Ich glaube, ich habe in den Verhandlungen deutlich gemacht, dass es aus meiner Sicht an der Zeit ist, die regionalen Parla mente stärker in den EU-Willensbildungsprozess einzubezie hen. Auch sie sollen an den weitreichenden Neuerungen par tizipieren, die für die beiden Parlamentskammern auf natio naler Ebene erreicht wurden. Denn die Logik des Grundge setzes war immer, dass die Weggabe von Gesetzgebungsrech ten, sei es auf nationaler Ebene oder auf regionaler Ebene, durch eine stärkere innerstaatliche Mitwirkung kompensiert werden muss.
Schaut man sich die Zahl der Rechtsakte an, die mittlerweile von der EU anstelle des nationalen oder regionalen Gesetzge bers ergehen, wird die Notwendigkeit ganz deutlich. Je nach Untersuchung liegt der Anteil des EU-Rechts zwischen 81 % – so etwa im Umweltbereich – und 13 %, etwa im Bereich der inneren Sicherheit.
Wenn ich die Gesetzentwürfe anschaue, dann muss ich sagen, dass der Landtag einen sehr weiten Sprung gemacht hat. Qua litativ ist das ein Quantensprung.
Zentral ist sicher die Bindungswirkung von Landtagsbeschlüs sen für die Regierung im Bundesrat. Auch wenn es im Regel fall nur eine eingeschränkte Bindung gibt, kommen wir hier an die verfassungsrechtlichen Grenzen. Der Landtag geht da mit zumindest ein verfassungsrechtliches Wagnis ein.
Der neue Artikel 34 a der Landesverfassung sieht zukünftig eine abgestufte Bindung der Landesregierung an das Votum des Landtags vor.
Erstens soll bei der Übertragung von ausschließlichen Gesetz gebungszuständigkeiten auf die EU-Ebene eine vollständige Bindung bestehen. Dies erscheint zumindest vertretbar, da die Übertragung von Rechten auf die EU, also der Entzug der Rechte für den regionalen Gesetzgeber, den größtmöglichen Eingriff in die Hoheit des Landtags darstellt.
Zweitens: Der klassische Fall, der im täglichen Miteinander die größte Rolle spielt, sind Stellungnahmen des Bundesrats zu EU-Vorhaben. Die Regierung soll hier an ein etwaiges Landtagsvotum gebunden sein, wenn das Vorhaben „im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder unmittelbar betrifft“. Dabei hat die Regierung ei ne Art „Exit-Klausel“, das heißt, sie kann davon abweichen, wenn es „erhebliche Gründe des Landesinteresses“ gibt. Da runter verstehe ich etwa notwendige Koordinierungen im Län derkreis vor dem Bundesrat.
Das Gleiche soll gelten, wenn der Bundesrat oder die Bundes regierung eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof an streben.
Ich muss diesem Vorschlag einer eingeschränkten Bindung schon deshalb zustimmen, weil ich ihn selbst als Kompromiss vorschlag eingebracht habe. Ich will dies nochmals begrün den: Ich tat dies zum einen, weil ich als Parlamentarier dieses Anliegen aus tiefstem Herzen unterstützen kann, und zum an deren, weil ich einen Weg gesucht habe, der verfassungsrecht lich zumindest noch als vertretbar angesehen werden kann. Denn eine uneingeschränkte Bindung der Landesregierung, wie dies ursprünglich vorgesehen war, wäre eindeutig verfas sungswidrig. Dies würde gegen die Artikel 50 und 51 des Grundgesetzes verstoßen. Dies ist höchstrichterliche ständi ge Rechtsprechung.
Im Kompromiss haben wir aber zum einen eine Einschrän kung auf die Kernkompetenzen des Landtags. Um diese Kern kompetenzen geht es auch Professor Papier, wenn ich seine Reden richtig verstehe. Zum anderen erlaubt die „Exit-Klau sel“ ein Abweichen der Regierung und bietet daher eine Öff nung, die die verfassungsrechtliche Beurteilung in Bezug auf die Artikel 50 und 51 des Grundgesetzes zumindest verändern dürfte.
