Protocol of the Session on February 7, 2007

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sozialpolitik ist ein Kernthema und eine Kernaufgabe staatlichen Handelns.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Ganz automa- tisch!)

Aber auf die Frage, wie sozialpolitische Aufgaben zukunftsfähig gemacht werden können, haben Sie bei den Haushaltsplanberatungen keine Antwort geliefert.

Dass man in einem schon in der Vergangenheit radikal zusammengekürzten Haushalt nun keine großen Einschnitte mehr

vorgenommen hat, das bezeichnen Sie schon als Erfolg und sind damit zufrieden. Aber dass Sie keine einzige innovative Idee umgesetzt haben, keine zukunftsträchtige Entscheidung getroffen haben, das bezeichnen wir als Armutszeugnis.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Dieter Hillebrand CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Das Problem ist die Trägheit Ihrer Politik, die verhindert, dass notwendige Entscheidungen getroffen und auch umgesetzt werden. Das zeigen die Beispiele Landeserziehungsgeld, Ausbau der Kleinkindbetreuung, Nichtraucherschutz oder auch Ihre Haltung zur kontrollierten Heroinabgabe. Ich erwähne das, weil heute der Krisengipfel der sieben deutschen Städte stattfindet, die an der Heroinstudie teilgenommen haben und die noch immer auf eine gesetzliche Regelung warten, um auf der Basis der positiven wissenschaftlichen Erkenntnisse weiterarbeiten zu können.

(Zuruf des Abg. Wilfried Klenk CDU)

Ich appelliere nun noch einmal an Sie: Lassen Sie diese Städte nicht im Stich, und lassen Sie vor allem die betroffenen Menschen nicht im Stich; denn hier geht es nicht um Ideologien, sondern es geht um Fakten und um das reine Überleben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Eine andere Reform, die sich auf Landesebene ähnlich zäh gestaltet – fast so wie die Gesundheitsreform innerhalb der Großen Koalition –, ist die Weiterentwicklung des Landeserziehungsgelds. Wir haben auch in diesem Jahr wieder einen Antrag in die Haushaltsplanberatungen eingebracht, der die stufenweise Umwidmung des Landeserziehungsgelds für die Kleinkindbetreuung vorsieht, und zwar genau in der Höhe der von den Verpflichtungsermächtigungen frei werdenden Mittel. Unserer Meinung nach ist das Landeserziehungsgeld ein Auslaufmodell. Es hat keinen logischen Anschluss mehr zum Elterngeld vom Bund.

(Abg. Bernhard Schätzle CDU: Bleiben Sie beim Thema!)

Das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung und hat das Ziel, dass Frauen und Männer so schnell wie möglich wieder ihre Berufstätigkeit aufnehmen können. Es setzt natürlich auf eine darauf folgende gut ausgebaute, ausreichende Betreuungsstruktur für Kleinkinder, die wir hier in Baden-Württemberg jedoch in dem benötigten Umfang noch gar nicht haben.

Übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD: Auch sozial schwache Familien profitieren von einer besseren Infrastruktur. Das Landeserziehungsgeld war, im Gegensatz zum Elterngeld, nie als Einkommensersatz für sozial schwache Familien vorgesehen. Das Ziel des Landeserziehungsgelds – ich zitiere die Sozialministerin aus der „Stuttgarter Zeitung“ vom 29. Januar – ist:

Mit dem Landeserziehungsgeld soll die Erziehungskraft in der Familie gestärkt und die Erziehungsleistung gesellschaftspolitisch anerkannt werden.

Damit zielt es in eine komplett andere Richtung als das Elterngeld der Bundesregierung.

Eine Schlüsselrolle bei der Kinder- und Familienfreundlichkeit des Landes spielt die Kleinkindbetreuung. Das Land ist noch meilenweit entfernt von einer ausreichenden, qualitativ hochwertigen Betreuungsstruktur für Kinder unter drei Jahren. Zwar stimmt es, dass seit 2003 das Angebot für Kleinkindbetreuung um 60 % gestiegen ist. Das ist eine positive Entwicklung, aber von einem sehr niedrigen Niveau aus. So ist Baden-Württemberg mit seiner Betreuungsquote von 9 % im Landesdurchschnitt noch weit von einer bedarfsgerechten Betreuung entfernt.

