Protocol of the Session on June 1, 2005

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Müssen wir uns als politisch Verantwortliche nicht auch die Frage stellen und ernsthaft in der Öffentlichkeit diskutieren, welchen Stellenwert Familie in unserer Gesellschaft überhaupt noch hat?

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das können wir ger- ne machen, aber nicht bei dieser Debatte!)

Sind wir nicht auch zum Teil ein Volk von Egoisten geworden, welche auf nichts mehr verzichten wollen, sich ständig unabhängig fühlen und sich selbst verwirklichen wollen?

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Sagen Sie doch ein- mal etwas zum Ausbau der Kinderbetreuung!)

Fragen wir uns das einmal ganz kritisch. Erziehungsaufgaben schiebt man auf die Schulen ab, obwohl eigentlich jedem klar sein müsste, dass man die Vermittlung einfachster gesellschaftlicher Grundwerte nicht auch noch im Unterricht vermitteln kann.

(Abg. Fleischer CDU: Das ist sehr ausgewogen! Sehr gut!)

Und dann wundern wir uns, wenn viele Jugendliche und immer mehr Kinder eine emotionale Unausgeglichenheit, unrealistische Selbsteinschätzung, Schulunlust, eine sinkende Frustrationstoleranz und zum Teil leider auch noch kriminelle Neigungen zeigen! Ich kann Ihnen sagen: Hier den Staat generell als Reparaturwerkstatt zu sehen, meine Damen und Herren,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das sagt doch gar niemand!)

kann, abgesehen davon, dass wir uns dies nicht leisten können, nicht Ziel unserer Politik sein.

Jetzt sage ich Ihnen: Bislang habe ich Ihren Forderungen nach dem Ausbau von Ganztagsschulen immer noch etwas Positives abgewinnen können. Doch seit ich die Werbekampagne der Bundesregierung hierzu gesehen habe, kann ich nur sagen: Da verfolgen wir unterschiedliche Ziele. Ich lese hier: „Die Schulzeit ist die schönste Zeit im Leben – jetzt auch für Eltern. Ganztagsschulen – Zeit für mehr.“

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es! – Abg. Fleischer CDU: Das ist das Motiv! – Abg. Röhm CDU: Entlarvend! – Unruhe)

Wir als CDU-Fraktion

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Machen gar nichts!)

stimmen in der Frage der Zukunft der Kinderbetreuung in Baden-Württemberg voll mit den Aussagen unseres Arbeits- und Sozialministers überein,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Von dem haben wir noch gar nichts gehört!)

dass wir auf der einen Seite weitere bedarfsgerechte Angebote zur Betreuung von Kindern brauchen, es dabei auf der anderen Seite aber wichtig ist, dass Mütter und Väter selbst entscheiden können,

(Abg. Röhm CDU: Richtig!)

wie sie in den unterschiedlichen Familienphasen für das Einkommen und für die Erziehung ihrer Kinder sorgen wollen. In einem familienpolitisch gut aufgestellten Land muss beides möglich sein.

(Beifall bei der CDU – Abg. Röhm CDU: Bravo!)

Ihren Antrag lehnen wir ab, weil wir sagen: Das Strickmuster Ihres Antrags ist sehr einfach. Sie haben geschaut, was derzeit gemacht wird, und lediglich zusätzliche Forderungen aufgestellt, die Vorhaben sofort und flächendeckend umzusetzen. Sie verlieren kein Wort über die Finanzierung. Bei Ihren Forderungen handelt es sich um strukturelle Mehrausgaben. Mit dem Verkauf von Tafelsilber, meine Damen und Herren, lassen sich diese Forderungen nicht seriös umsetzen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere verehrte Kollegin Wonnay! An einer Stelle habe ich mich jetzt gewundert. Bisher hat man Frau Schavan immer zu hohes Reformtempo und das Überstülpen von Konzepten – ich denke an die Oberstufenreform usw. – vorgeworfen. Jetzt kritisieren Sie, dass

wir die Implementierungsphase im Kindergarten bedarfsgerecht mit denen, die das vor Ort machen sollen – insbesondere Eltern, Erzieherinnen, kommunalen Stellen –, Stück für Stück gemeinsam machen wollen. Also da passt irgendetwas nicht zusammen.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Andere machen das in einem Dreivierteljahr!)

