Protocol of the Session on April 20, 2005

Jetzt, meine Damen und Herren, zunächst einmal zu der Frage: Was sind eigentlich die Quellen des Feinstaubs? Darum muss es ja gehen, wenn wir politisch darüber diskutieren wollen, wie wir den Feinstaub bekämpfen.

Die Überschreitungspunkte liegen alle unmittelbar und direkt an stark befahrenen Straßen. Der Verkehrsanteil der Emissionen beim Feinstaub ist daher hoch, aber auch nicht so hoch, wie man eigentlich meinen könnte. Ich möchte das anhand von Zahlen am Beispiel der Feinstaubkonzentration am Stuttgarter Arnulf-Klett-Platz schildern.

Meine Damen und Herren, der Straßenverkehr am ArnulfKlett-Platz selbst verursacht 25 % des Feinstaubs. Wir haben dann noch einen Eintrag aus anderen Gebieten Stuttgarts mit einem Anteil von 15 %. Das heißt, der Straßenverkehr insgesamt verursacht an dieser Stelle 40 % des Feinstaubs. Davon wiederum kommen 40 % an Emissionen direkt aus dem Auspuff, was sich mit moderner Abgastechnologie – Stichwort Filter – heutzutage im wahrsten Sinne des Wortes herausfiltern lässt. Oder andersherum gesagt: 16 % der Gesamtstaubbelastung kommen aus Emissionen aus dem Auspuff. Der Rest sind Abrieb der Straßen, Aufwirbelung auf den Straßen, Abrieb an Bremsen und Kupplung im Fahrzeug und Immissionen aus anderen Gebieten Stuttgarts. Andersherum gesagt: Wenn wir über Nacht alle Pkw und alle Lkw mit Rußpartikelfiltern ausrüsten könnten, hätten wir exakt 16 % des Problems gelöst und 84 % nicht gelöst – um einmal klar zu sagen, über welche Größenordnung wir insgesamt reden.

Deshalb halte ich es einfach für Panikmache, wenn man so tut, als ob man jetzt nur die Automobilindustrie, die angeblich alles verschlafen hat, endlich mal auf Trab bringen

müsse, und schon sei das Problem gelöst. Das entspricht nicht den Fakten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir sollten auch darüber reden, was denn sonst Quelle von Feinstäuben ist. Sonstige Beiträge wie die von Industrie, Gewerbe und Kleinfeuerungen machen gerade einmal 18 % aus. Ein großer Anteil entstammt dem großräumigen Hintergrund, unter anderem durch Ferntransporte, Aufwirbelungen usw. – ich habe es angeführt –: 42 %. Fazit: Diese 42 % wiederum enthalten natürlich einen geringen Verkehrsanteil von vielleicht 5 bis 10 %, sind aber durch lokale und regionale Maßnahmen gerade nicht zu beeinflussen.

Meine Damen und Herren, am Stuttgarter Neckartor wurde der neue Tagesmittelwert für Feinstaub bis Anfang April bereits 53-mal überschritten. Ich habe gelesen, man hätte die Bekanntgabe der Ergebnisse über Wochen hinweg verzögert. Im Nachhinein zurückgerechnet, wären wir die Ersten gewesen, bei denen der Grenzwert 35-mal überschritten wurde. Letzteres stimmt. Aber verzögert wurde überhaupt nichts. Im Gegenteil, wir haben das EU-Referenzverfahren angewendet, das sehr viel präziser ist als zum Beispiel das Verfahren in Bayern, allerdings einen Nachteil hat: Weil es mechanisch implementiert ist, bekommt man die Werte erst nach zwei Wochen. Aber es ist das von der Europäischen Union selbst vorgeschlagene Referenzverfahren. Insofern wäre es absurd, uns vorzuwerfen, wir hätten irgendetwas verzögert oder zu verschleiern versucht.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

In der Tat waren wir in Stuttgart die Ersten. Aber, meine Damen und Herren, das ist auch kein großes Wunder. Wenn man es so macht wie in Köln, dass man auf dem Sportplatz außerhalb der Stadt misst und nicht in der Stadt

(Lachen des Abg. Fleischer CDU)

das ist leider kein Witz, sondern eine Tatsache –, dann kommt nichts Negatives heraus. Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Landesregierung verantwortlich, nicht nur in Baden-Württemberg. Wir haben dort eine grüne Umweltministerin namens Höhn, das gute Gewissen der Grünen bundesweit im Bereich der Umweltpolitik.

(Lachen des Abg. Fleischer CDU)

Wenn ich natürlich gar nicht messe oder irgendwo, wo nichts Negatives herauskommen kann, dann ist klar, dass andere mit negativen Meldungen zuerst dran sind.

