Protocol of the Session on April 20, 2005

Heute vor 60 Jahren, am 20. April 1945, sind französische Streitkräfte, französische Panzer, von Freudenstadt kommend in meine Heimatgemeinde gekommen. Das ist meine allerälteste, präzise Kindheitserinnerung. Ich habe den Tag vor mir vom Morgen bis zum Abend: französische Panzer, brennende Häuser, herumirrendes Vieh, Menschen, die in großer Not am Löschen waren, mehr als 15 Gebäude in Flammen.

Es war keine gute Besatzungszeit in den ersten Tagen, Wochen und Monaten. Man muss das aussprechen. Sie war geprägt vom Abbau von Maschinen in den Fabriken, der Demontage von Gleisen der Bahn, die bis zum heutigen Tag nicht wieder eingebaut sind, einem Kahlschlag in unseren Wäldern und einer mangelhaften Lebensmittelversorgung der Bevölkerung. Das ist ein Teil der Wahrheit. Der zweite Teil ist: Dem voran ging der Überfall Deutschlands auf Frankreich, die Einnahme von Paris und eine für Frankreich

demütigende und schwere deutsche Besatzungszeit mit dem Zusammentrieb und der Ermordung vieler französischer Juden.

Meine Damen und Herren, auf unseren Friedhöfen in Baden-Württemberg stehen drei Gefallenendenkmäler nebeneinander: eines aus dem Krieg von 1870/71, eines aus dem Ersten Weltkrieg und eines aus dem Zweiten Weltkrieg. Über Jahrhunderte hinweg hat man alle 20, 30 Jahre all das wieder zusammengeschlagen, was vorher mühselig aufgebaut worden war. Man hat die Feindschaft geradezu gepflegt und von einer Generation zur nächsten tradiert.

Ganz besonders hat die badische und natürlich auch die pfälzische Grenzlandschaft gelitten. Es war eine ausgewiesene tote Zone, in der aus diesem Grund nicht investiert werden durfte, eine Evakuierungszone. Im Grunde hat diese Landschaft am Rhein überhaupt erst nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbare Entwicklungschancen bekommen wie alle anderen Regionen in Baden-Württemberg und in Deutschland.

Man sagt, die Menschen lernen nicht aus der Geschichte. Die Deutschen, die Franzosen, die Europäer haben aus der Geschichte gelernt – spät genug. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine völlig neue Politik eingeleitet. Der Erste, der die Hand ausgestreckt hat, war der französische Außenminister Robert Schuman. Die ausgestreckte Hand wurde seinerzeit von Konrad Adenauer angenommen. Jean Monnet war der Architekt einer neuen Zusammenarbeit in Europa.

Charles de Gaulle hat dies später aufgenommen und hat in Ludwigsburg im Schlosshof vor 4 000 jungen Menschen eine große Rede an die deutsche Jugend gehalten. Ich vergesse nicht, dass ich als junger Mensch damals auf dem Schlosshof in Ludwigsburg dabei sein konnte.

Und heute? Heute ist ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar. Heute gibt es nicht einmal mehr Grenzkontrollen an den deutsch-französischen Grenzen. Heute ist der Rhein nicht mehr Grenze, sondern Brücke.

Heute – das muss man sich einmal vorstellen – liegt in Frankreich bei Umfragen nach dem beliebtesten Land und dem beliebtesten Volk Deutschland auf dem ersten Platz und liegt in Deutschland bei entsprechenden Umfragen Frankreich auf dem ersten Platz. Eine solche Entwicklung muss man sich einmal vorstellen. Was für ein Wandel, was für ein Wunder, was für ein Ereignis!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Und dies ist – das ist das Entscheidende – eben nicht nur das Ergebnis deutsch-französischer und französisch-deutscher Politik, nicht nur das Ergebnis von Regierungshandeln, das Ergebnis des Freundschaftsvertrags zwischen den beiden Ländern. Vielmehr ist die deutsch-französische Freundschaft heute in den Herzen der Menschen verankert. Den entscheidenden Beitrag dazu haben unsere Städte und Gemeinden mit den Städtepartnerschaften geleistet – das muss man heute einmal mit aller Anerkennung sagen –,

(Beifall bei allen Fraktionen)

(Ministerpräsident Teufel)

wobei die mit Abstand meisten in Deutschland, nämlich über 400, zwischen baden-württembergischen und französischen Gemeinden bestehen.

