Protocol of the Session on December 15, 2010

Mittelfristig brauchen wir den bedarfsgerechten Ausbau voll schulischer Ausbildung als Pufferfunktion. Aber wir wollen das an den Bedarf der regionalen Wirtschaft binden.

Herr Lehmann, es ist wirklich so: Übergangsquoten, Über gangssysteme sollten aus unserer Sicht mittel- oder zumindest langfristig überflüssig werden. Es soll wieder normal sein, dass man von der allgemeinbildenden Schule direkt in eine Ausbildung geht.

(Zuruf des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE – Abg. Dr. Frank Mentrup SPD: Sehr richtig!)

Deswegen müssen wir die Berufsorientierung an den allge meinbildenden Schulen verbessern. Wir müssen Berufsorien tierung auch bei der Lehrerausbildung und bei der Lehrerfort bildung zum Thema machen.

(Abg. Dr. Frank Mentrup SPD: Das haben wir in un serem Minderheitsvotum drin! Sie kennt den Bericht nicht!)

Wir haben in der Enquete beschlossen, dass wir Ausbildungs botschafter einsetzen wollen, also Auszubildende, die in den Schulen aus der Praxis berichten, damit sich Schülerinnen und Schüler schon früh ein realistisches Bild von ihrem künftigen Beruf machen können. Wir hoffen, dass das auch dazu führt, dass die Abbrecherquote weiter sinkt.

Nun zu der von Ihnen angesprochenen Pressekonferenz, Herr Kollege Lehmann. Darin ging es um die neuen Werkrealschu len und darum, dass wir festgestellt haben, dass das, was im Moment vorgesehen ist, nämlich die Kooperation mit zwei jährigen Berufsfachschulen, an vielen Orten nicht klappen kann, weil es diese Schulen dort gar nicht gibt. Jetzt muss man sich überlegen, ob man an Berufsschulzentren extra neue Schularten aufmachen soll oder ob man nicht in Erwägung ziehen sollte – denn an den zweijährigen Berufsfachschulen sind viele Bereiche überhaupt nicht vorhanden, etwa das Nah rungsmittelhandwerk, die Gesundheitsberufe oder das Bau handwerk –, das dadurch einzubeziehen, dass man den Werkrealschulen sagt: Ihr könnt auch mit den Berufsschulen ko operieren. Dann kann es sein, dass man da auch einmal beim Friseur landet. Ich erhoffe mir davon, dass Schülerinnen dann gegebenenfalls merken, dass dies vielleicht doch nicht ihr Traumberuf ist, und sich gleich nach etwas anderem umschau en.

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Ach so! Zur Ab schreckung! – Abg. Reinhold Gall SPD: Super Vor schläge!)

Auch das kann ein Effekt sein, wenn man Waschen, Legen und Föhnen in der Praxis kennenlernt.

(Unruhe)

Wir brauchen – darin bestand auch Einigkeit – eine integrier te Ausbildungsstatistik. Die FDP/DVP hat deutlich auf die be sondere Leistung der beruflichen Schulen in freier Träger schaft hingewiesen. Wir haben dazu extra eine Große Anfra ge eingebracht. Die Zahl der Auszubildenden ist im sozialen Bereich besonders stark angestiegen. Allein bei der Zahl der Schülerinnen und Schüler, die eine Ausbildung zur Altenpfle gehilfe absolvieren, gab es im Zeitraum von 2003 bis 2010 ei nen Zuwachs von 353 %. Wir werden diese Fachkräfte auch alle brauchen. Es gibt einen großen Bedarf an Pflegepersonal. Da muss man einiges tun.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Wichtig ist in diesem Fall allerdings auch: Die freien Schulen müssen auch finanziell die angemessene Fürsorge der Landes regierung erhalten. Die Landesregierung ist nicht nur für die staatlichen, sondern auch für die freien Schulen zuständig. Das Grundgesetz sagt dies deutlich.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE)

Der Gender-Aspekt war für uns auch wesentlich. Denn in al len Untersuchungen – auch in denen von McKinsey und vom IAW – wird deutlich gemacht, dass bei den Frauen ein großes zu hebendes Potenzial besteht. Deshalb müssen wir auch dort Maßnahmen ergreifen, um dieses Potenzial besser zu nutzen.