Allerdings wurde die Landesregierung zu diesem Gesetz nie förmlich angehört. Insoweit ist auch keine formale verfas sungsrechtliche Prüfung durch die Landesregierung erfolgt. Dies wäre in Anbetracht der Kurzfristigkeit, in der die Ent würfe vorgelegt wurden, auch kaum möglich gewesen. Der Landtag geht mit diesem Gesetzentwurf ein verfassungsrecht liches Wagnis ein.
Unabhängig von diesen Grundsatzfragen geht es für die Re gierung aber auch um die praktischen Fragen der Zusammen arbeit. So habe ich nie verstanden, warum man einerseits die modernste Form der Mitwirkung und viel Selbstständigkeit beansprucht und auf der anderen Seite alte Zöpfe wie den jähr lichen Europabericht beibehalten will. 15 Jahre nach Einfüh rung des Europaberichts und in Zeiten, in denen man das Berichts(un)wesen abbaut und einen Landesbeauftragten für Bürokratieabbau hat, muss ein anderes Signal kommen. Wir brauchen politische Berichte: aktuell, flexibel, überschaubar. Deshalb wollen wir von unserer Seite gern so etwas wie ei nen politischen Quartalsbericht zusagen.
Der Gesetzentwurf sieht in § 2 Abs. 3 vor, dass wir als Regie rung einen Berichtsbogen, den wir selbst von der Bundesre gierung bekommen, an den Landtag weiterleiten. Ich habe im mer wieder deutlich gemacht, dass es sich hier um eine Un terrichtung der Bundesregierung an den Bundesrat und den Bundestag handelt. Diese Dokumente sind nicht für den Land
tag vorgesehen. Der Landtag wird exklusiv von der Landes regierung unterrichtet, weil nur dort die Landessicht berück sichtigt wird. Insoweit habe ich nie verstanden, warum man zusätzlich auch die Berichtsbögen der Bundesregierung will.
Der Zeitgewinn ist nur vermeintlich. Die Aufbereitung für die Landessicht muss sowieso abgewartet werden. Wir reden hier über Verzögerungen von maximal einer Woche.
Ich habe auch versucht, zu erklären, dass ein Einfordern die ser Berichtsbögen kontraproduktiv wäre. Die Bundesregie rung wird irgendwann dazu übergehen, in diese Berichtsbö gen nicht mehr viel hineinzuschreiben, weil ihr der Adressa tenkreis zu weit geht, und sie sieht sich dann auch diesen Ad ressaten gegenüber in der Verantwortung. In diesem Kontext ist auch die ablehnende Haltung von Staatsminister Hoyer zu sehen.
Ich hielte es deshalb für klug, diese Forderung nicht in den Gesetzentwurf aufzunehmen und stattdessen auf die Kraft und die Schnelligkeit der Landesregierung zu vertrauen.
Ich glaube, dass hier vieles auf dem Papier steht, was in der Praxis keine Probleme bringen wird. Wir arbeiten bereits jetzt – mit einer im Übrigen nach wie vor gut funktionierenden Ver einbarung – gut zusammen. Wir sind uns in den allermeisten Fällen einig, meist sogar über die Grenzen der Parteien hin weg – nehmen wir nur die Subsidiaritätsrügen.
Vorschlag der EU-Kommission für eine Bodenschutzrahmen richtlinie: Sowohl die Regierung als auch der Landtag beob achten hier kritisch die weitere Entwicklung.
Grünbuch zum städtischen Verkehr: Hier haben wir gemein sam – Landtag und Regierung – Aktionen der EU abgelehnt, die keinerlei grenzüberschreitenden Charakter haben. Die Eu ropäische Kommission hat dieses Grünbuch im Übrigen mitt lerweile zurückgezogen.
Zuletzt ging es um die Bildungsziele bei der Strategie Euro pa 2020. Auf Betreiben der Landesregierung haben wir in ei nem Bundesratsbeschluss eine Einmischung der EU in die Bil dungspolitik abgelehnt und eine entsprechende Formulierung beim Europäischen Rat im Oktober 2010 erreicht.
Im Übrigen will ich hier auch der Opposition sagen, dass es nicht nur um „Subsidiaritätswächterei“ geht, die uns manch mal vorgeworfen wird. Wir haben in dem besagten Bundes ratsbeschluss auch inhaltliche Forderungen gestellt, damit die Besonderheiten des deutschen dualen Ausbildungssystems auf europäischer Ebene entsprechend berücksichtigt werden. Auch dies ist gelungen.