Ich kann nur sagen: Mein Rechtsverständnis sieht immer noch so aus, dass ich Ordnung und Gesetze einhalte und Messgeräte nicht dort aufstelle, wo nichts passieren kann. Dementsprechend waren wir in der Tat mit Bayern zusammen Spitze, allerdings auch Spitze im Einhalten von Rechtsnormen. Ich glaube, dass das in einem Rechtsstaat nichts Negatives ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Kernproblem bei der Feinstaubdiskussion, meine Damen und Herren, ist: Die hohen Schadstoffwerte treten nicht in der Fläche, sondern nur sehr kleinräumig, straßennah, an

(Minister Mappus)

besonderen Belastungspunkten des Verkehrs auf. Deshalb ist in Stuttgart exakt 1 % der Bevölkerung hiervon betroffen. 1 % ist natürlich 1 % zu viel, aber 99 % sind nicht betroffen. Das darf man bei dieser Gelegenheit auch einmal sagen.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Woher kommen dann die Toten, wenn die alle nicht betroffen sind? – Gegenruf des Abg. Scheuermann CDU: Niemand weiß das!)

Ich bin dankbar, dass Sie das ansprechen. Woher kommen die Toten? Meine Damen und Herren, da sagt jemand im Fernsehen – 22:30 Uhr, Tagesthemen –: „Wir haben zwischen 15 000 und 65 000 Tote durch Feinstaub.“ Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen! Also eine „bescheidene“ Differenz von 50 000 Toten, mehrere 100 % Differenz! Andere Bundesländer und Baden-Württemberg haben sich über Wochen hinweg darum bemüht, die vermeintlich wissenschaftlich fundierte Untersuchung zu bekommen, aus der diese Werte stammen. Meine Damen und Herren, es gibt sie nicht. Sie ist von anderen Ländern und von uns nicht zu bekommen. Es gibt keine solche wissenschaftliche Untersuchung. Ich muss sagen: Ich halte es schon für makaber, wenn ein Arzt im Fernsehen unter Missbrauch des hohen Ansehens von Ärzten sagt, dass es zwischen 15 000 und 65 000 Tote durch Feinstaub gibt, obwohl das nicht belegbar ist.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Darum sollten Sie diese Frage lieber nicht stellen, Herr Palmer. Ich halte es für Panikmache, davon zu reden, es gäbe 65 000 Tote, wenn man das Problem des Feinstaubs nicht lösen würde. So kann man keine seriöse Politik machen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Bo- ris Palmer GRÜNE: Dann ist die WHO unseriös! Dann brauchen wir auch keine Grenzwerte!)

Jetzt komme ich zu einem ganz spannenden Thema. Da wird geäußert, so nach dem Motto „die Landesregierung hat wieder einmal geschlafen“, die Entwicklung hätte man viel früher in den Griff bekommen können.

Gehen wir einfach einmal den chronologischen Ablauf des Ganzen durch. Meine Damen und Herren, die EU-Richtlinie ist viele Jahre alt. Die spannende Frage ist aber, wann sie in nationales Recht umgesetzt wurde. Obwohl sie in den Neunzigerjahren auf EU-Ebene erlassen wurde, wurde sie erstaunlicherweise tatsächlich erst Ende 2002 in nationales Recht umgesetzt. Lieber Herr Palmer, bevor Sie uns kritisieren, gehen Sie einmal zu Ihrem Freund Trittin – ich halte mich jetzt zurück, sonst werde ich wieder mit vermeintlichen Prädikaten belegt – und fragen ihn einmal, warum sage und schreibe vier Jahre, nachdem Trittin das Amt übernommen hat – –

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Drei!)

Entschuldigen Sie, 1998! Ich bedauere es ja auch, dass es schon 1998 war, aber es ist so.

(Abg. Seimetz CDU: Viel zu lange! – Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

1998 bis 2002 sind vier Jahre. Fragen Sie einmal, warum der Mann vier Jahre gebraucht hat, um eine EU-Verordnung in nationales Recht umzusetzen.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Nicht aufregen! Es ist ungesund, wenn man sich so aufregt.

(Heiterkeit und Beifall – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Viel ungesünder als Feinstaub!)

Herr Palmer, nicht nur Feinstaub ist gesundheitsschädlich, sondern auch andere Dinge sind es.

Meine Damen und Herren, 2002 ist das Ganze in nationales Recht umgesetzt worden. Wir haben daraufhin sofort im Laufe des Jahres 2003 die Messplanungen und die Vorarbeiten für die Messungen nach den gesetzlichen Vorgaben durchgeführt, und wir haben mit den Messungen selbst begonnen. Wir haben sie im Jahr 2004 fortgeführt. Wir haben unmittelbar danach mit der Aufstellung der gesetzlich vorgeschriebenen Pläne begonnen. Andere Bundesländer messen bis zum heutigen Tag nicht überall gemäß den Richtlinien. Vielmehr hat der Bundesrat – übrigens auf Initiative Baden-Württembergs – bereits Ende 2003 und nochmals im Juni 2004 darauf hingewiesen, dass die neuen Grenzwerte, insbesondere für PM10, an den Hauptverkehrsachsen nicht eingehalten werden können, und den Bund aufgefordert, schnellstmöglich auf die Schaffung von entsprechend anspruchsvollen Grenzwerten für die Partikelminderung bei Dieselfahrzeugen hinzuwirken sowie entsprechende wirtschaftliche Anreize für eine rasche Aus- und Nachrüstung mit Rußpartikelfiltern zu schaffen.

Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren, hat noch im Sommer 2004 erklärt – ich zitiere –: „Das ist nicht notwendig.“

So viel zu der Frage, wer bei der Diskussion geschlafen hat.

Meine Damen und Herren, seit August 2004 wissen wir sicher, dass der Tagesgrenzwert für Feinstaub nicht überall eingehalten werden kann. Es gehört auch zur Wahrheit, dass wir bis 2004 das Problem mit den Messwerten so nicht hatten. Seit 2003 hat sich abgezeichnet, dass es ein Problem werden könnte. Seit 2004 haben wir es. Vorher hatten wir es nicht, im Übrigen auch nicht bei diesem Grenzwert. Seitdem arbeiten die Regierungspräsidien an der Erarbeitung von Maßnahmenplänen. Die Regierungspräsidien erarbeiten für acht Kommunen Aktionspläne zur Feinstaubminderung und Luftreinhaltepläne zur Reduzierung der Stickstoffdioxidbelastung, weil wir dort bekanntermaßen ab dem 1. Januar 2010 auch Grenzwerte haben werden, und zwar ziemlich strenge. Wir arbeiten bereits heute daran, dass sie eingehalten werden können.

Jetzt zu den Maßnahmen, meine Damen und Herren. Darum muss es in der politischen Diskussion ja eigentlich gehen.

Zunächst: Es gibt für uns bei diesem Thema keine Tabus. Die Regierungspräsidien prüfen ohne Tabu alle denkbaren Maßnahmen. Zunächst einmal wird geprüft.

Der Zeitplan für die Luftreinhalte- und Aktionsplanung sieht wie folgt aus: Bis zum Sommer werden die Pläne für

(Minister Mappus)

die Öffentlichkeitsbeteiligung vorgelegt. Bis Ende dieses Jahres werden die Planungen abgeschlossen sein.

Jetzt gibt es drei unterschiedliche theoretisch denkbare Strategien:

Erstens: Scharfe Eingriffe in den Verkehr mit dem Ziel, die Verkehrsmengen auf den wichtigsten Hauptachsen zu halbieren. Es wäre mindestens eine Halbierung notwendig, um das Problem durch die Verkehrsmenge zu beeinflussen. Die Ergebnisse, die Konsequenzen wären für uns alle klar: erhebliche negative wirtschaftliche Folgen. Ich glaube, das können wir in der jetzigen wirtschaftlichen Situation ganz bestimmt nicht brauchen.

Zweite theoretische Möglichkeit: eine Verkehrsumlenkung. Wir könnten die Verkehre quasi durch die Stadt verteilen – durch Tonnagebeschränkungen und anderes mehr. Das wäre aber ein völliger Wandel in der Strategie. Wir hatten bisher das Anliegen verfolgt, Verkehre zu bündeln, auf Hauptverkehrsachsen möglichst schnell und problemlos durch Kommunen hindurchzuführen.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Genau!)

Ich würde es für fatal halten, wenn wir jetzt sagen würden: „Wir haben auf Hauptverkehrsachsen nur noch die Hälfte der Verkehre. Dafür leiten wir die andere Hälfte durch Wohngebiete oder andere Gebiete.“ Ich glaube, das wäre – da sind wir uns wahrscheinlich einig – die falsche Strategie.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Deshalb, meine Damen und Herren, sieht unsere Strategie so aus, dass wir ein Bündel angemessener Maßnahmen umsetzen wollen und eine rasche Verbesserung der Abgasreinigungstechnik unter anderem durch die zügige Einführung von Partikelfiltern für Dieselfahrzeuge ansteuern. Das heißt, wir wollen eine flächendeckende Minderung der Belastung. An einzelnen Hauptverkehrsachsen sind bis dahin für einige Zeit allerdings – es wäre unehrlich, das nicht zu sagen – weitere Grenzwertüberschreitungen nicht ohne weiteres auszuschließen.

In der Gesamtabwägung plädiere ich dafür, dass wir diesen dritten Weg gemeinsam gehen. Aber das Land wird es mit Sicherheit allein nicht schaffen, dass die neuen Grenzwerte eingehalten werden. Wir brauchen Maßnahmen auf allen Ebenen: auf der Ebene der Europäischen Union, auf der Ebene des Bundes, natürlich im Land, aber auch auf der Ebene der Kommunen. All diese Ebenen müssen in ihrem jeweiligen Bereich die notwendigen Maßnahmen ergreifen.