Protocol of the Session on July 28, 2005

Ich habe dem Kollegen schon einen Tag vor der Pressekonferenz gesagt: „Du bist der eigentliche Sieger.“

(Abg. Dr. Christoph Palmer CDU: So ist es!)

Nur: Wenn Sie jetzt hier sagen, Sachsen-Anhalt sei ganz nah bei Baden-Württemberg, dann, mit Verlaub,

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Thüringen!)

haben Sie mit dem Statistiklesen auch ein bisschen Schwierigkeiten.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU – Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Thüringen!)

Sie haben Sachsen-Anhalt gesagt. – Wären wir da, wo Sachsen-Anhalt liegt, dann würden Sie, und zwar quer durch die Oppositionsreihen, uns hier Prügel verteilen.

Ich finde, dass sich aus dem Vergleich der Ergebnisse von 2000 und 2003 ganz deutlich ergibt, dass wir im internationalen Vergleich bis zu sechs Plätze nach oben gerückt sind. Interessanterweise ist übrigens Japan 25 Punkte nach unten gerückt. Das heißt, man muss auch wissen, dass es bei solchen tief greifenden Reformen, die über lange Zeit angelegt sind, immer wieder Situationen geben kann, in denen es Verunsicherung gibt, in denen neue Probleme auftreten. Das darf niemanden davon abhalten, konsequent weiterzuentwickeln,

(Abg. Wintruff SPD: Mathematik international drei minus!)

zu reformieren, die tiefgreifendste Reform des Bildungssystems konsequent fortzusetzen. Das bedeutet: mehr Selbstständigkeit für die Schule, klare Standards,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

gute Weiterentwicklung der Lehrerbildung

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

und vor allem Kinder und Jugendliche ernst nehmen, ihnen nicht weniger zutrauen, als wir ihnen zutrauen müssen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir sollten nicht schon immer meinen, wir wüssten, was in den Kindern steckt, sondern ihnen Chancen geben, ihre Entwicklung wirklich gut begleitet zu sehen, ihre Talente zu entfalten. Das ist der erste Grundsatz.

Ich bin davon überzeugt, dass es, wenn wir das fortsetzen, bei einer Fortschreibung der Entwicklung von 2000 zu

2003 auf 2006 genau so sein wird. Aber ich bin mir ziemlich sicher: Wenn Baden-Württemberg nahe bei Finnland liegt, dann werden Sie auch Gründe finden, warum das jetzt wieder nicht gut ist. Das ist überhaupt keine Frage.

(Abg. Wintruff SPD: Das ist noch weit entfernt! – Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Damit komme ich zur Frage der Gerechtigkeit.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Jetzt wird es interes- sant!)

Für das Bildungssystem in Deutschland ist die wichtigste Frage überhaupt: Wie schaffen wir neben einer weiteren Entwicklung von guter Leistung im internationalen Vergleich wirklich Gerechtigkeit in allen Phasen der Bildungsbiografie?

(Abg. Wintruff SPD: Richtig! Das ist der Skandal Baden-Württembergs!)

Das ist übrigens auch ein Hauptgegenstand der Gespräche mit den Wissenschaftlern. Aber auch hier wäre ich an Ihrer Stelle vorsichtig: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Sie wissen, dass sich diese Frage in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen viel dramatischer stellt als bei uns.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Damit will ich nicht kleinreden, dass sich diese Frage auch bei uns stellt. Das muss ein Stachel im Fleisch der Bildungspolitik sein und bleiben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sagt Paulus! – Zuruf des Abg. Wintruff SPD)

Aber sowohl die PISA-Studie 2000 als auch die PISA-Studie 2003 zeigen, dass dort, wo in Deutschland integrative Systeme eingeführt wurden, die Hauptschule systematisch heruntergewirtschaftet und kaputtgemacht worden ist.

(Abg. Schmiedel SPD: Sachsen!)

Das ist die Analyse der Wissenschaftler und nicht der CDU in Deutschland.

(Abg. Schmiedel SPD: Sachsen! Was ist in Sach- sen? Ist das heruntergewirtschaftet?)

Weder Sachsen noch Thüringen haben eine Gesamtschule; das wissen Sie.

(Abg. Schmiedel SPD: Sie haben auch keine Hauptschule! – Abg. Wintruff SPD: Keine Drei- gliedrigkeit!)

Und Sie wissen, dass sich dort, wo die Systeme um die Gesamtschule erweitert worden sind, die Gerechtigkeitsfrage viel schärfer stellt.

(Zuruf des Abg. Braun SPD)

Zweitens wissen Sie noch aus der Studie 2000 – und das wird jetzt wieder in dem ausführlichen Bericht vorkommen –, dass die Integration der Kinder und Jugendlichen mit Mi

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

grationshintergrund im Süden deutlich besser gelingt als im Norden. Auch das ist doch interessant: Die Ost-West-Schere geht zusammen; die Nord-Süd-Schere geht nicht zusammen. Warum wohl?

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Ich finde, dass es Probleme gibt, denen wir uns weiterhin gemeinsam stellen sollten. Sie wissen zum Beispiel, dass es zwar einerseits den engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und schulischer Leistung – der ist in BadenWürttemberg eng – gibt, andererseits aber auch die Aussage von Professor Baumert, dass erstens das Bildungssystem nirgends so durchlässig ist wie in Baden-Württemberg

(Beifall des Abg. Wacker CDU – Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

und dass zweitens die Möglichkeit, auf das Gymnasium zu kommen, für bildungsferne Schichten nirgends so groß ist wie in Baden-Württemberg.

(Beifall des Abg. Wacker CDU)

Wir haben erste Erfolge, und wir sollten diese ersten Erfolge nennen. Wir haben das durchlässigste Bildungssystem in Deutschland.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Seimetz CDU)

Wir haben das durchlässigste Bildungssystem in Deutschland unter anderem deshalb, weil wir neben der Sonderpädagogik als starker Säule des Bildungssystems eine starke zweite Säule in der beruflichen Bildung haben.

(Abg. Wintruff SPD: Das BVJ!)

Es wird in den nächsten Jahren eine wichtige Aufgabe werden, deutlich zu machen, dass berufliche Bildung in Deutschland auch im internationalen Maßstab ein starker Teil unseres Bildungssystems ist. Die berufliche Bildung ist das Flaggschiff des Bildungssystems in Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Deshalb haben wir die europaweit niedrigste Jugendarbeitslosigkeit. Wenn Sie mich nach Gerechtigkeit fragen, dann sage ich Ihnen: Der wichtigste Indikator für ein gerechtes Bildungssystem ist die Frage: Wie hoch ist der Prozentsatz derer, die nach der Schule, nach der Bildung in Ausbildung, in Beschäftigung oder in eine selbstständige Existenz kommen? Das ist für mich der wichtigste Erfolgsfaktor auch für die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Wintruff SPD: Und wir fragen: Wie viele bleiben auf der Strecke? BVJ ist das Thema! Das überge- hen Sie! Sie interessieren diese 10 000 gar nicht!)