Protocol of the Session on February 3, 2011

Warum müssen Sie immer gleich reflexartig vorgehen, wenn man über die Schwierigkeiten redet, die in diesem Land wahr genommen werden, nämlich dass sich die Menschen ausge grenzt fühlen?

(Beifall bei der SPD)

Ich verstehe dieses Zucken nicht.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Dr. Pawlow vom Bo denseekreis!)

Wir haben die Situation, dass die Menschen in den europäi schen Ländern erwarten, dass die Politik Gemeinsamkeiten für sie formuliert. Das ist der vorhandene Grundzug. Ich schaue jetzt einmal zu Ihnen von der CDU, wenn Sie es ge statten, weil ich bei Ihnen eine gewisse Hoffnung habe. Die Menschen erwarten, dass diese Gemeinsamkeiten im Aus gleich von Solidarität, Wettbewerb und persönlicher Leistung von der Politik formuliert werden. Darum geht es. Wir sind derzeit dabei, dies in den Nationalstaaten über das hinausge hend, was sozusagen im täglichen Wettbewerb der Parteien geschieht, neu zu formulieren. Hoffentlich geschieht dies auf einer sauberen Grundlage, die darüber hinausreicht.

Das Besinnen auf eine Neuordnung in den Nationalstaaten kann zu einer Abwendung von Europa führen, indem man sagt: Wir wollen uns vor etwas schützen. Tatsächlich geht es aber auch um eine Neuordnung in Europa. Wir wollen die Starken stärken, aber auch die Schwachen mitnehmen. Die ser Spagat, Deutschland und seine Ausrichtung ein Stück weit neu zu ordnen und sich zugleich zu Europa zu bekennen und aktiv mitzumachen, wird nicht ganz einfach sein. Das wird keine einfache Sache.

Ich lese zurzeit – ich gebe zu, es ist ein bisschen weit herge holt; es liegt 800 Jahre zurück, aber das ist nun einmal meine staufische Heimat – das Buch „Der Falke von Palermo“.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Wie lang ist die Rede zeit?)

Noch 19 Sekunden. – Irgendwie hat man es damals ge schafft, dass man auch damals europäisch gedacht hat.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: 800 Jahre in 19 Sekun den!)

Ich finde, das europäische Denken steht uns eigentlich gut. Deswegen bin ich dafür, dass wir in den kommenden Jahren jenseits von europäischem Wirtschaftsregime –

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation! – Gegenruf der Abg. Ursu la Haußmann SPD: Cool bleiben!)

über das man reden muss –, jenseits von einem Pakt für Wett bewerbsfähigkeit – was die Kanzlerin jetzt am Wochenende mit Sarkozy und anderen zu besprechen hat – dafür sorgen, dass wir in Europa eine politische Aktion hinbekommen, mit der der Kontinent sozusagen gemeinsame Themen für sich entdeckt. Ob das bezüglich der Steuerpolitik oder beim Ver gleich von Lohnstückkosten wirklich so tief gehen muss, wie es jetzt am Wochenende besprochen wird, weiß ich nicht,

(Glocke des Präsidenten)

aber eine Richtung von gemeinsamen Themen einzuschlagen, finde ich gut. Wenn wir hier immer – zu Recht – sagen, dass wir eines der europäischsten Länder in Europa sind, dann, fin de ich, ist es auch unsere Aufgabe, so zu denken und so zu handeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Herrn Abg. Walter das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass die Begeisterung des Kollegen Hofelich für Europa nicht so weit geht, dass er jetzt wieder das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ausru fen möchte.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Champions League!)

Denn das wäre nun wirklich nicht das, was wir angestrebt ha ben. Aber ich glaube, ich habe Sie richtig verstanden.

Ich finde es übrigens bemerkenswert, dass man in wenigen Sekunden 800 Jahre abhandeln kann. Das ist schon eine Leis tung, Herr Kollege.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Ja! Genau! – Abg. Peter Hofe lich SPD: Wahlkreis Göppingen!)

Meine Damen und Herren, wir haben heute etwas Positives zu beschließen, nämlich die Stärkung des Informationsrechts dieses Landtags. Wir stärken damit unsere Rechte, wir stär ken die Rechte dieses Parlaments. Es ist gut, dass wir im Ver hältnis von Europa und Land Baden-Württemberg, das durch den Lissabon-Vertrag neu geregelt wurde, auch die Informa tionspflicht auf neue Beine gestellt haben.

Ich möchte mich bei allen bedanken, die bei den Gesprächen dabei waren. Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie man Poli tik auch im Konsens machen kann. Teilweise mussten wir die Regierung ein bisschen schieben.

(Widerspruch bei der CDU – Abg. Klaus Herrmann CDU: Teilweise ist es viel komplizierter geworden, als es vorher war!)

Ich weiß gar nicht, warum Sie sich aufregen. Alle Fraktio nen mussten die Regierung etwas schieben, Herr Kollege, auch mit Unterstützung des Landtagspräsidenten, dessen po sitive Rolle ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich er wähnen möchte.

Meine Damen und Herren, der Kollege Hofelich hat erwähnt – ich möchte das als ersten Punkt aufgreifen –: Mehr Infor mationen und dadurch mehr Mitspracherecht heißt aber auch, dieses Mitspracherecht in Anspruch zu nehmen. In der Ver gangenheit war es leider viel zu oft so – abgesehen davon, dass wir häufig zu spät informiert wurden –, dass es, wenn wir rechtzeitig informiert wurden, speziell auf dieser Seite des Hauses immer diese Abwehrhaltung gegeben hat: Was kommt da schon wieder aus Europa?

