Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 12. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.
Entschuldigt aus dienstlichen Gründen sind Herr Minister Stratthaus, Herr Minister Professor Dr. Goll und – heute Nachmittag – Herr Minister Stächele.
Regierungserklärung – Ausbauprogramm Hochschule 2012 – Demografische Herausforderung als Chance nutzen – und Aussprache
Das Wort erteile ich dem Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Herrn Professor Dr. Frankenberg.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Baden-Württemberg hat als erstes Bundesland ein Thema aufgegriffen, das vielerorts und in vielen Ländern in seiner Herausforderung und Tragweite weit unterschätzt wird. Die Zahl der Studienberechtigten wird in den kommenden Jahren infolge starker Jahrgangszahlen deutlich ansteigen. Der Höhepunkt wird 2012/2013 mit einem doppelten Abiturjahrgang erreicht.
Das von der Landesregierung daher vorgesehene Ausbauprogramm „Hochschule 2012“ ist inzwischen zu einem baden-württembergischen Markenzeichen aktueller Hochschulpolitik geworden. Das Programm geht von den Zielsetzungen aus, die sich auch in den Empfehlungen der Enquetekommission „Demografischer Wandel – Herausforderung an die Landespolitik“ vom Dezember 2005 wiederfinden: erstens die Sicherung der Chancen der jungen Generation zur Aufnahme eines Studiums und zweitens die Vermeidung einer akademischen Fachkräftelücke auf dem Arbeitsmarkt.
Die Herausforderung, vor der wir stehen, bedeutet, in erheblichem Umfang zusätzliche Studienanfängerplätze zu schaffen, um den Wohlstand unseres Landes und seine führende ökonomische Position auch für die Zukunft zu sichern. Es gilt immer noch, was Benjamin Franklin sagte: „Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen.“ Um möglichst hohe Zinsen zu erlösen, hat das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst einen
Masterplan für den notwendigen Ausbau unserer Hochschulen und Berufsakademien ab dem kommenden Doppelhaushalt entworfen. Grundlage dafür sind die Vorschläge, die die Hochschulen und Berufsakademien selbst erarbeitet haben. Sie wurden im Rahmen von zwölf regionalen Veranstaltungen mit den Hochschulen, Vertretern der regionalen Wirtschaft sowie Vertretern der Gesellschaft abgestimmt und weiterentwickelt.
Um möglichen Fehldeutungen des Begriffs „Masterplan“ vorzubeugen: Der Landtag wird beim Ausbauprogramm des Landes nicht beteiligt. Wir haben bislang den Entwurf eines Masterplans und keine abschließende Entscheidung vorgelegt. Eine Regierung muss Konzeptionen entwickeln, eine Regierung muss für die Zukunft planen. Dafür wird sie gewählt, und dafür wird auch ein Minister gewählt und letztlich auch besoldet. Erst nach der Planungsphase, wenn es um die konkrete inhaltliche Umsetzung, Billigung und Unterstützung geht, ist dieser Kasus ein Kasus des Parlaments.
Was ist der Ausgangspunkt für unsere Planungen? Wir wollen, dass die Studienberechtigten, die in den nächsten Jahren in wachsender Zahl die Schule verlassen, gleichwertige Chancen zur Aufnahme eines Studiums haben wie die bisherigen Schulabsolventen. Es darf keinen „Nachteil der späteren Geburt“ geben.
Im Studienjahr 2005 lag die Zahl der Studienberechtigten in Baden-Württemberg bei etwa 51 000. Rein demografisch bedingt – durch starke Altersjahrgänge – wird diese Zahl bis zum Studienjahr 2011 auf über 64 000, das heißt um 25 %, ansteigen. Durch den doppelten Abiturjahrgang im Jahr 2012 wird sich die Zahl der Studienberechtigten auf über 86 000 erhöhen, um dann in den folgenden Jahren wieder auf eine Größenordnung zwischen 61 000 und 63 000 zurückzugehen. Erst im Jahr 2020 wird die Zahl der Studienberechtigten wieder auf unter 60 000 sinken. Bis zum Jahr 2020 wird die Zahl der Studienberechtigten um 20 bis 70 % über den Werten von 2005 liegen, ohne dass der Anteil der Studierenden an einem Altersjahrgang ansteigt.
Dieses Wachstum ist im Übrigen keine theoretische Größe, wie manche behaupten, es ist, anders als die Wirtschaftsdaten, keine Prognose, sondern diese jungen Menschen sind geboren und sind größtenteils bereits in der Schule. Deshalb kann man dieses Problem nicht einfach statistisch beiseitelegen und wegrechnen, wie es mancherorts geschieht.