Im Gegensatz zur Landesregierung haben wir ein solides Ausbaukonzept, um in Baden-Württemberg bis 2010 ein flächendeckendes, bedarfsgerechtes Betreuungsangebot für Kleinkinder zu schaffen. Bis 2010 soll im Landesdurchschnitt für jedes vierte Kind eine Betreuungsmöglichkeit geschaffen sein.

Bei der Kleinkindbetreuung reicht die Kinderlandlyrik nicht mehr aus. Da bedarf es Taten. Außer wolkigen Umschreibungen haben wir heute Vormittag in der Rede des Ministerpräsidenten nichts Konkretes gehört. Er hat zu einem Satz angesetzt, der mit den Worten begann: „Bis 2012...“. Dann folgte eine Pause, und dann fuhr er fort: „... wollen wir eine bedarfsgerechte Ausbaustruktur für Kleinkinder haben“. Aber dazu, in welcher Höhe und wie dies umgesetzt wird, habe ich kein Wort gehört.

Ihre Vorschläge zur Weiterentwicklung des Landeserziehungsgeldes würde ich nicht als sozial ungerecht bezeichnen, wie die Kollegin Vogt das in der Presse getan hat, sondern ich würde sie eher als unausgegoren bezeichnen. Geld für die Stärkung der Erziehungskompetenz, Geld für die Stärkung der Eltern ist wichtig, aber nicht in Form von Gutscheinen. Das haben, glaube ich, auch alle familienpolitischen Sprecher und Sprecherinnen erkannt. Damit erreichen Sie die Familien aus bildungsfernen Schichten natürlich nicht. Da eignet sich nicht die Kommstruktur, sondern man muss zu diesen Familien hingehen, sonst erreicht man sie nicht.

Aber dieses Vorgehen so zu begründen, wie es der Ministerpräsident getan hat, nämlich mit den Worten, die Badener und die Württemberger hätten ja nun einmal die Eigenschaft, sobald es etwas umsonst gibt, das auch einzulösen,

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Die Badener nicht! Nur die Württemberger! – Zurufe der Abg. Hans Heinz und Dieter Hillebrand CDU)

zeugt wirklich von so wenig sozialpolitischem Sachverstand, dass ich ihm raten würde, sich bei seinen – abschätzig sogenannten – Sopos doch erst einmal kundig zu machen, bevor er mit solchen Vorschlägen an die Öffentlichkeit geht.

(Zurufe von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Vergangenheit hat die Landesregierung verschiedene Initiativen im Bereich „Gewalt gegen Frauen“ ergriffen. Mit anderen Organisationen müssen nun gemeinsame Handlungs- und Präventionsstrategien entwickelt werden. Diese Bündnisse müssen vernetzt und koordiniert werden. Das können die Beratungsstellen nicht neben

her leisten. Deshalb wollen wir eine Stelle, die diese Tätigkeit übernimmt. Dazu sind 60 000 € erforderlich für eine Stelle, die an eine bestehende Beratungsstelle angekoppelt werden könnte.

(Zuruf des Abg. Hans Heinz CDU)

Auch muss die Situation der wohnungslosen Frauen in Baden-Württemberg angesprochen werden. Der Kollege Klenk hat das vorhin auch getan. Die Anzahl der wohnungslosen Frauen hat sich in den letzten Jahren verdreifacht. Es gibt aber keine Hilfsstruktur. Deshalb hat die Liga ja auch vorgeschlagen, ein Sofortprogramm in Höhe von 1 Million € bis 2010 aufzulegen. Wir schlagen vor, jedes Jahr 125 000 € dafür einzustellen und 500 000 € auf den bestehenden Sockel der Gefährdetenhilfe draufzusatteln.

Übrigens werden wir, liebe Kollegin Berroth – auch dies noch zum Thema Frauenpolitik –, dem Antrag von CDU und FDP/ DVP – wir haben gerade darüber gesprochen – auf Umbenennung des Kapitels 0921 von „Frauenförderung“ in „Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern“ nicht zustimmen, weil es im gesamten Haushaltskapitel keine Maßnahme gibt, die zur Chancengleichheit von Frauen und Männern beiträgt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Der Haushaltstitel enthält reine Frauenfördermaßnahmen, alle anderen Titel sind auf null gesetzt, Maßnahmen zur Chancengleichheit von Männern und Frauen sind Fehlanzeige. Deshalb wäre es ein reiner Etikettenschwindel, dies so umzubenennen.

