Protocol of the Session on November 25, 2010

Diese Kritik hatte zwei Hauptstoßrichtungen: zum einen die völlige Überfrachtung der Studiengänge und das damit ver bundene sogenannte Bulimielernen, das mein Fraktionskolle ge Martin Rivoir hier schon mehrfach angeprangert hat;

(Heiterkeit der Abg. Ursula Haußmann SPD)

zum anderen aber auch die Frage des Übergangs vom Bache lor zum Master, die vornehmlich bei den Studierenden an den Universitäten, weniger an den Fachhochschulen, zu erhebli chen Unsicherheiten über ihre Berufsperspektive geführt hat.

Wir beraten daher heute sowohl einen Antrag, den wir vor ziemlich genau einem Jahr, am 17. November 2009, also zur Hochzeit der damaligen Proteste eingebracht haben, als auch unseren heutigen aktuellen Gesetzentwurf, mit dem wir einen Teil dieser Forderungen in geltendes Recht umsetzen wollen.

Das Hauptanliegen ist dabei, die Studierenden selbst entschei den zu lassen, ob sie im Anschluss an ihr Bachelorstudium in den Beruf einsteigen wollen oder ein Masterstudium anschlie ßen. Allzu oft stellt sich einem Absolventen leider die umge kehrte Frage: Was nützt mir die versprochene berufsbefähi gende Qualität des Bachelorabschlusses, wenn der Arbeits markt dies anders beurteilt? Bin ich jetzt nicht geradezu ge zwungen, dem Arbeitsmarkt mit dem Master die nächsthöhe re Qualifikationsebene zu präsentieren?

Ich möchte zu diesem Thema ganz gern, gerade weil ich da zu sehr selten die Gelegenheit habe, mit hoher Zustimmung Frau Bundesbildungsministerin Annette Schavan zitieren,

(Abg. Martin Rivoir und Abg. Rainer Stickelberger SPD: Oje!)

die am 7. Juli 2009 nach einem Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern des Aktionsbündnisses Bildungsstreik und hochrangigen Vertretern des Hochschulsystems u. a. Folgen des verkündet hatte:

Der Übergang vom Bachelor zum Master muss problem los möglich sein. Studierende sollten selbst entscheiden können, ob sie einen Master machen wollen oder nicht. Ich bin gegen eine Quote.

Ich stelle fest: Frau Schavan ist souverän genug, Fehlentwick lungen beim Bologna-Prozess einzuräumen, und sie ist auch bereit, Konsequenzen daraus zu ziehen. Wir wünschen uns sehr, dass Sie sich dem völlig richtigen Weg, den Frau Scha van eingeschlagen hat, hier im Landtag nicht verschließen und ihn nicht blockieren werden.

(Abg. Ingo Rust SPD: Solange sie nicht zurück kommt! – Heiterkeit bei der SPD – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Ich würde den Gesetzentwurf zurück ziehen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetzentwurf ent hält daher zwei zentrale Änderungen.

Erstens: Wir wollen die Formulierung, nach der der Bachelor der Regelabschluss ist, aus dem Gesetz streichen. Es ist nicht Aufgabe des Staates bzw. des Gesetzgebers, die Studierenden an unseren Hochschulen im Hinblick auf ihren Abschluss zu bevormunden. Wir halten es an dieser Stelle auch ganz mit Minister Frankenberg, der gesagt hat, dass der Regelabschluss der ist, der in der Regel gemacht wird. Wir können uns dieser These nur anschließen und ziehen auch daraus den Schluss, dass die Regierungsfraktionen unseren Vorschlägen heute ei gentlich zustimmen müssten.

(Abg. Werner Pfisterer CDU: Aber nur eigentlich!)

Zweitens: Daneben wollen wir natürlich auch die unsinnigen Beschränkungen in § 29 Abs. 2 Satz 5 des Landeshochschul gesetzes streichen. Nach diesem müssen die Hochschulen für den Master zusätzliche Hürden in Form von überdurchschnitt

lichen Prüfungsergebnissen oder vergleichbaren Regelungen einführen. Die, wie ich finde, sehr erfreuliche Tatsache an vie len Universitäten in Baden-Württemberg ist jedoch, dass sich die Hochschulleitungen nicht um diesen Satz scheren und de facto auch alle ihre Bachelorabsolventen ins Masterstudium übernehmen. Gerade deshalb verstehen wir nicht, warum die Landesregierung weiterhin an dieser Regelung, die vielerorts gar nicht umgesetzt wird, unbedingt festhalten will.

(Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Ach was! Warum versteht man das nicht?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Laufe dieses Semesters konnten wir in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften im mer wieder Artikel lesen mit Überschriften wie „Master-De saster“ oder „Master-Tohuwabohu“. Ich will zugestehen – das tue ich auch gern –, dass sich diese Artikel nahezu ausschließ lich auf andere Bundesländer, aber nicht auf Baden-Württem berg beziehen. Dies hat zwei Gründe.

Erstens: Die Bachelorstudiengänge an unseren Fachhochschu len – heute heißen sie Hochschulen für angewandte Wissen schaften – haben weiterhin eine hohe Berufswertigkeit, zumal sie quantitativ – mit einem Semester Differenz – zumeist dem früheren FH-Diplom entsprechen und für den Arbeitsmarkt hier insoweit Vergleichbarkeit, wenn nicht sogar Identität herrscht.

Zweitens: Die meisten Diplomstudiengänge an den Universi täten sind erst in den letzten Jahren auf Bachelor und Master umgestellt worden. Daher stellt sich die Frage der Berufsbe fähigung dieser Bachelorstudiengänge in vielen Fällen real noch gar nicht.

Dies heißt aber nun nicht, dass der Landtag von Baden-Würt temberg die Hände in den Schoß legen kann. Vielmehr gilt es, die Angelegenheiten jetzt zu regeln, damit die massiven Pro bleme, die andere Bundesländer haben, bei uns gar nicht erst auftreten können. Schließlich haben wir eine Verantwortung für die Studierenden und müssen dafür Sorge tragen, dass die Probleme bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses nicht auf deren Rücken ausgetragen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Spärlicher Beifall!)

Deshalb möchte ich hierzu auch noch einmal ganz konkret zwei Punkte nennen, die uns sehr wichtig sind. Das eine ist der bedarfsgerechte Ausbau der Masterstudiengänge. Ich den ke und hoffe, dass hierbei Einigkeit besteht. Ich habe zumin dest Herrn Staatssekretär Dr. Birk im Fernsehinterview so ver nommen.

Das andere ist, dass die Bachelorstudiengänge auch an unse ren Universitäten so berufsbefähigend wie möglich zu gestal ten sind. Hier gibt es sicherlich noch viel zu verbessern. Wenn wir allerdings ehrlich sind, dann müssen wir auch sagen, dass in Studiengängen wie Biologie, Chemie oder Physik, in de nen bislang de facto erst die Promotion berufsqualifizierend ist, auch ein achtsemestriger Bachelor möglich sein muss. Wenn wir nicht wollen, dass viele junge Menschen nach meh reren Jahren unsere Universitäten ohne Perspektiven verlas sen, dann müssen wir dahin kommen.

An dieser Stelle müssen wir es daher auch aushalten, dass es wieder zu unterschiedlichen Regelstudienzeiten und zu Dif

ferenzierungen an den Stellen kommt, an denen die Gleich behandlung zu Fehlentwicklungen geführt hat bzw. in Zukunft führen würde.

Herr Frankenberg, einig sind wir mit Ihnen darin, dass ein ver stärktes Angebot an achtsemestrigen Studiengängen an unse ren Hochschulen das Problem der mangelnden Berufsfähig keit sicherlich lindern, wenn nicht in Einzelfällen sogar lösen würde.

Vor diesem Hintergrund wird dann aber unverständlich, dass Sie weiterhin an der maximalen Regelstudienzeit von insge samt zehn Semestern für Bachelor und anschließendem Mas ter in konsekutiven Studiengängen festhalten wollen. Nach Adam Riese hat dies schließlich zur Folge, dass nur noch zwei Semester Regelstudienzeit für den Master bleiben. Ob in zwei Semestern eine wirklich substanzielle Weiterqualifikation möglich ist, die einen neuen, höherwertigen Abschluss recht fertigt, stelle ich zumindest infrage.

Wir sollten daher auch hier den Hochschulen mehr Flexibili tät einräumen und ihnen auch in diesen Fällen längere als zweisemestrige Regelstudienzeiten ermöglichen. Auch darauf zielt unsere Kritik. Wenn ich es richtig im Kopf habe, ist dies auch eine der zwei Forderungen des Antrags der Fraktion GRÜNE, über den wir heute unter diesem Tagesordnungs punkt ebenfalls diskutieren.

Dies waren nur die zentralen Punkte unseres Gesetzentwurfs. Weitere Punkte, z. B. die Regelung, dass ein Studiengang nur dann akkreditiert werden darf, wenn ein Auslandssemester auch tatsächlich in der Regelstudienzeit möglich ist, ergeben sich unmittelbar aus den Primärzielen des Bologna-Prozesses. Wenn die Umsetzung des Bologna-Prozesses dazu führt, dass internationale Mobilität nicht erleichtert, sondern erschwert, wenn nicht gar verhindert wird, dann gebietet es die Verant wortung für den Erfolg dieses Prozesses, dass es zu einer ent sprechenden Korrektur kommt.

