auch das Recht der Männer auf Familie.

Aus diesem Grund brauchen wir zur Verbesserung dieser Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen eine Dreifachstrategie: erstens mehr Förderung für Frauen im Beruf, zweitens mehr Förderung für Männer in der Familie und drittens strukturelle Veränderungen, die die Vereinbarkeit für beide Geschlechter gleichermaßen fördern, z. B. die Möglichkeit flexiblerer Arbeitszeitgestaltung und eine bessere Infrastruktur bei der Kinderbetreuung und auch bei der Pflege.

Den ersten Punkt, mehr Förderung für Frauen im Beruf, haben wir beim ersten Tagesordnungspunkt schon diskutiert. Daher möchte ich den zweiten Punkt aufgreifen: Was heißt jetzt mehr Förderung für Männer in der Familie? Das heißt, dass die bislang nahezu ausschließlich von Frauen geleistete Fürsorgearbeit, neuerdings Care-Arbeit genannt, neu verteilt werden muss, und zwar gleichermaßen auf beide Geschlechter.

In der Stellungnahme zu unserem Antrag schreibt das Sozialministerium, dass Konzepte, die einen Beitrag zu einer gleich

berechtigteren Verteilung der unbezahlten, aber auch der bezahlten Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern leisten, notwendig sind.

Was schlägt jetzt die Landesregierung, das Sozialministerium vor? Die Landesregierung verweist auf den ausstehenden Bericht über die Umsetzungsphase der Gender-Strategie sowie auf weitere Maßnahmen und Initiativen. Da sind wir jetzt gespannt, wie dieser Umsetzungsbericht aussieht und welche Maßnahmen und Initiativen ergriffen werden. Das fordern wir auch ein, denn das ist genau die Messlatte dafür, ob dieser heutige Frauenplenartag ein Erfolg wird – das heißt, dass tatsächlich konkrete Maßnahmen durchgeführt werden –, oder ob wir uns in schönen Reden verlustieren und außer diesen schönen Reden und vielleicht ein paar neuen Prospekten nichts dabei herauskommt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Jörg Döpper CDU)

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass ein Vorschlag, der jetzt vonseiten der Landesregierung gekommen ist, weder dazu geeignet ist, die Care-Arbeit geschlechtergerecht zu verteilen, noch zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf führt. Das sind ihre Vorstellungen zur Pflegezeit. Der Ministerpräsident schlägt zehn Tage unbezahlten Urlaub vor. Das Sozialminis terium schlägt jetzt eine Pflegezeit von bis zu sechs Monaten mit Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeit, mit Rückkehrmöglichkeit und sozialer Absicherung vor.

Diese Vorschläge gehen komplett an der Realität vorbei. Die Pflegezeit muss doch auch denjenigen zur Verfügung stehen, die es sich nicht leisten können, drei Monate oder sechs Monate auf ein Haushaltseinkommen zu verzichten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Deshalb halten wir Grünen eine gesetzliche Pflegezeit als steuerfinanzierte und einkommensbezogene Lohnersatzleistung analog dem Elterngeld für den richtigen Vorschlag.

Der dritte Punkt sind die Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter.

(Zurufe der Abg. Beate Fauser und Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Es ist offenkundig, dass der gegenwärtige Umfang der bereitgestellten Angebote für viele Eltern keine Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht. Auf den Ausbau der Kleinkindbetreuung wird mein Kollege Kretschmann in der zweiten Runde noch eingehen.

Ich möchte noch den Punkt der Lebensphasen, der Familienzeitpolitik herausgreifen. Die Politik muss doch endlich der Tatsache Rechnung tragen, dass heute einzelne Lebensphasen wie Ausbildung, Beruf und Familiengründung nicht mehr nacheinander, sondern parallel verlaufen. Das sogenannte Dreiphasenmodell hat ausgedient. Es geht nicht gut, wenn immer mehr Menschen zwischen 25 und 35 Jahren, in der sogenannten Rushhour des Lebens, grundsätzliche Entscheidungen zur beruflichen Laufbahn, Karriere und Familiengründung treffen müssen.

In einer Untersuchung des Statistischen Landesamts wurde festgestellt, dass fast ein Viertel der Mütter bei der Geburt des Nachwuchses über 35 Jahre alt sind. Die Statistik stellt weiterhin fest, dass es in Kreisen mit vielen älteren Müttern meist weniger Kinder gibt als anderswo.

(Abg. Veronika Netzhammer CDU: Das ist jetzt aber eine Überraschung!)

Es ist damit zu rechnen, dass sich dieser Trend zur späteren Geburt noch fortsetzt, wenn sich die Rahmenbedingungen für eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht verändern.

Auf eine Frage in unserem Antrag nach der Entzerrung der Lebensphasen antwortet die Landesregierung lapidar mit dem Hinweis auf eine frühere Einschulung und die Einführung des achtjährigen Gymnasiums. Da muss ich leider feststellen, dass die Problematik noch nicht angekommen ist. Es geht nicht um eine Verkürzung dieser Zeiten. Es geht vielmehr darum, dass man diese Phasen nicht mehr nacheinander, sondern parallel leben muss. Ausbildungsphasen und Familiengründung dürfen sich nicht länger gegenseitig ausschließen. Das heißt, wir brauchen familienfreundlichere Hochschulen und Unternehmen sowie vor allem flexiblere Weiterbildungsangebote.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

In der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU, in der es um die Vereinbarkeit von Studium und Beruf geht, wurde ebenfalls festgestellt, dass strukturelle Barrieren das Studium mit Kind erschweren. Auch in der Studie FAST der Landesstiftung wird darauf hingewiesen, dass sich im Hochschulbereich noch viel ändern muss.

