Protocol of the Session on February 2, 2011

Um nicht alle Argumente zu wiederholen, möchte ich heute nur sagen: Wir brauchen einfach mehr Flexibilität. Wenn vor Ort, wie in Mosbach, die gesamte Lehrerschaft, die gesamte Schülerschaft, die Gemeinde, die Stadt einen Antrag gestellt haben, sollte, wie ich finde, eine Flexibilität dergestalt mög lich sein, dass an diesem vierzügigen Gymnasium ein neun jähriger Bildungsgang erprobt werden kann. Das ist auch kein G 9 im klassischen Sinn, sondern es geht um eine Entzerrung in der Unterstufe, um dort den Steilheitsgrad der Anforderun gen etwas abzuschwächen. Spätestens in der achten oder neunten Klasse sind die Schüler ohnehin wieder auf demsel ben Niveau; sie haben nur in der Unterstufe mehr Zeit bekom men.

Ich finde, man soll hier nicht dogmatisch vorgehen, wie Sie das tun. Man soll keine Blockaden aufbauen, man soll nicht immer dagegen sein,

(Oh-Rufe von der FDP/DVP)

sondern man soll Schulentwicklung von unten zulassen. Wir wünschen uns, dass Sie nicht immer die „Dagegen-Partei“ in der Bildungspolitik sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold das Wort.

(Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mir gern viel Mü he geben, Frau Rastätter, keine Vertreterin einer „DagegenPartei“ zu sein. Das ist aber manchmal gar nicht so einfach; denn es ist nicht immer leicht zu erkennen, was Sie eigentlich wollen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das ist das Problem!)

Vor wenigen Jahren wollten Sie das Gymnasium noch ab schaffen. Jetzt stellen Sie lange Überlegungen zu G 8 oder G 9 an. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns zunächst einmal sa gen würden, was Sie wirklich wollen.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Sie müssen einfach besser zuhören, Frau Dr. Arnold!)

Dann können wir uns überlegen, ob wir dagegen sind oder nicht.

In dem Redebeitrag von Herrn Mentrup hat mich eines über rascht. Wo ist er denn eigentlich?

(Zurufe: Da läuft er!)

Ach, da läuft er. – Es ist noch nicht so lange her, da hat Herr Dr. Mentrup gemeinsam mit den Damen und Herren von den Grünen einen Rechtsanspruch für jeden Schüler gefordert, der die Voraussetzungen erfüllt, um auf das berufliche Gymnasi um zu wechseln. Jetzt höre ich plötzlich von Ihnen – ich fra ge Sie: was wollen Sie eigentlich? –: „Na ja, die beruflichen Gymnasien sind vielleicht doch nicht das Gelbe vom Ei;

(Abg. Dr. Frank Mentrup SPD: Das habe ich nicht gesagt! – Abg. Rainer Stickelberger SPD: Selektives Wahrnehmungsvermögen!)

die haben nicht so die fachliche Tiefe.“ Das alles ist in sich sehr widersprüchlich.

Meine Damen und Herren, unser Weg ist klar: Wir halten am Ausbau der beruflichen Gymnasien als eine Möglichkeit fest, nach der Grundschule in unserem Land nach neun Jahren das Abitur zu machen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: So ist es!)

Wir sind sehr froh, dass wir jetzt auch die Möglichkeiten ha ben, die beruflichen Gymnasien in dem Maß weiter auszubau en, wie wir uns das schon lange gewünscht haben.

Ich möchte noch einmal darauf verweisen, dass dieser Weg für uns auch deshalb zielführend ist, weil die beruflichen Gymnasien ein wichtiges Integrationsinstrument sind. Ich ha be es schon beim letzten Mal gesagt, und Sie wissen es auch: 70 % der Schülerinnen und Schüler an beruflichen Gymnasi en kommen aus Realschulen; dort sind mittlerweile auch vie le Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund ver treten. 30 % aller Abiturienten haben zuvor eine berufliche Schule besucht; nimmt man die Fachhochschulreife hinzu, so kommen 50 % aller Hochschulzugangsberechtigungen in un serem Land über diese Schiene. Hieran zeigt sich deutlich, wie wichtig diese Schulart als Integrationselement ist.