Jeder weiß aus eigener Erfahrung, wie viele Menschen sich aus unseren Vereinen, auch aus unseren Gemeinderäten heraus vor Ort für die deutsch-französische Zusammenarbeit ehrenamtlich engagieren.

Zu nennen sind weiter der Schüler- und der Studentenaustausch, das Engagement vieler einzelner Bürger, die gute Nachbarschaft zum Elsass, die enge institutionalisierte Zusammenarbeit im Oberrheinrat und in der PAMINA-Region.

Ich nenne ferner Französisch als erste Fremdsprache in der Grundschule entlang des Rheins als Sprache des Nachbarn, die Landesgartenschau in Kehl – auf beiden Seiten des Rheins gestaltet und ausgerichtet und mit einer Brücke verbunden – sowie den Eurodistrikt Straßburg – Kehl/Ortenau. Von mehreren meiner Vorrednerinnen und Vorredner wurde er ausdrücklich als ausbaufähig und ausbaunotwendig angesprochen. Das ist auch meine Meinung.

Meine Damen und Herren, Baden-Württemberg pflegt in jeder Hinsicht privilegierte Beziehungen zu Frankreich. Die einzige Hürde, die ich in den französisch-deutschen und in den deutsch-französischen Beziehungen heute noch sehe, ist das Sprachproblem. Ich habe mich vier Jahre als Beauftragter der Bundesrepublik Deutschland für die deutschfranzösischen Kulturbeziehungen bei den zweimal jährlich stattfindenden Gipfeltreffen intensiv mit meinen französischen Partnern darum bemüht. Wir sind nur Trippelschritte vorangekommen.

Es ist zu Recht gesagt worden, dass wir an unseren Gymnasien einen hohen Prozentsatz an Schülern haben, die Französisch als Zweit- oder als Drittsprache lernen. Da es für die Nachbarregionen von entscheidender Bedeutung ist, dass die Breite der Bürger die Sprache des Nachbarn versteht, danke ich allen, die vor Ort mitgeholfen haben – Abgeordnete, Bürgermeister, Kammern der Wirtschaft –, dass entgegen vielfältigen Bedenken von Eltern in den Schulen entlang des Rheins Französisch in der ersten Grundschulklasse eingeführt werden konnte.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD und der Grünen)

Wir haben an einigen Gymnasien unseres Landes bilinguale Züge einrichten können. Ich würde es für ausbaufähig halten, über die Fremdsprache Französisch hinaus einige weitere Fächer – ein zweites, drittes und vielleicht viertes Fach – in Französisch zu unterrichten,

(Abg. Schmiedel SPD: Genau!)

und umgekehrt auch in Frankreich.

Ich denke an die deutsch-französische Hochschule, die wir gegründet haben – dies geschah durch die Zusammenarbeit von deutschen und französischen Hochschulen – mit gemeinsamen Bildungsplänen, mit der Möglichkeit zu promovieren und Abschlüsse zu erwerben, die in beiden Staaten anerkannt sind. Das ist ein Ergebnis auch meiner langjähri

gen Bemühungen gewesen. Wir haben zudem an einer ganzen Reihe von Universitäten integrierte Studiengänge.

Wir in Baden-Württemberg fördern – das halte ich für bemerkenswert, nachdem Frankreich sich aus den Kulturinstituten zurückgezogen hat – die vier Kulturinstitute Frankreichs in Baden-Württemberg.

Wir haben nicht nur Schüleraustausch, sondern auch Lehreraustausch, partiell sogar auch eine gemeinsame Lehrerausbildung von elsässischen und baden-württembergischen Lehrern. Was für ein Fortschritt!

Am Donnerstag letzter Woche fand eine Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin statt. Es ist beschlossen worden, dass ein französisch-deutsches Geschichtsbuch herauskommen soll – kein Geschichtsbuch über die deutsch-französischen Beziehungen, sondern ein Geschichtsbuch über unsere gemeinsame Geschichte in Europa. Das Buch wird in den nächsten Monaten erarbeitet und vom Klett-Verlag verlegt. Dieses gemeinsame Geschichtsbuch halte ich ebenfalls für ein bemerkenswertes Ereignis und für einen großen Fortschritt.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beziehungen BadenWürttembergs zum Elsass sind eng, und sie stehen in einem Prozess ständiger Vertiefung. Viele von Ihnen arbeiten daran mit.

