Sehr geehrte Frau Präsidentin, mei ne sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Wochen haben wir den Prozess gegen den Vater des Amoktäters von Winnenden und Wend lingen verfolgt. Heute in einer Woche soll das Urteil gespro chen werden. Während dieses Prozesses wurde nochmals deutlich, welch furchtbare Verletzungen, welch unheilbare Wunden der Amoktäter auch bei den Hinterbliebenen, bei den Überlebenden gerissen hat. Aus diesem Prozess wird niemand als Gewinner hervorgehen.
Die Bilder des 11. März 2009 haben sich unauslöschlich in das Gedächtnis unseres Landes eingebrannt. Der Landtag hat te nach diesem Unglück einen Sonderausschuss eingerichtet, der sich der Problematik nähern sollte. Uns allen hier im Haus war dabei klar geworden, dass es keine schnellen Lösungen geben kann, dass es keine Garantie dafür gibt, dass so etwas nie wieder vorkommen wird; im Gegenteil: In der Zwischen zeit mussten wir vergleichbare Taten erleben, wenn auch nicht in einer Schule.
Dennoch – auch das wurde klar – können wir Maßnahmen er greifen, um eine solche Tat unwahrscheinlicher werden zu las sen. Das war die Formulierung, die unser Ausschussvorsitzen der Christoph Palm fand und die zum Leitgedanken für die Arbeit des Sonderausschusses wurde. Wir sind es uns selbst und vor allem den Bürgerinnen und Bürgern schuldig, dass wir alles in unserer Macht Stehende beitragen, damit sich ein ähnliches Massaker an unseren Schulen nicht mehr wieder holt.
Der Sonderausschuss war zu dem Schluss gekommen, dass wir in Baden-Württemberg noch stärker, noch gezielter und noch nachhaltiger auf Gewaltprävention setzen müssen. Da zu hatten wir 60 einzelne Handlungsempfehlungen und acht weitreichende Handlungsfelder beschrieben. Der Landtag hat dem Abschlussbericht einstimmig zugestimmt.
Die Regierung erhielt von uns den Auftrag, verschiedene um fassende Konzeptionen zu entwickeln. Viele der einzelnen Handlungsempfehlungen wurden bereits in Angriff genom men. Das Gesamtkonzept ist sehr komplex und beruht auf ver schiedenen Säulen.
Die erste dieser Säulen sind die Beratungslehrer. In diesem Jahr werden wir deren Zahl um 40 erhöhen; bis zum Jahr 2016 wollen wir deren Zahl von jetzt 1 600 auf 3 200 verdoppelt haben. Dann soll jede größere und jede mittlere Schule einen eigenen Beratungslehrer haben. Wir wollen darauf achten, dass diese gleichmäßig und über alle Schularten hinweg im Land verteilt sind. Beratungslehrer leisten einen wichtigen Beitrag zu einem guten Klima in der Schule. Sie sind eigent
Eine zweite Säule sind die Präventionsbeauftragten an Schu len. Auch hier beginnen wir nicht bei null, sondern wir haben schon verschiedene Suchtbeauftragte und Gewaltpräventions beauftragte. Diese gilt es zusammenzuführen, und auch deren Zahl soll erhöht werden, und zwar auf 150.
Eine dritte und ganz wesentliche Säule sind die Schulpsycho logen. Der Landtag hat schon im März letzten Jahres der Schaffung der 100 zusätzlichen Stellen, die in drei Tranchen eingerichtet werden sollen, zugestimmt. 30 Schulpsycholo gen wurden im vergangenen September eingestellt und ge schult. Schulpsychologen – darauf müssen wir uns, glaube ich, einstellen – werden wichtige Bestandteile unserer Schu len sein. Wir haben es mit neuen Erkrankungen unserer Ge sellschaft zu tun, die wir ernst nehmen müssen.
Wir haben also mit Beratungslehrern, Präventionsbeauftrag ten und Schulpsychologen zusätzliche Spezialisten in unse ren Schulen, die die Lehrkräfte unterstützen und sie in ihrer Arbeit ergänzen.
Auch die Lehrkräfte werden wir zunehmend fortbilden müs sen; denn es muss uns klar sein, dass der Unterrichtsalltag heute nicht mehr nur in der Stoffvermittlung besteht. Erzie hung und Beratung nehmen immer größere Rollen im Schul alltag ein.
Ich bin grundsätzlich davon überzeugt, dass unsere Schulen in Zukunft noch mehr und unterschiedliche Berufsbilder be nötigen. Deswegen hat der Sonderausschuss die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für Schulpsychologie sowie die Einrichtung eines Aufbaustudiengangs Schulpsychologie empfohlen. Wir hoffen, dass auch das auf den Weg gebracht wird. An diesem Kompetenzzentrum wäre dann die Telefon hotline anzusiedeln, die der Ausschuss empfohlen hat.
