Ein wichtiges Thema, das der Kollege Hofelich angesprochen hat, möchte ich ebenfalls noch erwähnen. Es geht um die Geis
teshaltung, die wir Europa gegenüber in die Diskussion ein bringen. Das Wort „Frühwarnsystem“ hat ja einen negativen Touch. Es hört sich so an, als ob wir immer gewarnt werden müssten, was denn aus Brüssel auf uns zukommt. Mit dieser Haltung sollten wir nicht europäische Politik betreiben. Wir alle sind große Europäer, wenn es darum geht, sonntags die europäische Idee hochzuhalten. Wenn es dann aber unter der Woche im Alltagsgeschäft darum geht, diese europäische Idee genauso wertzuschätzen, dann kommen bei vielen immer die großen Aber und die großen Zweifel.
(Abg. Reinhold Gall SPD: Nix, ich bin ein Fan der Europaliga! – Zuruf des Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP)
Ich finde, wir sollten konstruktiv an dem mitarbeiten, was aus Europa kommt. Nicht alles wird uns gleich gefallen. Aber wir sollten deswegen nicht immer nur die Warnung vorausschi cken, sondern sagen, was wir wollen, was unsere Alternati ven wären. Wie soll sich Europa gemeinsam weiterentwi ckeln?
Das wäre sehr wichtig, insbesondere, Kollege Bachmann, in der jetzigen Situation, in der sich Europa wieder einmal be findet. Diesmal ist es eine ganz schwerwiegende Krise. Wir alle kennen die Diskussion über die Zukunft des Euro, über die Zukunft des Rettungsschirms. Das alles beschäftigt uns mehr, als uns recht ist. Es geht letztendlich nicht nur um das Geld – diese Frage ist schon wichtig genug –, sondern es geht um die Fragen: Wie gehen wir mit Europa zukünftig weiter um? Wie können wir die europäische Idee weiterentwickeln?
Wir haben in den letzten Jahren beobachtet, dass in vielen Ländern, die früher die europäische Lokomotive dargestellt haben, beispielsweise Deutschland und Frankreich, zunächst einmal nationale Interessen immer höher gehalten werden. Herrn Sarkozy und Frau Merkel ist auch in europäischen Dis kussionen erst einmal die Frage wichtig:
Man kann Helmut Kohl viel nachsagen. Aber für Helmut Kohl hing die europäische Idee ziemlich hoch. Er hat sich dafür ein gesetzt, dass die europäische Idee weiterentwickelt wird. Da hin müssen wir wieder kommen, damit Europa tatsächlich ei ne Zukunft hat.
Der Vertrag von Lissabon ist eine hervorragende Grundlage, um Europa weiterzuentwickeln. Es hat eine Demokratisierung stattgefunden. Auch das Thema, über das wir heute diskutie ren, hat damit zu tun, dass wir durch den Vertrag von Lissa bon mehr Mitspracherechte bekommen haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns diesen Gesetzent wurf als ersten Schritt nehmen, uns gemeinsam auch in der nächsten Legislaturperiode für die europäische Idee einzuset zen.
(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie des Abg. Thomas Blenke CDU – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Hoffentlich sind wir alle noch dabei!)
Herr Präsident, verehrte Kol leginnen und Kollegen! Mit Erlaubnis des Präsidenten zitie re ich aus einem Gastbeitrag in der gestrigen FAZ. Ich nenne Ihnen dann hinterher den Autor. Das Zitat will ich gleich an den Anfang stellen:
Die Europäische Union ist das erfolgreichste Friedens projekt der Geschichte unseres Kontinents und unsere Wohlstandsversicherung. Kein europäisches Land und auch nicht Deutschland... kann die Stürme der Globali sierung allein bestehen.
Der Autor ist unser Außenminister Dr. Guido Westerwelle. Wo er recht hat, hat er recht. Er muss nicht in allem recht haben, aber da hat er recht.
(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Ursula Haußmann SPD: Oje! – Zuruf von der FDP/DVP: Bravo! – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Aber in Rheinland-Pfalz ist er im Wahlkampf nicht erwünscht!)
Aber, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn die Bevölke rung einen solch hehren Satz hört und dann die derzeitigen Entwicklungen auf europäischer Ebene sieht, dann stellt sie eine ziemliche Diskrepanz in der Wahrnehmung fest zwischen dem, was wir uns unter Europa vorstellen, wofür wir glühend kämpfen, und dem, was real tatsächlich abgeht.
Lieber Kollege Walter, Sie haben in einem Punkt recht. Wir müssen schauen, dass die Regeln dieser Wirtschafts- und Währungsunion so gestaltet werden, dass auch für die Bürge rinnen und Bürger klar wird: Wir haben einen Mehrwert aus diesem Zusammenwachsen in Europa und nicht ständig zu nehmende Belastungen.
