Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum – Förderung der Vermarktung von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln im Ausland – Drucksache 14/685
Das Präsidium hat für die Begründung des Antrags eine Redezeit von fünf Minuten und für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema heißt „Förderung der Vermarktung von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln im Ausland“ und soll eigentlich klarmachen, dass in den letzten Jahren ein enormer Bedeutungswandel und eine enorme Veränderung der Agrarstruktur eingetreten sind. Unsere Agrarstruktur, zumindest im Hinblick auf die Förderung von Vermarktung und Verkauf, stammt in ihren Grundzügen eigentlich noch aus dem vorletzten Jahrhundert, aus der Gründerzeit der Genossenschaften in den Jahren 1862, 1871 und 1881. Sie hat sich erst in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts in der Breite entwickelt – aber eben sehr in der Breite und nicht in der Tiefe. Da hat sich sehr viel verändert.
Wir haben in Deutschland noch immer 1 395 Genossenschaf ten für Vermarktung und Verarbeitung, davon allein über 450 in Baden-Württemberg. Dabei haben sich auf der Abnehmerseite riesige Konzentrationen gebildet. Wir wissen, dass einige Konzentrationen auch auf der Lieferseite vorhanden sind, nämlich bei der Milch. Wir haben immer noch 102 Milchgenossenschaften in Deutschland. Im Jahr 1990 waren es sogar 360. Aber nur fünf bis sechs Discounter nehmen 45 bis 55 % aller Molkereiprodukte ab. Wir haben die Konzentration auf dem Fleischsektor, bei den Schlachthöfen. Die drei größten Schlachthöfe schlachten 56 % der Schweine.
Wir haben also eine Konzentration auf dem Käufermarkt bei den Lebensmitteln. Die Top Five der Lebensmittelverkäufer, der Discounter, haben 50 % der Marktanteile, die Top Ten 86 % Marktanteile – zehn Abnehmer für 80 % der landwirtschaftlichen Produkte und nachfolgenden Erzeugnisse gegenüber einer Vielzahl, ja, einer Unzahl von Vermarktungseinrichtungen für landwirtschaftliche Produkte! Hier stimmt etwas nicht.
Wenn wir mit dieser Konstruktion und mit dieser Struktur versuchen wollen, auf dem Weltmarkt Fuß zu fassen, auf dem wir noch total unterrepräsentiert sind, während die Zahl neuer Märkte jedoch ungeheuer steigt, dann können wir das nur machen, wenn die Vermarktungsstrukturen, die Angebotsstrukturen dem angepasst sind. Das ist nicht der Fall.
Der Produktionswert der Agrarerzeugnisse bei uns in Deutschland liegt bei 46 Milliarden €. Inklusive des Produktionswerts bei der weiterverarbeitenden Ernährungsindustrie sind wir bei fast 140 Milliarden €. Wir haben Steigerungsraten zwischen
3 und 6 %, in den letzten zwei Jahren waren es in BadenWürttemberg 6 %. Die Landwirtschaft ist jedoch auch Kunde der Industrie mit einem Auftragswert von 32 Milliarden €.
Deshalb ist es wichtig, dass wir wissen, dass unsere Einfuhren relativ gering angestiegen sind – um 0,7 bis 1 % –, aber unsere Ausfuhren um 6 % gestiegen sind – ein Exportmarkt, wie wir ihn vor fünf oder vor zehn Jahren überhaupt noch nicht gekannt haben. Diese Chance müssen wir nutzen. Die neuen EU-Beitrittsländer haben exorbitante Zuwachsraten, was unsere Exportlieferungen dorthin betrifft – und auch für Russland ist es allein ein Plus von 14 %. Die 25 EU-Mitgliedsstaaten nehmen 81 % unseres Exportvolumens ab.