Entscheidend für die Zahl derer, die ein Studium aufnehmen, ist die Zahl derjenigen Studienberechtigten, die dann
auch wirklich zu Studienanfängern werden, das heißt die Studierquote, die im Durchschnitt zwischen 75 und 85 % schwankt. Die 75-%-Quote legt die Kultusministerkonferenz für ihre bundesweite Prognose zugrunde, wir legen sie zugrunde, und sie wird auch für den „Hochschulpakt 2020“ zugrunde gelegt. Daraus errechnet sich für Baden-Württemberg in der Bedarfsspitze eine Zahl von 16 000 notwendigen zusätzlichen Studienanfängerplätzen. Sollte die Studierquote steigen oder sollte die Studierneigung eines Altersjahrgangs steigen, dann muss diese Zahl nach oben nachjustiert werden. Es empfiehlt sich also, das Ausbauprogramm sozusagen auf Sicht zu fahren und den jeweiligen Verhältnissen anzupassen.
Dieser Anstieg der Studierendenzahlen sollte nicht als „Studentenberg“ bezeichnet werden. Denn dieser Begriff bedeutet, dass man in diesem Anstieg nicht das sieht, was es eigentlich ist, nämlich eine Chance für dieses Land. Diese Chance müssen wir aufgreifen.
Denn während die Studierendenzahlen ansteigen, also die Zahl der akademisch Qualifizierten ansteigt, scheiden vermehrt auch akademisch Qualifizierte starker Altersjahrgänge aus dem Berufsleben aus. Zudem entwickelt sich der Arbeitsmarkt immer mehr zugunsten höherer Qualifikationen und leider auch zulasten geringerer Qualifikationen.
Man muss sich einfach die Wirtschaftsentwicklung BadenWürttembergs anschauen und sehen, dass in den wissensintensiven Industriebereichen zwischen 1995 und 2002 die Zahl der Beschäftigten pro Jahr um durchschnittlich 0,8 % gewachsen ist. Das heißt, es hat in diesem Zeitraum 44 000 zusätzliche akademische Arbeitsplätze gegeben. Im gleichen Zeitraum ist die Beschäftigung allgemein um 1,2 % jährlich zurückgegangen, das heißt um 92 000 Erwerbstätige.
Noch dramatischer sieht die Situation in den wissensintensiven Dienstleistungsbereichen aus. Dort hat die Zahl der Erwerbstätigen pro Jahr um 3,3 % zugenommen. Das heißt, von 1995 bis 2002 sind 300 000 Arbeitsplätze im Bereich wissensintensiver Dienstleistungen geschaffen worden, überwiegend für akademisch qualifizierte Absolventen. Dies zeigt den hohen und wachsenden Bedarf an Akademikerinnen und Akademikern in unserer Wirtschaft und Gesellschaft.
Es ist eine Binsenweisheit, dass ein Hochlohnland, ein Hochtechnologieland wie Baden-Württemberg seine Zukunft auf diese Köpfe, auf die vermehrte Zahl der Köpfe und auf die große Qualität der Ausbildung dieser Köpfe, setzen muss und nur darauf setzen kann. Deshalb ist die Vermehrung der Zahl der Studienplätze und die Vermehrung der Zahl der akademisch gebildeten Absolventen die Wahrnehmung der entscheidenden Zukunftschance für die Wirtschaft und die Entwicklung unseres Landes BadenWürttemberg.
Auf der anderen Seite stehen wir vor einer großen Herausforderung für die jungen Menschen, die schon jetzt vor den Türen unserer Hochschulen stehen. Diese jungen Menschen, die studierfähig und studierwillig sind, werden uns
fragen, wie wir diese Aufgabe bewältigt haben. Nicht nur die Wirtschaft und die Gesellschaft, sondern auch diese jungen Leute werden fragen, ob wir ihnen in unserem Land eine Chance gegeben haben, eine Chance, die sie und unser Land brauchen. Deshalb gibt es keine Alternative zum notwendigen Ausbau der Studienplatzkapazität.
Um diesen Ausbau zu konkretisieren und zu planen, haben wir völlig neue Wege beschritten. Nach dem von Ministerpräsident Oettinger initiierten Auftaktkongress „Hochschule 2012“ im Februar haben wir in zwölf regionalen Dialogen zwischen Hochschulen, Wirtschaft und Gesellschaft, gestaltet durch die zwölf Industrie- und Handelskammern aller Regionen, gemeinsam die Vorstellungen der Hochschulen diskutiert, und zwar vor dem Hintergrund, welche Ausbauplanungen wie zu einem weitgehend abschätzbaren zukünftigen akademischen Arbeitsmarkt passen. Wir wollen mehr akademische Qualifikation, aber wir wollen nicht junge Menschen in Arbeitslosigkeit qualifizieren, sondern möglichst in notwendige akademische Arbeit und in die Arbeitsplätze, die unser Land für seine Fort- und Weiterentwicklung braucht.
