Protocol of the Session on December 16, 2010

(Heiterkeit des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Er kann halt nicht anders!)

Das verbindet uns einmal mehr, Herr Kollege Kretschmann.

10 000 Wahlberechtigte können also nach Ihrem Gesetzent wurf eine Befassung des Parlaments mit einem Thema erzwin gen. Es genügt die Zustimmung von lediglich 5 % der Wahl berechtigten, um anschließend einen Gesetzentwurf zur Volks abstimmung bringen zu können, und zu guter Letzt reicht viel leicht noch eine einfache Mehrheit von wenigen Tausend Stimmen.

(Zuruf von der SPD: Das ist bei der Landtagswahl auch nicht anders!)

Ich glaube, Herr Kretschmann hat das richtig gesagt. Es rei chen wenige Tausend Stimmen, um die Gesetzeslage zu än dern. Im Ergebnis würde eine kleine Minderheit über die schweigende Mehrheit herrschen. Darüber sind wir uns wohl im Klaren. Das kann man in Kauf nehmen oder nicht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Nach unserer Landesverfassung haben wir in Baden-Würt temberg aus gutem Grund – nicht nur verfassungsrechtlich be trachtet – eine vorrangig repräsentative Demokratie. Wenn man diese nicht will, muss man das so deutlich sagen, wie das der Kollege Sckerl getan hat.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Die Gesetzgebung durch das Parlament ist die Regel, die Ge setzgebung durch das Volk ist die Ausnahme. Das hat nicht nur unter praktischen Gesichtspunkten seinen Grund; denn das Volk kann nicht jeden Monat zur Abstimmung gerufen werden. Vielmehr müssen die Gesetze auch einen ausreichen den demokratischen Rückhalt in der Bevölkerung haben – ver mittelt durch entsprechende Mehrheitsentscheidungen ihrer Vertreter im Parlament. Darum geht es.

Es geht hier auch um die Akzeptanz und die Wertschätzung der Bevölkerung gegenüber gesetzgeberischen Entscheidun gen. Hieran mangelt es, wenn man kein angemessenes Quo rum für abschließende Abstimmungen in der Landesverfas sung macht.

Ich will auf die Homepage des Vereins „Mehr Demokratie e. V.“ aufmerksam machen. Wir alle kennen diesen Verein.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Ich nehme an, dass Sie schon häufiger mit den dort Verant wortlichen diskutiert haben. Ich war auch schon dort. Ich re spektiere deren Arbeit.

Dieser Verein weist auf die USA hin. Deren Verfassung ist für viele ein Musterbeispiel für eine direktdemokratische Verfas sung – in einzelnen Bundesländern. Ich sage Ihnen, wie der Verein „Mehr Demokratie“ den dortigen Zustand, die Verhält nisse in den USA, einschätzt. Sie können es auf der Home page nachlesen:

Unterschriftensammlungen werden durch bezahlte Firmen or ganisiert.

Professionelle PR-Agenturen, die die Kampagnen orga nisieren.

(Zurufe von der CDU und der FDP/DVP: Stutt gart 21!)

Eine Initiative kommt ohne teure Werbespots, TV-Spots nicht aus. Von 23 Millionen Abstimmungsberechtigten in Kalifor nien entscheiden im schlechtesten Fall lediglich drei Millio nen über die Geschicke des Landes.

Jeder noch so unausgegorene Vorschlag kommt zur Ab stimmung.

Dabei sind Kompromisslösungen – ich habe das anfangs auch gesagt – in den Parlamenten nicht mehr möglich.

Und schließlich:

Nur wer viel, viel Geld hat, ist auch in der Lage, eine er folgreiche

direktdemokratische –

Kampagne zu führen.

Das ist nicht meine Auffassung, sondern das ist die Analyse des Vereins „Mehr Demokratie“.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Hört, hört!)

Solchen Entwicklungen sollte man nicht durch eine weite Öff nung der Landesverfassung für Plebiszite Vorschub leisten.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Genau so ist es!)

Ich jedenfalls kann der Aussage, wie sie auch heute wieder hier vorgetragen wurde – sie ist auch in der Begründung des Gesetzentwurfs nachzulesen –, nach der ein Mehr an direkter Bürgerbeteiligung auf Landesebene in der vorgeschlagenen Form auch zur Festigung und Belebung der parlamentarischen Demokratie beitragen soll, so pauschal nicht folgen. Deswe gen kann ich dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Ich hätte mir entsprechend der Koalitionsvereinbarung – das ist jetzt die Alternative in einem ersten weiteren Schritt – ei ne maßvolle Reduzierung des Zustimmungsquorums bei Volksabstimmungen von einem Drittel auf ein Viertel vorstel len können, aber zu diesem in Ihren Augen kleinen Schritt sind Sie offensichtlich nicht bereit.

