Protocol of the Session on November 25, 2010

Beim Thema „Potenziale nutzen“ – Herr Kollege Prewo hat gerade von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gespro chen – geht es aber auch darum, dass wir endlich Berufs- und Bildungsabschlüsse von Menschen, die hier leben, ihre Ab schlüsse aber im Ausland gemacht haben, besser anerkennen. Es geht darum, dass wir der Abwanderung entgegenwirken

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Wie?)

und dass wir den Zuzug qualifizierter Fachkräfte erleichtern. Das ist schon lange überfällig, meine Damen und Herren. Das Problem ist nur: Die Union ist sich nicht einig, und SchwarzGelb ist sich auch nicht einig.

(Beifall bei den Grünen)

Während auf der einen Seite Frau Schavan und Herr Brüder le dafür sind, sind Frau von der Leyen und Herr de Maizière auf der anderen Seite dagegen. Heute tagt offenbar wieder der Koalitionsausschuss in Berlin zu genau diesem Thema. Wir sind gespannt, ob sie endlich einen gemeinsamen Weg finden, damit mehr Fachkräfte nach Deutschland kommen können und dies auch wollen.

(Beifall bei den Grünen)

Wenn ich sage, es gehe darum, dass mehr Fachkräfte nach Deutschland kommen können und wollen, dann heißt das auch, dass endlich mit diesen populistischen Ausgrenzungs debatten à la Seehofer Schluss sein muss. Denn die gegenwär tige Debatte, die nur populistisch ist und die Menschen aus grenzt, ist wahrlich kein guter Willkommensgruß für Men schen, die nach Deutschland kommen wollen, oder für dieje nigen, die schon hier leben und Lust haben, hierzubleiben. Mit diesen Ausgrenzungsdebatten muss endlich Schluss sein.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich zitiere Bundesbildungsministerin Schavan: „Integration heißt, die Qualifikation von Zuwanderern wertzuschätzen.“ Da sind wir ganz bei ihr. Deshalb haben wir schon vor zwei Jahren auf Landesebene gefordert, dass diese Landesregie rung und auch Sie als Integrationsbeauftragter, Herr Goll, end lich dafür sorgen, dass dem Wirrwarr, den wir heute haben, und der Intransparenz ein Ende gesetzt wird. Denn die Reali tät ist bei uns das Putzen mit Diplom, während gleichzeitig Fachkräfte fehlen.

Wir brauchen also endlich einen Rechtsanspruch auf ein leicht zugängliches und schnelles Anerkennungsverfahren, wir brau

chen Transparenz für die Menschen, die ihren Abschluss an erkennen lassen wollen, wir brauchen endlich Beratung, und wir brauchen auch Anpassungsqualifizierungen. Dann können wir viele Menschen, die eine Qualifikation haben, die hier le ben, auch in die Jobs bringen, bei denen dringend Fachkräfte gebraucht werden.

(Beifall bei den Grünen)

Aber, meine Damen und Herren, auf Landesebene ist bislang nichts geschehen. Zwar kündigt Herr Goll seit zwei Jahren an, dass er dieses Thema prüfen will, dass er sich um Umsetzung, um Ergebnisse und Lösungen kümmern wird. Allerdings ha ben wir davon bis heute nichts gehört.

Ein letzter Punkt, der für mich aus aktuellem Anlass sehr wichtig ist, sind die Kürzungen bei den Integrationskursen. Uns allen ist klar, dass die Kenntnis der deutschen Sprache die wesentliche Voraussetzung für Integration ist. Wenn man schon sagt, man wolle Integrationsunwillige nicht hier haben, dann muss man doch zumindest denen, die Kurse belegen wollen, die sich integrieren wollen, die die deutsche Sprache lernen wollen, so viele Angebote machen wie möglich, damit sie dies auch tun können.

Aber nein, meine Damen und Herren, das Gegenteil ist der Fall. Auf Bundesebene sind die Mittel für genau diese Integ rationskurse zurückgefahren worden. Das bedeutet, dass die Menschen, die daran teilnehmen wollen, bis zu sechs Mona te warten müssen. Das ist absolut kontraproduktiv. Wer Inte gration fordert, muss auch die entsprechenden Angebote ma chen. Wir erwarten von Ihnen, von dieser Landesregierung, dass Sie sich gegen Kürzungen bei den Integrationskursen starkmachen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den Grünen)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Justizminister Professor Dr. Goll das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum einen sind Zuwanderung und Integration Bausteine zur Sicherung des Fachkräftebe darfs. Genau so lautet präzise das Thema der Aktuellen De batte, die wir heute hier führen.

Zum anderen liegt uns ein Antrag der CDU-Fraktion zu aus ländischen Fachkräften vor, zu Wissenschaftlern, die aus in ternational tätigen Unternehmen oder aus Bildungs- und For schungseinrichtungen aus dem Ausland temporär nach BadenWürttemberg entsandt worden sind.

