Protocol of the Session on February 8, 2007

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Formell!)

Wenn Sie Privatisierung so organisieren, können Sie nicht erwarten, dass Sie von der Opposition Beifall bekommen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE)

Was die Sozialgerichte angeht, besteht in der Tat aktueller Handlungsbedarf, weil die Sozialgerichte durch die vielen Hartz-IV-Verfahren überlastet sind.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Also eine schlech- te Gesetzgebung, würde ich einmal sagen!)

Herr Dr. Schüle, Sie haben in diesem Zusammenhang natürlich wieder den alten Hut einer Zusammenlegung von Fachgerichtsbarkeiten vorgebracht.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Was heißt „alter Hut“?)

Das ist ein alter Hut. Reden Sie einmal mit den Kolleginnen und Kollegen aus Ihrer Fraktion im Bundestag. Die verspüren in ihrer Mehrheit überhaupt keine Neigung, einer solchen Zusammenlegung näherzutreten.

(Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Das ist ein langwieriger Prozess. Das kann vielleicht in vielen Jahren kommen. Die Sozialgerichte müssen aber jetzt entlastet werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, diese Entlastung kann man nicht dadurch erreichen, dass man den Prozessbeteiligten in sozialgerichtlichen Verfahren jetzt Prozesskosten oktroyiert. Denn gerade aus dem Hartz-IV-Bereich werden wir traditionell Kläger haben, die Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Wer hat eigentlich Hartz IV beschlossen? Wer hat ein Gesetz beschlos- sen, das so viele Prozesse verursacht?)

Dann verlagern Sie die Belastung nur von den regulären gerichtlichen Verfahren in die Prozesskostenhilfe.

Was die Staatsanwaltschaften angeht: Ich glaube, das ist ein Thema, das der Generalstaatsanwalt angerissen hat und das wir zu Recht weiterverfolgen sollten, nämlich die Frage: Wie können wir es mit dem Legalitätsprinzip vereinbaren, dass wir die vielen Bagatellverfahren herausnehmen oder zumindest ihre Zahl reduzieren können, um die Staatsanwaltschaften zu entlasten? Ich sehe hier eine bessere Investition in Staatsanwälte, die organisierter Kriminalität nachgehen, die die Abschöpfung von

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Gewinnen!)

Gewinnen aus Straftaten anstreben. – Herr Zimmermann, Sie sind in der Abschöpfung Spezialist. Vielen Dank für das Stichwort.

Hier sehe ich Handlungsbedarf für uns. Deswegen sollten wir diese Anregungen aufgreifen und uns gemeinsam Gedanken machen, wie wir hier einerseits die Justiz entlasten und andererseits wirksam gegen große Kriminalität vorgehen können und wie vielleicht noch der Landeshaushalt profitieren kann.

(Beifall bei der SPD)

Herr Justizminister – ich schaue immer nach links; ich muss mich erst daran gewöhnen, dass Sie nach rechts gerückt sind; entschuldigen Sie –,

(Heiterkeit – Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Er ist dort, wo er hingehört!)

die Justizministerkonferenz ist in vielen Bereichen dabei, neue Überlegungen anzustellen, und Sie haben ja auch schon viele Initiativen auf den Weg gebracht. Aber die Justizministerkonferenz ist kein Ersatzgesetzgeber und kein Ersatzbundestag. Deswegen stellen wir uns vor: Bitte machen Sie Ihre Hausaufgaben erst im Land Baden-Württemberg. Da gibt es derzeit genug zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Oelmayer.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Thomas, jetzt musst du dich anstrengen! Herr Stickelberger hat Maßstäbe gesetzt!)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen zu später Stunde! Es macht manchmal ja doch Sinn, die Vorberichte zu den einzelnen Haushaltsplänen zu studieren.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das macht immer Sinn!)

Der des Justizministeriums beginnt ganz interessant, und das will ich auch als Anknüpfungspunkt für meinen Beitrag hier benutzen. Er beginnt mit einem chinesischen Sprichwort: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Dieses Zitat bringen Sie jedes Mal!)

Dass wir diejenigen sind, die Windmühlen bauen, viel mehr, als Sie vielleicht wollen, steht außer Frage. Dass aber auch das Ministerium und allen voran natürlich der Minister, der die politische Verantwortung dafür trägt – Kollege Stickelberger, er ist ja nicht nur Bauleiter, er müsste eigentlich Architekt sein –, eher Mauern bauen,

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: In Offenburg baut er Mauern!)

das will ich Ihnen jetzt anhand einiger Beispiele dartun.

Ich will mit dem Thema „Sinnvolle Strukturveränderungen“ beginnen. Wenn wir Winde der Veränderung verspüren,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Verspüren Sie Win- de? – Heiterkeit bei der CDU)

dann heißt das ja auch, dass wir Veränderungen auch umsetzen müssen. Ich kämpfe in diesem Parlament seit vielen Jahren für eine Strukturveränderung innerhalb der Justiz. Ich nenne Ihnen zwei Bereiche.

Erstens: die ordentliche Gerichtsbarkeit. – Kollege Zimmermann, vielleicht hören Sie einfach zu. Dann können Sie es sich besser merken,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Ich leide mit Ihnen, Herr Oelmayer!)

und dann haben Sie beim nächsten Mal auch die Denke, die die Grünen-Fraktion prägt, besser drauf.