Ich glaube, deswegen ist es auch ganz wichtig, dass wir klar machen, dass mit dem Vertrag von Lissabon genau das ver sucht worden ist, nämlich Kompetenzen klarer zuzuweisen: Was hat Europa zu erledigen, und wo hat sich Europa heraus zuhalten? Das war richtig. Der Vertrag von Lissabon war ein großer Fortschritt, indem dort, wo Kompetenzen nach Euro pa verlagert worden sind, im Gegenzug Kompetenzen der na tionalen Parlamente gestärkt werden sollen. Dass dies zwin gend notwendig ist, hat das Bundesverfassungsgericht für die Ratifizierung auch eigens betont. Das ist notwendig.
Nun verursacht dies beim Bundestag kein Problem. Dort sind gewählte Abgeordnete. Paradoxerweise ist aber über den Bun desrat nicht der Einfluss der Länderparlamente, sondern der Länderregierungen gestärkt worden. Nun kann man sagen: Klar, das sind doch unsere Regierungen, die wir gewählt ha ben. Trotzdem wissen wir wohl, dass ein autonomes Agieren im Bundesrat letztendlich in vielen Bereichen möglich und auch verfassungsgemäß so vorgesehen ist. Deswegen ist das ein riesengroßer Fortschritt.
Ich bin wirklich froh darüber, dass sich alle vier Fraktionen nicht gegen die Landesregierung, sondern zusammen mit ihr
überlegt haben, dass wir an dieser Stelle tatsächlich eine bin dende Wirkung des Landtagsvotums in europäischen Angele genheiten in die Verfassung hineinschreiben. Meine sehr ge ehrten Damen und Herren, es ist eine Verfassungsänderung, über die wir heute beraten. Wir sollten das Gewicht nicht ge ring schätzen.
Wir haben ein zweites Gesetz, mit dem wir die Details regeln. Uns diese Mitwirkungsrechte zu geben ist das eine. Wir kön nen aber nur mitwirken, wenn wir rechtzeitig informiert wer den. Auch darauf ist schon hingewiesen worden. Ich will jetzt nicht an heute Morgen erinnern. Aber wenn man nur noch ab nicken kann, dann ist die Lust, sich zu beteiligen, vielleicht nicht ganz so groß. Deswegen sehe ich das als Motivation, un sere Möglichkeiten gemeinsam mit der Regierung selbstbe wusst zu nutzen. In der Regel wird es ein gemeinsames Agie ren sein können. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Daher glaube ich, dass es wirklich ein großer Schritt nach vorn ist, an dieser Stelle eine Bindungswirkung unserer Exekutive an Landtagsbeschlüsse zu bekommen.
Wir haben ein kleines Schlupfloch eingebaut: Sofern wichti ge Landesinteressen berührt sind, kann die Regierung auch einmal von diesem Votum abweichen. Vorzugsweise muss sie vorher begründen, warum sie abweicht. Wenn die Verhand lungen dies nicht möglich machen, dann ist es auch nachträg lich möglich. Ich glaube aber, dass sich die Fälle, in denen wir im Landtag eine bindende Beschlussfassung gegen Landesin teressen machen, auf einen sehr schmalen Bereich beschrän ken werden. Trotzdem sehe ich es als richtig an, dass wir an dieser Stelle diese Möglichkeit gegeben haben. Denn wir wis sen, wie es im Bundesrat zugeht. Verhandlungsflexibilität muss möglich sein.
Zur Frage, wie wir künftig mit der Informationsflut umgehen: Eine Kollegin aus unserer Fraktion hat, als ich die Gesetze eu phorisch in der Fraktion vorgestellt habe, gesagt: „Um Gottes willen, noch mehr Informationen!“ Darauf habe ich gesagt: „Nein, wir wollen,“ – das hat bisher wunderbar funktioniert – „dass wir Voreinschätzungen seitens der Regierung“
(Abg. Winfried Mack CDU: Wer war das? – Abg. Reinhold Gall SPD: Das kann nur Frau Fauser gewe sen sein!)
nein, es war nicht die Kollegin Fauser – „bezüglich der Wir kung europäischer Vorhaben und Maßnahmen aufbereitet be kommen.“ Denn es ist in der Tat so: Ich erachte es als unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Europa ausschuss, unsere Fachabgeordneten gezielt einzubinden – denn niemand kann alles wissen –, die Anliegen gemeinsam mit der Regierung zu bündeln und dann zu versuchen, heraus zudestillieren, wo wirklich Landesinteressen berührt sind.
Ich glaube, es ist uns allen an Beispielen klargeworden, dass Europa natürlich immer ein bisschen die Tendenz hat – das haben alle Ebenen –, neue Kompetenzen an sich zu ziehen, und dass man dabei durchaus vorsichtig sein sollte. Deswe gen gibt uns die Subsidiaritätsrüge bzw. -klage die Möglich keit, so etwas auch als Landesparlament zu initiieren.