Wir sind mittlerweile mit einem Auftragswert in Höhe von 26 Milliarden € viertgrößter Exporteur landwirtschaftlicher Produkte auf der Welt nach Amerika, nach Frankreich und nach den Niederlanden. Die eigentlichen Exportmärkte, meine Damen und Herren, entstehen erst, jedenfalls für hochwertige landwirtschaftliche Produkte. Um einen Vergleich zu nennen: Indien hat 1,1 Milliarden Einwohner; die Kaufkraft pro Kopf der Bevölkerung beträgt jedoch nur zwischen 5 und 8 % der Pro-Kopf-Kaufkraft in Deutschland. Das bedeutet einen Kaufkraftmarkt, der 50 bis 80 Millionen Einwohner in Deutsch land entspricht. Indien liegt zwar ziemlich weit entfernt; eine ähnliche Situation hat sich aber auch in den Nachfolgestaaten der GUS entwickelt. Hier liegen die Märkte vor unserer Tür. Das bedeutet, die Exportchancen können nur genutzt werden, wenn unsere Agrarstrukturen, unsere Agrarmärkte anpassungsfähig sind.
Heute Morgen hat der Herr Wirtschaftsminister in der Debatte gesagt, er starte in dem unmittelbar vor der Haustür liegenden europäischen Raum eine Offensive für unser Handwerk und für unseren Mittelstand. Bravo, richtig, gut! Eine solche Offensive, eine Exportinitiative brauchen wir eigentlich auch für die Landwirtschaft. Wir brauchen neue Vermarktungsstrategien und neue Einrichtungen.
Das Land Baden-Württemberg hat ein eigenes Instrument, die Marketinggesellschaft Baden-Württemberg mit einem Etat von 400 000 €. Mit Verlaub: Das reicht aus, um die eine oder andere Fachmesse zu beschicken. Es gibt als weiteres Instrument die CMA – derzeit mit den größten Schwierigkeiten –, die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, die bei Weitem nicht in der Lage ist, neue Märkte so zu erschließen, wie es nötig ist.
Andere machen es uns vor. Ich nenne als Beispiel einmal die Weinländer. Weinländer waren in der Lage, bei uns in Deutschland in kurzer Zeit die Hälfte des Weinmarkts zu erobern. In gut zehn Jahren ist ihnen das gelungen – allerdings mit richtigen und großen Strukturen.
Unser Antrag hat zum Ziel, dass die baden-württembergische Landesregierung diese Aufgabe und diese Zielstellung viel offensiver und viel stärker nach vorn orientiert vertritt, damit die Landwirtschaft in Baden-Württemberg ihre Größe und ihr Gewicht in der Zukunft auch in die Waagschale werfen und ihre Exportchancen nutzen kann.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die deutsche und die baden-württembergische Wirtschaft spurten beim Export von Rekord zu Rekord. Wir dürfen uns darüber freuen, denn, meine Damen und Herren, das ist doch eine sehr große Leistung auch der Bevölkerung unseres Bundeslands Baden-Württemberg. Nicht umsonst sind wir die Nummer 1 in Deutschland und in Europa.
Traditionell stehen der Maschinen- und Anlagenbau, die KfzIndustrie und die Chemiebranche bei der Ausfuhr im Vordergrund. Aber eben nicht nur Daimler, Porsche und Bosch repräsentieren nach außen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und der baden-württembergischen Wirtschaft, sondern – wie heute Vormittag schon gehört und bestätigt – auch und gerade unser leistungsfähiger Mittelstand und das Handwerk stehen für die herausragende Wirtschaftskraft in Baden-Württemberg.
Hier gilt übrigens mein besonderer Dank allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern.
Hier hinein gehören auch die Agrarproduktion und die Lebensmittelwirtschaft. Der Export der Ernährungswirtschaft Baden-Württembergs belief sich 2005 auf einen Gesamtwert von 2,9 Milliarden €. Allerdings beträgt der Anteil des Wirtschaftszweigs Land- und Forstwirtschaft und Fischerei 0,7 % an der Bruttowertschöpfung. Aus diesem Grund werden im ganzen Land große Anstrengungen unternommen, um den Verkauf landwirtschaftlicher Produkte im In- und Ausland zu fördern. Im Übrigen liegt dabei der Fokus nicht nur auf Quantität, sondern insbesondere auch auf Qualität, einem Markenzeichen unseres Bundeslands.
