Wenn wir über moderne Politik für Baden-Württemberg re den, dann geht es doch um Fortschritt für das Land. Es geht um wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt,
um Nachhaltigkeit, Sicherung von Wohlstand auch in der Zu kunft des Landes. Deshalb lautet die Frage nicht, wer modern und wer nicht modern ist, sondern die Frage ist:
Wer Fortschritt will, braucht eine gute Infrastruktur, braucht eine gute Verkehrsinfrastruktur für Wirtschaft und Beschäfti gung. Denn wir wissen aus der Industrie- und Wirtschaftsge schichte unseres eigenen Landes: Beschäftigung folgt immer den Verkehrswegen –
dem Wasser, der Straße und der Schiene. Deshalb sind der Ausbau der Infrastruktur in der Rheinschiene, der Ausbau der Strecke nach Ulm, der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart so wie die Süd- und Gäubahn elementar für unseren Wirtschafts standort. Dazu muss sich jeder bekennen, der das Land in die Zukunft führen will.
Wer Fortschritt für dieses Land will, darf auch bei der Frage, ob die Neubaustrecke nach Ulm kommen soll oder nicht, nicht wackeln.
Man kann wortreich für oder gegen K 21 sein, aber die Frage – ob K 21 oder S 21 – ist doch: Wollen Sie überhaupt die Neu baustrecke, liebe Grüne?
Wenn ich sage: „Wirtschaft und Beschäftigung sind das Zen trale“, dann heißt das für Baden-Württemberg in erster Linie: Erhalt der industriellen Substanz des Landes. Nachhaltige und moderne Wirtschaftspolitik heißt: Baden-Württemberg wird vom Automobil- zum Mobilitätsland Nummer 1. Nachhalti ge Wirtschaftspolitik heißt: Die Energiewende wird konse quent durchgesetzt, keine Verlängerung von AKW-Laufzei ten, keine Begünstigung von Atomkonzernen, sondern Förde rung von Mittelstand und Handwerk, von Ingenieuren und Tüftlern im Maschinen- und Anlagenbau, die schon längst er kannt haben, was erneuerbare Energien sind.
Sicherung der industriellen Substanz unseres Landes heißt auch Sicherung von Beschäftigung in Industrie und heißt gu te Arbeit derjenigen, die bei Daimler und Audi schuften. Das heißt gute Arbeit auch für diejenigen, die die gleiche Arbeit am Band verrichten und in Zeit- und Leiharbeitsverhältnissen hängen. Deshalb sage ich: Wer gute Arbeit in diesem Land will, wer Fortschritt für die Beschäftigten in diesem Land will, der muss Leih- und Zeitarbeit zurückdrängen.
Es ist bezeichnend, dass der soziale Fortschritt und die sozi ale Sicherung in dieser Debatte bisher keine Rolle gespielt ha ben, weil meine Vorredner offensichtlich kein Interesse dar an haben, darüber zu reden, dass die Solidarität in dieser Ge sellschaft Schritt für Schritt aufgekündigt wird.
Das, was die schwarz-gelbe Bundesregierung in der Gesund heitspolitik beschlossen hat, ist das Aufkündigen eines über 100 Jahre alten solidarischen Systems.
Sie haben noch gar nicht erkannt, dass Sie damit eine Axt an den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gelegt ha ben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wenn es nach Ihnen ginge, müsste ab dem 1. Januar nächsten Jahres eine Rentnerin, die einen Arzt aufsucht, oder eine Fa milienmutter, die mit ihren Kindern zum Arzt geht, erst ein mal den Geldbeutel aufmachen und Vorkasse leisten.
Wir müssen, wenn wir über Fortschritt und Moderne reden, auch Abstand von dem Dreiklassensystem nehmen, das CDU und FDP in der Gesundheitspolitik wieder einführen wollen und in der Bildungspolitik bis heute durchsetzen. Deshalb sa ge ich Ihnen: Wer über Modernität redet, darf nicht ins 19. Jahrhundert zurückfallen.
