Protocol of the Session on February 18, 2005

Nicht nur das, auch bei den Investitionen wird richtig zugeschlagen. Sie haben vor einiger Zeit formuliert – wie Ihr Vorgänger, Herr Minister Müller –, dass der öffentliche Nahverkehr jetzt vom Steigflug in den kontrollierten Gleitflug übergehen müsse. Sie haben vom Gleitflug unmittelbar in den Sturzflug übergeleitet.

(Zuruf der Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD)

In Ihrem Ministerium wird heute kein neuer Antrag auf GVFG-Bezuschussung mehr genehmigt. Genehmigungsbescheide werden mittlerweile bis auf das Jahr 2018 hinaus verzögert, bei leicht gekürzten Mitteln.

Aber wenn man fragt, wie es sein kann, dass praktisch nichts mehr geht – Herr Minister Mappus, wenn Sie den Kopf schütteln: bei der S-Bahn nach Kirchheim steht als Rückzahlungszeitraum 2018 im Raum –, kommt man wieder auf Stuttgart 21 zurück. Denn Sie werden, wenn dieses Wahnsinns-Maulwurfsprojekt realisiert wird, über acht bis zehn Jahre hinweg nahezu die Hälfte Ihrer GVFG-Mittel ausschließlich für die Errichtung einer S-Bahn-Haltestelle in Stuttgart ausgeben müssen. Für das gesamte übrige Land bleibt faktisch nichts mehr übrig.

Herr Minister, Sie haben gerade durchgesetzt, dass auf allen Bussen und Bahnen das Logo Ihrer Kampagne – die drei Löwen – angebracht werden soll. Ich glaube, wenn Sie diese Pläne umsetzen, wäre es sinnvoll, Sie würden verlangen, dass auf allen Bussen und Bahnen, die dann vor sich hin altern und nicht ersetzt werden können – in Mannheim können keine Straßenbahnen mehr angeschafft werden –, eine dicke, große, schwarze Null mit Ihrem Konterfei in der Mitte abgebildet wird. Das würde die Sache deutlicher machen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Rückert CDU: Was ist das für ein Theater! – Lachen bei Abgeordneten der CDU)

Zum Thema Stuttgart 21 gehört auch das Thema „Neubaustrecke nach Ulm“. Sie wissen, dass wir sie befürworten. Sie haben in diesem Haushalt erstmals eine Rate für die Vorfinanzierung der Investitionskosten eingestellt. Diese Rate liegt – man staunt – bei 2 Millionen €. Nun frage ich mich: Woher kommt in den Folgejahren das Geld? Denn im Jahr 2007 bräuchten Sie nach Ihrer Planung bereits 50 Mil

lionen €, im Jahr 2008 80 Millionen €. Der Schuldenstand des Landes wächst um 2 Milliarden € pro Jahr. Einen verfassungsgemäßen Haushalt können Sie nur durch Tricksereien erreichen. Ich möchte von Ihnen eine klare Aussage: Woher kommt das Geld – mehr Schulden, Kürzungen an anderer Stelle, oder woher bringen Sie 80 Millionen € pro Jahr? Dazu sollten Sie sich endlich mal klar äußern.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Hofer FDP/DVP: Weiter!)

Was den öffentlichen Nahverkehr angeht, lautet die einfache Forderung: Verzichten Sie auf Stuttgart 21. Dann haben wir genügend Investitionsmittel, um den Verkehr im Land voranzubringen. Mit Stuttgart 21 werden wir den Verkehr im Land deutlich verschlechtern und die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs verringern.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Zum Thema Straßenbau: Beim Straßenbau – das wird Sie erstaunen – bin ich als Grüner der Auffassung, dass zu wenig investiert wird –

(Abg. Kübler CDU: Was?)

nicht in den Neubau, aber in den Erhalt. Sie haben selbst das Ziel formuliert, 60 Millionen € pro Jahr in den Erhalt des Landesstraßennetzes zu stecken. Sie schaffen gerade mal 40 Millionen €, und davon sind nur 15 Millionen € regulär im Haushalt veranschlagt, der Rest kommt aus Krediten. Das heißt, Sie sind nicht in der Lage, die Infrastruktur zu erhalten. Sie müssen sich dafür separat bei der Bank verschulden. Der ADAC weist zu Recht darauf hin, dass die Schlaglöcher in den Landesstraßen immer tiefer werden, während der Bund seine Erhaltungspflichten erfüllt.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Ganz was Neues!)

Meine Damen und Herren, Sie können sich den Straßenzustandsbericht selbst beschaffen. Die Landesstraßen verkommen, der Bund erhält seine Straßen wesentlich besser, als Sie es zu tun in der Lage sind.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das müssen alte Zahlen sein!)