Durch Marketingmaßnahmen der Ernährungswirtschaft, der Verbände, durch Werbekampagnen der CMA – so z. B. sehr erfolgreich während der Fußballweltmeisterschaft –, durch Verbrauchermessen, die oftmals Hand in Hand mit kommunalen und Landesinitiativen gehen, durch Produktpartnerschaften wie die kürzlich entwickelte Wein-Käse-Partnerschaft zwischen dem Kaiserstuhl und dem Allgäu,
durch Ernährungsinformation und Ernährungsbildung – so z. B. durch unsere Ernährungszentren –, durch Plenum-Projekte – so z. B. durch clevere Gastronomiekonzepte wie „Seezunge“ bzw. „Landzunge“ oder wie „Schmeck den Süden“ –, den Landfrauen-Partyservice und vieles andere mehr wird der Verbraucher angesprochen und auf die hohe Qualität landwirtschaftlicher Produkte aus Baden-Württemberg und aus der Region, also auch auf die Regionalität, hingewiesen. Hier gelten der Dank und die Anerkennung all den zahlreichen Akteuren, die sich mit großem Engagement haupt- und ehrenamtlich für die Landwirtschaft in unserem Land einsetzen.
Ich komme nun zur Exportwirtschaft. Unter den exportorientierten Branchen liegt, wie eben von Herrn Winkler festgestellt, die Ernährungswirtschaft in Deutschland tatsächlich auf
dem vierten Platz. Von 1999 bis 2004 haben die Ausfuhren jährlich um 1,8 Milliarden € zugelegt. Milch, Molkereiprodukte, Fleischwaren, Backwaren, Obst und Gemüse sowie – nicht zu vergessen – Bier und Wein machen einen Wert von 21 % der Verkaufserlöse aus. Die Entwicklung der Agrarexporte ist dynamisch und erreicht dabei enorme Steigerungsraten: Im Jahr 2005 betrug die Steigerungsrate bei Agrarexporten in Nicht-EU-Länder 13 %, in Mitgliedsstaaten der EU 7 %, im Jahr 2006 in Nicht-EU-Länder 14 %, in EU-Länder 9 %. Man darf feststellen: Die EU-Osterweiterung wirkt sich dabei sehr positiv aus. Osteuropa – auch Russland – sowie Indien und China stellen interessante und zukunftsfähige Absatzmärkte mit hohem Wachstum dar.
Am Beispiel der baden-württembergischen Milchwirtschaft – und diese ist mir als Vertreter des Allgäus und Oberschwabens ein ganz besonderes Anliegen – mit ganz gezielten Absatzförderaktivitäten im EU-Raum und darüber hinaus kann man den Erfolg nachvollziehen. Der Exportanteil liegt hier bei einigen Verarbeitern zum Teil deutlich über 30 % der Gesamtproduktion und konnte in den letzten Jahren Stück für Stück gesteigert werden. Man sieht also, Herr Winkler, wir sind da schon ganz gut am Ball. Dieses Beispiel zeigt es sehr eindrucksvoll.
Die Förderung des Absatzes von Agrarprodukten zahlt sich aus. Ich nenne Ausstellungsbeteiligungen und die Unterstützung von Verkaufsförderaktionen durch die MBW sowie die enge Abstimmung und Zusammenarbeit mit den betreffenden Einrichtungen auf Bundesebene, insbesondere mit der CMA oder mit dem Deutschen Weininstitut. So wurde der Marketinggesellschaft Baden-Württemberg bereits bei der Gründung die Erschließung von Absatzmöglichkeiten im Ausland als Aufgabe übertragen.
Übrigens: Auf allen Ebenen müssen wir uns anstrengen, um den Absatz landwirtschaftlicher Produkte im In- und Ausland zu fördern. Pfiffige Ideen und eine Vielfalt sowie auch eine Bündelung von Maßnahmen der Lebensmittelwirtschaft, des Landes und der Kommunen sowie der Verbände und weiterer Partner sind hier wirkungsvoller als eine Beauftragung im Rahmen der bereits vorhandenen Aufgabenstellung.
