Protocol of the Session on April 28, 2005

Durch Ihre gestrige Rede zog sich wie ein schwarzer Faden das Fehlen von Mut.

(Beifall der Abg. Boris Palmer und Brigitte Lösch GRÜNE)

Sie haben auf das gute Ergebnis bei Ihrer Wahl zum Ministerpräsidenten verwiesen. Dazu möchte ich Sie ausdrücklich beglückwünschen, soweit Sie alle Stimmen der Koalition bekommen haben und nach den Verwerfungen der Teufel-Ablösung die eigenen Reihen geschlossen haben. Die zwei Stimmen aus der Opposition kamen von Quertreibern und werden Ihnen nichts nutzen.

(Abg. Drautz FDP/DVP: Trotzdem haben sie ge- nutzt!)

Trotz dieses Rückenwinds gehen Sie mit dieser Regierungserklärung nicht mutig voran. Sie haben eine Sicherheitsrede gehalten mit vielen „wir müssen“, „wir können“, „wir wollen“, „wir sollen“. Aber wo steht: „Wir tun, wir machen“? Um als Politiker die Zukunft mitzugestalten, müssen wir die heutigen Trends voraussehen und ihnen voraus sein, damit Baden-Württemberg auch in Zukunft an der Spitze steht. Wir stehen auch in diesem Land vor großen Herausforderungen – durch den demografischen Wandel, durch die Globalisierung, durch den technologischen Wandel, durch die ökologische Krise und durch eine hoch verschuldete öffentliche Hand, die ihren Haushalt bei geringem Wachstum konsolidieren muss.

Herr Oettinger, Ihnen fehlt der Mut, Vorhaben Ihres Vorgängers infrage zu stellen oder zu korrigieren – zum Beispiel das Landeserziehungsgeld –, klare Schwerpunkte zu setzen und neben den Prioritäten auch Posterioritäten zu formulieren, also zu sagen, wo gestrichen werden soll, unbequeme Entscheidungen zu treffen, die auch für die eigene Klientel unangenehm sind – zum Beispiel die Streichung der 13. Monatspension für den höheren und den gehobenen Dienst –, neue Wege in der Energiepolitik zu gehen, alle politischen Vorhaben auch seriös zu finanzieren und zu beginnen, den Haushalt zu sanieren.

Auf Ihre bundespolitischen Einlassungen möchte ich nicht eingehen, nicht weil sie nicht wichtig gewesen wären, sondern weil mir die Zeit dazu fehlt.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wir haben freie Rede- zeit!)

So viel sei gesagt: Wenn Sie eine andere Steuerreform wollen, muss sie auch gegenfinanziert werden. Das gilt zum Beispiel für eine Unternehmensteuerreform, bei der die Unternehmensteuern gesenkt werden. Wir haben einen Vorschlag gemacht, wonach die Investitionen im Ausland nicht mehr voll abgeschrieben werden können. Damit finanzieren Sie diese Senkung fast schon zur Hälfte.

Sie haben an der Ökosteuer herumkritisiert, gleichzeitig aber gefordert, die Lohnnebenkosten zu senken. Wie soll das zusammengehen?

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Im System!)

Wenn Sie die Ökosteuer abschaffen, knallen die Lohnnebenkosten noch einmal um 1,7 % nach oben. Das ist also eine völlig unsinnige Forderung.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Außerdem haben Sie ein neues Modell zum Kündigungsschutz aufgestellt. Herr Oettinger, ich bitte Sie! Gerade vor einem Jahr wurde der Kündigungsschutz liberalisiert. Jetzt müssen wir abwarten, ob das neue Arbeitsplätze bringt oder nicht. Wir müssen doch nichts Neues draufsatteln, wenn die Reformen noch gar nicht greifen können. Das ist nicht seriös, und so kommen wir nicht weiter.

Also: Wenn Sie sich bundespolitisch äußern, verlangen wir klare finanzpolitische Konzepte. Es genügt uns nicht, dass Sie etwas in den Raum stellen, was hinterher nicht gegenfinanziert ist.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das, was Sie gesagt haben, möchte ich an drei exemplarischen Bereichen – der Umwelt-, der Bildungs- sowie der Haushalts- und Finanzpolitik – auf den Prüfstand stellen und kritisch würdigen.