Von der Reduzierung der Zahl der Berufsbilder wurde gespro chen. Ich möchte Herrn Hundt an dieser Stelle deutlich sagen: Es geht um ein Mitwirkungsrecht der Länder und nicht um ein Vetorecht. Das ist wohl versehentlich noch an einer Stel le im Bericht stehen geblieben. Ich habe mich intensiv dafür verkämpft, dass da kein Vetorecht steht. Ein Mitwirkungsrecht der Länder ist wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Anders als beim VfB!)

Mit dieser Reduzierung der Zahl der Berufsbilder kann man mit Sicherheit auch die Zahl der Schüler in den Fachklassen reduzieren. Aber es wird nicht das Ausmaß erreichen, dass wir die dortigen Wohnheime nicht mehr brauchen. Deswegen er warten wir von der Landesregierung, dass der Finanzierungs bereich beim Jugendwohnen auf solide Beine gestellt wird. Die Enquete zeigt verschiedene Wege auf. Diese müssen wir miteinander durchprüfen und dann ein vernünftiges Konzept daraus entwickeln.

Ich habe mich gefreut, im Rahmen der Enquete auch das Kon zept OES, nämlich „Operativ Eigenständige Schule“, näher kennenzulernen. Dieses wird an unseren beruflichen Schulen schon an vielen Stellen hervorragend umgesetzt. Wir sind dankbar, dass das Fortbildungsbudget an den Schulen ausge baut wird und dass dieses auch freier verwendet werden kann.

Der Ausbau der beruflichen Gymnasien ist schon auf sehr gu tem Weg. Hier richtet sich unser Dank an das Kultusministe rium. Wir sind allerdings – um da die Oppositionsverspre chungen ein bisschen auf ein normales Maß zu bringen – da rauf angewiesen, dass wir auch geeignete Lehrer haben. Des wegen geht das nicht von heute auf morgen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Dann legt einmal los!)

Aber wir müssen es sukzessive anpacken. – Wir haben losge legt. Es gibt ab September 100 zusätzliche Klassen; das ist wichtig.

Dank an die SPD, Kollege Bayer, dass Sie das Thema „Le benslanges Lernen“ eingebracht haben. Aber ich möchte schon noch einmal darauf hinweisen: Ich habe nach Ihrem heutigen Vortrag den Eindruck, für Sie findet Weiterbildung nach wie vor nur an den Volkshochschulen statt. Die Enquete kommission hat doch deutlich gezeigt: Auch im Bereich der Wirtschaft gibt es wichtige Weiterbildungsmaßnahmen, und die sollten wir genauso wertschätzen.

Wir haben sehr bewusst in der Enquetekommission generell keine Finanzbeschlüsse gefasst. Das muss auf Grundlage der hier erarbeiteten Themen jeweils der Landtag machen. Für die Frage, was er davon umsetzt und wie viel Geld er dafür aus gibt, ist der Landtag zuständig. Ich bin aber froh, dass wir das Gutachten auf den Weg gebracht haben.

Es gab natürlich noch einiges, was wir gern drin gehabt hät ten, was aber nicht hineingekommen ist. Wir hätten z. B. gern geprüft, ob man noch einen weiteren Universitätsstandort für die Diplomgewerbelehrer bekommen kann,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Oje! Macht zunächst einmal eure Hausaufgaben!)

etwa in Ulm, auch wenn die bisherigen Standorte nicht aus gelastet sind. Aber wenn sie nicht angenommen werden und wir nach wie vor zu wenige Gewerbelehrer haben, muss man vielleicht probieren, ob man nicht an einem anderen Standort mehr Studenten für dieses Fach bekommen kann.