Das heißt, dass die baden-württembergische Familienpolitik noch stark verbesserungswürdig ist. Wir fordern daher eine Dreifachstrategie ein, die da heißt: Punkt 1: Mehr Förderung von Frauen im Beruf. Punkt 2: Mehr Förderung für Männer in der Familie. Punkt 3: Bessere Infrastruktur, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter zu fördern.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold für die Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren! Wie können junge Menschen heute Familie und Beruf miteinander vereinbaren? Diese Fragestellung ist auch für uns von der FDP/DVP das Kernanliegen der Familienpolitik. Hier müssen wir zum einen die Rahmenbedingungen für die Familien verbessern, zum anderen aber natürlich auch die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie; da sind wir uns ja alle einig.

Das bedeutet für uns zum einen eine Aufwertung der elterlichen Betreuungs- und Erziehungsarbeit. Ich sage ganz bewusst „Arbeit“. Ich habe vorhin schon gesagt: Es ist ein Riesenjob, Kinder zu betreuen und zu erziehen. Diese Arbeit muss in unserer Gesellschaft denselben Stellenwert haben wie das Streben nach Gewinn und Erfolg. Das sollten wir nicht vergessen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wir müssen uns auch immer wieder klarmachen: Das, was ein Kind am meisten braucht, ist die Liebe und die Zuwendung seiner Eltern. Nur durch diese Liebe und Zuwendung kann das Kind ein Urvertrauen entwickeln. Nur dadurch bekommt es den Mut, sich auf die wunderbare Entdeckungsreise in die Welt zu begeben, und nur dann kann es stabile Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen. Die elterliche Betreuung und Erziehung legt die Basis für all dies und für alles Weitere. Deshalb muss diese Arbeit gewürdigt, anerkannt und gestärkt werden. Wir müssen jungen Menschen Mut machen, sich auf die se Arbeit und diese Anstrengung, aber auch auf das damit verbundene Glück einzulassen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Gute Rahmenbedingungen für die Familie zu schaffen bedeutet aber auch – das ist völlig klar – die Schaffung und den Ausbau von Betreuungsangeboten außerhalb der Familie. Hier sind wir in Baden-Württemberg einen großen Schritt vorangekommen. Im Kindergartenbereich haben wir eine Vollversorgung erreicht, auch wenn wir sehen, dass es in der Tat nach wie vor einen Bedarf an Plätzen mit längeren Betreuungszeiten gibt.

Im Jahr 2003 – das wurde schon angesprochen – ist das Land auch in die Förderung der Krippen und der Kindertagespflege eingestiegen. Seither hat sich die Zahl der Betreuungsplätze versechsfacht. Wir werden Ende 2007 über 30 000 Betreuungsplätze für Kleinkinder im Land haben. Das ist schon ein großer Schritt nach vorne.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Wir haben auch die Betreuungsangebote in und an den Schulen ausgebaut. Ich darf daran erinnern, dass z. B. die Verlässliche Grundschule aufgrund einer Initiative der FDP/DVP auf den Weg gebracht worden ist. Die FDP/DVP war in den letzten Jahren auch der Motor, der dafür gesorgt hat, dass der Ausbau der Ganztagsbetreuung in unserem Land so intensiv vorangebracht worden ist.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Rainer Stickelber- ger SPD: Wie bitte? Das ist aber neu! – Weitere Zu- rufe von der SPD, u. a.: Na, sag mal!)

Meine Damen und Herren von der SPD, nachdem Sie von 1992 bis 1996 an der Regierung waren, hat es anschließend keine einzige Ganztagsschule mehr gegeben als davor. Das muss man auch einmal feststellen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wir begrüßen auch sehr – an diesem Punkt möchte ich etwas länger verweilen –, dass sich immer mehr Betriebe und Unternehmen in der Kleinkindbetreuung engagieren.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ja, wenn die Landes- regierung nichts tut, machen es die Betriebe halt selbst!)

Denn – das wissen wir heute aus einer ganzen Reihe von Untersuchungen – Familienfreundlichkeit ist für die Betriebe gerade auch bei ihrer Suche nach Fachkräften zu einem wichtigen Wettbewerbs- und Standortfaktor geworden. Familienfreundlichkeit rechnet sich auch betriebswirtschaftlich; auch das wissen wir heute. Es wurde ja schon erwähnt: Die Mitarbeiter sind zufriedener, motivierter und leistungsstärker, wenn sie ihre Kinder gut betreut wissen. Ihre Bindung an das Unternehmen wird größer, und sie sind auch seltener krank.

Dennoch zögern viele Betriebe, in die Kleinkindbetreuung einzusteigen, und zwar aus gutem Grund. Ein Betriebskindergarten etwa ist in der Regel gemeindeübergreifend, und hier gibt es tatsächlich im Moment Probleme.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Ach, und warum?)

Ein solcher Kindergarten hat gegenüber der jeweiligen Wohnsitzgemeinde einen Anspruch auf Zuschuss.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das kann die Landes- regierung regeln, aber sie tut es nicht! Ja, sag ein- mal!)

Das ist mit einem großen Verwaltungsaufwand verbunden, und in einigen Fällen gibt es Streit, weil die Kommunen nicht zahlen wollen.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Wenn man alles auf an- dere abwälzt!)

Wir schätzen das Engagement der Wirtschaft beim Aufbau von Kleinkindbetreuungseinrichtungen sehr. In der Stellungnahme zu unserem Berichtsantrag wird deutlich, dass auch das Wirtschaftsministerium sehr intensiv darum bemüht ist, die Firmen bei familienfreundlichen Maßnahmen zu unterstützen.

(Beifall bei der FDP/DVP)