Auf einmal ist es Ihnen zu langsam; bisher war es Ihnen immer zu schnell. Ich glaube, Frau Schavan liegt an dieser Stelle genau richtig.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Zweite Bemerkung: Die Antwort auf die Große Anfrage ist wirklich eine tolle Zusammenstellung. Wenn man sie objektiv liest, sieht man, dass in diesem Land schon sehr viel mehr geschieht, als jeder, der vielleicht alte Vorstellungen von Kindergarten oder Schule hatte, für möglich gehalten hätte. Heute kann vor Ort schon sehr viel mehr gemacht werden. Lassen Sie mich, weil meine Redezeit wirklich kurz ist, nur wenige Schwerpunkte herausgreifen.

Kinderbetreuung in Baden-Württemberg: Selbstverständlich müssen wir das Thema immer ganzheitlich betrachten. Betreuung beinhaltet immer auch Erziehung und Bildung –

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig! – Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

überhaupt keine Frage –, und zwar ganzheitlich vom Anfang an bis zum Verlassen der Schule, auch schon vor der Schule. Deswegen bin ich ja so froh, dass wir die Kompetenz für den Kindergartenbereich künftig im Bildungsministerium haben werden,

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Weshalb für die Kleinkinder dann wieder woanders?)

um zu zeigen, dass der Kindergarten eine Bildungsstätte ist und dass sich dort Chancen entscheiden – nicht später beim Numerus clausus oder wann auch immer; vielmehr geht es darum, dass ein Kind überhaupt schulfähig ist, wenn es eingeschult wird.

Nächstes Thema: Diskussionen über ein Pflichtjahr und solche Dinge. Auch da sind wir inzwischen viel weiter, wie Sie in der Antwort auf die Große Anfrage lesen können. Wir werden tendenziell – das sagt uns ja die Hirnforschung – darauf hinarbeiten müssen, von diesen Stichtagen wegzukommen, weil nicht alle Kinder gleich sind, und ein Stück weit mehr Flexibilisierung möglich zu machen. Das heißt tendenziell, dass wir die Lernfähigkeit von Kindern schon sehr viel früher nutzen können, aber in einer kindgerechten Form, und dass sie dann eben nicht in klassischen Klassenverbänden, sondern in einer Eingangsstufe sind. Da gibt es die Möglichkeit, dass Kinder, die sehr schnell vorankommen, sehr viel früher weiterkommen, aber andere trotzdem auch individuell gefördert werden können. Das heißt, diese Grenzen – im Alter von fünf Jahren Pflicht zum Kindergartenbesuch – werden in solchen neuen Modellen im Rahmen des „Schulanfangs auf neuen Wegen“ obsolet.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Auch das führt natürlich tendenziell zum Ziel, bedarf jedoch der stärkeren Vernetzung an diesen Übergängen. Dafür brauchen wir aber die Menschen vor Ort, die dies organisieren müssen. Da sind wir deutlich weiter, als Sie vielleicht hier immer suggerieren wollen.

Wenn man die Dinge insgesamt betrachtet, sieht man natürlich, dass es bei uns in vielen Bereichen wirklich Nachholbedarf gibt. Das ist überhaupt keine Frage. Sie haben zwar zur Finanzierung schon etwas gesagt, aber ich weiß nicht, wie oft und für welche Zwecke Sie die Landesstiftung noch auflösen wollen. Das wollen Sie hier auch wieder einmal. Das ist aber kein schlüssiges, nachhaltiges Konzept. Da sage ich einfach noch einmal: Wir müssen denen, die es finanzieren müssen – das sind nun einmal bei Kindern vor der Schulzeit im Wesentlichen die Kommunen, und bei Kindern, die bereits in die Schule gehen, ist es im Wesentlichen das Land, der Schulhausbau ausgenommen –, also vor allem den Kommunen, eine nachhaltige Finanzierungsbasis schaffen.