Wir reden über sozialen Fortschritt auch dann, wenn wir über die Infrastruktur reden. Denn die Infrastruktur eines Landes umfasst nicht nur Verkehrswege, Fabrik- und Gewerbegebie te, sondern zur Infrastruktur eines Landes gehört auch die so ziale Infrastruktur. Wer Fortschritt für das Land haben will, wer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern will, muss für den Ausbau der Kinderbetreuung sein und muss es endlich ermöglichen, dass in der Kleinkindbetreuung, aber auch in den Kindergärten Ganztagsangebote vorhanden sind,
damit wir es schaffen, dass die am besten ausgebildete Frau engeneration unserer Geschichte auch eine echte Wahlfreiheit hat. Da ist Baden-Württemberg noch rückständig. Den Rück schritt haben Sie, die Sie in diesem Saal auf der Regierungs bank sitzen, zu verantworten.
Wenn wir über die soziale Infrastruktur reden, dann reden wir über Bildung, über gleiche Bildungschancen und auch über die Frage: Ermöglichen wir sozialen Fortschritt bzw. sozialen Aufstieg für alle durch eine gute Bildung?
Meine Damen und Herren, seit Jahren steht fest, dass das ge gliederte Schulsystem schuld daran ist, dass in Baden-Würt temberg Kinder aus Arbeiterhaushalten und Kinder aus Zu wandererfamilien deutlich weniger Chancen haben, zum Ab itur zu gelangen. Dies wollen wir ändern.
Wer über Moderne und Fortschritt redet, meine sehr verehr ten Damen und Herren, der sollte dies ohne ideologische Scheuklappen tun und auch bereit sein, das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern, das nicht nur in Stuttgart, sondern landesweit zutage tritt, ernst zu nehmen und dies erst einmal zu begrüßen.
Ich bin um jeden und jede in diesem Land dankbar, die sich überhaupt für das Gemeinwohl engagieren, meine sehr ver ehrten Damen und Herren.
Es ist schon ein rückschrittliches und rückständiges Gesell schaftsbild, wenn man das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern danach sortiert, ob der Regierung die Meinung passt oder nicht. Diese Zeiten sollten längst überwunden sein. Des halb verstehe ich auch nicht, dass Sie Angst vor denjenigen haben, die in dieser Frage eine andere Meinung haben als Sie und ich und hierfür auf die Straße gehen.
Deswegen haben wir es auch nicht nötig, in diesem Landtag darüber zu reden, wer auf dem Boden der Verfassung steht und wer die Demokratie achtet und wer nicht. Diese Zeiten sind in Deutschland zum Glück längst vorbei.
Deshalb sage ich Ihnen: Gerade eine moderne Gesellschaft wie die in Baden-Württemberg, eine bunte und vielfältige Ge sellschaft wie die in Baden-Württemberg ist auf das Engage ment jedes Einzelnen angewiesen. Ich bin froh, wenn jemand entweder dafür oder dagegen demonstriert, wenn es um Stutt gart 21 geht.
Aber ich bin vor allem denjenigen dankbar, die sich in den Gemeinden und Städten, in den Gemeinderäten, in den Ver waltungen, in den Elternvereinen, in den Schulfördervereinen, in den Kollegien und in den Schülermitverantwortungen für ihre Schule engagieren,
die darüber nachdenken, wie man auch in einer kleineren Ge meinde bei einer rückläufigen Schülerzahl den Schulstandort in Zukunft erhalten kann, wie man dieses Gemeinwesen, die ses Geflecht, das rund um eine Schule entstanden ist, in die Zukunft tragen kann. Dies wird für die Zukunft und die Mo dernität des Landes mindestens genauso wichtig sein wie der Bahnhof in Stuttgart.
Deshalb sage ich Ihnen: Das bürgerschaftliche Engagement, das Mitmachen der Menschen und der Wille, die Ansprüche der Menschen mitgestalten zu wollen, sind etwas Wertvolles. Fortschrittliche, moderne Politik greift dies auf, nimmt es mit und verdammt es nicht, meine sehr verehrten Damen und Her ren.
Eine moderne Landesregierung wird diese Mitgestaltung auf nehmen – über Erleichterungen bei der direkten Demokratie, aber vor allem über das Einbeziehen der Betroffenen vor Ort, wenn es um Schulreformen geht, wenn es um die Energiewen de geht, wenn es um Kriminalprävention vor Ort geht, wenn es um eine regionale Gesundheitsversorgung geht. Dieses Mit machen wird im 21. Jahrhundert unerlässlich sein. Deshalb brauchen wir mehr denn je eine Regierung, die dialogfähig ist, die den Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe begeg net. Diese Regierung wird es im nächsten Jahr geben: eine moderne, fortschrittliche Regierung für Baden-Württemberg.