Herr Kollege Hofelich, ich sehe es auch so: Es sollte nicht un ser vorrangiges Ziel sein, immer defensiv etwas abzuwehren,
was von der europäischen Ebene kommt. Deswegen glaube ich, die Vorstellung der Arbeitsprogramme, der Grün- und Weißbücher, wird eine ebenso wichtige Aufgabe sein, damit wir rechtzeitig wissen, in welchen Bereichen Europa Schwer punkte setzen will.
Wir sollten es nicht als Bedrohung empfinden, sondern wir sollten es als Möglichkeit der konstruktiven Mitwirkung un seres Parlaments, der Fachabgeordneten, der Mitglieder des Europaausschusses, sehen, in europäischen Angelegenheiten dafür zu sorgen, dass wir diesem hehren Motto, dass die Eu ropäische Union unser gemeinsames erfolgreiches Projekt sein und bleiben kann, mit dieser Verfassungsänderung und mit diesem Gesetz dienen können.
Der Gesetzentwurf Drucksache 14/7338 wird zur weiteren Be ratung vorberatend an den Europaausschuss, federführend an den Ständigen Ausschuss überwiesen.
Der Gesetzentwurf Drucksache 14/7339 wird zur weiteren Be ratung an den Europaausschuss überwiesen. – Sie stimmen diesen Überweisungsvorschlägen zu.
Minister für Bundes-, Europa- und internationale Ange legenheiten Dr. Wolfgang Reinhart: Das heute zu beraten de Landtagsbeteiligungsgesetz ist so etwas wie das erste En kelkind, das der europäische Verfassungsprozess hervorge bracht hat. Die Europäische Union hat im Jahr 2000 verstan den, dass sie mehr Handlungsfähigkeit und vor allem mehr demokratische Teilhabe braucht. Sonst wird sie den Zuspruch der Menschen verlieren. Die EU ging erstmals ein Wagnis ein und berief ein außerordentliches Gremium: den Europäischen Verfassungskonvent.
Baden-Württemberg hat wie kein anderes Land diesen Ver fassungsprozess mitgeprägt. Es war die regionale und parla mentarisch geprägte Stimme von Erwin Teufel, die in diesem Konvent etwas erreichte, was niemand für möglich gehalten hatte: Im Verfassungsvertrag wurde die Achtung der regiona len und kommunalen Selbstverwaltung in den Mitgliedsstaa ten verankert. Außerdem wurde ein Subsidiaritätsfrühwarn system mit einem Rügerecht und einem Klagerecht des Bun desrats bei Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips festgelegt. Damit waren erstmals die nationalen Parlamente in den Wil lensbildungsprozess auf EU-Ebene direkt eingebunden.
Diese Rechte aus dem Verfassungsvertrag konnten in den Lis sabon-Vertrag „hinübergerettet“ werden und sind heute gel tendes Recht.
Aber noch waren wir nicht am Ende. Die Länder haben nun auch im innerstaatlichen Verhältnis weitere Rechte gegenüber dem Bund sichergestellt, und zwar wieder unter der Federfüh rung von Baden-Württemberg.
Einen Tag nach der Ratifizierung des Lissabon-Vertrags hat der Abgeordnete Gauweiler gegen den Lissabon-Vertrag ge klagt, um ihn zu Fall zu bringen. Erreicht hat er allerdings et was ganz anderes, als er bezweckte: Die Rechte von Bundes tag und Bundesrat wurden durch den Richterspruch aus Karls ruhe noch mehr gestärkt, als dies schon im Lissabon-Vertrag vorgesehen war. Das Gericht hat in einer nicht geringen Zahl von Fällen ein Handeln der Bundesregierung auf EU-Ebene ausdrücklich von der vorherigen Zustimmung von Bundesrat und Bundestag abhängig gemacht.
Ich brauche es kaum zu erwähnen: Auch hier hat Baden-Würt temberg – ich selbst hatte das Vergnügen – diese Vorgaben der Richter mit dem Bundestag und der Bundesregierung ausver handelt. Heraus kamen das Integrationsverantwortungsgesetz und neue Gesetze über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie zwischen Bundesregierung und Bundes tag.
Nun habe ich immer klar gesagt, dass das Urteil aus meiner Sicht für die Landtage keinerlei unmittelbare Aussagen trifft und jede andere Interpretation zumindest waghalsig wäre. Das Urteil war aber ein Anlass, politisch die bisherige Situation der Landtage im Gesamtgefüge der Mitwirkung in EU-Fra gen auf die Tagesordnung zu setzen.
Ich glaube, ich habe in den Verhandlungen deutlich gemacht, dass es aus meiner Sicht an der Zeit ist, die regionalen Parla mente stärker in den EU-Willensbildungsprozess einzubezie hen. Auch sie sollen an den weitreichenden Neuerungen par tizipieren, die für die beiden Parlamentskammern auf natio naler Ebene erreicht wurden. Denn die Logik des Grundge setzes war immer, dass die Weggabe von Gesetzgebungsrech ten, sei es auf nationaler Ebene oder auf regionaler Ebene, durch eine stärkere innerstaatliche Mitwirkung kompensiert werden muss.