Beim Thema Wissensgesellschaft ging es mir wie dem Kol legen Bayer. Für mich gehört zur Ausbildung weit mehr als Wissen. Aber wir haben in der Enquetekommission erarbei tet, dass auch Persönlichkeitsbildung und Sozialkompetenz dazugehören.

Fazit: Wir haben mit einem zum Schluss enormen Kraftakt ein dickes Paket erarbeitet; das bezieht sich nicht nur auf die Papiermenge – Sie sehen ja, was hier an dicken Bänden her umliegt –, sondern auch auf die konkreten Inhalte.

Deshalb auch von unserer Seite der Dank an wirklich alle, die daran mitgewirkt haben, bis hin zum Stenografischen Dienst, der in den letzten Monaten durch verschiedenste Spezialauf gaben im Landtag besonders belastet war.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Frau Ministerin Professorin Dr. Schick.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Landesregierung gilt es heute Dank zu sagen dafür, dass der Landtag diese Enquetekommission initiiert hat, und dafür, dass diese Kommission uns heute ein so schweres und gewichtiges Weihnachtsgeschenk zur Umsetzung auf den Tisch legt.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Zweiein halb Kilo!)

Ich sage dafür herzlichen Dank und darf sagen, dass wir uns auf die Umsetzung der über 50 Handlungsempfehlungen mit 160 Einzelvorschlägen freuen. Ich darf auch ankündigen, dass wir selbstverständlich jede Seite des Berichts inklusive der Minderheitsvoten, die vorhin noch einmal thematisiert wor den sind, lesen werden.

Meine Damen und Herren, ich danke dem Landtag auch sehr herzlich dafür, dass er den Mut hatte, dieses Thema auf den Bereich der beruflichen Schulen und die Aus- und Weiterbil dung zu konzentrieren und zu fokussieren. Sosehr wir das Bil dungsgeschehen als kontextbezogen, als übergangsbezogen, als bildungskettenbezogen sehen müssen und nicht die Grä ben zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung ausweiten sollten, so wichtig war es, das erfolgreiche Bildungsgebiet der beruflichen Schulen und die Aus- und Weiterbildung einmal separat und fokussiert in das Scheinwerferlicht zu stellen. Ich danke Ihnen dafür.

Verehrte Frau Vorsitzende, Sie haben von einem Mauerblüm chendasein gesprochen.

(Abg. Andrea Krueger CDU: In der Vergangenheit!)

Das galt, wenn überhaupt, dann sicherlich bis zu der Zeit vor der Arbeit der Enquetekommission. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir nicht alle bildungspolitischen Fragestellungen hier hineingepackt haben, sondern Sie sich auf eines der wich tigsten Gebiete der Bildungspolitik beschränkt haben.

Ich bin auch dankbar für den heute deutlich gewordenen Grundkonsens in diesen Fragen der beruflichen Bildung, der Aus- und Weiterbildung. Denn dieser Bildungsbereich ist maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass wir den Wohlstand in Baden-Württemberg über die Qualifizierung der jungen Menschen sichern können.

Aber die berufliche Qualifizierung – das füge ich hinzu – be inhaltet immer auch die Bildung der jungen Menschen. Wir erzeugen keine Qualifikationsträger und -trägerinnen, sondern gebildete junge Menschen mit einer starken Verwurzelung in der beruflichen Bildung. Ich hoffe, wir sind uns in dem einen Aspekt einig – und das aus tiefstem Herzen –: Es gibt keine Abstufung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung. Es ist das Ziel, das zählt: der gebildete junge Mensch, der dann auch seinen Beitrag für die Gesellschaft leistet. Dies haben Sie mit dem Abschlussbericht der Enquetekommission für die berufliche Bildung herausragend deutlich gemacht.

