Protocol of the Session on February 3, 2011

Sie würden womöglich auch gern noch Europasteuern ein führen.

(Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP: Ja, so sind sie!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss vielleicht noch einen Gedanken loswerden: Wir haben natür lich insbesondere das Thema Subsidiarität zu beachten. Da bei ist uns viel gelungen.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

In der Bildungspolitik haben wir es z. B. geschafft, dass un sere duale Ausbildung mit universitärer Ausbildung in ande ren europäischen Ländern gleichgestellt wird. Das ist ein Rie senfortschritt. Denn uns ist immer vorgeworfen worden, wir hätten zu wenig Hochschulabgänger. Aber wir haben, glaube ich, auch als Landtag von Baden-Württemberg die Pflicht, über den Tellerrand dieses Landes und auch Europas hinaus zuschauen.

(Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Ich will jetzt nicht pathetisch werden. Gestern haben wir hier über vieles lustig diskutiert. Als ich gestern um 21:45 Uhr nach Hause kam und die Bilder aus Ägypten in den Nachrich ten gesehen habe – Ägypten ist nicht irgendwo; es ist ein Mit telmeerstaat und sehr nah an der EU –, ging mir durch den Kopf: Wo bleibt die Stimme Europas? Ich weiß, unser Außen minister hat sich geäußert.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Wobei es bei dem bes ser ist, er macht es nicht!)

Aber manchmal scheint mir das alles ein bisschen wachs weich. Ich kenne die Schwierigkeiten hinsichtlich außenpoli tischer Verflechtungen und Stabilität: Sicherheit im Nahen Os ten mit Israel und Ägypten ein Stabilitätsfaktor. Aber ich wünschte mir schon, dass wir an dieser Stelle – von Frau Ash ton habe ich hierzu jedenfalls noch nichts gehört – alles tun,

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Da hat er recht!)

um die demokratische Entwicklung in diesen Ländern, in de nen offensichtlich ein Aufbruch stattfindet, zu unterstützen, und zwar richtig deutlich, so, dass er auch verstanden wird. Man kann anfangen, indem man etwa den Geldhahn abdreht, wenn sich da nichts bewegt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf: Genau!)

Lassen Sie mich das noch ein Stück weiter denken. Mir ist da bei auch bewusst geworden, in was für einer chancenreichen und – bei allen Schwierigkeiten – tollen Gesellschaft wir le ben, einer demokratischen Gesellschaft, in der jeder seine Rechte wahrnehmen darf, in der jeder Respekt vor dem ande ren hat. Gleichzeitig müssen wir abends im Fernsehen Leute sterben sehen, die sich für Demokratie, für Menschenrechte einsetzen. Ich glaube, wir müssen uns über alle währungspo litischen Fragen hinaus immer wieder klarmachen: Europa ist mehr als eine Währungsunion, Europa ist eine Wertegemein schaft.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Die ter Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut! – Zuruf: So ist es!)

Ich glaube, wir werden dieses Europa in Zukunft nur dann glaubwürdig vertreten können – auch gegenüber unseren Bür gerinnen und Bürgern –, wenn wir an allen Stellen klarma chen, für welche Werte wir stehen, nämlich für Menschen rechte und Demokratie.

Ich wünsche mir sehr – das ist der letzte Wunsch, den ich heu te äußere –, dass man, auch wenn es jetzt in den Wahlkampf geht, im Hinterkopf darüber nachdenkt, dass wir alle hier kei ne Feinde sind, schon gleich gar nicht Feinde der Demokra

tie oder sonst irgendetwas. Wir sind politische Konkurrenten, und wir sollten bei all dem, was wir tun, auch immer ein biss chen auf dem Teppich bleiben. Dazu rufe ich uns alle auf.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der Grünen – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Jawohl!)

Für die Landesregie rung erteile ich dem Herrn Minister für Bundes-, Europa- und internationale Angelegenheiten Professor Dr. Reinhart das Wort.

Entschuldigung, zuerst hatte sich – das habe ich übersehen – Herr Kollege Mack gemeldet.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Der zieht zurück!)

Bevor ich Ihnen, Herr Minister, das Wort erteile, möchte ich noch die Abgeordnetenrunde beenden.

Herr Kollege Mack, bitte.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Mit der heutigen Verfassungsänderung si chert der Landtag von Baden-Württemberg sein parlamenta risches Beteiligungsrecht bei europäischen Rechtsetzungs- und Vertragsänderungsverfahren. Wenn neues EU-Recht im Kompetenzbereich der Länder entstehen soll, muss der Land tag zustimmen.