Die Beschäftigungszahlen brechen drastisch ein. Seit 2002 haben wir allein im mittleren Neckarraum einen Abbau von 35 000 Stellen. Hinzu kommt, dass Baden-Württemberg seinen Spitzenplatz in der wirtschaftlichen Entwicklung eingebüßt hat. Wie das Statistische Landesamt erst im vorletzten Monat bekannt gab, lag Baden-Württemberg mit einem realen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,7 % nur noch an sechster Stelle aller Bundesländer. An der Spitze lagen mit 2,4 % die Bundesländer Bayern und Sachsen.

Was heißt das? Die Frage ist, welche Branchen, welche Produkte in den kommenden 10 bis 15 Jahren einen hohen Weltmarktanteil haben werden. Das ist die Frage: Wo haben wir nachhaltige Wachstumsfelder? Meine Antwort ist eindeutig: Es werden umweltverträgliche Produkte, Verfahren und Technologien sein.

(Beifall bei den Grünen)

Dies kann die Politik nicht allein; denn wir haben ja bekanntlich eine Marktwirtschaft. Aber Ihre Politik sollte die alten Weltbilder abräumen und sich wie früher Bosch und Daimler auch heute eine wichtige neue Perspektive zu Eigen machen, und die heißt, eine Umweltfreundlichkeit praktisch aller Produkte anzustreben. Umwelttechnologien und Energieeffizienztechnologien sind keine Wirtschaftsbremse, sondern ein entscheidendes ökonomisches Standbein unseres Wirtschaftsstandorts im 21. Jahrhundert und somit auch Exportartikel Nummer 1.

Ich erwarte in den nächsten Jahren einen gigantischen Nachfrageschub bei modernen Umwelttechnologien.

Das hat kein Arbeitskreis der Grünen behauptet, sondern der CSU-Minister Schnappauf. Wenn wir den Ausstoß von Treibhausgasen und Schadstoffen, den Energieverbrauch, den Ölverbrauch und den Verbrauch von Rohstoffen und insbesondere von Wasser global betrachten, wird deutlich, dass wir ihn um eine Größenordnung, also um den Faktor 10, verringern müssen, sonst wird die Welt in eine Katastrophe hineinschlittern. Sie, Kollege Mappus, haben das ja selber angeführt.

(Zustimmung des Abg. Mappus CDU)

Ökologische Modernisierung ist deswegen eine industriepolitische Revolution, vergleichbar mit der digitalen Revolution. Deshalb – und das ist meine Grundthese – ist ökologische Modernisierung das nachhaltige Wachstumsfeld der Zukunft. Herr Oettinger, haben Sie endlich den Mut, diese Erkenntnis in Ihrer Partei durchzusetzen! Wenn Sie auf den Oppositionspolitiker Kretschmann nicht hören wollen, dann reden Sie mit dem Fachmann Töpfer, Ihrem Parteifreund. Vielleicht öffnet er Ihnen die Ohren in diese Richtung.

Was heißt das nun heruntergebrochen auf unser Land Baden-Württemberg? Der Ministerpräsident hat sich bisher nur um die EnBW gekümmert. Aber die EnBW braucht die Hilfe des Landes nicht; sie kann sich selber helfen. Das hoch verschuldete Land Baden-Württemberg hat kein Geld, um über noch mehr Schulden der EnBW mit 20 Millionen € unter die Arme zu greifen. Wir brauchen uns nicht um ehemalige Monopolisten zu kümmern, sondern wir müssen – das ist das Erste, Herr Oettinger – die Denkstrukturen aus dieser Monopolzeit überwinden. Das sollte Ihnen ja deshalb leicht fallen, weil wettbewerbsfähiger Strom, eines Ihrer Hauptargumente, bei der EnBW am allerwenigsten zu sehen ist. Die EnBW hat einen der höchsten Strompreise in der ganzen Republik, trotz oder gerade wegen des hohen Atomstromanteils. Das müsste Ihnen doch zu denken geben.