Sie haben uns, meine Damen und Herren, natürlich eine fast unlösbare Aufgabe gestellt, nämlich die, alles umzusetzen, und das möglichst gleich und sofort und vollumfänglich. Wir werden uns darum bemühen. Auch wenn ich gleichzeitig ein schränkend sagen muss, dass ich nicht weiß, wie schnell es geht, dürfen Sie nach dieser intensiven Arbeit über Fraktio nen hinweg, über bestimmte Grundpositionen hinweg, von der Landesregierung selbstverständlich erwarten, dass wir die se Empfehlungen mit äußerster Sorgfalt, in dem gebotenen Tempo und mit äußerstem Engagement umsetzen werden. Das will ich doch versprechen – hier stehen wir bei Ihnen im Wort.

Ich will Sie gleichzeitig, meine Damen und Herren, zur Wei terarbeit einladen. Dies geschieht nicht mehr länger im Kon text der Kommission; deren Arbeit ist nun wohl beendet. Aber machen wir uns bitte nichts vor: Es gibt keinen Bildungsbe

reich – auch nicht bei der beruflichen Bildung –, der jemals den Status erreicht haben wird, von dem aus nicht jeweils schon die nächste Weiterentwicklungsstufe in den Blick ge nommen werden muss. Ich glaube, kein Bereich verändert sich so dynamisch und schnell wie der Bereich, der sich stark auf die berufliche Situation, auf die Wirtschaftswelt, auf die Ar beitswelt fokussiert und ausrichtet, und das ist der Bereich der beruflichen Bildung. Deswegen haben wir nun zwar viel zu tun, aber wir haben gleichzeitig viel weiterzudenken. Ich freue mich bereits auf die nächsten Initiativen, die dieser Weiter denkprozess hervorbringen wird.

Danken will ich der Enquetekommission, meine Damen und Herren, auch dafür, dass sie beispielhaft externe Expertise ein bezogen hat. Es ist Ihnen gelungen, durch die Vielzahl der Menschen, die Sie zur Mitarbeit gewinnen und begeistern konnten, eine Mobilisierung im Bereich der beruflichen Bil dung zu erreichen. Einige derjenigen, die daran mitgewirkt haben, sind heute sogar noch anwesend. Ich danke dafür, dass Sie die gesamte Expertise in unserem Land einbezogen haben und sogar noch über Baden-Württemberg hinausgeschaut ha ben. Sie haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ebenso angehört wie Praktiker, die aus der täglichen Arbeit an den Schulen kommen.

Ich glaube, die besondere Qualität dieses Berichts der En quetekommission liegt in der Einbeziehung des Wissens aus allen Ecken und Richtungen. Bei dieser Einbeziehung wird man das Rad nicht mehr zurückdrehen können. Die Mobili sierung, die Sie erreicht haben, besteht ja auch darin, dass im Bereich der beruflichen Bildung Diskussionen stattfinden und dass erwartet wird, dass sich etwas bewegt. Dieser Prozess wird nicht auf Knopfdruck wieder abzuschalten sein – so hof fe ich es zumindest. Denn wir brauchen die weitere Dynamik, und wir werden den Bereich der beruflichen Bildung nur in dynamischer Interpretation zukunftsorientiert gestalten kön nen.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung nimmt heu te dankbar, demütig, erwartungsvoll, tatendurstig und in je dem Fall begeistert den Bericht der Enquetekommission ent gegen. Um Sie von unserer Tatkraft bei der Umsetzung zu überzeugen, darf ich ankündigen, dass die ersten Besprechun gen zur Umsetzung noch vor Weihnachten erfolgen werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ur sula Haußmann SPD: Ja, hoffentlich!)

Mein Dank gilt Ihnen, verehrte Frau Vorsitzende Krueger, Ih nen, Herr Dr. Mentrup, als stellvertretendem Vorsitzenden, den Obleuten der Fraktionen und allen, die daran mitgewirkt haben, diesen mutigen Schritt für unsere jungen Menschen in der beruflichen Bildung zu tun.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)