Protocol of the Session on October 6, 2010

Der frühere Verkehrsminister Rech hat gesagt, Stuttgart 21 sei das am besten geplante und gerechnete Projekt der Bahn.

(Lachen bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Peinlich!)

Wenige Monate später mussten die Kosten dramatisch nach oben korrigiert werden. Es ist klar: Wenn jemand so argumen tiert, wenn jemand einen solchen Spruch gemacht hat und hin terher selbst dramatisch die Kosten korrigieren muss, dann verliert er an Vertrauen. Das muss man sich doch klarmachen.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Ganz genau!)

Da müssten Sie doch selbst einmal so weit reflektieren, dass Sie erkennen, dass dies in der Bürgerschaft Vertrauen unter gräbt.

Man kann Großprojekte nicht auf den Cent genau berechnen. Es geht hier aber um Milliar den Euro und nicht um Centbeträge.

(Beifall bei den Grünen)

Wenn Sie von „centgenau“ sprechen, wenn es um Milliarden geht, dann nehmen Sie die Wirtschaftlichkeitsfragen nicht ernst. Sie haben in Ihrer Erklärung die Gegner des Projekts angegriffen, indem Sie ihnen die Haltung unterstellt haben: „Wenn mir das Projekt gefällt, wird es billig, und wenn es mir nicht gefällt, rechne ich es teuer.“ Aber das machen Sie doch selbst. Bei K 21 rechnen Sie die Kosten gigantisch hoch, ob wohl schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass ein Pro

jekt, das ein Drittel der Tunnellängen von S 21 hat, überhaupt nicht in die Nähe dieser Kosten kommen kann. Es ist doch völlig klar, dass das überhaupt nicht geht.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Aber den Hauptbahn hof mit 1,7 Milliarden € hat man halt nicht!)

Innerhalb der letzten zwölf Monate mussten die Baukosten von Stuttgart 21 um 1 Milliarde € und die Kosten für die Neu baustrecke um 890 Millionen € nach oben korrigiert werden. Da geht es nicht um Centgenauigkeit. Da geht es um Milliar den.

(Beifall bei den Grünen)

Das Ende der Fahnenstange wird noch lange nicht erreicht sein. Dafür gibt es eine ganze Menge von Hinweisen. Es ist doch einfach nicht plausibel, dass 1 km Neubaustrecke über die Schwäbische Alb mit hohem Tunnelanteil mit geplanten Kosten von 50 Millionen € je Kilometer nicht teurer sein soll als 1 km Neubaustrecke im Rheintal zwischen Katzenberg tunnel und Basel, die fast ausschließlich durch flaches Gelän de führt.

Alle Großprojekte der vergangenen Jahrzehnte waren schön gerechnet und liefen finanziell aus dem Ruder: Berlin Haupt bahnhof 1,2 statt 0,7 Milliarden €,

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Neubaustrecke Nürnberg–Ingolstadt über die Fränkische Alb 3,6 statt 2,3 Milliarden € –

(Zuruf des Abg. Winfried Scheuermann CDU)

jeweils deutlich über 50 % Kostenüberschreitung.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Und jetzt?)

Die Kostenplanung der DB für das „bestgeplante“ Bahnpro jekt, die von rund 5 Milliarden € ausgeht, wurde auf politi schen Druck um 800 Millionen € auf 4,088 Milliarden € ge senkt. Das ist nicht realisierbar, sagen uns die Fachleute.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Wer? – Abg. Dr. Hans- Peter Wetzel FDP/DVP: Und die anderen haben kei ne Fachleute?)

Wenn der Bericht im „Stern“ stimmt, ist der Risikopuffer be reits aufgezehrt, bevor der Bau überhaupt erst richtig begon nen wird.

(Abg. Winfried Mack CDU: Der Bericht stimmt aber nicht!)

Andere Gutachten wie das Gutachten des UBA oder das Gut achten von Vieregg-Rößler kommen auf weit höhere Kosten.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Beauftragt von den Grünen!)

Dabei ist die Methode dieser Gutachter ganz einfach. Sie ist nämlich empirisch. Als Grundlage nehmen sie Neubaustre cken, die schon fertig sind und bei denen man weiß, was sie gekostet haben. Das ist erst einmal das Unverfänglichste, was

man überhaupt machen kann: Man vergleicht das mit anderen Strecken.