Im Weiteren kann ich mich kurz fassen. Frau Vossschulte hat schon alle Argumente der kommunalen Landesverbände an geführt, die diesen Weg, den Sie vorschlagen, auch nicht mit gehen wollen. Ich kann mir eine Wiederholung an dieser Stel le ersparen und schließe mich diesen Ausführungen voll und ganz an.

Es bleibt dabei: Berufliche Gymnasien sind der richtige Weg, was das G 9 anbelangt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Für die Landesregie rung erteile ich Frau Ministerin Dr. Schick das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her ren! Zunächst, liebe Frau Rastätter, möchte ich mich bei Ih nen bedanken, und zwar für einen Satz und einen Gedanken. Der Satz, der mich sehr gefreut hat, war: „Wir bleiben bei G 8.“ Vielen Dank dafür.

Danke auch für den Gedanken, dass Sie uns daran erinnern und uns auffordern, nach den jungen Menschen zu schauen, die eine Gymnasialempfehlung nicht wahrnehmen. Das wer den wir uns auch noch ein bisschen genauer anschauen; denn das treibt auch mich um. Ich will nicht, dass möglicherweise einige dabei sind, die zu viel Respekt vor dem Gymnasium haben. Allerdings glaube ich, dass sich dieser Respekt nicht auf die Laufzeit des Gymnasiums bezieht, sondern auf das Lernen im Gymnasium mit seinen Standards und allem, was dazugehört. Ich danke dafür, dass Sie das angesprochen ha ben. Das ist wirklich ein Thema, bei dem wir uns noch nicht zurücklehnen und sagen können: Das ist halt so. So viel viel leicht zum Dank.

Nun zu einem Aspekt, der mich immer wieder elektrisiert, ver ehrter Herr Abg. Mentrup. Herr Mentrup und auch Frau Rastätter, Sie haben von „in allen Umfragen gewünscht“ ge sprochen. Meine Damen und Herren, Bildungspolitik ist kei ne Umfragepolitik,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Genau!)

sondern qualitativ hochwertige und gut zu überlegende Struk turpolitik, die man nicht täglich oder wöchentlich am aktuel len Hochwasserstand der Umfragen ausgerichtet gestalten kann, Herr Mentrup.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist har te, tägliche Arbeit! – Zuruf des Abg. Claus Schmie del SPD – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ein Quark! Sie sind schon lange nicht mehr in einer Schule gewesen! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Sie sollten die Eltern nicht diffamieren! – Ge genruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Der Einzi ge, der diffamiert, sind Sie! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Die Hauptschule diffamieren Sie, Herr Schmiedel! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Herr Schmiedel muss nachsitzen! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Beruhigen Sie sich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat die Frau Ministerin.

Bleiben Sie ganz ruhig.

Frau Rastätter, der Wunsch, vor Ort etwas zuzulassen, ist schön. Man sieht in Nordrhein-Westfalen – Sie haben die Zah len selbst zitiert –, dass diese Möglichkeit von 2 % der Gym nasien genutzt wird.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Bis jetzt!)

Außerdem hat Herr Mentrup vorhin ganz locker gesagt, er wolle gar nicht mehr. Herr Schmiedel, vielleicht hören Sie der Rede Ihres Parteikollegen einmal intensiv zu. Er hat nämlich vorhin gesagt: Wir gehen auch nicht davon aus, dass überall das G 9 eingerichtet wird, sondern es soll nur dort eingerich tet werden, wo dies gewünscht ist, und dies bitte schön als Biotop.