Ich erwähne einmal die 108 Amtsgerichte. Es gibt seit vielen Jahren ein Gutachten des Rechnungshofs, wonach wir von den 108 wenigstens 27 abbauen sollten. Der Ministerialdirektor im Justizministerium hat mir bestätigt, dass das auch eine Effizienzrendite ergibt. Ganz unabhängig davon, dass es auch eine Innovation wäre, wenn sich Richterinnen und Richter in einem anderen Umfang austauschen könnten als bei Einmann- oder Einfraugerichten, wie wir sie derzeit in Baden-Württemberg noch haben, gibt es auch materielle Vorteile. Aber was tut sich in diesem Bereich? Gar nichts. Es bewegt sich überhaupt nichts.

(Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Nicht alles schlechtreden! Wir haben auch gute Gerichte! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Welche wollen Sie auflö- sen?)

Das hat nun die Konsequenz – da habe ich mir erlaubt, beim Ministerium nachzubohren –, dass infolge der nicht durchgeführten Strukturreformen Personalabbauprogramme gefahren werden, Personalabbauprogramme, die in den Jahren bis 2012 1 500 Stellen bei der Justiz zum Abbau bringen. Ich habe mir einmal erlaubt – Kollege Dr. Schüle, ich weiß nicht, ob Sie das alles draufhaben; ich hatte das nicht –, eine Anfrage an das Ministerium zu richten und habe mitgeteilt bekommen, dass es sieben Personalabbauprogramme mit unterschiedlichen Zahlen und mit unterschiedlichen Ausprägungen gibt. Tatsache ist, dass bisher 925 Stellen abgebaut worden sind.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Das habe ich doch al- les gesagt! Das ist doch richtig!)

Damit komme ich zum nächsten Punkt. Von der Staatsanwaltschaft wird offiziell und ganz offen vorgetragen, dass dort inzwischen Stellen fehlen, um den Arbeitsanfall auch bewältigen zu können. Das wird hier auch dokumentiert: Nach dem Personalbedarfsberechnungssystem PEBB§Y und Gutachten, die Sie vonseiten des Ministeriums haben machen lassen, fehlen allein bei den Staatsanwaltschaften 91 Stellen. Das ist die Konsequenz Ihrer Politik. Da kann man gar nicht davon reden, dass Sie keine Mauern, sondern Windmühlen bauten. Genau das Gegenteil ist der Fall: Sie mauern sich ein in den Strukturen, die Sie seit vielen Jahrzehnten in diesem Land vorfinden, und Sie sind nicht bereit, an diesen Strukturen Veränderungen vorzunehmen.

Da kann ich gleich mit einem weiteren Punkt anschließen. Herr Minister, das verbinde ich auch mit einer Frage. Es geht um die Sozialgerichtsbarkeit. Wir alle haben davon gesprochen, dass der Arbeitsanfall, die Zahl der Fälle bei den Sozialgerichten extrem zugenommen hat. Das will ich gar nicht im Detail vortragen; das ist – glaube ich – unstreitig. Auch Sie, Herr Minister, haben das durchaus eingeräumt. Sie haben aber auch des Weiteren – wenn es denn so stimmt, und das frage ich Sie – der Präsidentin des Landessozialgerichts am 31. Januar im Rahmen eines Gesprächs mit ihr – das entnehme ich einer Pressemitteilung des Landessozialgerichts vom 7. Februar; Herr Minister, die haben Sie sicher auch, denn Sie sind ja durchaus derjenige, der dazu vielleicht auch Zugang hat – zugesagt –

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Wären Sie bereit, sie ihm zur Verfügung zu stellen?)

so teilt sie das jedenfalls mit –, fünf bis sechs zusätzliche Richterstellen auf die Sozialgerichtsbarkeit zu übertragen. Da ich aber heute vom Kollegen Schüle jedenfalls dazu noch gar nichts gehört habe,

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Zuhören! Sie haben nicht zugehört!)

möchte ich Sie, Herr Minister, bitten, zu dieser Frage nachher Stellung zu nehmen. Wir haben dazu einen Antrag gestellt, weil wir der Auffassung sind, dass wir in diesem Bereich nicht nur mit fünf zusätzlichen Stellen arbeiten können, sondern dass wir zehn zusätzliche Stellen brauchen und dass wir die nicht erst dann brauchen, wenn die Zusammenführung der Fachgerichtsbarkeiten gelungen ist. Herr Minister, auch Sie wissen, dass das unter Umständen noch Jahre dauern kann.

Herr Dr. Schüle, das wissen auch Sie. Das können Sie uns nicht vorwerfen. Wir sind eher auf der Seite der Befürworter.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut! Ja! Klar!)

Wenn wir da noch warten wollen, dann haben wir bei den Sozialgerichtsbarkeiten noch über Jahre hinweg einen Missstand. Wir müssen jetzt dort handeln; das erwarten wir auch. Deswegen haben wir auch einen Antrag zu diesem Haushaltsplan eingebracht. Herr Minister, wie Sie die Stellen, die Sie zugesagt haben, dann aus dem Hut zaubern, spielt letztendlich keine Rolle. Hauptsache ist, dass Sie dem Parlament heute zusagen, dass sich auch im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit etwas bewegt. Dann können Sie vielleicht ganz bescheiden, partiell davon sprechen, dass Sie, jedenfalls in diesem Bereich, auch eine kleine Windmühle gebaut haben.