(Zuruf von der SPD: Ja, genau!)

Wir können ja gern bei unserem gemeinsamen Frauenstammtisch, den wir ja haben, darüber reden, wie eine gemeinsame Linie in der Frauenpolitik aussehen könnte, damit der Titel dann auch der Realität entspricht.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Damit der dann auch realisiert wird, genau!)

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Noll.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Sopos! Ich empfinde diese Bezeichnung gar nicht als Beleidigung.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das zeigt aber schon die Wertschätzung des Ministerpräsidenten für seine Sozialpolitiker!)

Liebe Ulla Haußmann, das zeigt wieder, wie man in gewisse Ausdrücke eine Wertung hineinlegen kann. Ich empfinde das nicht als abwertend,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ich gehe damit anders um als die FDP/DVP! – Abg. Marianne Wonnay SPD: Also wenn man die CDU-Kollegen anschaut, dann empfinden die das schon anders!)

sondern ich meine, dass wir Sozialpolitiker – das ist, glaube ich, schon in den bisherigen Beiträgen deutlich geworden – quer durch alle Fraktionen, wie etwa beim Landeserziehungsgeld, durchaus auch einmal unterschiedliche Ansätze haben. Auch innerhalb der Oppositionsfraktionen ist die Beurteilung ja keineswegs einheitlich. Deswegen lassen Sie uns doch einfach einmal gemeinsam feststellen: Im Ziel sind wir uns ja häufig einig; aber die Wege dorthin sind manchmal unterschiedlich.

Ich glaube, dass Sozialpolitik nicht als ein Bereich gesehen werden darf, wo immer irgendwelche Leute Geld fordern und sagen: „Da und da müsst ihr noch etwas tun“, sondern dass wir uns wirklich einmal klarmachen sollten, dass die drei Säulen der Sozialpolitik ein Stück weit neu austariert werden müssen. Wir haben drei Teile. Der Staat ist für die Daseinsvorsorge zuständig. Wir haben daneben die große Säule der freigemeinnützigen und privaten Träger, die die Aufgaben, die der Staat definiert, in subsidiärer Weise auch übernehmen können. Das lässt auch Wettbewerb zu und führt häufig zu besseren Ergebnissen, als wenn der Staat und damit wir glaubten, alles regeln zu müssen. Den Rahmen gibt der Staat, und die Aufgaben können subsidiär auf freigemeinnützige und private Träger übertragen werden.

Das gilt übrigens für alle Bereiche. Da schaue ich ein bisschen in Richtung des Kollegen Hoffmann, weil er ja vor Kurzem mit der Äußerung zitiert worden ist, er halte eine Privatisierung von Krankenhäusern grundsätzlich für suspekt.

(Zuruf des Abg. Andreas Hoffmann CDU)

Auch da sollten wir, glaube ich, über neue Aufgabenverteilungen offen diskutieren.

Hinzu kommt die dritte, zunehmend wichtiger werdende Säule – gerade mit Blick auf die Generationen, die ja in immer größerer Zahl gemeinsam miteinander leben. Wir alle werden ja immer älter, allerdings häufig nicht mehr im klassischen Familienverband. Es ist doch eine Chance und eine Herausforderung, sozusagen als gesellschaftspolitischer Impulsgeber die Zusammenarbeit der Generationen dort, wo diese nicht mehr innerhalb der Familie stattfindet, zu organisieren.

(Zuruf der Abg. Katrin Altpeter SPD)

Ich glaube, es ist eine wertvolle Erkenntnis, dass wir zusammen mit den Kommunen, die das Ganze ja vor Ort anstoßen müssen, nicht immer bloß mit Geld, sondern auch mit einem nur geringen Einsatz von Mitteln durchaus Impulse setzen können.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Aber ganz ohne Geld geht es eben doch nicht!)

Lassen Sie mich jetzt zu ein paar konkreten Themen, die angesprochen worden sind, kommen.