Protocol of the Session on October 7, 2010

Zu Einzelheiten hat Kollege Stickelberger schon einiges ge sagt. Wir können das gern in der zweiten Runde vertiefen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Mack für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! In Deutschland und in Baden-Württem berg ist der Staat als repräsentative Demokratie ausgestaltet. Herr Sckerl hat gerade gesagt: Bürger wollen Mitsprache. Ja, Herr Sckerl. Ich glaube, es ist Allgemeingut: Bürger sind zur Mitsprache in der repräsentativen Demokratie geradezu auf gefordert.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Das Modell unserer repräsentativen Demokratie ist lebendig und nicht überholt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Unsere Landesverfassung von 1953 folgt dem Vorbild des Grundgesetzes. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes wie auch der Landesverfassung waren geprägt von den Erfahrun gen der Weimarer Republik mit ihren Referenden. Die Mög lichkeit, auch Referenden abzuhalten, kam durch Conrad Haußmann, den Vorsitzenden des Verfassungsausschusses der Weimarer Nationalversammlung, in die Weimarer Verfassung.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Guter Mann!)

Haußmann wurde eine gewisse Vorliebe für das Schweizer System nachgesagt.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Guter Mann!)

Das erste Referendum wurde 1926 von SPD und KPD einge bracht und zielte auf die entschädigungslose Enteignung der deutschen Fürstenhäuser.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Genau! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Das wurde abgelehnt! – Abg. Tho mas Blenke CDU: Da war der Herr von Herrmann auch dabei!)

Langsam. – Das Referendum scheiterte; das Ergebnis war aber nach Meinung des damaligen parteilosen Kanzlers Lu ther ein „ungeheures Sprengpulver, das in das Volk hineinge worfen worden ist“.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das einzige Referen dum, und das wurde abgelehnt! – Gegenruf des Abg. Klaus Herrmann CDU: Nein, es gab mehr! Geschich te „mangelhaft“, Herr Kollege! – Zuruf des Abg. Jür gen Walter GRÜNE)

Nein, es gab ein zweites Referendum, nämlich ein von der NSDAP, den Deutschnationalen, dem Stahlhelm und dem Alldeutschen Verband initiierter Volksentscheid gegen den Young-Plan. Dieses Referendum scheiterte im Dezember 1929 ebenfalls.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Unterhaltungen nach außer halb des Plenarsaals zu verlegen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das fällt bei dieser Rede schwer! – Gegenruf des Abg. Klaus Herrmann CDU: Eine sehr gute Rede!)

Es bot den beteiligten Gruppen aber die Möglichkeit, gegen den Versailler Vertrag und die so genannten Erfüllungspolitiker zu agitieren, welche den Repa rationsforderungen der Siegermächte des Ersten Weltkriegs nachkommen wollten.

Diese beiden Beispiele zeigen: Direktdemokratische Elemen te sind nicht unbedingt dazu angetan, zu den Ergebnissen zu führen, die uns von Bilderbuchautoren vorgeführt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Klaus Herrmann CDU: Sehr richtig! – Abg. Claus Schmie del SPD: Schaut einmal nach Bayern! – Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordne ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Stickel berger?

Nein, die gestatte ich im Mo ment nicht.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Wie gefährlich ist Bay ern?)

Direkte Demokratie kann Populismus und Polemik massiv fördern.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Oje!)

Denken Sie nur an die vielen gescheiterten Referenden in der Schweiz zu europäischen Fragen und zur Europäischen Uni on.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Gehen wir doch einmal nach Bayern! Sie sind doch schon ein Fan von Bay ern!)

Erinnern wir uns, Herr Kollege, an die Abstimmung in der Schweiz zum Minarettverbot vor knapp einem Jahr, einge bracht von der SVP und der Kleinpartei Eidgenössisch-De mokratische Union. Alle anderen Schweizer Parteien – alle anderen! – hatten sich dagegen ausgesprochen. Aber gut 57 % der Bevölkerung in der Schweiz haben dafür gestimmt, Arti kel 57 der Schweizer Verfassung – dieser Artikel klärt das Ver hältnis zwischen Religion und Staat – folgendermaßen zu än dern: Das Bauverbot für Minarette soll als „geeignete Maß nahme zur Wahrung des Friedens zwischen den Mitgliedern unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften“ festgeschrieben werden.

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Sehr gut!)

Hinterher wurde gesagt, der Erfolg der Initiatoren sei völlig überraschend gekommen. Wer aber die Plakate der Befürwor ter genau angeschaut hat – eine Frau im schwarzen Tschador vor einer Schweizer Fahne mit raketenähnlichen Minaretten; jeder von uns erinnert sich noch an dieses Plakat –, musste mit diesem Ergebnis rechnen. Ein einziges Plakat hat damals die Emotionen so hochkochen lassen, dass alle Sachargumen te bei der Entscheidungsfindung nichts, aber auch gar nichts mehr gegolten haben.

Wollen wir das riskieren?

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist ein Generalan griff auf die Schweiz!)

Sind wir in den vergangenen 57 Jahren nicht vielmehr mit un serer repräsentativen Demokratie gut gefahren?

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: So ist es! Rich tig!)

Ein Volksentscheid führt auch nicht automatisch zu einer Be friedung in der Bevölkerung. Im Gegenteil: Nach einem er bittert geführten politischen Kampf kann eine tiefe Spaltung der Gesellschaft zurückbleiben.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Das kann auch bei Wahlen passieren! – Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schü le CDU)

Es ist noch lange nicht gesagt, dass die Ergebnisse dann auch von allen politischen Gruppierungen anerkannt werden. So haben die Schweizer Grünen angekündigt,

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Sind das auch Neinsa ger?)

gegen die Minarettentscheidung und gegen das Votum des ei genen Volkes den Europäischen Gerichtshof für Menschen rechte in Straßburg anzurufen.

(Vereinzelt Beifall – Abg. Klaus Herrmann CDU: Aha! Das machen die Grünen so, wie es ihnen passt! – Abg. Thomas Blenke CDU: Die Grünen haben die Wahrheit gepachtet; das meinen sie!)

Theodor Heuss von den Liberalen – auch ein guter Mann, Herr Kollege –

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Ein sehr guter Mann!)

hat formuliert:

Eine Volksinitiative ist eine Prämie für jeden Demagogen.

Dem Demagogen geht es nicht darum, im ersten Anlauf bei einer Volksabstimmung zu siegen. Er findet aber in dem Volks begehren die Plattform, um seine Botschaften, seine Polemik zu platzieren und sich mediale Aufmerksamkeit zu sichern,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Würden Sie diese Re de auch in Bayern halten?)

die er sonst nie und nimmer bekommen würde.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wissen Sie eigentlich, was Sie da sagen? – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Angst vor der Bevölkerung ist das!)