Ich sage noch einmal für die FDP/DVP-Fraktion: Wir müssen darüber nachdenken, ob wir eine Neuverteilung in den Finanzbeziehungen zwischen dem Land und den Kommunen hinbekommen. Auch da sind wir weiter, liebe Frau Wonnay, als Sie vielleicht denken. Da laufen Gespräche, durch die wir mit den Betroffenen tatsächlich sachbezogen zu neuen Lösungen kommen werden. Wir werden Bestandsaufnahmen machen. Dann wird damit Schluss sein, dass man mit immer neuen Vorschlägen – da einmal 1,6 Millionen €, dort einmal ein zusätzliches Progrämmchen – den Kommunen irgendein Incentive gibt, wobei sie aber nicht wissen, wie sie es nachher weitermachen sollen. Vielmehr müssen wir die nachhaltige Finanzierung einer von Anbeginn an ganzheitlich implementierten Sprachförderung im Kindergarten möglich machen. Da darf – ich sage es noch einmal – auch ein Thema wie die Transferleistungen in Höhe von über 80 Millionen € an Familien kein Tabu bleiben. Wir werden dieses Thema weiterverfolgen müssen. Ich bin dankbar für Beifall.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Das war der Beifall der Kollegin Lösch. Das freut mich an dieser Stelle.

Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Auf Schuldenbergen können Kinder nicht spielen. Darum müssen wir schauen, ob wir die Gelder, die wir bisher für Familien ausgegeben haben, zielgenau ausgegeben haben oder ob wir sie nicht besser für das ausgeben wollen, was Familien wirklich brauchen. Wenn dann noch das wahr wird, was ich beim ersten Tagesordnungspunkt gesagt habe, dass wir ein Steuerkonzept hinbekommen, das die Familien steuerlich so viel besser stellt, dann brauchen wir möglicherweise die zusätzlichen Transfers nicht.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Lassen Sie mich noch zu einem Punkt kurz Stellung nehmen, nämlich zum Thema Kindergarten. Da sind wir ja Gott sei Dank an sich Spitze, was den Versorgungsgrad angeht.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Sagen Sie etwas zur Qualität! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Aber die Qualität lässt zu wünschen übrig!)

Aber Sie haben auch wieder die Probleme der gemeindeübergreifenden Kindergartenversorgung erwähnt. Ich möchte den Tag heute auch dazu nutzen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass ganz frisch, Ende April, eine Vereinbarung aller kommunalen Landesverbände, des Sozialministeriums und der Träger, vertreten durch den Paritätischen Wohlfahrtsverband, zustande kam, wobei noch einmal die klare und eindeutige Handlungsempfehlung an die Kommunen herausgegeben wurde: Bitte, sorgen Sie alle mit dafür, dass dies vor Ort auch tatsächlich so umgesetzt wird. Ich bin mit den kommunalen Landesverbänden der Meinung, dass es möglich sein muss, einvernehmliche Lösungen auf der Grundlage dieser Empfehlung zu finden.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Wie viel Redezeit haben Sie denn, Herr Kollege?)

Wenn dies nicht gelingen sollte, ist die Gesetzesnovelle nach wie vor im Hintergrund. Das ist überhaupt keine Frage.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Da hätten Sie gleich ein Gesetz machen müssen!)

Ich bin aber sehr optimistisch, nachdem dies sogar mit einer Empfehlung hinsichtlich der Beträge, die natürlich nicht bindend ist, formuliert wurde, dass wir ein Stück weit dazu kommen werden, dieses Problem jetzt auch zu lösen.