Lassen Sie mich am Schluss meines Redebeitrags ein Plädoyer für die Landwirtschaft halten. Unsere Landwirte – nicht nur als Lebensmittelproduzenten, sondern auch mit ihrem Beitrag zur Landschaftspflege und zum Landschaftserhalt – verdienen unsere uneingeschränkte Unterstützung, was Absatzmärkte und Absatzförderung im In- und Ausland angeht. Glücklicherweise legen die Verbraucher immer stärker Wert auf Qualität und sind auch bereit, einen angemessenen und auskömmlichen Preis für landwirtschaftliche Produkte zu bezahlen. Unsere Maßnahmen wirken. Meine Damen und Her ren, Gott sei Dank ist das Unwort „Geiz ist geil“ und das daraus resultierende Verhalten vorbei, und das ist gut so.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich ist es natürlich von unserer Seite zu begrüßen, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen von der SPD Sorgen um das Wohlergehen der deutschen und insbesondere der baden-württembergischen Landwirtschaft machen. Jeder schwäbische Schäfer darf ja sein Lammfleisch in Neuseeland vermarkten. Dagegen haben wir ja nichts. Auch die Winzer dürfen ihre Weine nach Südafrika exportieren. Bauern können ihr Rindfleisch in Argentinien absetzen. Aber so vorzugehen, wie es Kollege Locherer gerade gesagt hat – die Veredelung von Milch im Allgäu und der Absatz dieser Produkte auf einheimischen Märkten zu einem angemessenen Preis sowie der Export dessen, was dann noch übrig ist –, das halte ich doch für einen wesentlich sinnvolleren Weg. Andererseits spricht einiges dagegen, dänische Schweine aus der Massentierhaltung dann als „glückliche Schwarzwälder Schinken“ in der Welt herumzukarren; das halten wir für eine klimapolitische Absurdität.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Oswald Metzger GRÜNE: Genau! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Schwarzwälder Schinken ist nichts? Sie versauen mir alles! – Heiterkeit)
Sie verstehen genau, was ich meine. – Weiter ist natürlich sehr fraglich, ob eine Intensivierung der Exportmarketingbemühungen das richtige Konzept für Zukunftsförderung beinhaltet. Dazu fällt mir ein altes, typisch grünes Prinzip ein, nämlich: Think global, act local.
Die Zukunft preisstabiler und nachhaltig erzeugter Lebensmittel von hoher Qualität liegt in erster Linie im regionalen und im nationalen Absatzmarkt. Sowohl die Aktivitäten des Landwirtschaftsministers als auch die parteiübergreifenden Bemühungen um Agrarförderungen müssen zum Ziel haben, die vorhandenen Fördermittel für alle Töpfe, also auch für die Marketingfinanzierung, nicht nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen, sondern sie gezielt auf die zukunftssicherende Inlandsnachfrage nach den erzeugten Lebensmitteln im qualitativ hochwertigen Segment zu konzentrieren.
Eine Fokussierung auf den Export führt zu einer zukunftsabgewandten Landwirtschaftspolitik. Aufgrund des enormen
Preisdrucks auf dem globalen Agrarmarkt führt die Exportpolitik zu steigender Abhängigkeit von Subventionen. Es kann nicht sein, dass wir Lebensmittel unter großem Preisdruck und mit hohem Subventionsbedarf zur Herstellung der Konkurrenzfähigkeit auf die globalen Märkte drücken und damit die bereits jetzt bestehenden Umwelt- und Klimaprobleme durch zunehmenden Güterverkehr und großflächige Produktion mit Pestizid- und Herbizideinsatz verschärfen.
Dies ist erst recht nicht förderungswürdig, wenn – wie es gegenwärtig der Fall ist – auf der anderen Seite die Inlandsnachfrage in dem größten Wachstumsmarkt der Landwirtschaft, nämlich der Produktion von Biolebensmitteln, aufgrund der verfehlten Landwirtschaftspolitik der letzten Jahre nicht mehr aus inländischer Produktion gedeckt werden kann. Hier fehlt es an einer umfassenden Neukonzeption der Landwirtschaftspolitik. Diese muss in weit größerem Maße als bislang die Förderung von Produktion und Vermarktung der Lebensmittel auf die Qualitätsmerkmale „regional“ und „biologisch erzeugt“ ausrichten.