Das Thema Sonderprogramme, das sich durch diesen Straßenverkehrsetat zieht, ist in doppeltem Sinne für die Zukunft eine schwere Hypothek. Sie machen allein in dieser Legislaturperiode eine halbe Milliarde Euro verdeckter Schulden für den Straßenbau, und Sie haben, weil das noch immer nicht ausreicht, mittlerweile mit großer Kunstfertigkeit zu buchungstechnischen Tricks gegriffen, auf die man erst einmal kommen muss. Sie haben beim letzten Haushalt einfach verfügt, dass die Tilgungsraten halbiert werden, damit die Schulden länger in die Zukunft gezogen werden, um jetzt aktuell mehr Geld in die Sonderprogramme investieren zu können.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

In diesem Jahr ziehen Sie die geplante Verschuldung des Jahres 2006 auf das Jahr 2005 vor, sodass im Jahr 2005

kurzfristig 78 Millionen € aus den Sonderprogrammen geschöpft werden können.

(Abg. Scheuermann CDU: Das steht im Doppel- haushalt!)

Im Jahr 2006 sackt diese Rate plötzlich um 50 Millionen € auf 28 Millionen € ab. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen schon jetzt voraus, dass im nächsten Jahr, im Jahr der Landtagswahl, das Geheule losgehen wird, dass keine einzige Straße mehr neu begonnen werden kann und dass deswegen im Wege eines Nachtrags weitere Millionen Euro geschöpft werden müssen, um wenigstens das Notwendigste im Straßennetz zu tun. Dies ist ein billiger Buchungstrick, mit dem Sie Sachzwänge schaffen, um die Verschuldung in den kommenden Jahren weiter nach oben zu treiben.

(Beifall bei den Grünen)

Besonders kennzeichnend für diesen Vorgang ist übrigens, dass Sie im Jahr 2006 nach Ihrer Planung bereits wesentlich mehr Geld für die Tilgung der bisher aufgelaufenen Schulden in den Sonderprogrammen aufwenden müssen, als Sie neu aus dem Sonderprogramm schöpfen können. Sie haben hier im Kleinen vorgemacht, was uns im Großen im Haushalt drohen wird. Durch immer mehr Schulden kommen wir zur Handlungsunfähigkeit. Ein Unternehmen, das alte Kredite mit neuen Schulden finanzieren muss, ist längst insolvent, und diesen Zustand haben Sie im Landesstraßenbauetat bereits erreicht.

(Abg. Schebesta CDU: Da, wo Grüne Verantwor- tung tragen, ist alles anders!)

Herr Kollege Schebesta, diese Art der buchungstechnischen Tricks ist eine besondere Kunstfertigkeit schwarzer Regierungen.

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: In aller Bescheiden- heit!)

Das ist in dieser Weise noch bei keiner rot-grünen Landesregierung versucht worden. Zeigen Sie mir, Herr Kollege, die rot-grüne Landesregierung, die solche Schuldenhaushalte für den Straßenbau und solche Buchungstricks betreibt. Dann korrigiere ich mich. Sie können mir keine zeigen.

Die schwarze Null bei den Investitionen haben wir hinter uns gelassen. Kommen wir zum Thema Atomaufsicht. Vernünftiges Sparen, meine Damen und Herren, muss heißen, Strukturen zu verschlanken und dort, wo Überflüssiges existiert, einzuschneiden, um die anderen, verbleibenden Strukturen lebensfähig zu erhalten. Das ist kluges und vernünftiges Sparen.

Sie gehen genau umgekehrt vor: Sie sparen mit dem Rasenmäher, sodass alles mehr oder weniger schlecht funktioniert, und erhalten völlig nutzlose Dinge wie die Internationale Länderkommission Kerntechnik. Wie Sie wissen, ist diese Kommission lediglich ein politisches Kampfinstrument. Ihnen passt die Zusammensetzung der Reaktorsicherheitskommission im Bund nicht. Deswegen haben Sie eine Parallelinstitution der schwarzen Landesregierungen geschaffen. Die bezuschussen Sie pro Jahr mit 500 000 €. Das Ergebnis dieses Geldeinsatzes ist absolut null Komma

nichts. Wir verlangen von Ihnen, diesen politisch motivierten Unfug endlich einzustellen.

