Protocol of the Session on October 27, 2010

für den sozialen Zusammenhalt dieser Gesellschaft. Es kann nicht sein, dass wir auch nur einen verloren geben. Es kann nicht sein, dass wir jemanden danach sortieren, woher seine Eltern kamen oder gar welche Religions- oder Kulturzugehö rigkeit seine Eltern haben. Wir werden in den nächsten Jah ren jeden Einzelnen brauchen. Es ist im wohlverstandenen Ei geninteresse der Mehrheitsgesellschaft, dass Integration ge lingt. Darum müssen wir uns kümmern und dürfen politisch nicht mit Vorurteilen herangehen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wenn Sie fragen: „Was ist die Leitkultur, was ist das Leit bild?“, dann gibt es darauf eine einfache Antwort: Es ist die Verfassung. Wir erwarten von jedem, der in Deutschland lebt, und jedem, der nach Deutschland kommt, dass er die Verfas sung anerkennt. Da gibt es keinen Rabatt nach Religion, da gibt es keinen Rabatt nach Herkunft.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Sehr gut! – Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Die Verfassung gilt für alle, die bei uns leben, und für alle, die zu uns kommen wollen. Einem echten Verfassungspatrioten ist es egal, ob er vielleicht beim Fußball noch für Juventus Tu rin oder Real Madrid mitjubelt. Er gehört als Verfassungspa triot mitten in unsere Gesellschaft hinein.

Es wird die Aufgabe sein, in den nächsten Monaten auch in Baden-Württemberg deutlich zu machen: Die Vielfalt in un

serer Gesellschaft ist keine Bedrohung, sondern eine Riesen chance. Daran sollten wir alle uns halten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Das Wort für die Frak tion der FDP/DVP darf ich Herrn Abg. Kluck erteilen.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Der Integrationsbeauf tragte! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Der ist selbst erfolgreich integriert!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vorweg will ich festhalten: Begriffe wie „Leit kultur“ und „Multikulti“ tragen nichts Positives zu einer In tegrationsdebatte bei, sondern schaden der Sache eher.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Zumal Preußen auch ein Teil von Multikulti sind!)

Einem Liberalen sind Äußerungen des Sozialdemokraten Sar razin und des Christsozialen Seehofer schon immer unverdau lich erschienen. Wir beteiligen uns am Anrühren solcher Sup pen nicht.

Aber, Herr Kollege Kretschmann, Sie wissen es: Selbst Ihre Partei ist davor nicht gefeit. Sie kennen Ihren Mitbegründer Rolf Stolz, der ein Buch mit dem Titel „Deutschland, deine Zuwanderer“ herausgebracht hat. Dieser Autor malt das be drohliche Gemälde von Kulturverlust, Balkanisierung, vom Krieg der Ethnien, von gewalttätiger Herrschaft von Mafiosi und Clanchefs an die Wand. Er ist in dieser Frage genauso ein Spinner wie Sarrazin und Seehofer.

Herr Kollege Dr. Schmid, Sie mahnen an, Erfolgsgeschichten doch deutlicher zu machen. Das machen wir doch! Denn die Integration in Baden-Württemberg ist eine Erfolgsgeschich te.

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Genau! – Abg. Peter Hofelich SPD: Na, na, na!)

Wir haben unter allen Flächenländern den größten Anteil an Einwohnern mit Migrationshintergrund; dieser Anteil beträgt ein Viertel der Bevölkerung. Zugewanderte haben hier we sentlich zur wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftli chen Weiterentwicklung beigetragen.

Da ist es für uns Liberale doch ganz normal, dass wir Intole ranz, Rechtsextremismus, Islamismus, Ausländerfeindlichkeit und Parallelgesellschaften konsequent entgegentreten. Das sollten wir alle tun, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wir brauchen in Sachen Integration keinen Nachhilfeunter richt; wir brauchen uns dabei wirklich nicht zu verstecken. Herr Minister Ulrich Goll hat als Integrationsbeauftragter die Prozesse wesentlich vorangebracht. Sie alle kennen das Pro jekt „Integration gemeinsam schaffen – für eine erfolgreiche Bildungspartnerschaft mit Eltern mit Migrationshintergrund“. Wir haben seit 2008 die neu strukturierte Schuleingangsun

tersuchung mit dem Sprachtest und der anschließenden För derung in der deutschen Sprache in den Kindergärten.

Sie haben die Anhörung der Landesregierung sicher noch in Erinnerung,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Jawohl!)

in der es um eine bessere und schnellere Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen ging. Sie kennen die in terministerielle Arbeitsgruppe zur stärkeren interkulturellen Öffnung der Landesverwaltung.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Es gibt für Gemäkel überhaupt keinen Grund. Hier wird jede Menge getan, und hier haben wir auch viele Erfolge vorzu weisen.

Kein Mensch verlangt doch von Zuwanderern die völlige An passung. Eine totale Gleichmacherei kann natürlich nicht Ziel einer auf Individualismus und Eigenverantwortung ausgerich teten pluralistischen Gesellschaft sein. Uns Liberalen – viel leicht mit Ausnahme des Kollegen Kleinmann – ist es ohne hin egal, in welche Kirche man zum Beten geht. Das ist An gelegenheit jedes Einzelnen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wo beten denn Sie?)

Wir wollen nicht alles vereinheitlichen. Aber alle Menschen, die hier im Land leben, müssen doch die Möglichkeit erhal ten, ihre Chancen und ihr Potenzial nutzen zu können. Das geht aber nur, wenn man Teil der Gesellschaft ist und sein will und wenn man sich entfalten darf und auch will.