Nun ist meine These, Herr Ministerpräsident,

(Zuruf des Abg. Mappus CDU)

dass Ihr Vorhaben, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern, keine verlockende Idee ist, auch wenn Sie sagen, damit solle dann der Einsatz regenerativer Energien finanziert werden.

Ich will Sie einmal in Parenthese fragen: Wie wollen Sie eigentlich in einem liberalisierten Energiemarkt ein Unternehmen dazu zwingen, irgendetwas, was Sie wollen, kon

kret zu machen? Das geht ja nur mit europäischen und bundespolitischen Vorgaben.

(Zuruf des Abg. Mappus CDU)

Herr Oettinger und Herr Mappus, ich glaube, Sie haben sich da selber eine industriepolitische Falle aufgestellt. Wer auf die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke setzt, muss den Energiestandort Baden-Württemberg schlechtreden, und das tun Sie; wir haben es wieder gehört. Sie kümmern sich nicht um Investoren – Sie setzen ja immer auf die Verlängerung –, sondern Sie treiben sie aus dem Land. Ein Stadtwerkeverbund wollte in Obrigheim ein modernes 400-Megawatt-Gaskraftwerk bauen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Map- pus CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Die EnBW wollte nicht, die Landesregierung hat es nicht gekümmert,

(Abg. Mappus CDU: Stimmt nicht!)

und jetzt bauen diese Stadtwerke dieses Kraftwerk in Nordrhein-Westfalen. Unglaublich, aber wahr! Und da wagen Sie es, sich hier über unser Umschaltfest zu Obrigheim zu ereifern!

Hinter dieser Forderung nach dem Ausstieg – das sage ich jetzt ganz ernst – standen Werte, so, wie gute Politik immer auf einem Wertefundament beruht: dass nämlich der Mensch nicht alles darf, was er kann. Es entspricht nicht unserer Vorstellung von dem, was Politik darf, der Menschheit unvorstellbare Gefahren aufzubürden und strahlenden Müll für Jahrtausende zu hinterlassen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Vor 25 Jahren war dies die Grundlage unseres Kampfes gegen die Atomkraft, und daran hat sich nichts geändert. Darum haben wir uns zu Recht darüber gefreut, dass jetzt ein atomarer Gefahrenherd stillgelegt wird.

Die hohen Abrisskosten, die Sie genannt haben, sind übrigens auch ein Grund, dass wir gegen Atomenergie waren, denn wir wussten das.

(Abg. Drexler SPD: Alles Rückstellungen! Unver- steuert!)

Wenn schon die Abrisskosten eines Atomkraftwerks so hoch sind, dann können wir einmal gespannt darauf warten, wie hoch die Kosten für die Endlagerung sein werden.

(Abg. Drexler SPD: Für die Sicherung!)

Da werden wir uns noch alle sehr, sehr wundern.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Ursu- la Haußmann SPD: Oh ja! – Zuruf des Abg. Map- pus CDU)

Wer Werte hat, hat auch Visionen, nämlich die einer Sonnenenergiewirtschaft. Engagierte und pragmatische Menschen wie wir Grünen haben daraus realistische Konzepte entwickelt. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz kupfert heute die ganze Welt von uns ab.

(Lachen des Abg. Schneider CDU – Abg. Zimmer- mann CDU: Spekulanten!)

Die Folge davon ist: Der Einsatz regenerativer Energien nähert sich immer schneller der Marktreife. Das ist ein großes Verdienst der rot-grünen Regierung und von Bundesumweltminister Trittin.

Was brauchen wir energiepolitisch, Herr Oettinger? Wir brauchen ein Bündnis mit unseren 80 verbrauchernahen Stadtwerken, mit dem Mittelstand, mit den Bauern, mit den Handwerkern. Nur so erzeugen wir nachhaltige Wertschöpfung im Land. Lassen Sie es mich an drei Beispielen deutlich machen.

„Ja zu Holz aus baden-württembergischen Wäldern“ ist eine Plattitüde, Herr Oettinger.