Nun ist ein zweites Problem angesprochen worden, über das wir sprechen müssen und um das ich mich seit Monaten intensiv bemühe. Die INTERREG-Programme waren eine ganz große Hilfe, nicht nur in den Beziehungen vor Ort zu Frankreich, sondern auch zur Schweiz und zu Österreich, zu Vorarlberg. Die Europäische Union hält an den INTERREG-Programmen und auch an der Fördersumme fest.

Die deutsche Bundesregierung sagt – mit guten Gründen; das will ich dazusagen –, wir müssen uns auf die Außengrenzen zu den neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union konzentrieren. Dagegen habe ich gar nichts. Das darf aber keine Ausschließlichkeit begründen. Wir können das eine oder andere INTERREG-Programm auf eigene Füße stellen, aber wenn man die gesamte Förderung wegnähme, würde unglaublich viel zusammenbrechen, was in den letzten Jahren aufgebaut worden ist.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP)

Deshalb habe ich – bei allem Verständnis dafür, dass INTERREG-Programme an den Außengrenzen nach Osteuropa neu aufgelegt werden müssen – die dringende Bitte, dass wir, alle vier Gruppierungen hier im Landtag, unsere Bemühungen in Berlin verstärken, um der Forderung Nachdruck zu verleihen, dass die INTERREG-Förderung – wie es Brüssel selbstverständlich ermöglicht – auch an unseren Binnengrenzen aufrechterhalten wird.

Ich denke an den großen Fortschritt der Institutionalisierung, die durch das Karlsruher Abkommen vor einigen Jahren zustande gekommen ist. Heute können Gemeinden ohne

(Ministerpräsident Teufel)

die zuvor bestehende, viel Zeit in Anspruch nehmende Genehmigungspflicht von Paris und Bonn bzw. Berlin nach den gleichen Grundsätzen, wie wir sie im nationalen Recht haben, über die Grenze hinweg Zweckverbände bilden.

Ich denke an das Programm für den Austausch von Beamten zwischen Baden-Württemberg und dem Elsass. Ich denke an das deutsch-französische Doktorandenprogramm der Universität Freiburg und der Universität Straßburg. Ich denke auch an das Kompetenzzentrum für grenzüberschreitende und europäische Fragen in Kehl, an das sich jeder aus der Wirtschaft und auch jeder Bürger unseres Landes wenden kann. Das hat sich außerordentlich bewährt.

Meine Damen und Herren, in Baden-Württemberg – ich erwähne das wegen des Punktes, den ich nachfolgend ansprechen möchte, nämlich der Frage des französischen Generalkonsulats in Stuttgart – sind bedeutende Institutionen der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Ich denke an das von Theodor Heuss und Carlo Schmid gegründete DeutschFranzösische Institut in Ludwigsburg, d a s Kompetenzzentrum in Deutschland für Frankreich. Ich denke aber auch an das hoch renommierte Frankreich-Zentrum der Universität Freiburg. Ich denke an die Deutsch-Französische Filmakademie in Ludwigsburg. Ich denke an sagenhaft viele, nämlich 246 Hochschulpartnerschaften zwischen badenwürttembergischen Hochschulen und französischen Bildungseinrichtungen des tertiären Bereichs.

Zu Recht ist angesprochen worden, wie stark die Handelsbeziehungen und die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Baden-Württemberg und Frankreich sind. Im Verkehrsbereich haben wir einiges erreicht. Ich denke an eine Landesstraße und eine Landesbrücke von Altenheim nach Eschau, die vor zwei oder drei Jahren eingeweiht worden ist.