Ich möchte jetzt nicht konkret auf den Antrag zu den aktuel len Übergangszahlen eingehen. Das können wir bei den Aus schussberatungen des Gesetzentwurfs und der anderen Anträ ge machen, die wir gern ebenfalls dorthin überwiesen haben wollen.

Ich möchte zum Schluss noch eine Sache ansprechen, die mir sehr wichtig ist – ich hoffe, dass sie uns allen sehr wichtig ist –, nämlich das Thema Polyvalenz. Denn wir wollten immer, dass man nach Abschluss des Bachelors einen fachlich unter schiedlichen Masterstudiengang obendrauf setzen kann. Die jetzige Regelung im Landeshochschulgesetz, nach der Mas terstudiengänge auf ersten Hochschulabschlüssen aufbauen müssen, ist in unseren Augen daher völlig ausreichend.

Daneben gilt selbstverständlich in den Fällen, in denen die Bewerberzahl die Studienplatzzahl überschreitet, das Hoch schulzulassungsgesetz – sowohl für die Masterstudiengänge als auch für die Bachelorstudiengänge. Darüber hinausgehen der Regelungen bedarf es aber nicht. Genau das wollen wir mit dem Gesetzentwurf erreichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Regierungsfraktionen haben uns in der Bologna-Gesetzgebung schon einmal die Ge folgschaft verweigert, als wir in der letzten Legislaturperiode den Antrag gestellt hatten, die Studiengänge Zug um Zug und

aufgrund der autonomen Entscheidungen der Hochschulen in die Bologna-Struktur zu überführen.

So hätten die Fachbesonderheiten und die Spezifika der Ar beitsmärkte berücksichtigt werden können. Was wir heute als Fehlentwicklungen beklagen, ist die Folge der zwangsweisen Umsetzung, zu der Sie sich damals entschlossen hatten.

Nutzen Sie also Ihre zweite Chance bei der Bologna-Reform. Schaffen Sie mit uns die Voraussetzungen dafür, dass nicht binnen weniger Jahre die Universitäten mit Masterzulassungs prozessen überzogen werden und das Landesparlament mit Massenprotesten von Bachelorabsolventen, die weder im Be ruf noch in einem Masterstudiengang unterkommen, konfron tiert wird.

Ich bitte also um Unterstützung für unseren Gesetzentwurf und freue mich auf die anstehenden Beratungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich für das Zuhören, das heute ausnahmsweise anders verlief als bei den Malen zuvor.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Schüle für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Vorab möchte ich einige Bemerkungen zu unseren Hochschulen machen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: „Alles ist gut“!)

Denn der Kollege von der SPD hat im Kern die Hochschulen bei der Umsetzung von Bachelor und Master kritisiert. Dass Baden-Württemberg unter allen 86 Regionen in Europa die Innovationsregion Nummer 1 ist, hängt entscheidend mit un seren Hochschulen zusammen. Das hat die Studie, die in den vergangenen Tagen vorgestellt wurde, deutlich gezeigt.

Diese Hochschulen müssen mit unglaublicher Geschwindig keit sowohl Reformen umsetzen als auch die grundlegende Umstellung auf Bachelor und Master bewerkstelligen. Dies haben sie mit Erfolg getan.

Die Grundidee von Bachelor und Master – das muss man bei dieser Diskussion in Erinnerung rufen – liegt in Folgendem: Beim Bachelor ist eine kürzere Grundausbildungszeit notwen dig. Denn wir wissen: Wir brauchen lebenslanges Lernen und Fortbildung, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben.

Der Masterabschluss wiederum ist für wissenschaftlich am bitionierte, besonders qualifizierte Bachelorabsolventen ge dacht. Viele werden ein Masterstudium erst neben ihrem Be rufsleben in Angriff nehmen und einen Abschluss anstreben. Fast die Hälfte aller Absolventen hat ein Masterstudium ne ben dem Beruf abgeschlossen – schon jetzt. Für diese Aus wahl – darum geht es – haben wir den Hochschulen den Frei raum gegeben, die Kriterien für die Zulassung zu einem Mas terstudium festzulegen.

Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zielt darauf ab, den Hochschulen diese Freiheit zu nehmen. Dafür gibt es keine sachlichen Gründe.

Erstens: Wenn Sie, Herr Kollege Stober, vorschlagen, dass je der Bachelorabsolvent automatisch einen Anspruch auf einen Platz für ein Masterstudium erhält, entwerten Sie sowohl den Bachelor- als auch den Masterabschluss.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD – Abg. Jo hannes Stober SPD: Nein!)