Eine funktionierende repräsentative Demokratie, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, bedeutet – das ist allerdings wahr – eine Delegation von Macht und Entscheidungsbefugnissen. Sie setzt Vertrauen des Volkes in die Repräsentanten voraus. Meine Beobachtung ist die, dass unser reales politisches Sys tem derzeit darunter leidet, dass eben das Vertrauen nicht oder nicht mehr in diesem Maß vorhanden ist. Es leidet nicht dar unter, dass es einen Mangel an Volksabstimmungen gäbe, son dern es leidet unter einem Mangel an Vertrauen. Daran müs sen wir arbeiten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Winfried Mack CDU: Genau! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Richtig!)

Meine Damen und Herren, jetzt bitte ich in der weiteren Be trachtung doch ganz herzlich um Folgendes. Auch in der heu tigen Diskussion ist vieles durcheinandergegangen. Beispiels weise über die Frage, wie wir die Bürger früher und breiter in unsere Planfeststellungsverfahren einbinden, müssen wir uns selbstverständlich Gedanken machen. Das ist auch eine Fol ge des Schlichterspruchs. Dazu wird das Innenministerium auch konkrete Vorschläge vorlegen.

(Abg. Winfried Mack CDU: Sehr gut!)

Darüber können wir meinetwegen in einer Enquetekommis sion diskutieren, wo auch immer. Da muss etwas passieren, und da wird auch etwas passieren. Aber das ist doch bitte schön zu trennen von dem Thema, über das wir heute disku tieren.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Richtig!)

Heute geht es um eine Änderung der Landesverfassung. Das ist etwas anderes.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Herr Mack hat doch mit der Schlichtung angefangen!)

Das hat mit der Verfassungsänderung nichts zu tun.

Jetzt will ich Ihnen, weil ich es Ihnen versprochen habe, nicht vorenthalten, was Voscherau unter der Überschrift „Wir brau chen höhere Hürden bei Volksentscheiden“ sagt. Er sagt, ins besondere die erste Stufe der Volksinitiative führe in Ham burg leicht zur politischen Beliebigkeit. Er sagt weiter, die er forderlichen Unterschriften könne man in jeder Lottoannah mestelle zusammenbekommen.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/ DVP)

Meine Damen und Herren, unsere Demokratie hat mit TotoLotto nichts zu tun. Die repräsentative Demokratie ist ein schwieriges, ein mühseliges Geschäft. Dieser Mühe müssen wir uns unterziehen. Aber unser System darf nicht – – Nein, ich sage es anders.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Das war jetzt ein sehr starker Angriff!)

Voscherau nehme ich durchaus ernst. Er hat schon einiges Richtige gesagt.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Was sind Ih re Gegenvorschläge? – Gegenruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Die liegen doch auf dem Tisch!)

Die Gegenvorschläge sind die, dass wir die Verfahren ver einfachen und beschleunigen und die Bürger früher mitneh men.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP zu Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Bitte schön, da haben Sie Ih re Gegenvorschläge!)

Das alles werden wir miteinander diskutieren. Das hat aber mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nichts zu tun. Es liegen zwei Vorschläge vor. Der von Ihnen und der SPD würde da zu führen, dass 0,13 % der Wahlberechtigten bestimmen, was passiert.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Stimmt doch gar nicht! – Abg. Claus Schmiedel SPD: 0,13 %? Was ist das für ein Unsinn? – Zuruf des Abg. Dr. Nils Schmid SPD)

Ich habe es Ihnen vorhin genau ausgerechnet. Ich sage es Ihnen noch einmal. Die kommunalen Landesverbände – von diesen habe ich die Zahl übernommen; ich habe es nachge rechnet – weisen im Rahmen ihrer Anhörungen darauf hin, dass Ihr Gesetzesentwurf im Ergebnis dazu führen würde, dass lediglich 0,13 % der Stimmberechtigten – das sind die im Ent wurf genannten 10 000 Wahlberechtigten – es in der Hand ha ben, den Landtag laufend mit politischen Themen in Form von Volksinitiativen zu beschäftigen.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Aber doch nicht zu entscheiden! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP zur SPD: Was Ivo Gönner sagt, ist Ihnen letztlich egal!)