Es bleibt die große Forderung – auch der französischen Seite –, die wir von Baden-Württemberg aus nachdrücklich unterstützen, im Rahmen der großen europäischen Verkehrsmagistrale auf der Schiene zwischen Paris und Budapest, die über Straßburg, Kehl, Karlsruhe, Stuttgart und Ulm in den Süden führen soll, nun die Mittel für den Rheinübergang zwischen Straßburg und Kehl bereitzustellen, damit der TGV zu dem Zeitpunkt, zu dem er in Straßburg ankommt, auch von uns abgenommen und mit der Rheinschiene verknüpft werden kann – aber nicht nur mit der Rheinschiene, sondern eben auch mit der Weiterführung über Karlsruhe nach Stuttgart und Ulm. Darüber habe ich in der letzten Woche ein ausführliches Gespräch mit dem EUKommissar für Verkehrsfragen, Barrot, einem Franzosen, geführt, und er hat mir nicht nur Unterstützung für dieses Projekt zugesagt, sondern auch eine nachdrückliche Förderung und Forderung vonseiten der Europäischen Union, damit dieses Projekt bald realisiert werden kann. Das liegt im Interesse Baden-Württembergs. Ich halte das für eine wichtige Zukunftsaufgabe.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, dies alles kulminiert nun in der Frage der zukünftigen Repräsentanz Frankreichs in BadenWürttemberg. Es gibt vonseiten der französischen Regierung konkrete Überlegungen, das französische Generalkon

sulat in Stuttgart aufzugeben. Ich möchte hier zwei Dinge vorausschicken. Das erste ist: Die Entscheidung liegt in der Souveränität der französischen Regierung. Zweitens: Ich habe Verständnis dafür, dass dann, wenn Deutschland, die Vereinigten Staaten, Großbritannien und nun auch Frankreich an diese Sache herangehen, weil sie unglaublich viele neue Botschaften, etwa in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, aber auch in Entwicklungsländern einrichten müssen, dies alles bei der gegenwärtigen Haushaltslage in all diesen Ländern nur durch den Abbau von konsularischen Vertretungen gemacht werden kann. Wenn ein Nachbar das Gleiche tut, was wir selber machen, kann man ihm das nicht vorwerfen. Aber die entscheidende Frage ist, wo die verbleibenden Generalkonsulate in Deutschland ihren Sitz haben. Da muss ich aus der Sicht Baden-Württembergs wirklich sagen: Mir scheint, dass da die erste Priorität BadenWürttemberg heißt.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Unser Land hat die längste Grenze zu Frankreich. 25 000 Franzosen leben in Baden-Württemberg; in keinem deutschen Land leben auch nur annähernd so viele Franzosen. Die kulturellen Beziehungen zu Frankreich sind in keinem Land enger als in Baden-Württemberg.

Zu Recht sind die wirtschaftlichen Beziehungen angesprochen worden. Nach den Vereinigten Staaten ist Frankreich für uns das Exportland Nummer 2, und für Frankreich ist Baden-Württemberg das Exportland Nummer 1 in Deutschland.

Meine Damen und Herren, kein Land hat engere Beziehungen zu Frankreich als sein unmittelbarer Nachbar, nämlich Baden-Württemberg. Ein Generalkonsulat gibt Frankreich ein Gesicht in Baden-Württemberg. Ich möchte ausdrücklich mit allem Respekt sagen: Seit ich es überhaupt überschauen kann, hat Frankreich Spitzendiplomaten nach Stuttgart geschickt, bis zum heutigen Tag. Diese Diplomaten haben die deutsch-französischen Beziehungen wirklich entscheidend gefördert.

Wir legen in der Antwort auf die Große Anfrage dar, das Generalkonsulat habe eine informelle Funktion, eine kulturelle Funktion und eine Mittlerfunktion, und wir begründen dies in unserer Antwort ausführlich. Diese Frage hat also für die Landesregierung von Baden-Württemberg einen ganz hohen Stellenwert.

Wir bemühen uns seit Monaten auf allen uns zugänglichen Ebenen darum, dass sich der Sitz eines der in Deutschland verbleibenden Generalkonsulate Frankreichs in BadenWürttemberg befindet. Dabei kommt es uns nicht auf eine Passstelle an, sondern es kommt auf eine hochrangige politische, diplomatische Vertretung Frankreichs in unserem Land an. Ich denke, dass wir dafür auch die Unterstützung des ganzen Hauses haben.

(Beifall bei allen Fraktionen)