Diese Fachkräfte sind von großer Bedeutung für das Land Ba den-Württemberg, das bekanntlich eine der wirtschaftsstärks ten Regionen in Europa ist. Es ist durch eine hohe Innova tions- und Leistungskraft, durch eine hohe Forschungs- und Wissensintensität, durch eine starke Nutzung von IuK, Kom munikationstechnologien, gekennzeichnet. Ohne jeden Zwei fel ist Baden-Württemberg ein Land auf hohem Niveau. Lie ber Herr Prewo, ohne Zweifel ist es auch bis heute attraktiv.

Aber Sie haben mit einem Hinweis recht: Schon heute haben wir ein Fachkräfteproblem. Das ist so. 65 % der mittelständi

schen Betriebe in Baden-Württemberg haben Schwierigkei ten, Fachkräfte zu finden. Das Wirtschaftsministerium hat ei ne Studie bei Prognos in Auftrag gegeben. Sie zeigt auf, wie gewaltig die Lücke ist. Wir haben gestern darüber gesprochen. Es ist richtig, dass wir dies auch heute noch einmal themati sieren.

Es klafft eine große Lücke. Im Jahr 2015 werden vermutlich schon 280 000 Erwerbstätige im Land fehlen. Im Jahr 2030 werden allein hier im Land 500 000 Erwerbstätige fehlen. In teressant ist, dass davon 45 % auf Personen entfallen, die ei ne berufliche Bildung haben, und 40 % auf Personen mit Hochschulbildung entfallen. Das verteilt sich also über das gesamte Spektrum. Am Ende betrifft das Ganze übrigens nicht nur die Hochqualifizierten, sondern es wird ganz einfach ein Arbeitskräftemangel sein.

Zu dieser quantitativen Problematik kommt noch die demo grafische Herausforderung. Der steigende Anteil der Men schen, die älter als 50 Jahre sind – die Zahlen sind bekannt; ich brauche sie hier nicht zu zitieren –, wird sich auch auf den Fachkräftebedarf bei uns auswirken. Das ist klar. Aber wir müssen auch ständig betonen, dass es nicht schlimm ist, wenn man älter als 50 oder gar 60 Jahre ist.

Dann gibt es noch Dauerbrenner, die wir schon kennen, die schon traditionell sind. Das ist der Ingenieurmangel im Land, den es schon immer gab. Dieser verringert sich zurzeit auch nicht gerade. Aber auch im Handwerk und in der Gesundheits wirtschaft gibt es einen Mangel. Es ist richtig: Wenn wir uns jetzt falsch verhalten, werden sich die Probleme noch ver schärfen. Dann werden wir in diesem Bereich ein massives Dauerproblem haben. Das wollen wir nicht.

Deswegen handelt die Landesregierung. Deswegen haben wir auch ein Konzept, um zu handeln. Dieses Konzept steht in Umrissen fest. Es wird demnächst im Kabinett behandelt. Da reden wir im Grunde genommen nur noch über Details. Es ist ein großer Irrtum, zu sagen, dass man sich dabei nicht einig wäre. Ich kann hier ganz deutlich sagen: Das Zuwanderungs konzept der Landesregierung ist – wie gesagt: als Entwurf – fertig. Es kommt demnächst ins Kabinett. Darüber gibt es ge rade innerhalb der Landesregierung keinen Streit. Vielmehr werden wir das Notwendige in großer Einigkeit tun.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Im Rathaus in Ettlin gen ist der Teufel los! – Gegenruf des Abg. Dr. Hans- Ulrich Rülke FDP/DVP: Das hat aber mit Integrati on nichts zu tun!)

Jetzt kommen wir wieder zu dem Stichwort – deswegen habe ich es vorhin genannt – „Zuwanderung und Integration“ als Bausteine. Es geht um ein Konzept aus unterschiedlichen Bau steinen. Zu diesen Bausteinen gehört Integration und gehört letztlich auch Zuwanderung. Aber man muss das Gesamte der Reihe nach betrachten.

Es geht zunächst um Potenziale, die hier im Land sind und bei denen eine Integrationsaufgabe besteht. Dieses Thema haben wir übrigens seit Jahren tatkräftig in Angriff genommen. Ich meine den Umstand, dass wir bei uns junge Leute haben, die wir noch besser qualifizieren können, als es bisher der Fall ist. Wir wollen keinen Jugendlichen verlieren. Wir brauchen je

de Einzelne und jeden Einzelnen. Da geht es um die Integra tion junger Menschen mit Migrationshintergrund. Wir wollen ihre Bildungschancen und Bildungsergebnisse weiter verbes sern. Deswegen der flächendeckende Sprachtest, deswegen die Sprachförderung, deswegen die Zusammenarbeit mit Breuninger und Bosch bei der Aufgabe, die Eltern anzuspre chen. Das ist ein ganz wichtiger Baustein im Konzept, der na türlich mit Integration zu tun hat.