(Beifall bei den Grünen)

Denn was bewirkt diese Investition von 500 000 € für die Sicherheit der Kernkraftwerke im Land? Wie funktioniert unsere Atomaufsicht? Wir haben wieder aktuellen Grund zur Debatte darüber. Sie wissen, im Jahr 2001 wurde in Philippsburg entdeckt, dass die Befüllung der Kühlwasserbehälter und der Borierungszustand unzureichend sind. Herr Minister Müller, der nicht mehr im Saal sitzt, aber damals kurz vor dem Rücktritt stand, hat dies als Betrieb von Kernkraftanlagen im Blindflug bezeichnet. Diesen Blindflug – das wissen wir heute – setzt die EnBW unvermindert fort.

(Zurufe von der CDU)

Das kann ich Ihnen erläutern.

Die EnBW war selbst nicht in der Lage, das Problem wirklich bis auf den Grund zu untersuchen. Es bedurfte dazu einer anonymen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin über zwei Jahre hinweg – Herr Minister Mappus, Sie können es ausführen – einen Gutachter eingeschaltet. Dieser Gutachter hat den Fall nochmals untersucht und ist im Sommer letzten Jahres an die Staatsanwaltschaft herangetreten; die Staatsanwaltschaft wiederum ist an die EnBW herangetreten. Der Gutachter hat festgestellt: Die EnBW war nicht in der Lage, in Philippsburg einen Störfall zu beherrschen, den Abriss der Hauptkühlmittelleitung für den Reaktorbehälter, war nicht in der Lage, nachzuweisen, dass dieser Störfall beherrscht werden kann, und hat die Anlage dennoch betrieben. Meine Damen und Herren, das ist genau der Blindflug, den abzustellen Sie versprochen haben. Das ist skandalös. Der Umgang mit der Sicherheit der Kernkraftwerke in Baden-Württemberg ist ein purer Skandal.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Noch schlimmer ist das, was danach folgte.

(Zuruf von der CDU: Grüne Luftballons! – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Ihnen scheint der Schutz der Bürger vor Reaktorunfällen ziemlich egal zu sein, wenn ich Ihre Zwischenrufe zum Maßstab nehme, Herr Kollege.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Diese Zwischenrufe sind wirklich kein Grund, sich auf Atomkraftwerke zu verlassen.

(Abg. Zimmermann CDU: Momentan berühren uns die Visamachenschaften mehr!)

Im Sommer wird der EnBW bekannt gemacht, dass der Gutachter zu dem Ergebnis kommt,

(Abg. Alfred Haas CDU: Nicht so laut schreien! Herr „Volmer“, schreien Sie doch nicht so! – Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

der Störfall sei nicht sicher zu beherrschen. Was tut die EnBW? – Sie können noch etwas lernen; hören Sie einmal zu. Herr Fischer war nicht in Philippsburg. – Was tut also die EnBW? Die EnBW fragt bei Framatome, dem Hersteller, nach: „Wie seht ihr das? Rechnet bitte einmal nach.“ Die EnBW lässt nachrechnen. Framatome sagt zur EnBW, meine Damen und Herren: „Wir können nicht bestätigen, dass der Störfall beherrschbar wird.“ Das heißt, der Anlagenhersteller bestätigt die Auffassung des Gutachters: Hier wird im Blindflug gearbeitet.

Die EnBW hält es nicht für notwendig, Ihr Ministerium zu informieren. Es müssen erst Zeugenvernehmungen seitens der Staatsanwaltschaft angedroht werden, bis am 12. Januar dieses Jahres – das heißt, nach einem halben Jahr – bei Ihnen im Ministerium die Information eingeht, dass hier ein Störfall vermutlich nicht beherrscht werden konnte.

Da frage ich Sie schon, Herr Minister: Was bedeutet das für die Nulltoleranzstrategie, die der Vorstandsvorsitzende der EnBW, Herr Claassen, ausgegeben hat? Was soll das für eine Nulltoleranzstrategie sein, die es zulässt, dass, anstatt die Aufsicht zu informieren, ein halbes Jahr herumgedoktert, vertuscht und gepfuscht wird? Es geht um einen Atomreaktor, der nicht sicher betrieben werden kann. Der Betreiber weiß das, Sie wissen es nicht. Was für eine Atomaufsicht haben Sie hier im Land?

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Noch schlimmer: Der Gutachter hat sich ausschließlich auf Unterlagen gestützt, die in Ihrem Haus seit Einsetzung des Untersuchungsausschusses vorlagen. Sie haben eine Atomaufsicht, die es in drei Jahren nicht fertig gebracht hat – die betreffende Abteilung wurde eigens aufgestockt; es wurde ein eigenes Referat geschaffen –, das, was ein einzelner Gutachter ermittelt und was der Anlagenhersteller bestätigt, aufzudecken und abzustellen. Meine Damen und Herren, in diesem Ministerium müssen eine Menge Schläfer und schwarze Nullen hocken.