Aus diesen regionalen Dialogen sind zumeist Arbeitsgruppen zwischen dem Beschäftigungssystem und den Hochschulen hervorgegangen, Arbeitsgruppen, die dann die Vorstellungen der Hochschulen weiter konkretisiert und zu zwölf regionalen Ausbauplänen kondensiert haben, die unserem Ministerium im Laufe des Septembers zugegangen sind.
Durchgängig wurde in allen regionalen Dialogen fachspezifisch ein Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern, vor allem an Ingenieurinnen und Naturwissenschaftlerinnen, beklagt. Es wird auch für Geistes- und Sozialwissenschaftler zusätzliche akademische Chancen und Arbeitsplätze geben. Diese Zahlen sind allerdings schwieriger abzuschätzen als die notwendigen Zahlen für Ingenieure und Ingenieurinnen oder Naturwissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen.
Wir haben insgesamt aus diesen zwölf regionalen Dialogen den Masterplan mit in der Spitze zusätzlichen 16 000 Studienanfängerplätzen erarbeitet. Dieser Masterplan ist ein Stufenplan, der auch aufgrund seiner zeitlichen Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit im nächsten Doppelhaushalt entwickelt worden ist. Und es ging uns um die schnelle Umsetzbarkeit in der ersten Phase. Deshalb stehen im Mittelpunkt der ersten Phase nicht neue Studiengänge, sondern steht der Ausbau vorhandener Studiengänge, stehen am Anfang nicht die Universitäten, sondern die Berufsakademien und die Fachhochschulen.
Es ist zunächst einmal eine erste Planung für zwei Jahre, die mit dem folgenden Wintersemester in der Realisierung einsetzen soll. Die weitere Planung ist ein kontinuierlicher Prozess, der sich nach den Vorstellungen der Hochschulen, nach der Frage der Entwicklung des Arbeitsmarkts und natürlich auch nach der Frage der Wahrnehmung von Studienplätzen durch die Studienberechtigten entwickeln und entscheiden wird.
Damit ist der Masterplan nicht der Schlusspunkt einer Diskussion, sondern er ist der Beginn einer permanenten Diskussion. Es ist ein Dialog, der den Ausbau der Hochschulen
begleitet. Die erste der drei Ausbaustufen wird 2007 und 2008 die Schaffung von 3 000 bis 4 000 Studienanfängerplätzen sein. Diese steht jetzt also unmittelbar bevor. 2009 und 2010 folgen weitere 5 000 bis 6 000 Studienanfängerplätze und 2011 und 2012 zusätzliche 6 000 bis 8 000 Studienanfängerplätze.
Wir müssen mit diesen Bandbreiten arbeiten, auch mit Bandbreiten, was Fächer und Hochschularten betrifft. Je nachdem, wie viele Plätze in der ersten und der zweiten Stufe realisiert werden, werden in der dritten Stufe mehr oder weniger Studienplätze zu realisieren sein.
Dass wir in der ersten Ausbaustufe die Berufsakademien besonders stark ausbauen, liegt an den hohen Berufschancen ihrer Absolventen, an der frühen Integration in die Unternehmen und auch daran, dass in den regionalen Dialogen sehr viele Unternehmen ihre Bereitschaft erklärt haben, zusätzliche Ausbildungsplätze für die Berufsakademien zur Verfügung zu stellen.
So wie die Berufsakademien in ihrem vollen Fächerspektrum in dieser ersten Phase besonders berücksichtigt sind, so sind es auch die Fachhochschulen; denn auch dort können wir schneller reagieren, schneller zusätzliche Studienplätze schaffen als etwa an den Universitäten.
Die Universitäten und die anderen wissenschaftlichen Hochschulen werden in den folgenden Phasen stärker zum Zuge kommen. Wir werden vor allem dann einen weiteren Ausbau der Universitäten benötigen, wenn wir den doppelten Abiturjahrgang in der vollen Fächerbreite der Universitäten zu bewältigen haben.
Rein rechnerisch würde der Neuausbau von 16 000 Studienanfängerplätzen in der Spitze 300 Millionen € pro Jahr an notwendigen finanziellen Aufwendungen erfordern. Neben dem Ziel zusätzlicher Studienplätze hat die Landesregierung aber das berechtigte Ziel, die Neuverschuldung auf null zu senken. Das heißt, wir können nicht beliebig viele Mittel bereitstellen, denn die Neuverschuldung abzusenken bzw. auf null zu reduzieren ist eine genauso wichtige Vorsorge für die junge Generation, wie Studienplätze bereitzustellen. Deshalb stellt die Landesregierung im Jahr der Spitzenbelastung 150 Millionen € und bis dahin ansteigend die entsprechenden Summen zur Verfügung. Das sind etwa 50 % der notwendigen Mittel.