Im Zusammenhang mit diesem Integrationspotenzial ist hier zu Recht auch die Anerkennung ausländischer Abschlüsse an gesprochen worden. Da darf man, nachdem unsere frühere Kollegin Schavan zu Recht gelobt worden ist, noch ergänzen, dass das Thema „Anerkennung ausländischer Abschlüsse“ in Baden-Württemberg auf den Weg gebracht worden ist. Dazu haben wir in den vergangenen Jahren Fachtagungen veran staltet, um die Leute wachzurütteln, gerade was die Frage nach dem Anspruch auf eine Anerkennung angeht. Dieser zeichnet sich jetzt ab. Das ist ein in Baden-Württemberg sehr früh ent decktes Thema.

Das Ganze betrifft also die Potenziale im Land und die Auf gabe der Integration, bezogen auf diese Potenziale.

Aber es geht auch noch um Punkte, die nicht unmittelbar mit Integration zu tun haben oder höchstens mit einem weit ver standenen Begriff „Integration in den Arbeitsmarkt“. Es ist zu Recht angesprochen worden: Wir müssen die Langzeitarbeits losen stärker in den Prozess zurückholen. Wir müssen den Frauen Brücken bauen, um ihnen den Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen. Dazu gehört auch die Frage nach ge eigneten Kinderbetreuungseinrichtungen, die da ins Spiel kommt.

Wir wollen auf die Erfahrung älterer Arbeitnehmer setzen. Unter den arbeitslosen Ingenieuren stellen diejenigen die größte Gruppe, die über 50 Jahre alt sind. Das ist eigentlich ein bisschen schade. Das muss nicht sein. Denn, wie gesagt, in diesem Alter verliert man nicht automatisch seine Kennt nisse und Fähigkeiten.

Wir haben also jede Menge Potenziale im Land, die wir noch stärker nutzen können. Diese werden auch in der Fachkräfte initiative, die der Wirtschaftsminister im Jahr 2006 ins Leben gerufen hat, schön aufgeführt. Da sind diese Punkte schon the matisiert.

Dazu gehört auch der Punkt, auf den ich jetzt noch zu spre chen komme: die Erleichterung der Zuwanderung von hoch qualifizierten Arbeitskräften. Auch das ist ein Baustein in dem Konzept. Es macht aber keinen Sinn, inländisches Erwerbspo tenzial gegen Zuwanderer auszuspielen. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern es geht um einen ergänzenden Bau stein in einem differenzierten Konzept, um einen Baustein ganz im Sinne auch des McKinsey-Gutachtens zu den wirt schaftlichen und technologischen Perspektiven der badenwürttembergischen Landespolitik bis 2020.

Deswegen ist es sinnvoll, zu prüfen, an welchen Stellen wir das bestehende Aufenthaltsrecht weiter verbessern können. Es enthält natürlich bestimmte Möglichkeiten zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte. Dazu gehört beispielsweise ein be stimmtes Auswahlsystem, Stichwort „Punktesystem“ – unter diesem Namen hat es sich eingebürgert. Zu einem solchen

System wird aber auf jeden Fall noch das Erfordernis eines konkret nachgewiesenen Arbeitsplatzes kommen – keine Zu wanderung also in die sozialen Systeme, sondern auf konkre te Arbeitsplätze.

Dazu gehört auch die Frage: Was machen wir mit den Ein kommensgrenzen? Es zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Einkommensgrenze von 66 000 € nicht undifferenziert stehen bleibt, sondern dass man ein abgestuftes Konzept auf den Tisch legen wird, um auch bei geringerem Einkommen Zu wanderung zu ermöglichen.

Das sind Punkte aus dem Konzept der Landesregierung. Es wird „in Sichtweite“ beschlossen werden. Wie immer sind wir dabei, zu handeln, die Probleme zu erkennen und rechtzeitig ernst zu nehmen. Der Fachkräftemangel ist eine ernst zu neh mende Herausforderung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Wir wollen sie pragmatisch und ergebnisorientiert angehen – zur Sicherung dieses Standorts und im Interesse aller Men schen, die bei uns leben.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Rülke.

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Ich habe wenige Anmerkun gen zu dem in der Debatte Gesagten.

Ich bin dankbar für die Ergänzungen durch den Justizminis ter und die Kollegin Schütz. Es ist völlig richtig: Wir müssen in diesem Zusammenhang auch das Thema „Integration der Älteren in den Arbeitsmarkt“ ernst nehmen, ebenso die Fra ge, wie wir das Potenzial der weiblichen Fachkräfte noch stär ker nutzen können.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Dankbar sollten Sie für die Ergänzungen durch den Kollegen Prewo sein! Das waren wirklich wichtige Ergänzungen!)

Kollege Schmiedel, es freut mich, dass Sie ihr Frühstück ab geschlossen haben und auch schon hier sind.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)