Der Landtag hat hier bundesweit ein Alleinstellungsmerkmal, das ihn auch verpflichtet. Wir müssen sicherstellen, dass wir im Bundesrat noch zu vernünftigen Festlegungen kommen. Mit 16 Bundesländern ist schon genug Abstimmungsproble matik gegeben. Wenn wir nun – theoretisch – noch 16 Land tage haben, die ebenfalls die Willensbildung beeinflussen, werden wir zu einer „Balkanisierung“ und Fragmentierung kommen. Dies wird die Länder insgesamt gegenüber dem Bund deutlich schwächen. Dies kann auch nicht im Sinne der Landtage sein.
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz über die Feststellung eines Dritten Nachtrags zum Staatshaushaltsplan von Baden-Württemberg für das Haushaltsjahr 2011 – Drucksache 14/7320
Das Präsidium hat für die Aussprache nach der Einbringung des Gesetzentwurfs durch den Finanzminister eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Von Europa und der Eurozone ist es zu den Finanzen und den öffentlichen Haushalten an sich nicht mehr weit. Wir sind gerade in dieser Woche in wichti gen Entscheidungsphasen. Ich habe heute Morgen beim Früh stücksfernsehen den Kollegen Steinmeier hören können.
Allüberall herrscht Sorge. Aber die Frage, was man jetzt rich tigerweise zu tun hat, ist nicht leicht zu beantworten. Wir sind uns einig, dass wir nicht über den Weg von Eurobonds eine gesamtschuldnerische Haftung aufbauen können. Auf der an deren Seite
kann man auch dem Treiben nicht zusehen. Denn – das ist der Punkt, Herr Schmiedel – was immer wir an Verpflichtungen eingehen, die ganze öffentliche Hand Deutschlands ist in ih rer Bonität und insbesondere auch in ihrem Rating berührt.
Heute liegt nun ein Teil des Ganzen vor, nämlich der Dritte Nachtrag zum Staatshaushaltsplan von Baden-Württemberg für das Haushaltsjahr 2011. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben den Doppelhaushalt 2010/2011 vor einem Jahr verabschiedet. Das geschah damals unter den Stichwor ten „Solide Staatsfinanzen“ und „Investitionen in die Zu kunft“. Ich erinnere an die Stunden der Debatten hier im Haus. Es waren schon Sorgenfalten, die wir alle miteinander hatten. Denn die Beratungen fanden mitten in der Zeit der Wirt schaftskrise statt. Ich kann mich erinnern: Wir selbst wussten nicht, wie die wirtschaftliche Entwicklung weitergehen wür de, mit welchen Steuereinnahmen wir im Jahr 2010 rechnen könnten. Bei den Banken schließlich bestand ringsum die Fra ge, mit welcher Risikovorsorge sie das Jahr 2010 angehen müssen.
Zwischenzeitlich ist Besserung eingetreten, und zwar rascher, als wir erwarten durften. Niemand hätte geahnt, dass wir jetzt sagen können: Wir dürfen wieder zuversichtlich in die Zu
kunft schauen. Wir haben Monate des Wachstums hinter uns. Für dieses Jahr sind für Deutschland insgesamt 3,7 % und für Baden-Württemberg 5 % Wachstum angesagt. Wir sind aller dings in der Krise auch tiefer „heruntergefallen“.
Ich habe gerade einmal nachgesehen, was in der Zeit, als wir diesen Haushalt verabschiedet haben, prognostiziert war. Man hat damals gesagt: „Nach der Steuerschätzung wird es ein Wachstum von 1,2 % geben.“ Sie sehen also, welchen Verän derungen Prognosen innerhalb von zehn, zwölf Monaten un terliegen können.
Aber, wie gesagt: Es tut gut, zu wissen, dass es aufwärtsge gangen ist. Deswegen sind wir jetzt auch in der Lage, mit dem Dritten Nachtrag einige Eckpfeiler des Haushalts neu zu ord nen. Im Grunde sind es drei Punkte, um die es dabei geht.