Jetzt, da wir mitsprechen können, gilt es, auch aktiv einzu greifen. Wenn die entsprechenden Verordnungen und Richtli nien im Entwurf vorliegen, dann müssen wir entscheiden: Was davon gefällt uns, und was wollen wir daran verbessern? Aber immer nur zu sagen: „Das wollen wir nicht“, wie es in der Ver gangenheit viel zu oft passiert ist, das sollten wir nicht mehr tun, sondern wir sollten aktiv an der Gestaltung Europas mit wirken.

Ein weiterer Punkt, den der Kollege Hofelich angesprochen hat, bei dem wir uns jetzt leider nicht einigen konnten, ist die Frage: Wie sieht der Europabericht zukünftig aus? Wir waren uns so weit einig, dass wir gesagt haben: Wir wollen einen Bericht, der zeitnah ist, einen Bericht, der auch in die Zukunft schaut; aber es soll tatsächlich noch ein Bericht sein, bei dem es sich lohnt, einmal hineinzuschauen, auf dessen Basis man auch europäische Diskussionen im Parlament und außerhalb des Parlaments führen kann. Aber wir wollen keine Loseblatt sammlung, die dann nicht einmal ansatzweise das darstellt, was dieser Bericht, wie er heute vorliegt, bisher für uns be deutete.

Wir sind uns einig, Herr Minister: Wir brauchen nicht einmal im Jahr einen Bericht mit 150 oder 180 Seiten. Das ist nicht

nötig. Wir sind auch damit einverstanden, dass man den Be richt beispielsweise halbjährlich vorlegt. Wir sind auch damit einverstanden, dass er einen geringeren Umfang hat. Aber wir bestehen darauf, dass es auch weiterhin einen ansprechenden Bericht gibt.

Lassen Sie mich jetzt etwas zu der Krise sagen, die wir un weigerlich zur Kenntnis nehmen müssen, nämlich die Euro krise. Da muss ich mich wieder auf den Kollegen Hofelich beziehen: Deutschland muss eine aktivere Rolle spielen. Wir haben eine große Verantwortung, und die zögerliche Haltung, die Frau Merkel zu Beginn der Finanzkrise und dann auch zu Beginn der Krise in Griechenland an den Tag gelegt hat, hat Europa geschadet und hat damit auch uns geschadet. Gerade ein exportorientiertes Bundesland wie Baden-Württemberg ist massiv vom Euro und von Europa abhängig.

Ich will nur eine Zahl nennen, an der man sieht, was früher passiert ist. Früher haben die deutschen Unternehmen mehr als 10 Milliarden € jährlich dafür ausgegeben, ihre Kreditge schäfte gegen Devisenkursschwankungen abzusichern. Sie ha ben Versicherungen abschließen müssen. Mehr als 10 Milli arden € pro Jahr werden durch die Einführung des Euro ge spart. Der Deutsche Industrie- und Handelstag hat ausgerech net, dass ca. 5,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland durch den Euro und den Binnenmarkt gesichert werden.

Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir, die Bundes republik und ganz speziell das Exportland Baden-Württem berg, ein enormes Interesse, dass der Euro gestützt wird, dass der Euro gehalten wird, und wir können uns ganz gut vorstel len, was jetzt passieren würde, wenn es den Euro nicht gäbe: Dann würde in all den Ländern, über die diskutiert wird – von Griechenland über Irland bis Italien –, die Währung abgewer tet, und gleichzeitig würde die D-Mark aufgewertet. Was das für Baden-Württemberg als Exportnation bedeuten würde, muss ich hier nicht näher erläutern. Das zeigt aber auch die große Verantwortung, die wir gegenüber Europa und dem Eu ro haben. Wenn wir es nicht wegen der europäischen Idee ma chen, sollten wir wenigstens aus eigenem Interesse hier die Zügel etwas stärker anziehen, als Frau Merkel es gemacht hat.

Wovor ich wirklich warnen will, Herr Kollege Wetzel – da mit komme ich zu Ihnen und Ihrer Partei –, ist, jetzt zu versu chen, die teilweise vorherrschende antieuropäische Stimmung und die Angst vor dem Euro populistisch auszunutzen.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Quatsch!)

Was heißt „Quatsch“? Ich lese doch, was Herr Westerwelle sagt.

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Wenn Sie mir nicht glauben, Herr Kollege Wetzel: Die an sonsten der FDP nicht ganz abgeneigte „Financial Times Deutschland“ – –

(Zuruf von der CDU: Oje!)

Was heißt „Oje“? Ist euch das zu weit links?

Auf jeden Fall: Zu all diesen Äußerungen von Westerwelle und Co. zum Euro schrieb die „Financial Times Deutschland“ vor zwei Wochen – –

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Wer hat denn Griechenland in die Eurozone hereingeholt? Das war doch Grün! Das wart doch ihr, oder nicht? – Unruhe)

Ja, okay. Wir haben die gesamteuropäische Regierung ge stellt. Das ist mir zwar neu, aber egal.

Aber auf jeden Fall, meine Damen und Herren: Die „Finan cial Times Deutschland“

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

hatte einen Kommentar zur Haltung der FDP zur Europapoli tik; diesen Satz sollten wir uns merken. Er heißt:

Die FDP hat einfach keine Ahnung.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Herr Kollege Wetzel, das ist sozusagen der Minimalkonsens in diesem Haus.