Eine ganz starke Säule der Empfehlungen des Sonderaus schusses war es, ein flächendeckendes Gewaltpräventionspro gramm nach Dan Olweus an allen Schulen einzurichten. Ich bin dem Kultusministerium sehr dankbar, dass es diese Emp fehlung sehr engagiert aufgegriffen hat. Es wurde ein Beirat gebildet. Ferner wurde eine Konzeptionsgruppe eingerichtet. Wie ich gehört habe, hat man auch mit dem mittlerweile 80-jährigen Professor Dan Olweus, der in Norwegen sein Konzept entwickelt hat, persönlich sprechen können.
Hierbei handelt es sich um ein gut evaluiertes Gewaltpräven tionsprogramm, das sehr strukturiert auf drei Ebenen arbeitet. Von der persönlichen Ebene kann die Konfliktbewältigung auf die Klassenebene getragen werden. Wenn der Konflikt auf die ser Ebene nicht zu lösen ist, müssen die schulische Ebene oder auch externer Sachverstand eingeschaltet und vor allem auch die Eltern einbezogen werden.
In unserem Land gibt es bereits erstklassige Grundlagen an den Schulen. An vielen Schulen gibt es Gewaltpräventions programme. Dem Sonderausschuss war es wichtig, dass den Schulen kein neues Programm übergestülpt wird, dass das Rad nicht neu erfunden wird, sondern dass es die Möglichkeit gibt,
mit ein paar Grundsätzen, die abgedeckt sein müssen und die das Vorhandene einbeziehen, im Sinne des Konzepts „Opera tiv Eigenständige Schule“ etwas zu entwickeln, was dann auch von den Schulen gelebt wird, was von innen heraus akzeptiert wird und was gleichzeitig gewissen Standards entspricht.
Wichtig ist uns, dass nicht einzelne Schulen Gewaltpräventi on zum Schulprofil erklären können. Vielmehr müssen wir langfristig dazu kommen, so etwas flächendeckend und als allgemein verbindlichen Standard an allen Schulen im ganzen Land zu haben. Wir werden im nächsten Schuljahr mit 40 Mo dellschulen starten. Diese werden vom Ministerium aus sehr solide begleitet werden.
Bei dem Versuch, Amoktaten unwahrscheinlicher zu machen, dürfen wir aber nicht nur bei den Schulen ansetzen. Es wird uns zunehmend klar, dass es auch außerschulische Bildungs orte gibt, die für Jugendliche sehr wichtig sind.
Deswegen haben die Jugendverbände, die im Bündnis für die Jugend vereint sind, im vergangenen Jahr zusätzliche Mittel bekommen. 60 000 € kamen zu den ursprünglichen Haushalts ansätzen hinzu.
Ebenso haben wir die mobile Jugendarbeit gestärkt. Sie steht jetzt auf finanziell soliden Füßen. Das halte ich für ausgespro chen wichtig. Ich denke, wir werden uns in Zukunft stärker diesem mobilen und flexiblen Instrument zuwenden müssen und uns von der bisherigen Kommstruktur lösen, bei der die Jugendlichen selbstständig zu einem Angebot kommen müs sen. Ich glaube, das ist der Ansatz der Zukunft.
Eine vierte Säule – das gestaltet sich als dickes Brett, das es zu bohren gilt – ist die Medienpädagogik. Uns liegen mittler weile sehr viele Erkenntnisse darüber vor, was notwendig ist und wo wir ansetzen müssen. Wir sind in Baden-Württemberg Vorbild mit der JIM-Studie, die regelmäßig erstellt wird und den Stand der Mediennutzung von Jugendlichen darlegt. Wir wissen, dass es einen großen Handlungsbedarf bei Kindern, Jugendlichen, Eltern und Lehrkräften gibt, dass die neuen Me dien noch immer nicht überall sinnvoll genutzt werden und dass von ihnen auch Gefahren ausgehen können.
Auch hierbei müssen wir in Baden-Württemberg nicht bei null beginnen. Wir haben mit dem „Kindermedienland“ wertvol le Ansätze. Wir haben die Jugendstiftung Baden-Württem berg, die interessante Maßnahmen und Projekte durchführt. Auch die Polizei ist in diesem Präventionsbereich in vorbild licher Weise aktiv. Außerdem haben wir mit dem Landesme dienzentrum einen Kristallisationspunkt, bei dem all dies zu sammengeführt werden kann. Wir haben dort ein ganz starkes Kompetenzzentrum mit viel Fachkenntnis. Dort wird hervor ragende Arbeit geleistet. Das Gute daran ist, dass diese Arbeit durch die Kreismedienzentren auch in die Fläche geführt wird. Dies wollen wir noch besser stärken. Daher muss ich dieses Haus auffordern, das Landesmedienzentrum zu unterstützen, anzuerkennen und dessen Finanzierung sicherzustellen.
Fünfte Säule: Sicherheit an Schulen. Dies will ich nur ganz kurz streifen. Da hatten wir ein sogenanntes Pager-System empfohlen. Dieses ist ebenfalls auf einem guten Weg. Es gab Vereinbarungen zur Finanzierung zwischen dem Land und
kommunalen Landesverbänden. Dies ist eine Alarmierungs maßnahme, die greifen kann, wenn es zu einer tatsächlichen Bedrohungssituation an Schulen kommt.