Integration bedeutet so etwas wie „Leben und leben lassen“. Integration erfordert gegenseitige Toleranz, Anerkennung und Respekt sowie die Bereitschaft – auch das ist ganz wichtig –, sich in die Situation des anderen hineinzuversetzen.

Ganz wichtig ist natürlich – da sind wir uns alle einig – die Bereitschaft zum Erlernen und Beherrschen der deutschen Sprache. Das ist die Grundvoraussetzung für Integration; das ist der Schlüssel. Daran führt kein Weg vorbei.

(Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Integrationspolitik muss werteorientiert sein. Sie hat die fun damentalen Grundrechte und Werte unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats zu vermitteln. Demokratische und rechts staatliche Prinzipien sind Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben.

Die Gleichheit der Geschlechter – auch darauf ist Herr Kol lege Palm schon eingegangen –, die Achtung gegenüber An dersdenkenden, gegenüber Menschen anderen Glaubens und auch gegenüber Nichtgläubigen, das Gewaltmonopol des Staates und der Verzicht auf gewaltsame Konfliktlösungen – diese Prinzipen müssen ohne Einschränkung für alle in Ba den-Württemberg lebenden Menschen gelten. Der Staat hat diese Werte und Prinzipien gegen jeden Relativierungsver such und auch gegenüber scheinbar kulturell oder religiös be gründeten abweichenden Ansprüchen unmissverständlich zu schützen und zu verteidigen.

Integration ist keine Einbahnstraße. Wir stehen zur Integrati on.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregie rung erteile ich Herrn Justizminister Professor Dr. Goll das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf hier für die Landesre gierung Stellung nehmen, wobei ich gleich zu Anfang darauf hinweisen möchte, dass ich in der Tat Integrationsbeauftrag ter dieser Landesregierung bin. Dies bin ich schon seit eini gen Jahren. Integration ist aber eine Querschnittsaufgabe. Da ran beteiligt sind im Grunde genommen alle Ressorts, insbe sondere aber natürlich das Kultusressort, das Innenressort, das Sozialressort und das Wirtschaftsressort. Bei diesem Thema arbeiten wir sehr eng zusammen. Ich betone das deswegen, weil das Thema bei uns hoch hängt. Denn wir haben die Zei chen der Zeit längst erkannt und wissen, wie wichtig das The ma Integration ist.

Allerdings kann man mit derselben Klarheit sagen: An sol chen Debatten, die Sie, lieber Herr Kretschmann, kritisiert ha ben, beteiligen wir uns eigentlich gar nicht. Mir fällt kein Bei spiel ein, bei dem sich die Landesregierung auf solche ideo logischen Debatten verlegt hätte. Das wäre nicht landes typisch. Landestypisch ist es, die Dinge pragmatisch in Ord nung zu bringen, soweit man auf Landesebene handeln kann, und einfach etwas zu tun.

An dieser Stelle muss ich sagen: Ich glaube, wir haben es in den letzten Jahren mit vereinten Kräften ziemlich geräusch los hinbekommen, dass der Zustand der Integration in BadenWürttemberg im Ganzen sehr gut ist.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Wir haben bestimmte Herausforderungen; darauf komme ich gleich noch zu sprechen. Aber wir haben in Baden-Württem berg im Vergleich aller Bundesländer die höchste Erwerbs quote unter den Migranten und die niedrigste Quote von So zialleistungsempfängern unter den Migranten. Wir haben die niedrigste Migrantenarbeitslosigkeit unter allen Bundeslän dern. Wir haben die höchste Quote beim Kindergartenbesuch von Migrantenkindern – da sind wir Rekordhalter; Platz 1. Wir haben ein Bildungssystem – ich bin wirklich jederzeit be reit, über das Bildungssystem zu diskutieren; Kollegin Mari on Schick ist es auch; bei guten Vorschlägen sind wir über haupt nicht vernagelt –, das ständig ausgezeichnete Noten be kommt. Daran kann man nicht vorbeigehen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Und die Mi granten profitieren davon!)

Herr Röhm sagt: Und die Migranten profitieren davon.

Bei einem muss man genau hinschauen – das erfreut einen be sonders –: Bei allen Untersuchungen, die bei uns gemacht werden – über alle Schüler hinweg; im letzten Jahr waren es 30 000 Schüler –, liegen wir eigentlich immer auf vorderen

oder – so sage ich immer – auf zumindest sehr vorzeigbaren Plätzen, und das, obwohl wir den höchsten Anteil von Migran tenkindern in der ganzen Bundesrepublik haben.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Genau so ist es!)

Daran sieht man eben erst, wie gut diese Ergebnisse sind.

Aber es gibt Schönheitsfehler, Dinge, die wir in Angriff neh men müssen. Die Studien haben auch gezeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen der Herkunft und dem Bildungser folg gibt. Diesen negativen Zusammenhang wollen wir durch brechen. Deswegen hat Kollegin Professorin Dr. Schick vor Kurzem einen Expertenbeirat mit ebendieser Bezeichnung ins Leben gerufen. Er untersucht den Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungserfolg. Weil es diesen Zusammenhang gibt – wir wollen untersuchen, wie wir ihn knacken –, ist na türlich auch in der Vergangenheit zu beklagen gewesen, dass die Integration bei uns zwar insgesamt gut gelaufen ist, sich die Migrantenfamilien aber – ich sage es einmal deutlich – auf Dauer eher in den unteren Schichten eingenistet haben. Sie kommen zwar alle irgendwo in die Gesellschaft hinein, aber die Aufstiegschancen sind noch nicht so gut, wie man es sich vorstellen könnte. Deswegen lautet unsere Aufgabe natürlich weiterhin Integration.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Sie sind miserabel!)