Die angestrebte Zahl der Studienanfängerplätze lässt sich also nur erreichen, wenn einerseits die Hochschulen durch die eigene Steigerung ihrer Effizienz selbst zusätzliche Studienplätze aus ihren Ressourcen schaffen und wenn andererseits der „Hochschulpakt 2020“ mit dem Bund zu einer zusätzlichen Finanzierung der notwendigen Studienplätze führt. Auf der anderen Seite werden wir im Inneren der Hochschulen, in der Frage, wie die Lehrkapazität gesteigert wird, neue Wege gehen, was die Personalstruktur der Hochschulen betrifft. Das sind übrigens Wege, die in Teilen mit der Idee der „Offenen Universität Baden-Württemberg“ übereinstimmen, Frau Bauer. Insofern treffen sich da durchaus unsere Vorstellungen in dieser Frage der inneren Ausgestaltung des Ausbaus der Hochschulen.
Der „Hochschulpakt 2020“, über den derzeit zwischen den Ländern und dem Bund diskutiert wird, kann in seinem Teil
der Finanzierung zusätzlicher Studienplätze ausschließlich dazu dienen, tatsächlich zusätzliche Studienplätze zu finanzieren, und nicht, wie einige Länder wollen, zur Grundfinanzierung ihrer Hochschulen beitragen.
Übrigens stehen alle westlichen Bundesländer vor der gleichen demografischen Herausforderung steigender Studierendenzahlen. Dies ist kein süddeutsches Phänomen. Vielmehr ist diese Herausforderung in machen norddeutschen Ländern in mindestens ebenso starkem Maß gegeben.
Neben der Einführung der Overheadkosten bei den DFGDrittmitteln hat Bundesministerin Schavan die Unterstützung des Bundes bei der Schaffung zusätzlicher Studienplätze zum zentralen Anliegen ihres „Hochschulpakts 2020“ gemacht. Bundesweit sollen damit bis 2010 in der Summe 90 000 zusätzliche Studienanfängerplätze geschaffen werden. Der Bund will dafür 565 Millionen € bereitstellen.
In den Eckpunkten sind sich die Wissenschaftsminister einig. Noch nicht einig sind sie sich allerdings bei den Kriterien der Mittelzuweisung. Hier, denke ich, muss der Hochschulpakt am Ergebnis gemessen werden, nämlich daran, ob er bereit ist, in der Summe wirklich 90 000 zusätzliche Studienanfängerplätze mitzufinanzieren.
Der Bund geht von einer mindestens hälftigen Mitfinanzierung der Länder aus. Auch die übrigen Länder werden sich daran messen lassen müssen, ob sie bereit sind, zusätzliche Studienplätze mitzufinanzieren. Denn es stimmt nicht, wenn gesagt wird, das sei allein unser Problem. Das ist ein westdeutsches Problem im Allgemeinen. Wir haben lediglich im Osten Deutschlands ab 2010 eine umgekehrte Entwicklung, nämlich stark zurückgehende Studienanfängerzahlen.
Man muss aber auch berücksichtigen, dass die meisten ostdeutschen Länder derzeit den höchsten Studierendenexport haben. Das heißt, sie stellen weit weniger Studienplätze zur Verfügung, als sie für ihre eigenen Studienberechtigten derzeit benötigen. Deshalb kann ein solcher Hochschulpakt nicht einfach eine Maschine zur Geldverteilung unter den Ländern sein, ohne dass dem eine Gegenleistung in Form der Erbringung von Studienplätzen und der Mitfinanzierung durch die Länder gegenübersteht.
Wir haben ja nicht eine Föderalismusreform gemacht, die den Ländern die Zuständigkeiten für die Hochschulen gibt, um dann zu einer Alleinfinanzierung zusätzlicher Studienplätze durch den Bund zu kommen. Das wäre geradezu absurd und gegen den Gedanken unserer Verfassungsreform gerichtet.
Wie gesagt: Für die ostdeutschen Länder muss man dafür Sorge tragen, dass Studienplätze, die wegen der dortigen demografischen Entwicklung dort wegfallen würden, erhalten bleiben, weil es keinen Sinn macht, irgendwo Studienplätze aufzubauen und an anderer Stelle den Wegfall von Studienplätzen hinzunehmen.
Aber ich appelliere an alle Länder – auch an meine Ministerkollegen –, dass sie ihre Aufgaben für ihre Hochschulen in der Verantwortung, die ihnen die Verfassung gibt, wirk