(Abg. Albrecht Fischer CDU: Wie lange ist das her? – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Am besten gar nichts bauen! Weil es teuer ist, hören wir auf!)

Herr Ministerpräsident, ich will damit nur sagen: Es geht nicht um Cent, es geht um Plausibilitäten. Es geht darum, dass man nicht mit Diffamierung reagiert, wie wir es erlebt haben. Da liegt der Hase im Pfeffer. Schon zwei Stunden, nachdem wir ein Gutachten veröffentlicht haben, das auf erheblich höhere Kosten kommt, sagt die Bahn, das alles seien Horrorzahlen, und wir wollten nur die Leute verunsichern.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Jawohl!)

Aber bis heute gab es keine Entgegnung in der Sache.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf: Doch!)

Herr Ministerpräsident, wir müssen zu einer ernsthaften Aus einandersetzung kommen, die die Wahrheit in den Tatsachen sucht. Das muss doch in einer aufgeklärten Welt, die von den Wissenschaften geprägt ist, möglich sein. Das muss im öffent lichen Raum stattfinden, wie wir es auch in unserem gemein samen Vorschlag geschrieben haben, nämlich mit öffentlichen Diskussionsforen und öffentlichen Expertenrunden.

Mit Blick auf den verkehrlichen Nutzen des Projekts ist es ge nauso. Sie sprechen von der Einigkeit der Fachwissenschaft ler, etwa hinsichtlich der Kapazitäten des Durchgangsbahn hofs im Vergleich mit dem Kopfbahnhof. Aber es gibt in die ser Frage keine einheitliche Meinung der Fachwissenschaft ler. Das ist überhaupt nicht der Fall. Sie müssen schlicht und einfach einmal anerkennen, dass Sie sich da irren, dass es Wis senschaftler und Praktiker gibt, die das anzweifeln, was Sie behaupten.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Welches sind die richti gen?)

Viele Experten sind von dem verkehrlichen Nutzen nicht über zeugt.

Das ganze Stuttgart 21 ist auf Kante genäht; es hat ein hohes Stabilitätsrisiko, eine geringe Pufferkapazität, und es kann für die Zukunft einen Engpass darstellen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Wir haben doch drei mal so viele Zufahrtsgleise!)

Andere Kopfbahnhöfe wie in Frankfurt und München führen auch nicht dazu, dass diese Städte ins verkehrliche Abseits ge langen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Es geht um die Zu fahrtsgleise! – Abg. Albrecht Fischer CDU: Die ha ben aber auch einen zweiten, neuen Durchgangsbahn hof!)

Jetzt muss man doch ganz einfach fragen: Warum legen Sie das Betriebskonzept und die Fahrplanstruktur nicht offen, so dass man überhaupt erst in einen wirklichen Expertenstreit ge hen kann? Um diese Fragen geht es.

(Beifall bei den Grünen)

Es geht darum, die Plausibilität zu hinterfragen, und das heißt immer auch, das Wenn und das Aber zu berücksichtigen. An ders kann das überhaupt nicht gehen.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Darum geht es schon lan ge nicht mehr!)

Sie bringen nun Einzelbeispiele und sagen, dass man dann in nerhalb von 41 Minuten von Tübingen nach Stuttgart komme. Von Tübingen gelangt man schon heute mit modernen Neige technikzügen in 43 Minuten nach Stuttgart.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Aber nicht mit dem neuen Halt am Flughafen!)

Was soll das also?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wieso muss ein Tübinger denn in die Stuttgarter Innenstadt, wenn er auf die Filder will? Das macht doch keinen Sinn, dass ein Tübinger nach Stuttgart fährt, um auf die Filder zu kommen!)

Wenn Sie sagen, von Horb nach Schwäbisch Hall gehe es schneller, man spare 41 Minuten, dann sage ich: Ja, es geht schneller, weil Sie dann doppelt so viele Züge einsetzen. Das hat aber mit dem Projekt selbst gar nichts zu tun.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD – Unruhe)

Ich will mit Ihnen nun nicht über Detailfragen debattieren; da rum kann es doch in dieser Debatte überhaupt nicht gehen. Ich habe Ihnen vielmehr Beispiele genannt und klargemacht, dass wir gute Argumente gegen das Projekt ins Feld führen. Darüber muss man sich einmal öffentlich auseinandersetzen. Darum geht es.