Die bisher gängige Auffassung, nach der ein Landtag das Ab stimmungsverhalten der Landesregierung im Bundesrat nicht an seinen Willen binden könne, kann hinsichtlich der Recht setzung im „Staatenverbund“ EU – so hat es das Bundesver fassungsgericht im Maastricht-Urteil genannt – nicht mehr gelten. Wir betreten mit der heutigen Verfassungsänderung staatsrechtliches Neuland, das sicher auch noch einige Gene rationen von Studenten befassen wird.

Für den vom Grundgesetz garantierten Kompetenzbereich der Länder ist der Landtag das einzige vom Staatsvolk direkt le gitimierte demokratische Verfassungsorgan. Der Bundesrat ist nicht nur ein Bundesorgan; er ist auch nicht unmittelbar legi timiert. Damit ist unser heutiger Schritt aus der Sicht der Lan desverfassung genauso wie aus dem Blickwinkel des Arti kels 79 Abs. 3 des Grundgesetzes, nämlich der Ewigkeitsga rantie, zwingend. Damit gewährleisten wir den Legitimations strang hin zur Europäischen Union. Damit sichern wir auch die Existenz der parlamentarischen Demokratie in unserem Land – so, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Lissabon-Urteil gefordert hat. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem Lissabon-Urteil im Hinblick auf den Deut schen Bundestag gefordert. Aber dies gilt genauso für den Landtag von Baden-Württemberg.

Wenn Baden-Württemberg als erstes Land in Deutschland die se Klausel in seine Verfassung aufnimmt, zeigen wir im Land Selbstbewusstsein und Gestaltungswillen. Mögen andere ihr Land als Freistaat bezeichnen, und mögen Verfassungsunkun dige immer wieder von „deutschen Bundesländern“ reden. Den Begriff „Bundesländer“ kennt weder das Grundgesetz noch die Landesverfassung. Baden-Württemberg ist ein Land, und zwar ein starkes Land, das zu Hause kraftvoll gestaltet und das Deutschland und Europa mitgestaltet.

Im EU-Jargon ist von „Multilevel Governance“ die Rede. Die se kann nur gelingen, wenn folgende zwei Eckpfeiler gege ben sind: die demokratische Legitimation aller Ebenen und der strikte Aufbau Europas nach dem Grundsatz der Subsidi arität.

(Unruhe)

Mehr denn je brauchen wir in diesem Haus unseren Europa ausschuss, der neben der Landesregierung, Herr Minister, nicht nur unsere staatlichen Kompetenzen sichert und über diese wacht, sondern genauso Europapolitik mitformuliert. Die Abstimmungsmaschinerie Bundesrat kann dies für uns nicht erledigen. Der vorliegende Entwurf für eine Verfas sungsänderung – das muss man wirklich hervorheben – ist ein Meisterstück unseres Europaausschusses.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch Herrn Landtags präsident Straub sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbei tern, Frau Göbbel in Brüssel und Herrn Hönle hier in Stutt gart, danken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Landtagspräsident Straub hat bereits am Tag der Verkündung des Lissabon-Urteils als Erster und bisher Einziger öffentlich darauf hingewiesen, dass neben dem Bundestag genauso die Landtage an dem vom Bundesverfassungsgericht zwingend geforderten Zugewinn parlamentarischer Mitwirkungsmög lichkeiten teilhaben müssen.

Ich möchte auch allen Fraktionen danken. Denn diese Verfas sungsänderung kommt zustande, weil alle Fraktionen an ei nem Strang ziehen. Daran zeigt sich, dass man in diesem Haus kurz vor Ende der Legislaturperiode jenseits des Wahlkampfs weiterhin zukunftsträchtige Beschlüsse verabschieden und die Verfassung ändern kann.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

Für die Landesregie rung erteile ich Herrn Minister Professor Dr. Reinhart das Wort.

Minister für Bundes-, Europa- und internationale Ange legenheiten Dr. Wolfgang Reinhart: Herr Präsident, verehr te Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorab ebenso allen vier Fraktionen, all denen, die in der Arbeitsgruppe mit gewirkt haben, ein herzliches Dankeschön sagen. Ich möchte auch unsere eigenen Mitarbeiter im Staatsministerium in den Dank einschließen. Denn ich glaube: Wir schaffen heute ei nen großen Wurf. Wir schaffen damit auch einen wichtigen Wurf, sowohl was die Beteiligung des Parlaments als auch was die Interessenlage Europas angeht.