Uns war auch sehr wichtig, die Eltern einzubinden. Wir wol len und können die Eltern nicht aus der Verantwortung entlas sen. Wir hatten hier den Vorschlag gemacht, das Programm STÄRKE auszubauen. Soweit ich es den Berichten entneh me, ist auch diese Fortschreibung auf einem guten Weg.
An diesen wenigen Stichpunkten lässt sich erkennen, dass wir es mit einem großen Feld zu tun haben: Die Gesellschaft ver ändert sich. Stress, Burnout, das betrifft nicht nur Erwachse ne; Kinder und Jugendliche sind ein Spiegelbild der Gesell schaft und sind manchen Entwicklungen hilfloser und schutz loser ausgeliefert als Erwachsene. Sie haben es verdient, dass wir sie unterstützen und begleiten.
Die CDU begrüßt das Engagement, mit dem die Regierung unsere Vorschläge aufgegriffen hat. Wir hoffen, dass das jetzt zügig fortgeschrieben und umgesetzt wird. Wir möchten auch dieses Thema noch einmal nutzen, um zu sagen: Dieser Land tag kann konstruktiv sein, und wir können sogar in einer ge wissen Harmonie zusammenarbeiten. Ich hoffe, dass die Kol leginnen und Kollegen die Mitteilungen der Regierung ähn lich begrüßen wie wir und dass wir dieses Thema miteinan der weiterhin so konstruktiv begleiten können.
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Angesicht der schrecklichen Ereignisse am 11. März 2009 in Winnenden, aber auch der Ereignisse in Wendlingen gilt es auch den Blick auf die Folgen zu richten, die diese Ereignis se haben – zunächst für die Hinterbliebenen, für die Angehö rigen, für die Eltern, für die Geschwister, dann aber auch für die ganze Gesellschaft, für die ganze Stadt. Erst neulich war in der „Stuttgarter Zeitung“ ein ganzseitiger Bericht über die Befindlichkeit in Winnenden nach diesen Ereignissen und die Veränderungen, die in den Menschen stattfinden, zu lesen. Diese Veränderungen sind vielleicht zunächst einmal gar nicht so sichtbar, weil jeder versucht, irgendwie seinen Alltag wei terzuleben, aber diese Veränderungen sind doch in einer Ge sellschaft, in einer Stadt da. Sie wirken in vielem weiter und lassen vieles nicht vergessen.
Angesichts dessen, aber auch angesichts der Zunahme von psychischen Schwierigkeiten bei Kindern und Jugendlichen, der Zunahme von erlebtem Leistungsdruck, von Ängsten und angesichts der Entwicklung eines gesellschaftlichen Ausein anderdriftens, bei dem man zunehmend den Eindruck ge winnen kann, dass gesellschaftliche Grundvereinbarungen, Grundsätze wie Zusammenhalt, Füreinander-Einstehen, aber auch die Solidarität der Stärkeren mit den Schwächeren ein
bisschen verloren gehen, ist es umso wichtiger, dass mit dem Bericht über die Umsetzung der Beschlussempfehlungen, den die Landesregierung heute in ihrer Mitteilung vorlegt, die Ar beit des Sonderausschusses ihre Fortsetzung findet.
Ich möchte Ihnen dafür danken. Das sage ich auch und vor al lem als Abgeordnete aus dem Rems-Murr-Kreis. Ich bin mir sicher, dass das, was der Sonderausschuss beschlossen hat, im Rahmen des Möglichen in die Wege geleitet wird. Sicher wä re immer noch mehr möglich. Das muss ich auch sagen. Si cher wäre auch – darauf werde ich noch eingehen – noch man ches andere wünschenswert. Aber auf die Punkte, auf die sich der Sonderausschuss geeinigt hat, ist reagiert worden, und es wurden die entsprechenden Konzepte erstellt. Wenn auch manches schneller gehen könnte, so wird doch die Umsetzung nun in die Wege geleitet.
Aber – auch das möchte ich sagen – wir waren uns im Son derausschuss einig: Wir werden mit all den Maßnahmen, die wir ergreifen, Amoktaten vermutlich niemals gänzlich verhin dern können. Dennoch ist es unsere Pflicht, Möglichkeiten zu schaffen, damit die Kinder in unserem Land besser und siche rer aufwachsen können. Das wird nicht in einem Hauruckver fahren gehen; das wird nicht allein mit der Verkündung schnel ler politischer Großtaten gelingen, sondern das wird ein Pro zess sein, der eine eigene Dynamik bekommen wird und der sich mit Sicherheit in seinem Verlauf auch verändert.
Daher, denke ich, sind wir auf einem guten Weg. Es ist wich tig für uns alle, es ist wichtig für unser Land und für die Men schen, die in diesem Land leben, hier mit den Anstrengungen nicht nachzulassen,
das Geschehene nicht aus dem Blick zu verlieren, nur weil man in ein paar Jahren die Dinge vielleicht nicht mehr so grau sam erlebt, wie sie zu Beginn waren. Das ist eine der wich tigsten Zukunftsaufgaben für uns alle, egal, wie die Regierung nach dem 27. März aussehen wird. Das soll uns allen eine Selbstverpflichtung sein.