Meine Damen und Herren, denken Sie diesen Gedanken ein fach einmal zu Ende. Bildungspolitik hat etwas mit dem Den

ken vom Wunsch bis zur Umsetzung zu tun. Was sagen Sie denn den Eltern, deren Kinder aus einer solchen Parallelfüh rung kommen und die beabsichtigen, innerhalb Baden-Würt tembergs in ein Gebiet umzuziehen, in dem bisher niemand – es sind nur 2 % – den Wunsch gehabt hat, dass ein G 9 einge richtet wird? Sagen Sie dann, es sei nun Aufgabe staatlicher Bildungsstrukturplanung, sich für ein G 9 einzusetzen, oder sagen Sie den Eltern: „Sorry, ihr zieht jetzt in ein Gebiet, in dem die letzte Umfrage unter den Eltern dummerweise erge ben hat, dass niemand G 9 will“?

Ist das Ihre kontinuierliche Bildungspolitik für Baden-Würt temberg? Ich hoffe, sofern das Ihre Vorstellung ist, dass die se Politik niemals zum Einsatz kommt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ha gen Kluck FDP/DVP: Gott schütze unsere Kinder!)

Ein weiterer Punkt ist nicht so einfach, wie Sie ihn hier dar stellen. Bildungspolitik ist etwas differenzierter zu sehen. Ich nenne das Stichwort Kosten. Herr Mentrup, zusätzliche Kos ten entstehen nach Ihren Vorstellungen nur dann, wenn man an der einen oder anderen Stelle einen Zug mehr einrichten muss.

Haben Sie sich schon einmal überlegt, was mit Ihrer „Vor-Ortwünsch-dir-was-Orientierungspolitik“ in folgender Situation passieren würde? Sie zitieren gern das Auguste-PattbergGymnasium. Was wäre, wenn man sich an einem G 8 entschie den hätte, in der Mittelstufe ein zusätzliches Jahr einzuführen, und wenn dann Eltern eine Volksbefragung durchführen und sagen, dass sie eigentlich schon in den Klassen 5 und 6 gern eine Entzerrung hätten und dafür in der Mittelstufe einen Puf fer von lediglich einem halben Jahr möchten? Würden Sie dann monatlich, halbjährlich oder mit jedem neuen Schuljahr diese Wünsche der Eltern befriedigen, oder würden Sie den Eltern gegenüber Nein sagen?

Wenn Sie den Elternwunsch und den Wunsch nach Verände rung zur Richtschnur Ihrer Bildungspolitik machen, dann müssen Sie auch gewahr sein, dass die Eltern mehr wollen, als dass generös die Parallelführung von G 8 und G 9 einge führt wird. Wenn Sie in Verantwortung stehen, dann müssen Sie als Land auch sagen, dass das flächendeckend eingeführt werden muss. Dann wird das Argument, es entstünden keine zusätzlichen Kosten, in seiner Naivität entlarvt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Bildungspolitik ist aus gutem Grund Landespolitik. Wir ak zeptieren nicht, dass es aufgrund von Umfragewerten belie bige Bildungsstruktursituationen in diesem Land gibt. Das le gen Sie uns aber immer wieder nahe – so, wie Sie, Herr Men trup, uns auch immer wieder nahelegen: „G 8 ist in der Kri tik und bleibt in der Kritik.“ Sie tun natürlich alles dafür, dass dies so ist. Aber bitte diskreditieren Sie nicht die Gymnasial lehrer und Gymnasiallehrerinnen, Schüler und Schülerinnen, die Gymnasien insgesamt, die G 8 gut umgesetzt haben und die Sie mit Ihrem pauschalen Urteil immer wieder vor den Kopf stoßen, indem Sie sagen: „Die ganze Arbeit der letzten zehn Jahre war nichts wert.“ Ich bitte um eine differenzierte re Vorgehensweise. Das haben die Lehrerinnen und Lehrer in diesem Land einfach verdient.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Alb recht Fischer CDU: Sehr gut!)

Abschließend muss ich doch noch einen Dank loswerden – ich dachte, ich wäre damit schon fertig –: Herr Mentrup, Sie haben generös auf Polemik verzichtet. Sie haben gesagt: „Las sen Sie uns doch die Polemik beiseitelegen“, nachdem Sie Zi tate aus anderen Bundesländern angeführt haben.

(Abg. Dr. Frank Mentrup SPD: Das haben Sie nicht geschafft!)