Ich möchte den fünf Rednern, die vor mir gesprochen haben, ein Dankeschön für die gute Zusammenarbeit sagen und stell vertretend Sie, Herr Kollege Noll, besonders erwähnen, weil ich den Eindruck hatte, dass das Ihre letzte europapolitische Rede in diesem Plenum war. Ich glaube, bei aller Abwägung und bei manchem Gegensatz in der einen oder anderen Frage

hat Ihr Herz immer für Europa geschlagen. Sie waren immer ein überzeugter Europäer. Deshalb mein Dank für die gute Zu sammenarbeit in all den Jahren.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, Europa ist unsere Zukunft, aber auch unser Schicksal. Wenn wir bedenken, dass die Weltbe völkerung gemäß allen Bevölkerungsprognosen im Juni die ses Jahres die Sieben-Milliarden-Grenze und in 15 Jahren die Acht-Milliarden-Grenze überschreiten wird, dann muss uns klar sein, dass die große Frage der Politik der Zukunft für un sere Nation lauten wird, ob die Kräfte bipolar oder tripolar sind, das heißt, bipolar zwischen Amerika und Asien oder tri polar auch mit Europa. Dann wird der Satz „Europa gelingt nur gemeinsam“ besondere Bedeutung haben; denn das ist das große Thema.

Schauen wir uns nur einmal die Sorgen, die zu Recht ange sprochen wurden, und auch die Akzeptanz, was Europa an geht, an. Laut einer forsa-Umfrage, dem größten Umfrageba rometer, machen sich 45 % der Befragten Sorgen um den Eu ro – noch vor den Themen Konjunktur und Arbeitslosigkeit. Ich finde, das müssen wir sehr ernst nehmen.

In diesem Zusammenhang möchte ich eines vorausschicken: Herr Kollege Walter, Sie haben die Kanzlerin kritisiert. Ich möchte Ihnen Folgendes sagen: Zum Thema Euro finden mor gen wieder wichtige Verhandlungen statt. Ich habe damals im Bundesrat für unser Land dem Rettungsschirm zugestimmt, der als Deckungssumme 250 Milliarden € im IWF, 60 Milli arden € im EU-Haushalt und 440 Milliarden € bei den Län dern der Eurozone vorsieht. Wir haben damals gesagt: Es geht um 440 Milliarden €, aber wir wollen keine gesamtschuldne rische Haftung. Damit haben wir uns durchgesetzt. Deutsch land hat nun eine Teilhaftung über 123 Milliarden € plus 20 %.

In der letzten Woche, Herr Kollege Walter, hat die FAZ eine Umfrage zur Haltung der deutschen Bundeskanzlerin ge macht. 87 % der Deutschen haben gesagt: Wir halten die res triktive Haltung von Frau Merkel für richtig. Ich füge hinzu: Auch ich halte sie für richtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Wir sind überzeugte Europäer und kennen die Vorteile der Ex portüberschüsse. In Baden-Württemberg gehen von 350 Mil liarden € jährlich 150 Milliarden € in den Export, davon über 60 % in die 27 EU-Staaten. Aber eines geht nicht, nämlich dass andere ihre Schulden vor die Tür des deutschen Steuer zahlers kippen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Das wollen wir nicht. Das möchte ich klar sagen. Wir wollen keine Transferunion.

Von den Vorrednern wurde zu Recht auf die Parallele zum Länderfinanzausgleich hingewiesen. Ich habe es auch am Montag in der gemeinsamen Kabinettssitzung von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen gesagt: Ich empfehle jedem die Lektüre der Beschlüsse zur Wirtschafts- und Währungs union.

Uns geht es darum, dass die Stabilität des Euro geschützt wird. Wichtig ist aber auch, dass wir alles für diese Stabilität unter nehmen und uns dafür einsetzen. Herr Hofelich hat zu Recht die Solidarität angesprochen. Vielen Dank für Ihre Ausfüh rungen. Aber zur Solidarität in Europa gehört ergänzend auch die Solidität der öffentlichen Haushalte. Wir haben keine Eu rokrise, sondern wir haben eine Verschuldungskrise der öf fentlichen Haushalte in einigen Staaten der Eurozone. Das ist die Ursache. Deshalb muss man zunächst an die Ursachenbe seitigung gehen. Wir haben also nicht die Problematik des Eu ro, zu dem wir stehen, sondern wir fordern zu Recht die Sta bilität des Euro und die Solidität der öffentlichen Haushalte der Länder der Eurozone.