Der erste Punkt: Wir haben Gott sei Dank beachtliche Steuer mehreinnahmen. Im Jahr 2010 kommen 1 Milliarde € mehr in die Kasse, im Jahr 2011 sind es noch einmal 772 Millio nen €. Der erste Eckpfeiler dieses Nachtrags heißt: Jeder Eu ro, jeder Cent an Mehreinnahmen wird dazu verwendet, um die damals geplante Neuverschuldung zu verringern.
Meine Damen und Herren, wir haben uns vorgenommen, die Neuverschuldung, die damals mit 4,5 Milliarden € angesetzt war – der Konjunktur geschuldet, der Arbeitsplatzsicherung wegen –, im Interesse der nachfolgenden Generationen zu hal bieren. Von dem, was jetzt an Mehreinnahmen hereingekom men ist, soll in der Tat alles in den Abbau der Neuverschul dung gehen.
Der zweite Teil: Es gibt immer wieder zwingende Ausgaben. Insgesamt, präzise gesagt, müssen wir um die 150, 157 Mil lionen € ausgeben.
Der dritte Teil: ein Sparpaket. Ich will mich dem guten Brauch meiner Vorredner anschließen und mich etwas kürzer fassen. Ich gehe also gleich auf diese drei Punkte ein.
Das Erste ist ganz klar: Auch dann, wenn wir unsere Neuver schuldung halbieren können, haben wir das Ziel noch lange nicht erreicht. Das Ziel heißt – es ist mittlerweile Gott sei Dank in der Verfassung festgeschrieben –: Wir alle, Länder und Bund, müssen zu ausgeglichenen Haushalten kommen. Ich weiß nicht, ob das Ziel so festgeschrieben worden wäre, wenn es nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers da rum gegangen wäre. Aber jetzt steht es in der Verfassung. Ich bin froh, dass es dort steht. Denn das Ausbüxen ist dann, wenn es ums Sparen geht, schnell da. Denn Sparen, das Verbreiten unangenehmer Wahrheiten und das Vornehmen von Eingrif fen geht nicht durch Handauflegen. Vielmehr werden damit meist Schmerzen bereitet.
Ich könnte aktuell aus vielen Sitzungen erzählen, bei denen es eben auch für einen selbst unangenehm ist und Unwohlsein mit sich bringt, wenn man diese Schmerzen bereiten muss.
Andererseits, meine Damen und Herren – ich war gerade bei einer Schülerklasse –: Wir sind nicht nur wegen des Grund gesetzes, sondern auch der nachfolgenden Generationen we gen verpflichtet, diese Verschuldung zurückzuführen. Zwei Jahre lang haben wir es geschafft – 2008 und 2009 –, ohne neue Schulden auszukommen – nach 35 Jahren fast ständiger Neuverschuldung. Jetzt muss diese Besitzstandsgeneration
auch die Kehrtwende einläuten. Alle 16 Bundesländer müs sen 2019 bei einem ausgeglichenen Haushalt sein.
Man muss im Moment schon wieder vor einer Euphorie war nen. Aktuell geht Professor Sinn vom ifo-Institut München davon aus, dass das Wachstum in diesem Jahr 3,7 % und im nächsten Jahr 2,4 % betragen wird. Das Wachstum geht also wieder auf ein Normalmaß zurück. Nach wie vor ist auch die ses Wachstum im nächsten Jahr von einer starken Exportleis tung getragen – mit allen Unwägbarkeiten an den internatio nalen Märkten. Gott sei Dank verbreitert sich auch der Kon sum immer mehr. Nachdem der Konsum im Jahr 2009 rück läufig war, wächst er nun wieder. Das heißt, wir können da von ausgehen, dass etwa 1,2 % dieses Wachstums vom Kon sum, also von uns, getragen wird. Wenn ich jetzt an dieser Stelle einen Aufruf mache, bei den Weihnachtsgeschenken et was großzügiger zu sein, dient das dem Wachstum 2011.
(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Wir nehmen al les, Herr Finanzminister! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das dient dem Landeshaushalt! – Abg. Reinhold Pix GRÜNE: Wir wollen nachhaltigen Kon sum! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Jetzt sind die Grünen auch noch gegen Weih nachten!)